Mittwoch, 19. Oktober 2011

Urfaust - Geist ist Teufel

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„Geist ist Teufel“ darf mit Sicherheit heute schon zu den schillerndsten Veröffentlichungen des „neuen“ Black Metal gezählt werden. Aber ist „Geist ist Teufel“ überhaupt noch Black Metal? Wie weit sind die Grenzen? Urfaust lassen sich jedenfalls auch heute noch nicht kategorisieren oder in irgendeine Schublade stecken. Die Musik der Holländer ist eine komplett unwirkliche Fahrt durch Sphären, die man gewillt sein muss zu betreten.

Dabei machen es einem die Holländer nicht leicht, sich in ihrer Musik zurechtzufinden. Proberaum-Sound, bewusst belassene Spielfehler, überlange Songs und massenweise fremde Einflüsse – dazu ein Gesang, der zwischen purem Wahnsinn und betörender, hypnotischer Kraft hin und her pendelt. Der Gitarrensound ist fast schon an der Grenze zur Unhörbarkeit reduziert: mächtig kratzig und rostig. Melodien, die es massenweise auf „Geist ist Teufel“ zu entdecken gibt, bleiben dem Hörer zunächst verschlossen.

Das Album wird von einem stimmungsvollen Intro eröffnet. Ein eigenwilliger Tenor, beinahe beängstigend, von IX macht gleich von der ersten Sekunde an klar: Love it or hate it! Ambient-Klänge, dunkle Töne, wabernde Schwingungen – völlig reduziert und auf eine ganz eigenwillige Weise faszinierend. Eine geistige Spannung baut sich auf, bevor man durch den ersten Song „Die kalte Teufelsfaust“ die Hässlichkeit in Ton und Schmerz erlebt – zumindest vorerst.

Primitiv, völlig abwesend und ohne Sound-Perfektion poltern und holpern sich Urfaust durch ganze sechs Minuten reinster Reduziertheit. Was soll das sein? Undefinierbare Riffs, katastrophales Drumming, ein Sound, der mehr als nach Keller stinkt, und dieser irre Psychopathengesang – wechselnd zwischen extremem Kreischen à la Burzum und opernhaftem Klargesang mit einer wirklich ganz eigenen Note.

Bereits hier spalten sich die Meinungen: Wollen Urfaust überhaupt Black Metal sein? Ist dieser völlig geisteskranke Chaotenhaufen es überhaupt wert, sich weiter mit ihrer Musik zu beschäftigen? Die Antwort lautet: Ja – und noch viel mehr als das! Urfaust haben nach anfänglichen Berührungsängsten etwas völlig Einzigartiges erschaffen. Sie haben sich ein eigenes Genre geformt und sich zu einer der hypnotischsten Black-Metal-Bands entwickelt, die die Szene jemals hervorgebracht hat.

Urfaust sind mehr als nur eine Black-Metal-Band: Urfaust stehen für Spiritualität, für Kunst in ihrer hässlichsten Form, für pure Magie. Rabiat und ungehobelt, musikalisch so undefinierbar wie keine andere Black-Metal-Band. Die innere Schönheit ihrer Musik wird nicht jeden erreichen – und das ist sicher auch so beabsichtigt. Diese Musik funktioniert nur, wenn man sich komplett in sie fallen lassen kann.

Urfaust ist eine der wenigen Bands, die wirklich auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn Musik erschaffen. Musik, die äußerlich abstoßend und hässlich ist, die aber erkämpft werden muss, um die wahre Magie des Urfaust-Sounds zu erkennen. Zähflüssig baut jeder Song eine unbeschreibliche Stimmung auf – krank und faszinierend zugleich, als hätten sich Urfaust im Tonstudio verirrt und wären mit ihren Instrumenten direkt in der Klapsmühle gelandet.

Wie viele beneidenswerte Songs Urfaust geschrieben haben, ist ebenfalls in der Black-Metal-Szene einzigartig. Ob man nun die vielen Split-Veröffentlichungen, die EPs oder die drei regulären Alben „Geist ist Teufel“, „Verräterischer, Nichtswürdiger Geist“ (2005) oder das aktuelle Meisterwerk „Der freiwillige Bettler“ (2010) betrachtet – jede einzelne Veröffentlichung enthält mehr als Black Metal. Ihre Musik geht weit über die Grenzen hinaus und erschafft etwas völlig Eigenartiges.

