Samstag, 11. Oktober 2025

The Lords of the New Church - The Lords of the New Church


"The Lords of the New Church", das gleichnamige Debüt der Supergroup um Stiv Bators (Dead Boys), Brian James (The Damned), Dave Tregunna (Sham 69) und Nick Turner (The Barracudas), gehört zweifellos zu den zeitlos und unberechenbar klingenden Alben der Achtzigerjahre. 1982 erschienen, vereinte es das lodernde Feuer des Punk mit der düsteren Romantik des Gothic Rock und traf mit seinem kunterbunten Gemisch aus zornigem Eifer, trübseligen Melodien und provokanten Texten genau den Nerv seiner Zeit; ein großartiges Gleichgewicht zwischen Punkschmutz und Gothic-Eleganz. Hier geht es nicht nur um drei Akkorde und rebellische Posen, das Album ist ein sorgfältig arrangierter, verdüsterter Ball zwischen Hoffnung und Dekadenz. 'Russian Roulette', mit seinem eingängigen Refrain, und 'Open Your Eyes', das bissig soziale Missstände kommentiert, stechen als Hymnen hervor, angetrieben von kantigem Gitarrenspiel und Bators' charismatischem Gesang. Das Album zeichnet sich insbesondere durch seine unverschämte Vielseitigkeit aus; es ist düster, ohne zu schwer zu wirken, rebellisch, ohne sich in Plattitüden zu verlieren, und melodisch, ohne an Schärfe einzubüßen. Jeder Song wirkt wie ein Teil eines größeren Puzzles, das einen zu einem Tanz auf den Trümmern der Gesellschaft einlädt. "The Lords of the New Church" ist betörender Punk, ernstzunehmender Gothic Rock und alles, was dazwischenliegt – eines der markantesten und melodischsten Düsteralben der Achtziger.

Freitag, 10. Oktober 2025

Mr. Bungle - Mr. Bungle


Mike Patton muss sich bei Faith No More Anfang der Neunzigerjahre so gelangweilt haben, dass er mit seiner anderen Band unbedingt diese notwendige wilde, bizarre und chaotische Fieberfantasie erschaffen musste; eine surreale Klangcollage, die alles gleichzeitig sein will: Funk, Metal, Jazz, Ska, Zirkusmusik und purer Wahnsinn. Das Album ist eine wilde Mescalin-Polka im prolligen Autoscooter, die ständig zwischen groovenden Bassläufen, schreienden Gitarren und Pattons grenzenloser vokaler Bandbreite anrempelt; von flüsternder Verführung über manisches Schreien bis hin zu absurden Stimmimitationen. Ein Gestörten-Mosaik aus Stilen, bewaffneten Clowns mit Kettensägen und vielfältigen Einflüssen, das trotz seiner schieren Überforderung auf wundersame Weise zusammenhält. Für die Produktion dieser freudigen Kakophonien war natürlich John Zorn verantwortlich, selbst ein Meister des musikalischen Wahnsinns. Er bringt die Exzentrizität der Band perfekt zur Geltung; jeder schräge Ton und jede absurde Wendung wird betont, ohne dass das Album seinen anarchischen Charakter verliert. Eine wunderbare, schräge Zirkusvorstellung, ziemlich einzigartig in den Neunzigern in seinem kompromisslosen, grotesken und faszinierenden Albtraumszenario und so schön verstörend wie brillant.
Dieses Album ist übrigens die perfekte musikalische 1:1-Übersetzung meines geistigen Zustands, meiner Gedankenprozesse und Hirnaktivitäten, wenn ich beruflich in sinnlosen, zeitvernichtenden Meetings sitze und überzeugend simuliere, anwesend zu sein.

Dienstag, 7. Oktober 2025

Swans - Cop

Ja, Swans, schon wieder. Es muss einfach sein. Die mittlere und spätere Phase habe ich hier ja bereits versucht abzubilden (natürlich nicht mit allen Alben, da werde ich ja nie fertig und irre dabei), doch es klafft noch eine Lücke dieser Legende, die unbedingt gefüllt werden muss: die absolute Finsternis ihrer Anfangsphase. Die frühen Jahre waren richtig übel, und auch der eigentliche Grund, warum diese Band so hoch angesehen wird. Keine Frohnaturmusik. Also toll.

1982 tauchten Swans auf wie ein Dämon aus dem New Yorker Untergrund. Kein Klang, keine Szene, kein Genre war danach mehr unversehrt. Ihr Erscheinen hinterließ Narben, tiefe, klaffende Wunden in Noise, Industrial, Doom, Avantgarde, selbst in Post-Rock und Ambient. Und die bluten bis heute.

