2011
# 10 Morbid Angel - Illud Divinum Insanus
Das achte Studioalbum der legendären Florida-Boys und gleichzeitig so eine Art Reunion-Album mit dem kurzzeitig zurückgekehrten David Vincent. Death-Metal-Fanatiker auf der ganzen Welt waren mit einem Schlag wieder zwanzig Jahre jünger, kämmten das verbliebene Gekräusel auf dem Kopf seitlich über die speckige Platte und fieberten der Veröffentlichung entgegen. Es waren ja auch mittlerweile ganze acht Jahre seit der letzten Veröffentlichung vergangen.
Was allerdings kam, war ein... mächtiger Roundhouse-Kick in das zerfurchte Gesicht der Death-Metal-Bummelfahrt-Gesellschaft. Keine Debatte in der Metal-Landschaft war in diesem Jahrzehnt so absurd hitzig, wie man es bei Illud Divinum Insanus beobachten konnte.
Trey Azagthoth hatte in den Jahren zuvor auf einem durch das Land ziehenden Jahrmarkt in der Abteilung "Autoscooter" gearbeitet und zwischen Abkassierung und DJ-Beschallung die Songs für das kommende Album in seinem Kassenhäuschen geschrieben. Als David Vincent zufällig auf eine Runde Autoscooter vorbeikam, waren beide wieder Feuer und Flamme.
Neben den üblichen Death-Metal-Songs haben Morbid Angel noch einige Vorlagen für Just Dance (die Befürchtungen, dass das nachfolgende Album tatsächlich diesen Titel trägt, waren groß) auf dem Album verewigt. Mit einer guten Portion Ironie machen diese Songs sogar richtig Spaß. Einzig I Am Morbid hätte man sich wirklich sparen können – eine einzige Ballermann-Blödelei.
Und das Fehlen von Pete Sandoval ist auch einer der großen Knackpunkte auf dem Album. Interimslösung Tim Yeung ballert leider mit seinem austauschbaren und stinklangweiligen Spiel und dem unglaublich beschissen klingenden Bassdrum-Geknatter alles kaputt. Ein Album, welches auch heute noch spaltet – dabei ist es völlig harmlos und entlarvt eigentlich nur die festgefahrene Sturheit der Metal-Rednecks.
# 09 Sonne Adam - Transformation
Nach der famosen EP Armed with Hammers lieferten die beiden Israelis ein Jahr später mit ihrem Debüt Transformation ein beachtliches Death/Doom-Metal-Album ab. Der Sound erinnert stellenweise an die frühen Paradise Lost mit einem Schuss Morbid Angel. Die ausgezeichnete Instrumentalarbeit ist umso erstaunlicher, da alle Instrumente von nur einer Person eingespielt wurden.
Die zum größten Teil im eher langsameren Tempo angelegten Songs bestechen durch kantige Gitarrenriffs, feine Melodien und den kratzigen Gesang. Die dadurch erzeugte eigenwillige Atmosphäre hebt sich vom Genre-Standard ab und erinnert eher an Bands wie Grave Miasma, Incantation und Dead Congregation – auch wenn die Qualität der genannten Bands noch nicht ganz erreicht wird.
Schade, dass es nach zwei weiteren EPs aus dem Jahr 2012 leider ziemlich ruhig um diese talentierte Band geworden ist.
# 08 Oranssi Pazuzu - Kosmonument
Mit ihrem finnischen Psychedelic-Space-Black-Metal haben sich Oranssi Pazuzu ihre eigene kleine Nische geschaffen und liefern mit ihren Alben konstant interessante, aber auch stellenweise schwer verdauliche Kost ab. Das zweite Album Kosmonument gefällt mir persönlich am besten und ist noch nicht ganz so stark vernebelt wie die nachfolgenden Alben.
Mit ihrem ausgesprochen kreativen Einsatz von Keyboards, ausgiebiger Sequenzer-Nutzung und dem ziemlich kauzigen Songwriting erschaffen sich die Finnen eine eigene Soundnote, die wie eine Kreuzung aus Beherit, Portishead und Godflesh klingt. Auch mit den ungewöhnlichen Rhythmen, der kantigen Produktion und den spacigen Soundkreationen machen die Finnen vieles richtig.
Eine hochinteressante Band, deren eigenwilligen Weg ich auch heute noch begeistert verfolge.