Es ist schwer, den Sound von Urfaust zu beschreiben, geschweige denn ihn mit anderen Bands zu vergleichen. Ich kann nur sagen, dass Urfaust für mich die interessanteste aller derzeitigen Black-Metal-Bands ist. Menschen mit schwachen Nerven und Schöngeister sollten allerdings einen großen Bogen um die Holländer machen!

Samstag, 15. Oktober 2011

Marduk - Those Of The Unlight

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Schwedens bekannteste und vielleicht auch legendärste Black-Metal-Band Marduk spielte zu Beginn ihrer Karriere kantigen Death Metal, den man bereits auf dem 1991 veröffentlichten Demo „Fuck Me Jesus“ mit fanatischer Hingabe zelebrierte. Das ein Jahr später erschienene Debüt „Dark Endless“ gehört, wie auch Darkthrones erstes Album „Soulside Journey“ (1991), zu den leider wenig beachteten Death-Metal-Alben aus Skandinavien. Beide Alben besitzen eine fantastische schwarze Aura und sind mit einer grandiosen Old-School-Produktion ausgestattet (Tomas Skogsberg war für „Soulside Journey“ verantwortlich und Dan Swanö für „Dark Endless“).

Warum diese beiden Alben in der Geschichte des Death Metal fast immer übergangen werden, bleibt bis heute ein Rätsel.

1993 erschien, nach einigen Besetzungswechseln, das für viele bis heute beste Marduk-Album „Those of the Unlight“, auf dem die Band ruppigen Death Metal mit rasendem Black Metal und jeder Menge erstklassiger Melodien kombinierte. Von der typischen Monotonie und den einschläfernden Knüppelorgien, für die Marduk spätestens mit dem Einstieg von Legion am Gesang auf „Heaven Shall Burn... When We Are Gathered“ 1996 „bekannt“ wurden, ist bis einschließlich des „Opus Nocturne“-Albums von 1994 nichts zu spüren.

Marduk waren bis zum Einstieg von Legion eine eigenständige, hochklassige Black-Metal-Band, die sich auch nicht völlig schwedischen Melodien verweigerte. Auf „Those of the Unlight“ schafften Marduk meiner Meinung nach den besten Spagat zwischen Black Metal und Death Metal und würzten ihre Songs mit fantastischen Melodien. Auch hier war wieder Dan Swanö, diesmal zusammen mit Marduk, für den Sound mitverantwortlich. Der typische frühe Marduk-Sound – natürlich, lebendig, mit viel Hall und jeder Menge Raum für Atmosphäre – war noch weit entfernt von Peter Tägtgrens klinisch toten Produktionen der späteren Marduk-Alben.

Die Songs wirken lebendig, zügellos und doch gebündelt, rau und trotzdem warm. Besonders mit dem sieben Minuten langen Instrumentalstück „Echoes from the Past“ haben Marduk ein ganz besonderes Stück Musik auf dem Album hinterlassen. Ambientartige Klänge, beruhigende Töne und eine große Melodie lassen Marduk für sieben Minuten das komplette Black-Metal-Universum verlassen und tauchen den Hörer in eine tranceartige Gedankenreise. Dem gegenüber stehen Black-Metal-Klassiker wie „Burn My Coffin“, „Wolves“ oder der Titeltrack, die alle mörderische Hooklines besitzen und mit ausgefeilten Rhythmuswechseln begeistern.

Das Drumming von Af Gravf ist zwar nicht so brachial produziert wie das von Fredrik Andersson, besticht jedoch durch mehr Abwechslung und eine stärkere Death-Metal-Schlagseite. Richtig geknüppelt wird eigentlich selten. Auf „Those of the Unlight“ spielen Marduk geschickt mit Melodien, Tempowechseln und einprägsamen Gitarrenriffs. Dabei wird natürlich im hohen Tempo musiziert, von banalen Knüppelorgien der späteren Werke ist man jedoch meilenweit entfernt.

