Samstag, 24. August 2019

Decade of Obsession 2010 - 2019 (2012)

2012

Rush-Clockwork-Angels

# 10 Rush - Clockwork Angels

Die alten Herren und ihr vermutlich letztes Album. Fünf Jahre nach dem eher schwachen Snakes & Arrows schafft es die Band, noch einmal ein überdurchschnittlich gutes Werk abzuliefern. Auch wenn die Großtaten aus den Siebzigern und Achtzigern natürlich unerreichbar bleiben, ist Clockwork Angels das beste Album seit Counterparts.

Dass ich mit den „neueren“ Rush nicht so viel anfangen kann, ändert auch Clockwork Angels nicht, allerdings landet es doch ab und an im Player. Der Grund dafür sind wohl die (wieder vermehrt) guten Melodien und das starke Songwriting. Der „raue“ Rocksound, der weiterhin bestimmend ist, stört mich komischerweise bei dieser Band – ich mag Rush lieber smooth und mit Vokuhila-Keyboards. Aber das ist ganz allein mein Problem.

Die Songs sind grandios gespielt und produziert, auch wenn es mir an manchen Stellen zu metallisch kracht. Sollte es tatsächlich das letzte Album der Band sein, haben sie es geschafft, eine fast makellose Discographie mit diesem Werk zu einem würdigen Ende zu bringen. Im Bereich Rock gibt es kaum eine andere Band, die so viele qualitativ hochwertige Alben veröffentlicht hat wie die drei Kanadier.


Japandroids-Celebration-Rock

# 09 Japandroids - Celebration Rock

Die zwei Wunderkanadier zelebrieren ihre Rockmusik genau so, wie man sie lieben sollte: laut, krachig, auf den Punkt, durchdacht, leicht punkig und mit einem Gespür für großartige Melodien. Das zweite Album ist zwar nicht mehr ganz so rau und ruppig wie Post-Nothing mit seinem traumhaften Snare-Sound, bietet aber wieder das gleiche Maß an energiegeladenen und dreckigen Männermelodien für die „Unterschicht“.

Es ist eine Freude, dem Zusammenspiel von Schlagzeug und Gitarre beizuwohnen und dabei an die guten alten Hüsker Dü erinnert zu werden. Es wummst und fetzt an allen Ecken, die Produktion ist fantastisch, der Sound zum Niederknien und die Songs sind so gut, dass man sich ernsthaft fragt, wie zwei Leute das so grandios hinbekommen. Als gnadenloser Detroit-Rock-Worshipper habe ich die Band natürlich schon mit dem Debüt in mein Herz geschlossen. Ursprünglicher kann man Rockmusik kaum spielen.


Dordeduh-Dar-de-Duh

# 08 Dordeduh - Dar de Duh

Nachdem 2009 die Band Negură Bunget zerfiel und die beiden kreativen Köpfe Hupogrammos und Sol Faur mit ihrer neuen Band Dordeduh weitermachten, verkam Negură Bunget zu einer austauschbaren Humpa-Band. Mit den drei Nachfolgern zu dem Meilenstein OM lieferten sie unglaublich uninspiriertes Material ab, das schließlich durch den frühen Tod des verbliebenen Drummers Negru ein Ende fand und die Band sich von selbst auflöste.

Lange hat es gedauert, bis das erste Dordeduh-Album schließlich fertig war, und so erschien Dar de Duh zwei Jahre nach der eher leichtfüßigen EP Valea Omului im Jahr 2012. Anfangs tat ich mich mit dem etwas klinischeren Sound und der geschliffeneren Produktion schwer, fand dann aber nach jedem Hören immer tiefer in das Werk hinein. Und auch hier wird wieder unglaublich viel geboten: von der Vielschichtigkeit der Instrumentalisierung, den großflächigen Keyboardsounds, der eigenwilligen Gitarrenarbeit bis hin zum abwechslungsreichen Gesang und dem sagenhaften atmosphärischen Teppich.

