Samstag, 1. Februar 2025

The Knife - Shaking The Habitual


Mit "Shaking The Habitual" verabschiedeten sich die schwedischen Geschwister Karin und Olof Dreijer im Jahr 2013 endgültig von der Bühne der elektronischen Musik. Doch ihr letztes Album ist weit mehr als nur ein Abschluss; es ist ein schwer verdaulicher und zugleich faszinierender Monolith, der sich konsequent jeder Konvention entzieht. "Shaking The Habitual" ist ein Werk, das sich jeglicher einfachen Kategorisierung verweigert - eine mehr als zweistündige Reise durch harsche Elektrobeats, zermürbende Drone-Sounds, vertrackte Rhythmen, geisterhafte Klangwelten und unkonventionelle Songstrukturen. Es bricht nicht nur mit den Erwartungen, die man an Musik haben könnte, es zerstört sie förmlich. 

Wer The Knife nur von ihren beiden erfolgreichen, fast poppigen Vorgängeralben kennt, wird auf "Shaking The Habitual" kaum Vertrautes wiederfinden. Hier gibt es keine eingängigen Melodien, keine vertraulichen Noten, die man aus Karins Solo-Projekt Fever Ray mitgebracht haben könnte. Stattdessen haben sich The Knife dafür entschieden, gegen den Strich zu musizieren - und das in einer abstoßenden, aber zugleich faszinierenden Weise, die alles auf diesem Album zusammenhält. 

Mit einer Spielzeit von über 90 Minuten und Songs, die in ihrer Länge und Komplexität alles andere als leicht zugänglich sind, betreten The Knife mit diesem Album unbekanntes Terrain. Von Beginn an fühlt man sich in eine düstere, beklemmende Atmosphäre hineingezogen. "Shaking The Habitual" ist ein zäher, fordernder Brocken, der nichts für beiläufiges Hören übrig hat. Es bedarf einer intensiven Auseinandersetzung, um dieses Werk zu durchdringen. Einiges ist leichter zugänglich, wie die verstörend wummernde Attacke 'Full Of Fire', die mit massiven, drückenden Beats und nervösen Rhythmen aufwartet, oder das an Dead Can Dance erinnernde 'Wrap Your Arms Around Me', das einen unheimlichen Trip durch die düsteren Klangwelten des Albums bietet. Die intensiven Beats und schroffen Klangwände in 'Full of Fire' spiegeln die brennende Intensität wider, die das Album durchzieht. Diese Stücke bieten Ankerpunkte inmitten der komplexen Soundlandschaften. 

Andere Songs wie das experimentelle 'Raging Lung' oder das fordernde 'Stay Out Here' verlangen einem deutlich mehr ab. 'A Cherry on Top' oder das 19 Minuten lange 'Old Dreams Waiting to Be Realized' dringen in avantgardistische Sphären vor, die von einer fast schmerzhaften Langsamkeit und Wiederholung durchzogen sind. Diese Klangexperimente sprengen die Grenzen konventionellen Songwritings und setzen auf ein tiefes, meditatives Erleben von Klang und Stille. Hier verliert man sich in den Rissen und Brüchen der Geräuschkulisse. The Knife reizen hier die technischen Möglichkeiten des Studios bis an ihre Grenzen aus und schaffen überlange Soundklumpen, die oft mehr einer Herausforderung gleichen als einem klassischen Song. Diese Herangehensweise formt "Shaking The Habitual" jedoch zu einem der kreativsten und forderndsten Alben der letzten Dekade - ungemütlich, unbequem und gleichzeitig visionär.
Nicht nur die klangliche Radikalität begeistert, auch die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Themen. Geschlechterrollen, Machtstrukturen und Umweltfragen werden subtil in die musikalische Struktur eingewoben.  

Das Album hat sicherlich seine Längen, und es ist keine leichte Aufgabe, sich durch die fast schon labyrinthischen Strukturen zu bewegen. "Shaking The Habitual" zwingt einen, sich intensiv mit ihm auseinanderzusetzen - es fordert, es drängt, es zieht einen hinein in seine eigenwillige, manchmal beunruhigende Welt. Dieses Album zeigt, dass The Knife sich in einer künstlerischen Phase befanden, in der sie sich vollständig von jeglichen Konventionen losgelöst haben. Sie setzen alles daran, den Hörer aus der Komfortzone zu holen. Dabei entsteht eine Klangkulisse, die sich wie eine apokalyptische Vision einer Welt anfühlt, die auseinanderbricht und neu geformt wird - manchmal verstörend, manchmal befreiend. Es gibt Momente des Lärms, der Leere, der Fülle und der Stille.  

Trotz oder gerade wegen dieser Herausforderungen ist "Shaking The Habitual" ein bemerkenswertes Werk. Es ist ein Album, das sich nicht mit einfachen Antworten zufriedengibt, sondern die Hörgewohnheiten auf eine harte Probe stellt. Es ist nicht darauf ausgelegt, den Erwartungen zu entsprechen, sondern sie zu durchbrechen. Die radikale Natur dieses Albums und der Mut, mit dem The Knife es geschaffen haben, machen es zu einem der spannendsten und unvergesslichsten Werke der 2010er Jahre.

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