# 07 The Jezabels - Prisoner
Das Auftauchen dieser australischen Alternative-Rock-Band mit ihrer extrem charismatischen Sängerin Hayley Mary war 2011 eine kleine Sensation. Mit ihrem Debüt lieferte die junge Band ein bereits unglaublich ausgereiftes und sensationelles Werk ab. Der verträumte Sound wird durch das famose Drumming und das gefühlvolle Gitarrenspiel getragen, doch der eigentliche Star des Albums ist Hayley Mary mit ihrem intensiven und ausdrucksstarken Gesang. Auch wenn die Band mich erst so richtig mit den beiden Nachfolgern überzeugt hat, findet man auf Prisoner bereits ein Feuerwerk an Talent, Songwritingkunst und eine überdurchschnittliche Dichte an grandiosen Songs.
# 06 The War on Drugs - Slave Ambient
Mit einer Mischung aus Springsteen, Dylan und Dire Straits verwöhnte die amerikanische Indie-Rock-Band 2011 meine Ohren. Breitwandiger Gitarrensound, leicht melancholisch und poppig, dazu die fantastische Stimme von Adam Granduciel, die nicht selten an Springsteen und Dylan erinnert. Die Zutaten aus Folk, Rock, Singer-Songwriter und Pop werden hier kongenial in Einklang gebracht. Slave Ambient ist bereits ein scharfes Gerät, welches allerdings von dem gewaltigen Nachfolger nochmal um Längen übertroffen wurde.
# 05 Tom Waits - Bad As Me
Dass das vorerst letzte Album von Tom Waits nun auch schon wieder fast neun Jahre auf dem Buckel hat, ist nicht unbedingt verwunderlich, da der Künstler nebenbei auch vermehrt im Filmgeschäft unterwegs ist. Waits orientiert sich auf Bad As Me eher an seinen früheren Werken – weniger experimentell, mehr Melodien und für den Hörer leichter nachvollziehbar. Herausgekommen ist (wieder) ein Meisterwerk, welches sich mit versoffenem R 'n' B und angejazztem Rock dominant in die Hemisphären des Großhirns einnistet. Waits erzeugt mit seinen Songs eine alkoholverschwitzte Atmosphäre, Rauchschwaden aus versifften Clubs entweichen aus jeder Note, und den kühlen Grundtenor mit seiner leicht depressiven Aura kennt man nur allzu gut von Tom Waits.
Das Gesamtkunstwerk Bad As Me gehört zu den großen Highlights in Waits’ umfangreicher und hochinteressanter Diskografie und ist gleichzeitig eines der musikalischen Highlights dieser Dekade.
# 04 Negative Plane - Stained Glass Revelations
In der klassischen Trio-Besetzung Bass, Gitarre und Schlagzeug haben Negative Plane mit ihrem zweiten Album einen einzigartigen und in meinen Ohren perfekten Spagat aus extrem kauziger 80er-Tradition und "modernem" Black Metal-Charme kreiert. Verwurzelt in den Tiefen der Achtziger, rumpelt das Schlagzeug (welches auch haargenau so klingt) wunderbar authentisch und abwechslungsreich als treibender Motor durch den Sound. Es orientiert sich eher am Stil eines Clive Burr oder Randy Foxe und mischt dies mit vereinzelten und „naturbelassenen“ Blastbeats. Klangtechnisch ist alleine das Schlagzeug schon wunderbar abgemischt und genau an der richtigen Stelle im Sound platziert.
Ein weiteres Soundhighlight ist die Gitarre, die, wie in der Zeit gefangen, mit ihrem Sound eine gewisse 80er-Ästhetik verströmt. Die Riffs sind einfach und prägnant (auf technisches Gewichse wird komplett verzichtet), teilweise unsauber und kratzig, dafür unverschämt mitreißend und angenehm aufdringlich. Oft werden ruhige Momente eingebaut, die mit viel Hall atmosphärisch zum Verlieben sind.
Das Wichtigste an dem ganzen Album ist jedoch, dass Negative Plane großartige Songs schreiben können. Die Songs, zwischen 7 und 11 Minuten lang, sind ausladende Epen in Schwarz: quietschende Gitarrentöne, hirnzersetzende Berserker-Riffs, okkulte Massen-Melodien aus dem Sexkerker, stürmische Opfer-Chöre, peitschendes Donnergrollen der Befruchtung, eisiges Beckenzischen, Hi-Hat-Massaker und wildes Gebrüll im Lustrausch – der Wahnsinn und die Hingabe sind in jedem Song zu spüren.
Stained Glass Revelations ist nach wie vor eines der wenigen herausragenden Black Metal-Alben der letzten Zeit. Es besitzt nicht nur eine unverkennbare Eigennote und eine schwer fassbare Produktion, sondern droht geradezu vor Charme zu explodieren.