Auffällig ist auch der mittlerweile technisch gereifte Gesang, der auf dem Album eine zentrale Rolle einnimmt. Hupogrammos kreischt, growlt, flüstert und singt mit normaler Klarstimme, als ob es nie anders gewesen wäre. Die Songs sind nicht mehr so stark verschlossen und rätselhaft wie auf OM, bieten dafür aber eingängigere Riffs und zugänglicheres Songwriting. Natürlich konnte man nicht erwarten, dass hier ein ebenbürtiger OM-Nachfolger entsteht, aber wenn man sich an die ruhigere und weniger komplexe Herangehensweise gewöhnt, ist Dar de Duh viel mehr der inoffizielle Nachfolger als die letzten drei Alben von Negură Bunget.

Einzig das saubere und zu gekonnte Schlagzeugspiel stört mich immer noch und passt nicht wirklich zu dem urigen und kauzigen Stil – da passte das krumme und leicht schräge Gerumpel von Negru eindeutig besser zum Sound. Der Nachfolger lässt nun auch schon fast acht Jahre auf sich warten, soll aber wohl bereits seit diesem Jahr in Arbeit sein. Es wäre wirklich schade, wenn man von diesen beiden überaus talentierten Musikern nichts mehr zu hören bekommt.


Tame-Impala-Lonerism

# 07 Tame Impala - Lonerism

Das zweite Album von Kevin Parker knüpft direkt an das Debüt an und begeistert mit Psychedelic Rock und starkem Beatles-Einschlag. In seinem Heimstudio kreierte der Australier einen Sound, der direkt aus den späten Sechzigern entsprungen zu sein scheint. Einfache, aber knackige Schlagzeugbeats, Hall, Verzerrungen, Effekte, Synthesizer-Fantasien, kratzige Übersteuerungen, drogenvernebelte Gesangsparts und eine fantastische, dünne Gitarre bestimmen das Klangbild. Vieles erinnert an die psychedelische Phase der Beatles – wirkt jedoch in der heutigen Zeit fast schon eigenartig und aus der Zeit gefallen.

Die kreative Gestaltung von Sound und Songs sowie das bemerkenswerte musikalische Talent von Kevin Parker lassen bereits erahnen, was 2015 mit dem epochalen Meisterwerk Currents folgen wird. Lonerism ist auch gleichzeitig Balsam für die Ohren, wenn man sich fragt, warum viele heutige Produktionen einfach nur noch künstlich und unerträglich klingen.


Dead-Can-Dance-Anastasis

# 06 Dead Can Dance - Anastasis

16 Jahre nach dem letzten Album Spiritchaser fanden Lisa Gerrard und Brendan Perry endlich wieder zusammen, und Anhänger der Band beteten weltweit zum Himmel. Auch ich begab mich in die Fötusstellung und zitterte dem Veröffentlichungstermin entgegen. Und nun ja, anfangs war ich schon herb enttäuscht. Eine Band, die mit ihren Alben Musikgeschichte schrieb, sound- und produktionstechnisch sogar Größen wie Pink Floyd oder Peter Gabriel übertraf, und die mit jedem Album überraschte und neue Klangwelten erschuf, kam mit einem „auf Nummer sicher“-Album daher.

Viel schlimmer noch: Die Produktion entspricht nicht dem hohen Qualitätsstandard der Band und setzt zu sehr auf Elektronik und Studiospielereien. Ich habe mittlerweile meinen Frieden mit dem Album gefunden, vor allem nach dem phänomenalen Live-Erlebnis 2012 in München, und mich intensiver damit beschäftigt. Lässt man die Kritikpunkte außen vor, bleibt immer noch ein intensives Hörerlebnis mit einem Brendan Perry in Hochform und einigen versteckten Hits.

Dass Lisa Gerrard auf dem Album etwas zu kurz kommt, lässt vermuten, dass Perry den größten Teil des Albums im Alleingang geschrieben hat. Auch die Ähnlichkeit zu seinem zwei Jahre zuvor erschienenen Solo-Album ist nicht zu überhören, hier jedoch aufgedonnert mit der typischen DCD-Soundwand. Dass das Album dennoch hätte besser ausfallen können, zeigen die Live-Qualitäten der Songs, denn diese kommen im „natürlichen“ Umfeld viel besser zur Geltung. Aber auch hier gilt wieder: Brendan Perry ist und bleibt die beste Stimme im Musikzirkus.


