Freitag, 27. August 2021

Decade of Obsession 2010 - 2019 (2014)

2014

Electric-Six-Human-Zoo

# 10 Electric Six - Human Zoo

Das bereits zehnte Album von Electric Six bietet nicht nur wieder jede Menge Hits, diesmal wurde auch mehr experimentiert. Der direkte, dick produzierte Rock von "Zodiac" wurde etwas zurückgefahren, dafür gibt es wieder vereinzelt elektronische Spielereien und leichte Anleihen aus dem Funk. Die Songs wirken auf den ersten Blick etwas zurückhaltender, entfalten sich aber bei mehrmaligem Hören zu großartigen Rocknummern.

Bomben wie das verträumte 'Satanic Wheels', die Elektro-Funk-Tanzübung 'The Afterlife', der trockene Rocker 'Worst Movie Ever' oder das übertriebene „epische“ 'I’ve Seen Rio in Flames' sind wieder typische Electric Six-Nummern, wie sie nur diese Band schreiben kann. Es ist ein solides Rockalbum, das zwar nicht ganz an die früheren Werke heranreicht und auch ein paar Füllnummern bereithält, aber besonders durch die tollen Texte wieder zu begeistern weiß – und dabei die etwas ziellose und zerfahrene "Esoteric Warfare" von Mayhem in den Schatten stellt.

Darkspace-III-I

# 09 Darkspace - III I

Darkspace gehen ja nicht gerade zimperlich mit ihrem eigenwilligen Sound um. Die Musik erinnert dabei eher an eine unidentifizierte Schwarzmasse und kennt weder konventionelles Songwriting noch greifbare Harmonien. “III“ von 2008 gehört nach wie vor zu den besten Vertonungen der unendlichen Weltraumtiefen und bekommt mit “III I“ einen etwas „zugänglicheren“ Bruder an die Seite gestellt.

Das Album ist ein brutal drückendes Sternenkommando, welches mit seinem irrationalen Drumcomputer, dem im Hintergrund als fiese Monsterfratze agierenden Gekreische und den verwaschenen Riffs massiv die letzten Hirnaktivitäten stranguliert. Dieser über alles abherrschende, um den Verstand bringende Sequenzer-Block in 'Dark 4.19', der mit einer Strahlenkanone erzeugt wird, ist einfach nicht zum Aushalten. Wie kommt man nur auf solche außergewöhnlichen Töne? Das ist schon fast keine Musik mehr – das ist eine bewusstseinserweiternde Astralwanderung auf einem verlassenen Horrorkreuzer im Maßstab 1.000.000:1.

Das Album ist ein einziger Sog, nicht ganz so drückend wie der Vorgänger, aber immer noch eine erschreckend dichte klangliche Masse, die diesmal sogar schon fast zu gut produziert wurde und wieder massenweise SOUND auffährt.

Aphex-Twin-Syro

# 08 Aphex Twin - Syro

Nach 13 Jahren veröffentlichte Richard David James sein sechstes Album, und meine Erwartungen waren ziemlich hoch. Herausgekommen ist ein relativ leichtes Werk – kaum verstörend, ziemlich harmonisch und sogar leicht poppig. Die Hektik der Vorgängeralben ist auf “Syro“ kaum vorhanden; James verliert sich fast im Easy Listening, doch die typische Aphex Twin-Zerfahrenheit steckt auch hier in fast jedem Song – wenn auch auf eine untypisch sanfte Art.

Dennoch sind die Loops, Breaks, Beats, Sequenzen, Rhythmen und Melodien wieder penibel ausgearbeitet. Sie kratzen jedoch leider nur an der Oberfläche dessen, was Aphex Twin normalerweise ausmacht. Dabei hat das Album so viele schöne Melodien zu bieten, glänzt mit einem warmen Sound und ist durchgehend spannend. Ein tolles Werk, das sicherlich zu den elektronischen Highlights in diesem Jahrzehnt zählt, mich aber leider nie wirklich ausnahmslos begeistern konnte.

Einstürzende-Neubauten-Lament

# 07 Einstürzende Neubauten - Lament

Kein musikalisches Album, dafür ein spannendes und interessantes Werk über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Es gibt sehr wenige eigentliche Songs, dafür viele gesprochene Worte und eine extrem bedrückende und beklemmende Stimmung. Ein Kunstwerk, das auch so verstanden werden möchte und aufzeigt, dass die Neubauten nach wie vor zu den künstlerisch wertvollsten deutschen Bands gehören. Mehr möchte ich zu diesem Moloch auch nicht schreiben.

Mastodon-Once-More-'Round-The-Sun

# 06 Mastodon - Once More 'Round The Sun

Was wurde überall über dieses Album gemeckert und gleichzeitig Lobeshymnen darauf gesungen. "Ausverkauf", "Massentauglichkeit", "Mainstreamankunft" und "Stadion-Rock-Refrains" schrie man der Band entgegen. Ja, Mastodon haben einige Zauberhits auf dem Album, die Songs sind eingängiger und die Melodien großartiger. Neben den tollen unterschiedlichen Gesangseinlagen und der Oberschicht-Produktion sind aber nach wie vor die typischen Mastodon-Trademarks wie das knallige Drumming und die herrschenden Riffs vorhanden, nur alles in einer gemäßigten und weiterentwickelten Form. Viel zu viel abgestandene Scheuklappen-Fan-Luft um ein formidables Album einer der interessantesten und innovativsten Bands der ("neuen") Heavy Metal Musik.