Zusätzlich schaffen Marduk nur auf „Those of the Unlight“ eine ganz spezielle Atmosphäre, die sie auf keinem weiteren Album mehr einfangen konnten. Vielleicht lässt sich das so erklären: „Dark Endless“ bot lupenreinen, schwarzen Death Metal, und „Opus Nocturne“ lupenreinen Black Metal – dazwischen liegt „Those of the Unlight“, das sich bei beiden Elementen bedient. Auch der Gesamtsound von „Those of the Unlight“ erinnert mich stellenweise an Dissections kongeniales Meisterwerk „The Somberlain“, das ein Jahr später erschien und einen fast identischen Sound aufweist.

Leider schafften Marduk es danach nur noch mit dem Nachfolger „Opus Nocturne“, die einstige Qualität, für die die Band am Anfang stand, zu erreichen. Alben wie „Nightwing“ (1998), „Heaven Shall Burn... When We Are Gathered“ (1996) oder „Panzer Division Marduk“ (1999) sind an Langeweile in der Black-Metal-Szene bis heute ungeschlagen. Ausdrucksloses Gekreische, einschläferndes Drumming und immer wieder dasselbe Gitarrenriff, kombiniert mit Tägtgrens zum Haare raufenden, klinisch toten Overlook-Sound, machten Marduk für mich unhörbar, und die Band selbst wurde immer weiter in den Strudel der Lächerlichkeit und Peinlichkeiten gezogen.

Eine ähnliche, wenn auch nicht ganz so drastische Entwicklung konnte man auch bei den norwegischen Black-Metal-Legenden Immortal und Satyricon beobachten. Den jüngeren Fans gefiel der neue Marduk-Sound, und so gehören Marduk auch heute noch zu den wohl bekanntesten Black-Metal-Bands der gesamten Szene. Die kreative Hochphase der Band wird jedoch mit völliger Nichtbeachtung gestraft, sodass Alben wie „Panzer Division Marduk“ oder „World Funeral“ als die Highlights von Marduk gelten.

Ironischerweise wandten sich viele jüngere Fans von der Band ab, als endlich Legion die Band verließ und auch Fredrik Andersson die Sticks an den Nagel hängte. Dass man mit dem neuen Drummer Emil Dragutinovic und besonders mit Sänger Mortuus (kreativer Kopf hinter den grandiosen Funeral Mist) zwei absolute Talente und Ausnahmekönner der Szene gewinnen konnte, interessierte auf einmal nicht mehr. Die Alben „Plague Angel“ (2004) und „Rom 5:12“ (2007) boten wieder lebendigeren Black Metal, der näher an den ersten Alben war, und glänzten mit den besten Gesangsleistungen aller Marduk-Alben.

Aus persönlicher Sicht ziehe ich zwar immer noch das Debüt „Dark Endless“ vor, dennoch ist „Those of the Unlight“ das bis heute prägendste und kompletteste aller Marduk-Alben.

Dienstag, 4. Oktober 2011

Inquisition - Into the Infernal Regions of the Ancient Cult

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Zwischen 1997 und 1999 wurde die nicht mehr so undergroundige Black-Metal-Szene durch unaushaltbar kitschige Keyboard- und Symphonic-„Black“-Metal-Alben regelrecht überschwemmt. Black Metal wurde zum Massenprodukt – überall wurden Anzeigen geschaltet und jede Menge Werbung gemacht, bis hin zum obligatorischen Video-Clip. In jedem Metal-Magazin räumte man den neuen Bands immer mehr Platz ein. Fast alles, was aus Skandinavien bzw. aus Norwegen kam, wurde mit hohen Noten bewertet, während die Vorreiter-Bands der zweiten Black-Metal-Welle immer weniger Beachtung fanden.

Alles, was ekelhaft klebrig süß, angepasst, glattpoliert und bloß nicht provozierend war, wurde abgefeiert. Bands wie Catamenia, Mystic Circle, Agathodaimon, Dimmu Borgir, Cradle of Filth, Covenant, Bal-Sagoth, Siebenbürgen und Old Man’s Child, um nur die Spitze des Eisbergs zu nennen, waren die neuen Helden und Aushängeschilder dieser Szene. Innerhalb von ein paar Monaten wurde der komplette Mythos der zweiten Black-Metal-Welle von einer bunten Gummibärenbande-Welt weggeschwemmt!