Dødsengel-Imperator

# 05 Dødsengel - Imperator

Was die beiden Norweger Kark und Malach Adonai mit diesem Mammutwerk 2012 auf die Menschheit abgefeuert haben, entzieht sich jeglicher Beschreibung. Nach dem bereits vorzüglichen Vorgänger überspannten die Norweger die Grenzen so weit, dass alles in sich zusammenfiel und daraus ein abartiger Sound entstand, der die frühe 90er Black Metal-Phase genauso bedient wie die mittlere experimentelle Welle à la Ulver, Arcturus oder Fleurety und gleichzeitig die Moderne kongenial integriert. Herausgekommen ist ein zweieinhalbstündiges Monster, das eine ungeheure Aufmerksamkeit voraussetzt und den Hörer quält und fordert – aber auch nach vielen Stunden begeisternd zurücklässt.

Nach dem unheilvollen Intro wird man mit Sun on Earth erst mal entbeint. Der nackte Wahnsinn peitscht mit unkontrollierten Psycho-Gitarrenriffs, schepperndem Schlagzeug und Rosinengesang die verkrustete Hirnrinde frei. Radikaler Wahnsinn in jeder Note. Die Norweger zelebrieren über die gesamte Spielzeit ein abwechslungsreiches Stimmungsmonument, das durch die unglaubliche Gesangsakrobatik von Kark dirigiert wird. Die intensive Besessenheit des Albums ist bis heute einzigartig, die Kompositionsstärke eine fast schon ausgestorbene Kunst des norwegischen Black Metal, und der grandiose Sound ist genau der richtige Mittelweg aus Tradition und Moderne.

Hätte ich es nicht bereits beim Vorgänger erkannt, hätte ich nie für möglich gehalten, dass nach einer so langen Durststrecke noch einmal eine so gewaltige Black Metal-Eruption aus Norwegen kommen könnte. Dødsengel haben mit Imperator nichts weniger als einen Meilenstein des Genres veröffentlicht, der endlich wieder die volle Größe der vergangenen Tage ohne Spinnweben in die Szene manifestiert hat.


Deftones-Koi-No-Yokan

# 04 Deftones - Koi No Yokan

Das 2012er Werk ist neben Saturday Night Wrist meine liebste Deftones-Platte und knallt trotz seiner eher ruhigeren Machart und dem leider zu stark komprimierten Sound an allen Ecken und Kanten. Die melancholische Stimmung steht im perfekten Kontrast zur brachialen Songdarbietung mit all ihren wuchtigen Bassgewittern und den krachigen, melodischen Gitarrenriffs, die durch das punktgenaue und grandios abwechslungsreiche Drumming zusammengehalten werden. Über all den lauten und leisen Momenten thront Chino Moreno mit seinem zutiefst intensiven und variablen Gesang, mit dem er jedem Song eine eigene Stimmung aufdrückt.

Dass die Band leider immer noch von vielen in die Nu Metal-Ecke gesteckt wird, ist bei all der musikalischen Qualität von Alben wie Diamond Eyes, Saturday Night Wrist oder Koi No Yokan nicht mehr nachvollziehbar. Wie gut laute und moderne Rockmusik zu klingen hat, kann man anhand der genannten Alben bestaunen.


Blut-Aus-Nord-777-Cosmosophy

# 03 Blut Aus Nord - 777 - Cosmosophy

Das Ende der 777-Trilogie ist gleichzeitig das beste Album neben und seit The Work Which Transforms God – ein Album, das ich so überhaupt nicht erwartet habe. Vindsval verzichtete auf dem dritten Teil fast vollständig auf Kreischgesang und setzt stattdessen auf Klargesang, dominiert die Songs mit noch mehr Electronica und entfesselt Melodien, die mir noch heute den Verstand rauben. Jedes Mal frage ich mich, wo zum Teufel der Franzose seine unerschöpfliche Kreativität und Ideen hernimmt. Das Tempo ist schleppend, die hymnische Gitarrenarbeit ungewöhnlich klar und melodisch, die Harmonien nachvollziehbar und wunderschön – alles, was man eigentlich nicht mit dem typischen, irrlichternden Horror-Sound von Blut Aus Nord in Verbindung bringt.

