Mittwoch, 29. Juni 2016

Turks fruit


Regie: Paul Verhoeven, 1973

Paul Verhoevens kleines Meisterwerk von 1973 mit Dieter Thomas Kuhn in der Hauptrolle, gespielt von Rutger Hauer, ist ein übertriebener, lebensbejahender Film über die Liebe und das Leben.

Eric, ein eher erfolgloser Bildhauer, lernt die schöne Olga mit den roten Haaren kennen – die Liebe seines Lebens. Es folgt sofort ein schwerer Autounfall. Beide treffen sich später wieder und heiraten. Davor, und besonders ab der Hochzeit, dreht sich vieles um Sex: Hauer präsentiert sein Gehänge, und Olga ist fast in jeder Szene komplett nackt. Sie dient Eric als Muse und Inspiration.

Olgas Mutter hat eine Brustamputation hinter sich und lehnt Eric ab. Olga befürchtet, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Dann stirbt ihr Vater an Krebs. Die Beziehung zwischen Olga und Eric besteht aus wildem Sex und grenzenloser Liebe, bis Olga beim Abwürsteln schreiend und ängstlich aus dem Badezimmer rennt. Eric untersucht das Produkt der Verdauung in der Kloschüssel mit den Händen. Eine eigentlich fantastische Szene, die oberflächlich betrachtet den „Fäkalhammer“ massiv schwingt, aber zu einer Schlüsselszene mit doppelter Bedeutung im Film gehört. Das rot gefärbte Kloschüsselwasser und die blutige Wurst wird von Eric belächelt und mit dem Verzehr von Rote Bete am Vortag abgetan.

Dann folgen wieder hemmungslose Busenszenen, massiver Schamhaareinsatz von Olga, explizite Geschlechtsteildarbietungen und Gestöhne. Schließlich betrügt Olga Eric, und die Beziehung scheitert, obwohl Eric nicht wirklich loslassen kann. Seine Gewaltfantasien, die bereits den Film verstörend eröffneten, sowie seine angestaute Wut kommen zum Vorschein. In dieser Zeit fickt sich Eric durch ganz Holland, was ebenfalls am Anfang des Films ca. 10 Minuten lang explizit dargestellt wird. Nach ein paar Jahren und einer weiteren gescheiterten Ehe trifft er Olga wieder. Sie gehen gemeinsam einen Kaffee trinken, wobei Eric bereits merkt, dass mit Olga etwas nicht stimmt, dass sie sich verändert hat – nicht nur optisch. Auf der Toilette bricht sie schließlich zusammen und kommt ins Krankenhaus.

Ab hier gibt es dann einen gewaltigen und schmerzhaften Tritt in die Magengrube von Verhoeven, und der Film bricht in den letzten 15 Minuten in ein trauriges und leidendes Drama aus. Plötzlich verschwinden die voyeuristischen Sexszenen, die derben Dialoge und der teils alberne, vulgäre Humor aus den Gedanken. In den letzten Minuten drehen Monique van de Ven und Rutger Hauer schauspielerisch so richtig auf. Großartig, wie die beiden einen in dieses Drama hineinziehen.

Turks Fruit ist für Verhoeven-Verhältnisse ein eher ruhiger Film, aber eigentlich dann doch wieder nicht – ein sehr tiefgründiges Liebesdrama. Für 1973 schon fast zu freizügig und in seiner Grundstimmung auch heute noch bewundernswert schonungslos.

Peter Gabriel - III (Melt)

Peter-Gabriel-III-(Melt)

Die beiden Vorgänger waren noch Fingerübungen, die Nachfolger musikalisch bedeutend besser. "So" war ein Welterfolg und gehört zu den wichtigsten Alben der 80er, und mit "Up" veröffentlichte der Meister 2002 eine Machtrakete, die sogar alte Genesis-Großtaten ausstach. Doch das perfekte anspruchsvolle Popalbum veröffentlichte Gabriel mit seinem dritten Album.

Namen gefällig? Kate Bush, Tony Levin, Robert Fripp, Phil Collins und weitere Hochkaräter begleiten Gabriel in den 10 Songs. Songs wie 'Games Without Frontiers' mit seinem zum Weinen schönen Text, das elegische 'Family Snapshot', der elfengleiche Auftritt von Kate Bush in 'No Self Control', das bergbaudunkle 'Intruder' oder der im Gedächtnis hängen bleibende Protestsong 'Biko' gehören auch heute, fast 35 Jahre später, immer noch zur Elitereife der Popmusik.

Marillion - Misplaced Childhood

 

Ich bin ja nicht unbedingt ein Fan von Konzeptalben, aber mit "Misplaced Childhood" haben Marillion ein Naturwunder geschrieben, das nicht nur textlich übertrieben großartig ist, sondern auch in sich stimmig, rund und geschlossen – wie ich es eigentlich nur bei einer Handvoll Alben kenne. Die in der Fish-Phase oft als Genesis-Klon verurteilte Band hat mit diesem Album etwas geschaffen, was Genesis mit Gabriel eigentlich nie so wirklich hinbekommen haben: ein durchgängiges, hochspannendes Musikabenteuer.

Die von Fish beeindruckend erzählte (oder gesungene) Geschichte wird von Steve Rotherys singender Gitarre in ein Emotions-Delirium getrieben, wie man es so eigentlich nur von einem Gilmour oder Knopfler kennt. Es gibt nur wenige Werke, die so gut durchdacht sind wie dieses überwältigende Zauberalbum.