Montag, 30. Juni 2025

Misþyrming - Söngvar elds og óreiðu


Mit ihrem eiskalten Debüt haben die Isländer 2015 einen kleinen Überraschungshit abgeliefert und gleichzeitig eines der betörendsten Black Metal-Alben im letzten Jahrzehnt. Exzessiv wird hier ein Fest aus wilden Rifforgien, feisten Melodien, chaotischen Blastbeats und intensivster Gesangsdarbietung gefeiert, auf dem man des Öfteren an die Großtaten von Deathspell Omega erinnert wird. Der Sound klingt zwar modern, aber Misþyrming verzichten zum Glück auf nervige Shoegaze-Gehhilfen, pubertierenden Post-Quatsch und progressives Gewichse – womit sich ja mittlerweile fast jede dritte Black Metal-Band den Stock in den Arsch schiebt – und liefern stattdessen ein klug komponiertes, leicht vertracktes, massiv drückendes und gitarrenlastiges Werk ab, welches mit seinen intelligenten Spannungskurven und dem perfekt arrangierten Wechsel aus aggressiven und ruhigen Momenten überzeugt. Wie toll moderner Black Metal klingen kann, ohne sich im Mief der Neunziger zu suhlen, Unmengen an Millionen in die Produktionstechnik zu stecken und dabei auch noch den Musiklehrer beeindrucken zu wollen, ist wunderbar auf "Söngvar elds og óreiðu" zu bestaunen.

Mittwoch, 18. Juni 2025

The Cars - Panorama


The Cars bewiesen 1980 mit ihrem dritten Album "Panorama", dass sie mehr waren als nur eine New Wave-Hitmaschine. Während die Vorgängeralben voller eingängiger Ohrwürmer und radiofreundlicher Singles steckten, schlug "Panorama" eine deutlich düsterere, experimentellere Richtung ein. Diese offensichtliche Kühle steht in starkem Kontrast zum lebhafteren Sound der Vorgänger.
Das Album zeigt die künstlerische Vielseitigkeit der Band in ihrer spannendsten Phase, irritierte jedoch zugleich mit seinem eigenwilligen Sound. Die kalte, mechanische Präzision erinnert mehr an die futuristische Sterilität von Kraftwerk als an den sonnigen Power Pop ihrer Hits wie 'Just What I Needed'. Synthesizer übernehmen plötzlich eine dominante Rolle, während Ric Ocaseks spöttischer Gesang eine für die Achtziger typische dystopische Stimmung heraufbeschwört – besonders auf dem zappeligen 'Gimme Some Slack', in dem die Punk-Wurzeln der Band deutlich durchscheinen. Benjamin Orrs Stimme glänzt besonders auf dem melancholischen 'Running to You'.
Das Album ist alles andere als homogen; die Band verbindet experimentelle Elemente mit der zugänglichen Sensibilität, für die The Cars bekannt waren. Mit vielen seltsam tanzbaren Taktwechseln und verschmitzten Hooklines beweist die Band, dass sie weiterhin ein Gespür für unwiderstehliche Melodien hat – diesmal jedoch eingebettet in eine kantigere Klanglandschaft. Der eigenwillige Einsatz von Gitarren und Synths schafft eine außergewöhnliche Ausgewogenheit zwischen schneidender Härte und polierter Eleganz. Auf diesem Werk war die Band besonders mutig, ging erhebliche Risiken ein und löste sich von ihrem bewährten Erfolgsrezept; zu unkonventionell, zu unnahbar – für viele Fans damals eher ein Stolperstein, für mich jedoch ganz klar das beste und ambitionierteste Album der ohnehin überragenden ersten drei Meisterwerke der Band.