Und es funktioniert so perfekt miteinander: Der typische Blut Aus Nord-Sound ist in jeder Sekunde präsent, hier jedoch so fein und offen, dass man sofort Zugang zur Musik findet. Dass die komplexe und abweisende Stimmung dennoch dem Hörer einige Hindernisse in den Weg stellt, ist der größte Coup, den Vindsval bisher in seiner Karriere abgeliefert hat. Das Werk ist ein Sammelsurium an spacigen Gitarrenharmonien, die direkt aus den Weiten des Alls zu kommen scheinen, wilden Breaks und rhythmischen Vertracktheiten aus dem Drumcomputercockpit sowie malerischen Keyboard-Feierlichkeiten. Der sensationelle Aufbau der einzelnen Songs ist so stimmig, spannend und „überheblich“, dass man fast zu dem Schluss kommen muss, dass 777 - Cosmosophy irgendwo im Weltall produziert wurde. Einen ähnlichen Trip wie bei Epitome XVII habe ich selten erlebt. Für mich ist sicher: Dieses Werk gehört zu den besten (Black) Metal-Alben dieser Dekade und ist in all seiner Herrlichkeit eines der phantasievollsten Alben der letzten Jahre.


Swans-The-Seer

# 02 Swans - The Seer

Das erste „richtige“ Swans-Album seit 1996 ist zugleich der Auftakt der drei Doppeldecker-Meisterwerke in Folge. Nachdem sich die Schwäne 2010 nach 14 Jahren wieder in einer neuen Reinkarnation zusammenfanden und mit dem Album My Father Will Guide Me up a Rope to the Sky noch eher nach Michael Giras Soloarbeiten klangen, eröffneten die Swans zwei Jahre später mit The Seer ihre kompromisslose und apokalyptische Weltverschiebung.

„Your childhood is over“ wird im Opener ‘Lunacy‘ als düstere Prophezeiung gepredigt – und die musikalische Reise in die Welt des Schmerzes und der hypnotischen Wiederholungen beginnt. Die neuen Swans sind laut, sehr laut – Gira beansprucht seine Gitarre bis an die Grenze der Machbarkeit, prügelt auf die Saiten ein und entlockt dem Instrument Töne, die sich ins Fleisch brennen. Das Schlagzeug ist groovend und brachial, die Produktion versetzt den Hörer mitten in den Höllenlärm. Gira versteht es dennoch wie kaum ein anderer, ruhige und leise Parts in den Krach einzuflechten, sodass man sich inmitten der unerbittlichen Mischung aus Noise, Folk, Psychedelic und Krautrock mehr als einmal an seine Grenzen gebracht fühlt.

Die Musik ist schwer, drückend, anstrengend und oft schmerzhaft langgezogen, doch belohnt wird man immer wieder mit kleinen, versteckten Melodien und Harmonien, die einen aus dem Delirium holen. Gira setzt auf ein großes Instrumentenrepertoire, darunter Steel Guitar, Mandoline, Klarinette, Dulcimer, Akkordeon, Cello, Hörner, Bagpipe, Violine, Piano, Synthesizer und verschiedene Percussion. Diese Vielfalt erzeugt eine massive Klangwelt, die für die neuen Swans steht – eine Band, die auf ihre lange Karriere zurückblickt und sich aus jeder Phase bedient, um einen völlig neuen Sound zu kreieren.

Michael Gira verstärkt mit seinem schamanenhaften Predigergesang die „Hässlichkeit“ der Swans. Auf The Seer noch etwas zurückhaltend, entfesselt er auf den folgenden Alben seine unbändige Giftsuppe aus Wörtern und unterschiedlichen Stimmlagen, die den Hörer oft an seine Schmerzgrenzen bringt. The Seer ist das ruhigste Werk der drei Doppelalben, doch unter der Oberfläche brodelt bereits ein unüberhörbares Inferno. Einige Songs sind noch nicht völlig ausgereift und suhlen sich in quälend langen Parts – aber das gehört zu den Swans dazu. Da muss man durch.