Am Anfang gab es nur Beton, Blut, Maschinen. Swans wollten nicht töten, sie mussten. Ihre erste Platte, "Filth", war nichts weniger als eine dreckverkrustete Abrissbirne. Alles daran schrie nach Ablehnung, von Schönklang, von Struktur, von Sinn. Es war Rockmusik, wenn man dem Wort all seinen Sex, seine Melodie, seine Pose entzieht, und nur noch das Fleisch und das Stöhnen übrig lässt. Hier wird gearbeitet. Geschwitzt, geschunden, geschrien. Musik, die nicht fragt, ob sie willkommen ist. Musik als Zwangsarbeit. Verstümmelter Rock, ohne jede Reue. Doch das war nur die Skizze.

Mit "Cop" kam die totale Verweigerung. Alles, was auf "Filth" noch zuckte oder atmete, wird hier in Beton gegossen. Die Reduktion auf den nackten, schmerzenden Nerv. Wenn "Filth" schon radikal war, dann war "Cop" die stumpfe Rasierklinge, die langsam und sorgfältig durch das letzte bisschen Hoffnung fuhr. Die Drums klangen wie Titanenschritte in Zeitlupe; unerschütterlich, unbeweglich, ein Panzer aus Blei, der exekutiert. Die Gitarren spielten keine Töne, sondern schleppten Lasten, waren mehr Masse als Klang, sie klangen nach Betonmischern, nach Eisen, nach Maschinen, die sich weigern zu sterben. Alles war rhythmisch, aber nicht lebendig; es pumpte, ohne zu atmen. Der Bass schiebt einen einfach in den Boden, ohne zu fragen, ob man mitkommen möchte, und zieht sich wie ein Stahlseil, schwer gespannt, kurz vorm Zerreißen, durch die Kompositionen. Und diese Pausen. Diese unbequemen, schmerzhaft langen Leerstellen zwischen den Einschlägen, hier zerstört auch das Warten. Ein Requiem für alles, was jemals leicht, beschwingt oder gar optimistisch geklungen hat. 

Was hier passierte, war keine Fantasie, kein psychedelisch flackernder Höllentrip, kein Teufel-Kitsch. Es war Realität. Eine kalte, industrielle, antihumane Realität. Keine Versöhnung. Keine Romantik. Kein Fluchtpunkt. Es war Schmerz als Zustand, nicht als Gefühl. Eine Dokumentation des Elends in Echtzeit, während alles in einem schreit, wegzurennen.

Michael Gira klang, als würde er nicht mehr singen, sondern nur noch berichten. Von innen. Von einem Ort jenseits des Zorns. Er hat das Klagen längst hinter sich gelassen. Seine Stimme ist ein leergefressener Raum, dem selbst das Atmen zuwider geworden ist. Sie trägt keinen Trost. Sie trägt nichts. Kein Licht, keine Richtung. Nur einen Blick, leer und absolut. Seine Texte sind klinisch, dokumentarisch, grausam. Polizeigewalt, Entmenschlichung, Sucht, Ausbeutung, systematische Erniedrigung. Kein Satz enthält Trost. Kein moralischer Appell. Kein Ausweg. Nur das "So ist es". So sieht es aus, wenn du die Welt nicht mehr beschreiben willst, sondern sie sezierst. Es gibt keine Refrains. Keine Reißverschlussmomente zum Durchatmen. Nur eine kalte Wand, die nicht zusammenbricht. Diese schonungslose Direktheit war nicht nur schockierend, sondern auch verstörend ehrlich. Giras Stimme war das Medium, durch das sich die toxische Realität ihren Weg suchte, ein sprechendes Abflussrohr für die Abgründe, die die Gesellschaft lieber ignorierte. Eine erschütternde Chronik des Niedergangs. Jeder Atemzug, jeder verhallende Ton dieser präzisen Poesie des Grauens schien die unsichtbaren Wunden der Welt bloßzulegen, ohne das geringste Anzeichen von Mitgefühl oder Bedauern.

Dieses Werk war kein Produkt, das sich analysieren oder nachbauen ließ. "Cop" war kein Stil, kein Genre, keine Schule. Es war ein Zustand. Ein Extrem. Die totale Abwesenheit von Form und Richtung. Eine emotionale Grenzerfahrung, eingefroren in Lärm und Verachtung. Eine tieffrequente, furchtbare Ruhe; ein Dröhnen, das wie eine Leiche im Raum liegt.