Freitag, 13. Juni 2025

Tiamat - A Deeper Kind Of Slumber


Auf "A Deeper Kind Of Slumber" werden Melancholie und Schmerz in einem für das Jahr 1997 einzigartigen, düster-atmosphärischen Sounddesign verwoben und zu einem faszinierenden, hypnotischen musikalischen Traum in Form gegossen. Tiamat brachen hier radikal mit ihrem bisherigen Sound und überforderten ihre Fans mit diesem direkten Nachfolger ihres Klassikers "Wildhoney", das jeden Ansatz von "Sturm aus Riffs" erst gar nicht zulässt - so sehr, dass es bis heute für mich das beste Werk ihrer Karriere darstellt.
Der Wechsel im Sound der Band, allein und "egoistisch" getrieben von der kreativen Vision Johan Edlunds, ist sofort hörbar. Während "Wildhoney" noch auf dichte Gitarrenwände und epische Melodien setzte, öffnet "A Deeper Kind Of Slumber" die Tür zu einer für die damalige Zeit in diesem Genre ungewohnten psychedelischen Dimension. Massive elektronische Elemente, Trip-Hop-Anklänge und tribalartige Percussions treffen hier auf sehr sparsame Gitarrenarbeit und atmosphärische Keyboards. Songs wie "Cold Seed" oder das betörend schöne "Atlantis as a Lover" zeigen Tiamat in einer Phase vollendeter experimenteller Reife.
Johan Edlunds Stimme steht im Zentrum des Albums - zurückhaltend, aber voller emotionaler Kraft. Sein Gesang schwebt zwischen erzählendem Flüstern und melancholischer Klage. Edlund erzählt Geschichten, die sich zwischen Themen wie Verlust, existenzieller Einsamkeit und einem Hauch esoterischer Mystik bewegen, was perfekt zur traumhaften Atmosphäre passt. Die Produktion auf "A Deeper Kind Of Slumber" ist makellos (auch wenn dezent die typische 90er Century Media-"Ästhetik" erkennbar ist) und fängt jede Nuance ein - sei es das warme Summen der Basslinien oder die sphärischen Synthesizer-Arrangements, die wie ein sanfter Nebel durch die Songs ziehen.
"A Deeper Kind Of Slumber" stellt für Tiamat nicht nur einen musikalischen Wendepunkt dar, sondern auch einen emotionalen. Das Album beeindruckt zu keiner Sekunde durch Gewalt oder Dramatik - jedes dieser Elemente wurde penibel von Edlund während des Entstehungsprozesses verbannt -, sondern durch seine zerbrechliche Schönheit und seinen Mut zur Verletzlichkeit. Es ist eine intime, fast meditative Hörerfahrung, die 1997 so weit vom Verständnis und den Erwartungen der Fans entfernt war, dass seine vollständige Genialität erst durch eine intensive Auseinandersetzung greifbar wird. Es ist bis heute ein Wunder, dass die Band diese künstlerische Ausfahrt tatsächlich "überlebt" hat.

Montag, 9. Juni 2025

Scorpions - Taken By Force


"Taken By Force" markierte das Ende einer Ära für die Scorpions und den Beginn einer neuen Dynamik. Dieses fünfte Studioalbum ist nicht nur das letzte Werk mit Uli Jon Roth, sondern auch ein entscheidender Wendepunkt in der Entwicklung der Band, die sich von einer progressiven, experimentierfreudigen Rockgruppe zu den stadionfüllenden Hardrock-Giganten wandelte, die sie in den Achtzigern werden sollten. "Taken By Force" präsentiert einen bemerkenswert ausgewogenen Mix aus den psychedelisch angehauchten Klängen früherer Jahre und einem härteren, zugänglicheren Sound, der bereits den Weg für die kommenden Alben ebnete.
Dieter Dierks war erneut für eine sagenhaft kraftvolle und fokussierte Produktion verantwortlich, die dem Album eine unglaubliche Energie verlieh. Die Band zeigt sich von ihrer kraftvollen, riffgetriebenen Seite, dominiert von Uli Jon Roths himmlischer Gitarrenarbeit und Klaus Meines Gesang. Roth ist auf diesem Album eindeutig der Star. Seine unvergleichliche Gitarrentechnik kommt hier zur vollen Entfaltung; orientalisch inspirierte Gitarrenlinien demonstrieren sein einzigartiges Talent und seine Fähigkeit, Virtuosität und Emotion zu vereinen.
"Taken By Force" ist ein faszinierendes Album, das mich mit seiner Mischung aus Härte, Melodie und Experimentierfreude bis heute begeistert. Es zeigt die Scorpions auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität, bevor der Mainstream und der Ruhm sie in eine andere Richtung lenkten. Mit diesem Album verabschiedete sich die Band endgültig von ihrer progressiven Vergangenheit und lieferte bereits einen Ausblick auf ihre stadionfüllende Zukunft.