Ein erschütterndes Meisterwerk ist The Seer dennoch: Die kompromisslose Intensität, die nervenaufreibenden Wiederholungen und die brachiale Gewalt der Songs sowie die Vielzahl an Stimmungen und die cleveren Songaufbauten nehmen vieles vorweg, was zwei Jahre später mit dem kolossalen To Be Kind zur ausgereiften Größe in die moderne Rockgeschichte eingehen wird.


Lunar-Aurora-Hoagascht

# 01 Lunar Aurora - Hoagascht

Das letzte Album der Rosenheimer gehört mit zum Besten, was der deutsche Musikmarkt im neuen Jahrtausend zu bieten hat. Hoagascht ist so beängstigend perfekt, dass ich es auch heute immer noch nicht wahrhaben möchte, dass das Kapitel Lunar Aurora beendet ist. Die Rosenheimer singen auf ihrem Schwanengesang im strengen urbayrischen Dialekt, verwandeln dies in hörbare Kunst und verabschieden sich mit einem Werk, das so einzigartig in der (Black) Metal-Landschaft steht und bis heute zu den großartigsten Alben gehört, die ich aus diesem Genre gehört habe.

Mir ist kein anderes Album der letzten Jahre bekannt, das so stimmig und gleichzeitig so komplex im Sounddesign und Aufbau ist. Die erzeugte Atmosphäre ist schlichtweg nicht in Worte zu fassen: kunstvoll eingesetzte Keyboards, die überwältigen; umwerfende Melodien von übergroßer Schönheit; ein herrlich uriger Sound; ein perfekt programmierter Drumcomputer; sensationell harmonische, schwebende Riffs und ein Songwriting, das zum Niederknien ist.

Jeder Song ist ein Kunstwerk für sich. Die darin enthaltenen Ideen und Soundkreationen sind unfassbar ausgereift, und die verträumte Atmosphäre ist so gut eingefangen, wie ich es auf kaum einem anderen Album je so intensiv erlebt habe.

Dass das eigentliche Abschiedswerk Andacht schon ein Ausnahmemeisterwerk war, macht es umso erstaunlicher, dass Lunar Aurora mit Hoagascht die Qualität nochmals steigern konnten. Besser hätte die beste deutsche Black Metal-Band nicht abtreten können. Mit ihren Alben nach der Jahrtausendwende haben die Bayern ausschließlich Meisterwerke geschaffen, die ich persönlich zu den besten Alben des Black Metal-Genres zähle – und Hoagascht ist nichts weniger als ein perfektes Wunder.

Sonntag, 4. August 2019

Decade of Obsession 2010 - 2019 (2011)

2011

Morbid-Angel-Illud-Divinum-Insanus

# 10 Morbid Angel - Illud Divinum Insanus

Das achte Studioalbum der legendären Florida-Boys und gleichzeitig so eine Art Reunion-Album mit dem kurzzeitig zurückgekehrten David Vincent. Death-Metal-Fanatiker auf der ganzen Welt waren mit einem Schlag wieder zwanzig Jahre jünger, kämmten das verbliebene Gekräusel auf dem Kopf seitlich über die speckige Platte und fieberten der Veröffentlichung entgegen. Es waren ja auch mittlerweile ganze acht Jahre seit der letzten Veröffentlichung vergangen.

Was allerdings kam, war ein... mächtiger Roundhouse-Kick in das zerfurchte Gesicht der Death-Metal-Bummelfahrt-Gesellschaft. Keine Debatte in der Metal-Landschaft war in diesem Jahrzehnt so absurd hitzig, wie man es bei Illud Divinum Insanus beobachten konnte.

Trey Azagthoth hatte in den Jahren zuvor auf einem durch das Land ziehenden Jahrmarkt in der Abteilung "Autoscooter" gearbeitet und zwischen Abkassierung und DJ-Beschallung die Songs für das kommende Album in seinem Kassenhäuschen geschrieben. Als David Vincent zufällig auf eine Runde Autoscooter vorbeikam, waren beide wieder Feuer und Flamme.

Neben den üblichen Death-Metal-Songs haben Morbid Angel noch einige Vorlagen für Just Dance (die Befürchtungen, dass das nachfolgende Album tatsächlich diesen Titel trägt, waren groß) auf dem Album verewigt. Mit einer guten Portion Ironie machen diese Songs sogar richtig Spaß. Einzig I Am Morbid hätte man sich wirklich sparen können – eine einzige Ballermann-Blödelei.

