Samstag, 15. Dezember 2018

Lunar Aurora - Hoagascht


Lunar-Aurora-Hoagascht

Das letzte Album der Rosenheimer gehört zu den besten musikalischen Schöpfungen, die der deutsche Musikmarkt im neuen Jahrtausend hervorgebracht hat. „Hoagascht“ ist so unheimlich perfekt, dass ich es auch heute kaum glauben kann, dass das Kapitel Lunar Aurora tatsächlich abgeschlossen ist. Auf diesem Schwanengesang singen die Rosenheimer im strengen, urbayrischen Dialekt und erschaffen damit ein unverwechselbares, klangliches Kunstwerk, das nicht nur in der (Black) Metal-Landschaft seinesgleichen sucht. Bis heute zählt dieses Album für mich zu den großartigsten Veröffentlichungen des Genres. Mir ist kein anderes Werk der letzten Jahre bekannt, das dermaßen stimmig und zugleich komplex aufgebaut ist – vor allem im Sounddesign.

Als „Hoagascht“ im Jahr 2012 veröffentlicht wurde, stand ich dem Album zunächst mit gemischten Gefühlen gegenüber. Die vorherigen Werke von Lunar Aurora, insbesondere „Andacht“, gehörten zu meinen absoluten Favoriten im Black Metal-Genre, und die Erwartungen an das neue Album waren entsprechend hoch. Doch was mich bei den ersten Durchläufen von „Hoagascht“ erwartete, war etwas völlig Neues, etwas Unerwartetes – ein Klangbild, das sich stark von dem unterschied, was ich von dieser Band kannte und liebte. Die komplexe, fast schon erdrückende Soundlandschaft war zunächst eine Herausforderung für mich.

Im Vergleich zu früheren Werken der Band zeigt sich auf „Hoagascht“ eine gesteigerte Souveränität im Umgang mit dynamischen Kontrasten. Wo zuvor noch eine gewisse Kompromisslosigkeit in der Härte zu spüren war, präsentiert sich die Gruppe hier als Meister der kontrollierten Intensität. Dies mag auch der Grund sein, warum „Hoagascht“ trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner Kompromisslosigkeit als eines der zugänglichsten Alben im Œuvre von Lunar Aurora gilt.

Die Soundlandschaft, die das Duo hier entwirft, ist von tiefer Schwere und dennoch voller Details. Die Gitarren klingen oft, als würden sie von Wind und Wetter gepeitscht, während das „Schlagzeug“ in den Songs wie ein pochender Herzschlag durch die düsteren Wälder hallt. Über allem schwebt ein atmosphärischer Schleier aus Synthesizern, der die einzelnen Tracks zusammenhält und eine kühle, fast majestätische Erhabenheit verleiht. Dabei wird das Tempo immer wieder gedrosselt, die Musik zieht sich in die Länge wie ein schleichender Nebel, der den Hörer langsam und unaufhaltsam umhüllt.

Die sagenhafte Atmosphäre, die auf dem Werk erzeugt wird, ist kaum in Worte zu fassen: Die kunstvoll eingesetzten Keyboards, die eine wesentliche Rolle in der Klangstruktur des Albums spielen, sind überwältigend, die umwerfenden Melodien übergroß, der Sound herrlich urig, der Drumcomputer perfekt programmiert, die Riffs sensationell harmonisch und schwebend, und das Songwriting zum Niederknien. Jeder einzelne Song ist ein Kunstwerk für sich; die darin enthaltenen Ideen und Soundkreationen sind unfassbar ausgereift, und die verträumte Atmosphäre ist so gut eingefangen, wie ich es auf kaum einem anderen Album so intensiv erlebt habe. In den besten Momenten des Albums fühlt man sich wie ein Wanderer, der allein durch die Nacht zieht, nur begleitet vom Heulen des Windes und den entfernten Rufen der Eulen.

Das Album lebt von dieser intensiven, fast greifbaren, organischen Atmosphäre. Jede Melodie scheint aus der Erde selbst geboren zu sein, jede Note klingt wie ein Echo uralter Geschichten und Mythen, die in den Bergen und Tälern der Alpenregion verwurzelt sind. Lunar Aurora haben schon immer ihre Umgebung in die Musik einfließen lassen, doch hier wird diese regionale Verwurzelung so direkt und authentisch in die Klangwelt integriert wie niemals zuvor. Es ist eine melancholische, fast romantische Sicht auf die Natur, die die Band hier musikalisch umsetzt.

Die Songs ‚Nachteule‘, ‚Sterna‘, ‚Im Gartn‘ und ‚Håbergoaß‘ verkörpern die Genialität dieses Albums auf exemplarische Weise. ‚Nachteule‘ ist ein atmosphärisches Meisterwerk: Mit einer melancholischen Melodie, getragen von tiefen, bedrohlichen Riffs, erschafft der Song eine Atmosphäre, die gleichermaßen erdrückend und hypnotisch wirkt. ‚Sterna‘ besticht durch majestätische Erhabenheit – seine unheimlich schöne Melodie gräbt sich unauslöschlich ins Gedächtnis ein. Das beeindruckende ‚Im Gartn‘ entfaltet durch hypnotische Strukturen und sich überlagernde Klangschichten die besten Momente atmosphärischen Black Metal. Hier beweist die Band ihre Fähigkeit, Rohheit und Feinsinnigkeit zu einem faszinierenden Ganzen zu verschmelzen. Mit ‚Håbergoaß‘ schließlich vereinen Lunar Aurora all diese Elemente und entführen den Hörer in die verschneiten Wälder Bayerns, wo sich Mythen und Realität verweben. Der Song offenbart eine fast meditative Qualität.

Die Entwicklung von Lunar Aurora bis zu diesem Punkt ist gekennzeichnet von einer stetigen Verfeinerung ihres einzigartigen Sounds. Vom rohen Black Metal ihrer Anfänge über atmosphärische Klanglandschaften bis hin zu den komplexen, fast symphonischen Arrangements auf „Andacht“ zeichnet sich ein Weg ab, der von unbedingtem künstlerischem Willen zeugt. Dieses Album markiert dabei zweifellos den Zenit ihres Schaffens – ein Meisterwerk, das die Band kurz vor ihrer Auflösung noch einmal in all ihrer Größe zeigt.

Da das eigentliche Abschiedswerk „Andacht“ schon ein Ausnahmemeisterwerk war, ist es umso erstaunlicher, dass Lunar Aurora mit „Hoagascht“ die Qualität nochmals steigern konnten. Besser hätte die beste deutsche Black Metal-Band nicht abtreten können. Mit ihren Alben nach der Jahrtausendwende haben die Bayern ausschließlich Meisterwerke geschaffen, die ich persönlich zu den besten Alben im Black Metal-Genre zähle, und „Hoagascht“ ist nichts weniger als ein perfektes Wunder. „Hoagascht“ ist ein Album, das tief in der Tradition des Black Metal verwurzelt ist, aber gleichzeitig die Konventionen des Genres in eine Richtung lenkt, die so einzigartig und eigenständig ist, dass es fast aus der Zeit gefallen scheint. Es ist ein Werk, das sich nicht an Moden oder Trends orientiert, sondern aus einer tieferen, zeitlosen Quelle schöpft.

„Hoagascht“ gehört zu meinen absoluten Lieblingsalben, und die emotionale Verbindung, die ich mittlerweile zu diesem Album aufgebaut habe, ist enorm. Es ist ein Album, das sich mit seiner beängstigenden Perfektion und einzigartigen, verwunschenen Atmosphäre in die Riege der großartigsten Black Metal-Alben aller Zeiten einreiht.

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