Prong-Ruining-Lives

# 05 Prong - Ruining Lives

Heavy, modern, stimmig, groovy – ein unendlicher Fluss an Melodien, Tanzbein-Harmonien und die irren Tafelwerk-Gitarrenriffs von Tommy Victor. Eigentlich ist das ganze Werk ein komplettes Hitalbum, und eine moderne Produktion hat genau so zu klingen. Ein brodelnder Fünf-Sterne-Eintopf aus Knallersongs und für mich ganz eindeutig eines der besten Alben im Heavy-Bereich des Jahres 2014.

The-Great-Old-Ones-Tekeli-Li

# 04 The Great Old Ones - Tekeli-Li

Eine kleine Überraschung lieferten die Franzosen mit ihrem zweiten Werk, was ich nach dem unscheinbaren Vorgänger so nicht erwartet hätte. Die (langweilige) Post-Black-Metal-Ausrichtung des Vorgängers wurde hier mit einer gewaltigen Portion Brachialität aufgehübscht. Die Songs sind griffiger, die Gitarren schroffer, und die Kompositionen leben von den dezenten Dissonanzen. Teilweise erinnert das Album sogar stark an das legendäre Dead as Dreams von Weakling aus dem Jahr 2000, kommt dabei aber geordneter und einfacher komponiert schneller auf den Punkt.

Die Franzosen erzeugen nebenbei eine wunderbare Atmosphäre, lassen genügend Raum für die Breitwandgitarren, verknüpfen Post-Black-Metal-Vibes mit rasendem Schlagzeug und frostigen Riffs und verlieren sich auch gerne in komplexeren Songstrukturen. Das Gesamtergebnis klingt höllisch intensiv, besticht mit einer ausgewogenen Produktion und bietet einiges zu entdecken in den überlangen Songs. Moderner Black Metal mit Köpfchen und (leider) auch besser als alles, was die beiden französischen Kreativwunder Blut Aus Nord und Deathspell Omega nach 777 - Cosmosophy bzw. Paracletus abgeliefert haben.

The-War-On-Drugs-Lost-in-the-Dream

# 03 The War On Drugs - Lost in the Dream

Es gibt Alben, die sind so gut, dass sie bereits nach dem ersten Ton sofort als Meisterwerk identifiziert werden und keine großen Worte benötigen. Adam Granduciel geht auf Lost in the Dream noch zwei Schritte weiter als auf dem bereits hervorragenden Vorgänger und vereint die großartigsten Momente von Springsteen, Dylan und den Dire Straits hier so perfekt zu einem eigenen Sound, dass man einfach nur staunend von den Songs überwältigt wird.

Alles an dem Werk ist stimmig, perfekt ausgearbeitet und fantastisch in Szene gesetzt. Die grandiose atmosphärische Gitarrenarbeit, das bodenständige Drumming, die sagenhaften Melodien und Refrains, die kompositorische meisterhafte Reife, die verträumte Stimmung und das abwechslungsreiche Songwriting sind es, was Lost in the Dream schlussendlich zu einem der besten Rockalben dieser Dekade erleuchten lässt.

Dead-Congregation-Promulgation-Of-The-Fall

# 02 Dead Congregation - Promulgation Of The Fall

Promulgation Of The Fall ist für mich nicht nur das beste Death-Metal-Album des Jahrzehnts, sondern auch der lang ersehnte Thronfolger zu Gateways to Annihilation und mein persönliches Heavy-Metal-Werk des Jahres 2014. Leider hat dieses Monster viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Fehlt der "Plastik" in der Produktion? Die heimlich eingeschmuggelten Trinkhörner im Outfit? Klingt das Schlagzeug vielleicht zu unnatürlich natürlich? Liegt es am lächerlichen Herkunftsland der Band? Ist der Sound nicht übersteuert genug? Sind es die muffigen und höllischen Gitarrenriffs, die auf Bodybuilder-'n'-Goldkettchen-'n'-Penisbegradigung-Zirkustheater verzichten?

Promulgation Of The Fall hat alles, was ich noch am Death Metal mag. Ich war fast erstarrt, als mich die ersten Snare- (wie großartig dieses Herzstück der Musik hier auf dem Album klingt!) und Bassdrumanschläge in Only Ashes Remain getroffen haben. Es fühlt sich an, als ob der Drummer sämtliche Schlagzeugkomponenten nach mir wirft, und die beiden Fußmaschinen der Bassdrum direkt am Skrotum montiert sind. Wenn dieses menschliche Drummonster komplett ausflippt, bricht förmlich ein barbarischer Sturm aus. Was für eine teerschwarze Wand an Druck, Höllenenergie und Zerstörung.