Und das Fehlen von Pete Sandoval ist auch einer der großen Knackpunkte auf dem Album. Interimslösung Tim Yeung ballert leider mit seinem austauschbaren und stinklangweiligen Spiel und dem unglaublich beschissen klingenden Bassdrum-Geknatter alles kaputt. Ein Album, welches auch heute noch spaltet – dabei ist es völlig harmlos und entlarvt eigentlich nur die festgefahrene Sturheit der Metal-Rednecks.

Sonne-Adam-Transformation

# 09 Sonne Adam - Transformation

Nach der famosen EP Armed with Hammers lieferten die beiden Israelis ein Jahr später mit ihrem Debüt Transformation ein beachtliches Death/Doom-Metal-Album ab. Der Sound erinnert stellenweise an die frühen Paradise Lost mit einem Schuss Morbid Angel. Die ausgezeichnete Instrumentalarbeit ist umso erstaunlicher, da alle Instrumente von nur einer Person eingespielt wurden.

Die zum größten Teil im eher langsameren Tempo angelegten Songs bestechen durch kantige Gitarrenriffs, feine Melodien und den kratzigen Gesang. Die dadurch erzeugte eigenwillige Atmosphäre hebt sich vom Genre-Standard ab und erinnert eher an Bands wie Grave Miasma, Incantation und Dead Congregation – auch wenn die Qualität der genannten Bands noch nicht ganz erreicht wird.

Schade, dass es nach zwei weiteren EPs aus dem Jahr 2012 leider ziemlich ruhig um diese talentierte Band geworden ist.

Oranssi-Pazuzu-Kosmonument

# 08 Oranssi Pazuzu - Kosmonument

Mit ihrem finnischen Psychedelic-Space-Black-Metal haben sich Oranssi Pazuzu ihre eigene kleine Nische geschaffen und liefern mit ihren Alben konstant interessante, aber auch stellenweise schwer verdauliche Kost ab. Das zweite Album Kosmonument gefällt mir persönlich am besten und ist noch nicht ganz so stark vernebelt wie die nachfolgenden Alben.

Mit ihrem ausgesprochen kreativen Einsatz von Keyboards, ausgiebiger Sequenzer-Nutzung und dem ziemlich kauzigen Songwriting erschaffen sich die Finnen eine eigene Soundnote, die wie eine Kreuzung aus Beherit, Portishead und Godflesh klingt. Auch mit den ungewöhnlichen Rhythmen, der kantigen Produktion und den spacigen Soundkreationen machen die Finnen vieles richtig.

Eine hochinteressante Band, deren eigenwilligen Weg ich auch heute noch begeistert verfolge.

The-Jezabels-Prisoner

# 07 The Jezabels - Prisoner

Das Auftauchen dieser australischen Alternative-Rock-Band mit ihrer extrem charismatischen Sängerin Hayley Mary war 2011 eine kleine Sensation. Mit ihrem Debüt lieferte die junge Band ein bereits unglaublich ausgereiftes und sensationelles Werk ab. Der verträumte Sound wird durch das famose Drumming und das gefühlvolle Gitarrenspiel getragen, doch der eigentliche Star des Albums ist Hayley Mary mit ihrem intensiven und ausdrucksstarken Gesang. Auch wenn die Band mich erst so richtig mit den beiden Nachfolgern überzeugt hat, findet man auf Prisoner bereits ein Feuerwerk an Talent, Songwritingkunst und eine überdurchschnittliche Dichte an grandiosen Songs.

The-War-on-Drugs-Slave-Ambient

# 06 The War on Drugs - Slave Ambient

Mit einer Mischung aus Springsteen, Dylan und Dire Straits verwöhnte die amerikanische Indie-Rock-Band 2011 meine Ohren. Breitwandiger Gitarrensound, leicht melancholisch und poppig, dazu die fantastische Stimme von Adam Granduciel, die nicht selten an Springsteen und Dylan erinnert. Die Zutaten aus Folk, Rock, Singer-Songwriter und Pop werden hier kongenial in Einklang gebracht. Slave Ambient ist bereits ein scharfes Gerät, welches allerdings von dem gewaltigen Nachfolger nochmal um Längen übertroffen wurde.

