Samstag, 3. September 2011

Fleurety - Min Tid Skal Komme

Fleurety-Min-Tid-Skal-Komme

Neben Ved Buens Ende, Arcturus, In The Woods und Solefald gehören Fleurety aus Norwegen zu den frühen Vertretern des avantgardistischen, progressiven Black Metal der Mitte der 1990er Jahre. Nach dem 1993er-Demo „Black Snow“ und der höllisch intensiven EP „A Darker Shade of Evil“ aus dem Jahr 1994, erschien 1995 mit „Min Tid Skal Komme“ eines der bis heute bedeutendsten und anspruchsvollsten Black-Metal-Werke aus Norwegen.

Noch vor Ved Buens Endes Meisterwerk „Written In Waters“ formten Fleurety auf ihrem Debüt avantgardistischen Black Metal mit einer starken progressiven Note. Die Musik dieser beiden Norweger lässt sich nur sehr schwer in Worte fassen. Während auf der EP „A Darker Shade of Evil“ noch eigenwilliger Black Metal mit extrem geistesgestörtem Kreischgesang zu hören war, überraschten die Norweger auf „Min Tid Skal Komme“ mit ungewöhnlichen Songstrukturen und eigenwilligen Ideen.

Der 70er-Jahre-Progressive-Rock sickerte aus jedem der fünf Songs, und die eigenartige Rhythmik dieser 45 Minuten gehörte damals zu den abgefahrendsten Entwicklungen im Black Metal. Heute gibt es technisch und songwriterisch anspruchsvollere Alben im Black Metal, aber 1995 waren Fleurety mit ihrem Debüt eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der Szene.

Besonders hervorzuheben ist der dominante Bass-Sound, der einer kleinen Innovation im ansonsten eher höhenlastigen Sound nahekam. Das Gleiche gilt für den ungewöhnlichen Frauengesang von Marian Aas Hansen, der zur damaligen Zeit einzigartig in der Szene war. Die Gitarrenarbeit ist schroff, schräg, aber zugleich melodisch und fordernd. Die irrwitzigen Basslinien disharmonieren fantastisch mit den ohnehin schon sehr schrägen Riffs, und die Breaks und Tempowechsel erzeugen eine Atmosphäre, die den Hörer hin- und herreißt.

„Fragmenter Av En Fortid“ eröffnet das Album mit ruhigen Tönen: Die Gitarre surrt ein hypnotisches Riff, der Bass röhrt rhythmisch dazu, alles steigert sich zu einem harmonischen Teil, bis nach fast vier Minuten verrückte Riffs, treibendes Schlagzeug und der finstere Kreischgesang einsetzen. Melodie, Harmonie, Disharmonie, Breaks, Tempowechsel, Frauengesang und psychopathisches Gekreische – allein wie geschickt diese ersten neuneinhalb Minuten des Albums aufgebaut sind, ist die reinste schwarzmetallische Offenbarung.

Doch dies ist nur der Anfang eines großartigen Albums. Mit „En Skikkelse I Horisonten“ folgt ein schwarzes Psychogramm – die vertonte Abfahrt durch abstrakte Dimensionen. Trister Frauengesang und aufrüttelnde Harmonien treffen auf ätherischen Black Metal und schwarze Leidenschaft, gefolgt von progressivem Kauderwelsch und disharmonischen Klangskulpturen. Alles ist so schräg und außerhalb der Norm, und dennoch strahlt der gesamte Song eine unbeschreibliche Schönheit aus.

„Hvileløs?“, fast durchweg instrumental, erinnert mit seinen pompösen Keyboards anfänglich an Arcturus, kontert jedoch bereits nach anderthalb Minuten wieder mit synapsensprengenden Arrangements, beißenden Gitarrenriffs und verstörender Laut-Leise-Dynamik. Auch „Englers Piler Har Ingen Brodd“ glänzt mit grandiosem Frauengesang, psychedelischen Riffs, leichten Keyboardflächen und einer gespenstischen Atmosphäre.

Auf „Min Tid Skal Komme“ ist jeder Song ein kleines Kunstwerk. Beängstigend abwechslungsreich und gesegnet mit unerschöpflichen Sound- und Songideen. Das abschließende „Fragmenter Av En Fremtid“ ist genauso ungewöhnlich wie das gesamte Album. Ruhige, leicht jazzige Momente, veredelt durch Marian Aas Hansens wunderbaren Gesang, lassen dieses Kunstwerk leise ausklingen.

Bis heute ist mir kein weiteres Album im Black Metal bekannt, das eine solche Ausstrahlungskraft besitzt, komplizierte, aber dennoch harmonische Songs bietet und gleichzeitig „revolutionär“ klingt. „Min Tid Skal Komme“ war 1995 ein genresprengendes Kunstwerk, klingt nahezu zeitlos für Black-Metal-Verhältnisse und ist eines der Vorreiterwerke des heute so häufig zitierten Post-Black Metal.

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