Bands wie Enslaved (Eld, 1997 / Blodhemn, 1998), Darkthrone (Ravishing Grimness, 1999), Gorgoroth (Under the Sign of Hell, 1997), Mayhem (Wolf’s Lair Abyss, 1997), Arcturus (La Masquerade Infernale, 1997) oder Bethlehem (Sardonischer Untergang im Zeichen irreligiöser Darbietung, 1998) wurden in den Metal-Magazinen belächelt und wegen angeblichem Stillstand, mangelnden Melodien und fehlender glattpolierter Produktion kritisiert.

Inmitten dieser Zeitepoche von hirnlosen Kasperproduktionen und angepasstem Teenie-Mädchen-Romantic-Vampir-Gothic-Rosen-Samt-Ekelterror, zündete eine völlig unbekannte kolumbianische Band namens Inquisition die Black-Metal-Wasserstoffbombe. „Into the Infernal Regions of the Ancient Cult“ ist vielleicht das wichtigste Black-Metal-Album der ausklingenden 90er Jahre! Ein Manifest des traditionellen Black Metal, eine Lobpreisung und Huldigung an eine fast untergegangene Szene – die letzte Aufbäumung gegen die Gummibärentrolle und Vampir-Chicks weltweit.

„Into the Infernal Regions of the Ancient Cult“ ist mehr als nur ein Black-Metal-Album – es ist Lebensgefühl, dunkles Elixier und okkulte Kraft. Inquisition haben mit diesem Album den lang ersehnten „Retter“ der Szene geschaffen, ein Werk, das während seiner gesamten Spielzeit gegen den Strich bürstet und in seiner Unangepasstheit und „Kauzigkeit“ weltweit im Underground für einen Siegeszug sorgte.

Die Medien bekamen von dieser Band natürlich gar nichts mit. Später bespuckte man die beiden Kolumbianer mit hilflosen Argumenten und fadenscheinigen Aussagen. Inquisition tourten durch kleine Clubs und avancierten besonders in Deutschland für längere Zeit zur Black-Metal-Band schlechthin.

Inquisition haben sich einen völlig eigenen Sound geschaffen: ungewöhnlich tief gestimmte Gitarren und ein knackiger, natürlicher Drumsound sorgen für einen auf der einen Seite sehr dünnen, aber auch sehr druckvollen Klang. Live verzichten Inquisition komplett auf den Bass, den man auf den Alben ohnehin kaum wahrnimmt – dieser wird durch den ungewöhnlichen Gitarrensound ausgeglichen.

Schon rein instrumental haben sich Inquisition einen eigenen Stil erschaffen, doch da wäre ja noch der Gesang von Dagon. Ein fieser, giftiger Teufelsfrosch aus den kolumbianischen Urwäldern mit Kehlkopfkrebs im Endstadium – so könnte man die Laute von Dagon einigermaßen beschreiben. Völlig einzigartig, völlig kauzig, für viele abschreckend und belustigend, aber eigentlich völlig geil und betörend.

Alle zehn Songs sind kleine Meisterwerke des Black Metal. Unglaublich abwechslungsreich komponiert und bei aller Liebe zum Old-School-Sound mächtig atmosphärisch und melodiereich. Die Tempowechsel werden geschickt eingesetzt, Rasereien mit doomigen Passagen und leicht folklorischen Einflüssen kombiniert. Inquisition halten die gesamten 66:06 Minuten die Spannung aufrecht, kombinieren tonnenschwere Doom-Riffs mit bezaubernden Melodien, rasende Blastbeats mit unerwarteten Breaks und Rhythmuswechseln.

Erstaunlich ist, dass diese Band schon seit 1988 im Underground wütet und bis heute eigentlich kein schwaches Album veröffentlicht hat. Die persönliche Bedeutung und auch die Bedeutung für die Black-Metal-Szene Ende der 90er Jahre sind jedoch besonders auf „Into the Infernal Regions of the Ancient Cult“ einzigartig geblieben.

„Into the Infernal Regions of the Ancient Cult“ ist für die Black-Metal-Szene mindestens genauso wichtig wie „Drachenblut“ und „Blacken the Angel“ für den Einhorn-Pink-Metal.

Hail The Cult!