Tom-Waits-Bad-As-Me

# 05 Tom Waits - Bad As Me

Dass das vorerst letzte Album von Tom Waits nun auch schon wieder fast neun Jahre auf dem Buckel hat, ist nicht unbedingt verwunderlich, da der Künstler nebenbei auch vermehrt im Filmgeschäft unterwegs ist. Waits orientiert sich auf Bad As Me eher an seinen früheren Werken – weniger experimentell, mehr Melodien und für den Hörer leichter nachvollziehbar. Herausgekommen ist (wieder) ein Meisterwerk, welches sich mit versoffenem R 'n' B und angejazztem Rock dominant in die Hemisphären des Großhirns einnistet. Waits erzeugt mit seinen Songs eine alkoholverschwitzte Atmosphäre, Rauchschwaden aus versifften Clubs entweichen aus jeder Note, und den kühlen Grundtenor mit seiner leicht depressiven Aura kennt man nur allzu gut von Tom Waits.

Das Gesamtkunstwerk Bad As Me gehört zu den großen Highlights in Waits’ umfangreicher und hochinteressanter Diskografie und ist gleichzeitig eines der musikalischen Highlights dieser Dekade.

Negative-Plane-Stained-Glass-Revelations

# 04 Negative Plane - Stained Glass Revelations

In der klassischen Trio-Besetzung Bass, Gitarre und Schlagzeug haben Negative Plane mit ihrem zweiten Album einen einzigartigen und in meinen Ohren perfekten Spagat aus extrem kauziger 80er-Tradition und "modernem" Black Metal-Charme kreiert. Verwurzelt in den Tiefen der Achtziger, rumpelt das Schlagzeug (welches auch haargenau so klingt) wunderbar authentisch und abwechslungsreich als treibender Motor durch den Sound. Es orientiert sich eher am Stil eines Clive Burr oder Randy Foxe und mischt dies mit vereinzelten und „naturbelassenen“ Blastbeats. Klangtechnisch ist alleine das Schlagzeug schon wunderbar abgemischt und genau an der richtigen Stelle im Sound platziert.

Ein weiteres Soundhighlight ist die Gitarre, die, wie in der Zeit gefangen, mit ihrem Sound eine gewisse 80er-Ästhetik verströmt. Die Riffs sind einfach und prägnant (auf technisches Gewichse wird komplett verzichtet), teilweise unsauber und kratzig, dafür unverschämt mitreißend und angenehm aufdringlich. Oft werden ruhige Momente eingebaut, die mit viel Hall atmosphärisch zum Verlieben sind.

Das Wichtigste an dem ganzen Album ist jedoch, dass Negative Plane großartige Songs schreiben können. Die Songs, zwischen 7 und 11 Minuten lang, sind ausladende Epen in Schwarz: quietschende Gitarrentöne, hirnzersetzende Berserker-Riffs, okkulte Massen-Melodien aus dem Sexkerker, stürmische Opfer-Chöre, peitschendes Donnergrollen der Befruchtung, eisiges Beckenzischen, Hi-Hat-Massaker und wildes Gebrüll im Lustrausch – der Wahnsinn und die Hingabe sind in jedem Song zu spüren.

Stained Glass Revelations ist nach wie vor eines der wenigen herausragenden Black Metal-Alben der letzten Zeit. Es besitzt nicht nur eine unverkennbare Eigennote und eine schwer fassbare Produktion, sondern droht geradezu vor Charme zu explodieren.