In dem Song Nigredo herrscht in den ersten Sekunden eine schier unglaubliche Panzerschlacht auf Speed. Gewaltige Drumfontänen treiben ätzende Todesriffs bis an die Spitze der Bösartigkeit. Das gnadenlose Serpentskin, das Säure verspritzende Immaculate Poison oder Schisma – der für mich mächtigste und erdrückendste Gewaltakt auf diesem Werk, mit seinem Verstand-auslöschenden Mittelteil – sind Todesschwadronen, die in der Lage sind, Leben zu eliminieren.

Dead Congregation haben für mich mit dieser todesmetallischen Dämonenbrutstätte das gewaltigste Extremwerk in diesem Jahrzehnt veröffentlicht. Es liefert den Beweis, dass eine lebendige, spürbare und am eigenen Leib vollführte Exekution nichts weiter benötigt als erschlagende Songs, unkontrollierte Gewalt, eine natürliche Produktion und eine unverfälschte, eingefangene und schlicht unmenschliche Energie.

Swans-To-Be-Kind

# 01 Swans - To Be Kind

Wie beschreibt man ein Album, das so massiv, gewalt(ät)ig, laut, intensiv, verstörend, explosiv, erniedrigend und in jeder Sekunde unmenschlich perfekt ist, dass es für mich persönlich Grenzen überschritten hat und als das einzig wichtige und wertvollste Album dieser Dekade gilt? Ein Werk, das zugleich die größte Evolution der Rockmusik der letzten 20 Jahre darstellt? Michael Gira hat hier 121 Minuten lang die pure Hölle vertont. Der Mann ist mittlerweile über 60 Jahre alt und offenbart der Menschheit seit über 30 Jahren die vielleicht verstörendste, abgrundtiefste, schmerzerzeugendste, gewaltigste und von Ängsten zerfressene Musik, die jemals erschaffen wurde.

To Be Kind ist ein Monster – ein von Michael Gira persönlich gezüchtetes Ungetüm aus brachialen Dissonanzen, meditativen Wiederholungen in quälend endlosen Minuten, durchbohrenden Eskapaden an erschlagendem Lärm und Chaos, aufgewühltem Gitarren-Psychoterror und nervenzerfetzender Schlagzeugpräsenz. Jeder Takt schmerzt bis zum Erbrechen, jenseits der Vorstellungskraft. Gleichzeitig ist das Album aber auch von einer unglaublichen „Schönheit“ gezeichnet, die sich in Melodien und Harmonien offenbart, so abtrünnig und erhaben düster, dass man sie erst nach mehrmaliger Qual in dem Chaos und der Lautstärke entdeckt. Vielleicht ist das die besondere, einzigartige Größe dieses Kunstwerks.

Gira schafft auf To Be Kind eine unglaublich stimmige Kombination aus lebensfeindlichem Krachchaos und denkwürdigen Melodien, die in dieser Perfektion auf keinem anderen Album in der Rockmusik zu finden ist. Das ist zwar nicht unbedingt neu im Sound der Swans – ihre Alben ab Children of God (1987) waren immer schon mit dieser Besonderheit ausgestattet, mal mehr, mal weniger – aber Gira perfektioniert diese Kombination auf seinem großen Monument, dass es keinen vergleichbaren Sound gibt.

Die Swans kreieren nicht einfach nur schwere, komplexe, abschreckende und schwer verdauliche Musik, die für viele Menschen schon gar nicht mehr als Musik wahrgenommen wird. Sie schicken den Hörer auf eine körperliche Reise, wenn man sich in der Welt von Michael Gira verliert und sich auf all die Pein und Schmerzen einlässt. To Be Kind ist viel mehr als nur Musik: Es ist eine Erfahrung, eine eigene Welt, eine schwierige Aufgabe. Es ist gnadenlos fordernd, man wird nicht an die Hand genommen, der Künstler und die Kunst verweigern jedem sofortigen Zugang, und es ist grausam – sehr grausam. Hässlichkeit und Abneigung dominieren das Album.

Und als ob die schier unglaublich intensive Manie der Musik nicht schon ausreichen würde, ergreift Gira höchstpersönlich das Höllenzepter. Mit seinem wahnsinnigen Gesang, der vor nichts zurückschreckt, öffnet er den Abgrund für den Hörer. Seine manischen Schreie, die entgegengeschleuderten und wiederholten Wortfetzen und die gewohnt abgründigen Texte sind bewusst roh und verletzend gehalten. Doch zwischen all den kaputten, selbstzerstörerischen Kakophonien wird man von ruhigen und überwältigenden Melodien aufgefangen, nur um dann doch wieder das metaphorische Messer in den Rücken gerammt zu bekommen.

To Be Kind ist nicht einfach ein weiteres berauschendes und brutales Stück Seelenmord von den Swans – To Be Kind war und ist für mich ein nahezu völlig neues Hörerlebnis. Es ist ein Werk von unfassbarer Brillanz, getragen von einer perfekten musikalischen Leistung aller Beteiligten, und ein vernichtender, auslöschender Anschlag auf die Menschlichkeit. Ein emotionales Ausbrennen.

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