# 03 & 02 Blut Aus Nord - 777 - Sect(s) // 777 - The Desanctification
Mit der “777“-Trilogie nahm Vindsval einen völlig neuen Kurs auf und veröffentlichte meiner Meinung nach die drei interessantesten Alben der bisherigen Bandgeschichte. Der stark industrielle Klang der beiden 2011er Werke erinnert noch ein wenig an die kalte Ästhetik der mittleren Phase ab “The Work Which Transforms God“, kommt jedoch schleppender und vernebelter daher. Während auf dem Bandmeisterwerk “The Work Which Transforms God“ musikalische Grenzerfahrungen und abgründige Alptraumwelten bis zur Unerträglichkeit omnipräsent waren, wurden die beiden nachfolgenden Alben bis heute von mir nicht wirklich geknackt. Mit dem zweiten “Memoria Vetusta“-Werk fand eine Rückbesinnung auf die frühen hymnischen Tage statt, doch in der “777“-Trilogie bediente sich Vindsval quer durch sein bisheriges Schaffen und trieb die Klangexperimente in nachvollziehbare, aber weiterhin schwer verdauliche Schwarzklumpen.
Überall wird man mit Dissonanzen konfrontiert: Der Raumschiff-Autopilot triggert nervenlähmende Beats, die auf Ekel gestimmte Gitarre zehrt unerträglich am Zahnstein, und die abrupten Breaks, Querrhythmen, Irrenhaus-Harmonien und Ambientschwaden zerstören jeden Fluss der Musik. Die kalte, monotone Stimme frisst sich aus dem Hintergrund durch die Hirnplatte. Doch zu diesen von mir heiß geliebten Eigenschaften der Band komponierte Vindsval in die “777“-Trilogie kosmische Melodien und hymnisch-ruhige Andachtsmomente von, nun ja, erhabener Schönheit.
Die dadurch erzeugte Atmosphäre ist auch heute immer noch so einzigartig und herausragend, dass sie von der Band leider nicht wieder erreicht wurde. Dass der Franzose hier „nur“ die Vorspeisen ablieferte, erfuhr man erst ein Jahr später, als er mit dem Abschluss der Trilogie 2012 in “777 - Cosmosophy“ ein Werk hinterließ, das ich immer noch mit höchster Ehrfurcht genieße.
# 01 PJ Harvey - Let England Shake
Die großartigste Musikerin unserer Zeit und schlicht und ergreifend die beste Rocksängerin aller Zeiten. "Let England Shake" ist bis heute Harveys ambitioniertestes Album, das auf faszinierende Weise Elemente aus all ihren vorherigen Alben vereint und dennoch frisch und neu klingt. Von den Kritikern hoch gelobt, hatte ich anfangs meine Schwierigkeiten mit dem komplexen Albumfluss. Mittlerweile liebe ich dieses Werk abgöttisch. Es gehört zweifellos zu den grandiosesten Alben dieses Jahrzehnts. Mit der Zeit ist das Album sogar noch gereift.
Es war nicht unbedingt einfach, nach dem erschütternden Überwerk "White Chalk" einen ebenbürtigen Nachfolger zu erschaffen. Harvey entschied sich jedoch für den vermeintlich schwierigeren Weg und verwandelte sich wieder einmal in eine „neue“ Persönlichkeit. Entsprechend groß ist der Unterschied zu "White Chalk" – das Songmaterial auf "Let England Shake" orientiert sich wieder an klassischer Rockinstrumentierung, jedoch in einem gedämpften und „ätherischeren“ Stil. Die ungezähmte und rohe Rotzigkeit der frühen Harvey ist nicht mehr präsent, und auch die songorientierte mittlere Phase lässt sie fast vollständig hinter sich.
Dennoch steckt in den Songs zu 100 % PJ Harvey. Nachdenklich und mit einer sagenhaften intensiven Hingabe klagt sie auf dem Album über „Gott und die Welt“, mischt dies jedoch mit zauberhaften Melodien und einem unglaublich intelligenten Songwriting. Die Instrumentierung mit Mellotron, Saxophon, Xylophon und Zither eröffnet zudem einen völlig neuen Harvey-Sound. Obwohl man bei jedem ihrer Alben ihre herausragende Gesangsleistung betonen könnte, ist es auf "Let England Shake" besonders auffällig: Hier zeigt sich ihr bisher facettenreichster Gesang mit feinen Nuancen.
Mit 'All And Everyone' enthält das Album für mich sogar den ergreifendsten Song, den PJ Harvey jemals geschrieben hat.
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