Blut-Aus-Nord-777 - Sect(s) - 777 - The Desanctification

# 03 & 02 Blut Aus Nord - 777 - Sect(s) // 777 - The Desanctification

Mit der “777“-Trilogie nahm Vindsval einen völlig neuen Kurs auf und veröffentlichte meiner Meinung nach die drei interessantesten Alben der bisherigen Bandgeschichte. Der stark industrielle Klang der beiden 2011er Werke erinnert noch ein wenig an die kalte Ästhetik der mittleren Phase ab “The Work Which Transforms God“, kommt jedoch schleppender und vernebelter daher. Während auf dem Bandmeisterwerk “The Work Which Transforms God“ musikalische Grenzerfahrungen und abgründige Alptraumwelten bis zur Unerträglichkeit omnipräsent waren, wurden die beiden nachfolgenden Alben bis heute von mir nicht wirklich geknackt. Mit dem zweiten “Memoria Vetusta“-Werk fand eine Rückbesinnung auf die frühen hymnischen Tage statt, doch in der “777“-Trilogie bediente sich Vindsval quer durch sein bisheriges Schaffen und trieb die Klangexperimente in nachvollziehbare, aber weiterhin schwer verdauliche Schwarzklumpen.

Überall wird man mit Dissonanzen konfrontiert: Der Raumschiff-Autopilot triggert nervenlähmende Beats, die auf Ekel gestimmte Gitarre zehrt unerträglich am Zahnstein, und die abrupten Breaks, Querrhythmen, Irrenhaus-Harmonien und Ambientschwaden zerstören jeden Fluss der Musik. Die kalte, monotone Stimme frisst sich aus dem Hintergrund durch die Hirnplatte. Doch zu diesen von mir heiß geliebten Eigenschaften der Band komponierte Vindsval in die “777“-Trilogie kosmische Melodien und hymnisch-ruhige Andachtsmomente von, nun ja, erhabener Schönheit.

Die dadurch erzeugte Atmosphäre ist auch heute immer noch so einzigartig und herausragend, dass sie von der Band leider nicht wieder erreicht wurde. Dass der Franzose hier „nur“ die Vorspeisen ablieferte, erfuhr man erst ein Jahr später, als er mit dem Abschluss der Trilogie 2012 in “777 - Cosmosophy“ ein Werk hinterließ, das ich immer noch mit höchster Ehrfurcht genieße.

PJ-Harvey-Let-England-Shake

# 01 PJ Harvey - Let England Shake

Die großartigste Musikerin unserer Zeit und schlicht und ergreifend die beste Rocksängerin aller Zeiten. "Let England Shake" ist bis heute Harveys ambitioniertestes Album, das auf faszinierende Weise Elemente aus all ihren vorherigen Alben vereint und dennoch frisch und neu klingt. Von den Kritikern hoch gelobt, hatte ich anfangs meine Schwierigkeiten mit dem komplexen Albumfluss. Mittlerweile liebe ich dieses Werk abgöttisch. Es gehört zweifellos zu den grandiosesten Alben dieses Jahrzehnts. Mit der Zeit ist das Album sogar noch gereift.

Es war nicht unbedingt einfach, nach dem erschütternden Überwerk "White Chalk" einen ebenbürtigen Nachfolger zu erschaffen. Harvey entschied sich jedoch für den vermeintlich schwierigeren Weg und verwandelte sich wieder einmal in eine „neue“ Persönlichkeit. Entsprechend groß ist der Unterschied zu "White Chalk" – das Songmaterial auf "Let England Shake" orientiert sich wieder an klassischer Rockinstrumentierung, jedoch in einem gedämpften und „ätherischeren“ Stil. Die ungezähmte und rohe Rotzigkeit der frühen Harvey ist nicht mehr präsent, und auch die songorientierte mittlere Phase lässt sie fast vollständig hinter sich.

Dennoch steckt in den Songs zu 100 % PJ Harvey. Nachdenklich und mit einer sagenhaften intensiven Hingabe klagt sie auf dem Album über „Gott und die Welt“, mischt dies jedoch mit zauberhaften Melodien und einem unglaublich intelligenten Songwriting. Die Instrumentierung mit Mellotron, Saxophon, Xylophon und Zither eröffnet zudem einen völlig neuen Harvey-Sound. Obwohl man bei jedem ihrer Alben ihre herausragende Gesangsleistung betonen könnte, ist es auf "Let England Shake" besonders auffällig: Hier zeigt sich ihr bisher facettenreichster Gesang mit feinen Nuancen.

Mit 'All And Everyone' enthält das Album für mich sogar den ergreifendsten Song, den PJ Harvey jemals geschrieben hat.