Und was viele an der Oberfläche für rohe Gewalt hielten, war in Wahrheit Kontrolle. Ein völliges Bewusstsein über das, was man da tut. Keine Effekthascherei, keine pubertäre Wut, sondern kaltes, kalkuliertes Auslöschen. Von allem. Es war die Präzision eines Henkers, der sein Handwerk versteht. Die absolute Dominanz über Klang und Ausdruck, die hier zelebriert wurde.

"Cop" ist ein Album, das unentwegt auf einen einprügelt, wenn man schon am Boden liegt, noch auf einen eintritt, ständig hochgezogenen Schleim darniederspuckt, und einem dann langsam die Hand auf die Schulter legt und sagt: "Du bist nichts."

Montag, 6. Oktober 2025

The Stranglers - Rattus Norvegicus


Von Anfang an hielten sich The Stranglers nicht an die ungeschriebenen Regeln des Punk; "Rattus Norvegicus" entzog sich allen Erwartungen und präsentierte sich mit seiner düsteren, fast theatralischen Atmosphäre als eine ganz eigene Definition von Punk. Ihr erstes Album ist ein rebellisches, bissiges, sarkastisches und zugleich erstaunlich musikalisches Werk, das bis heute als eines der faszinierendsten Debüts der britischen Musikszene gilt. The Stranglers machen auf diesem Album unmissverständlich klar, dass sie gekommen sind, um die Punk-Szene mit einem dreckigen Augenzwinkern und einer gehörigen Portion Virtuosität aufzumischen. Hugh Cornwells sardonischer Gesang und seine oft zynischen Texte, die unverkennbaren Keyboard-Eskapaden von Dave Greenfield mit ihrer barocken Eleganz sowie die treibende Rhythmussektion mit Burnels schnarrendem Bass, hier passt alles zusammen; die Songs sind scharf, bissig und überaus klangvoll. Das Album zelebriert mit straßenköterhafter Respektlosigkeit und instrumentaler Raffinesse, angetrieben von lasziven Bassläufen, eine wilde Symbiose aus Punk-Attitüde, psychedelischen Elementen, progressiven Arrangements und einem Hauch von Pubrock. Der gewollte Kontrast zu den ausgeklügelten Melodien wird durch die stetig vorhandene, wohlüberlegte Räudigkeit und die Bissigkeit der Texte verstärkt. "Rattus Norvegicus" ist herrlich experimentierfreudig, ohne den Faden zu verlieren, bietet genügend Raum für Intelligenz, eigenwillige Musikalität und subtile Provokation und war damals eine spöttische Offenbarung für die Weiterentwicklung der Punk-Wurzeln.

Sonntag, 5. Oktober 2025

Tubeway Army - Replicas


Das wegweisende Werk, das den Übergang von Punk zu Synthpop markierte und dabei den Grundstein für den späteren Elektropop legte.
Futuristisch und düster – inspiriert von der Science-Fiction-Literatur Philip K. Dicks und geprägt von Numans Faszination für Isolation, Maschinen und die dunklen Seiten der Menschheit – entfaltet sich dieses Album zu einer kalten, faszinierenden Klangkapsel. Auf dem Album dominiert der Synthesizer, der bei Veröffentlichung 1979 immer noch ein recht exotisches Werkzeug war. Numans Minimoog verleiht dem Album eine kalte, mechanische Architektur, die durch die stoischen Basslinien von Paul Gardiner und die prägnanten, minimalistisch gehaltenen Gitarrenparts perfekt ergänzt wird. Jess Lidyard sorgt mit seiner präzisen, maschinellen Spielweise am Schlagzeug dafür, dass die Arrangements ebenso kühl wie effektiv wirken. Der Sound zieht einen in eine sterile, anti-utopische Zukunft. 'Are 'Friends' Electric?' verbindet eine unheilvolle Synthesizer-Melodie mit Numans robotisch-emotionsloser Stimme und transportiert eine verstörende Atmosphäre, während 'Down in the Park', eine düstere Vision von Kontrollverlust und Überwachung, durch seine klangliche Zurückhaltung umso eindringlicher wirkt. Die Texte sind durchzogen von futuristischen Bildern und existenziellen Fragen, während Numans monotone, entmenschlichte Stimme dem Ganzen eine zusätzliche Dimension verleiht, als wäre er längst selbst Teil der Maschinen geworden, über die er singt. 'Replicas' ist ein klinisch-steriles Meisterwerk seiner Zeit, das trotz seiner kalten Ästhetik einen warmen Kern beherbergt und zu den Wurzeln der modernen elektronischen Musik gehört.