Samstag, 7. Juni 2025

Autopsy - Mental Funeral


Die ersten beiden Alben waren in meiner verlotterten Jugend essenziell und prägend für meine Wahrnehmung von Death Metal und wie er für mich zu klingen hat. 1991 lieferte Chris Reifert mit seinem morbiden Heer und "Mental Funeral" den Grundstein für klaustrophobischen, grotesken und authentisch beängstigenden Death Metal. Die Band entwickelte mit diesem noch relativ neuartigen Sound ihr unverkennbares Klangdesign, das von unbändiger, doomiger Schwere geprägt ist, aber auch plötzliche, nervenaufreibende Ausbrüche enthält.
Während dieser goldenen Ära des Death Metal waren die meisten Bands auf Geschwindigkeit getrimmt, doch Reifert nahm sich in aller verwesenden Ruhe die Zeit, sich mit einer verschlammten Klobürste im Studio die Zähne zu putzen und durch einen Jauchesud aus getrocknetem Eiter, porösen Gedärmen, madenzerfressenen Innereien und verspritzten Fäkalien zu schlürfen. Sein gleichermaßen roher wie natürlicher Drumsound und sein einzigartiger Gesang, der wie das Gurgeln eines gerade erwachten Toten im fortgeschrittenen Verwesungszustand klingt, sind bis heute ein Unikum in diesem Genre.
Dazu gesellt sich abscheuliches Riffing, das zwischen groteskem Wahnsinn und erdrückender Monotonie dahinsiecht, sowie Steve Cutlers wunderbar polterndes Basswummern. Besonders die psychotischen Lead-Gitarren, die durch das gesamte Album wimmern, tragen zum bizarren, halluzinogenen Temperament bei. Ein sumpfiges Loch aus Verfall mit all seiner Lobpreisung auf den Tod in seiner ekelerregendsten Form - und für mich eindeutig das vielleicht verdorbenste Meisterwerk in der Geschichte des Death Metal.

Dienstag, 3. Juni 2025

Warlord - ...And the Cannons of Destruction Have Begun


Warlord haben mit diesem unglaublichen Werk nicht nur eines der drei besten US Metal-Alben aller Zeiten geschaffen, sondern auch das ultimative Epic Metal-Meisterwerk. Der einzigartige Gesang, das filigrane und technische Hochleistungs-Schlagzeugspiel, der pumpende Basssound und der spezielle Gitarrensound vereinen sich zu einem mystischen Klangbild, das bis heute einzigartig ist.
Warlord verlagerten wie keine andere stahlgeprägte Band in den Achtzigern den Schwerpunkt so extrem auf Melodien und setzen so geschmackvoll und subtil Keyboards ein. Das Gespür für melodisches und harmoniegesegnetes Songwriting von William Tsamis sucht immer noch seinesgleichen. Das technisch brillante, aber wie von Zauberhand spürbar unaufdringliche und trotzdem dominante sowie extrem groovetighte Drumming von Mark Zonder ist der blanke Wahnsinn. Ich habe das Album in meinem Leben bestimmt schon hunderte Male gehört, und jedes Mal fällt mir auf, wie abwechslungsreich, songorientiert, kreativ, bewundernswert, locker, immer zu 101% passend und treibend Zonder grandios den Sound dirigiert.
Und diese abartigen Gesangsmelodien, der Sound, die Basslinien, die hohe Kunst, keinen einzigen Stinker auf dem Album zu haben, Drive, Atmosphäre ... hach, einfach das Aushängeschild für (epischen) US Metal und insgeheim mein absolutes Lieblingsalbum aus diesem Genre. Gilt übrigens auch für die gottgleiche EP, die tatsächlich an manchen Tagen noch besser ist.
US-Metal beginnt mit 'Lucifer's Hammer' und endet mit 'Deliver Us From Evil' - das Beste, was jemals unter dem Banner US Metal veröffentlicht wurde.

Montag, 2. Juni 2025

PJ Harvey – Stories From The City, Stories From The Sea

PJ Harvey hat mit "Stories From The City, Stories From The Sea" im Jahr 2000 ein Album erschaffen, das so lebendig, kraftvoll, unmittelbar und stellenweise großspurig, zugleich aber intim und verletzlich ist, dass es mich jedes Mal aufs Neue in sich hineinsaugt. Keine verkopfte Konzeptkunst, kein überproduzierter Popentwurf, ein Album, das wie ein Körper atmet. Und das seit dem Jahr 2000 konsequent nicht altert. Ein Zuhause für Unruhe, Begehren und Schönheit; ein Brennglas der eigenen inneren Zustände. Es verliert nie an Bedeutung und bleibt als Album meiner unverrückbaren Lieblingsmusikerin stets relevant, lebendig in jeder Note, mit dem tiefen Nachklang von Gedanken.

"Stories From The City, Stories From The Sea" fängt die Energie einer lebendigen Metropole ein und reflektiert zugleich die Stille und Weite des Meeres, ein Spannungsfeld zwischen der Gier nach Nähe und dem Drang zu verschwinden, das Harvey meisterhaft nutzt, um ihre tiefsten Emotionen und Gedanken zu erkunden. Ein Tagebuch in Flammen, das zugleich heilt und zerfrisst, und jede Note klingt wie eine Entscheidung.

Schon in der ersten Sekunde zeigt sich: "Stories From The City, Stories From The Sea" ist ein kraftvoller Ausdruck von Harveys künstlerischer Vision. Der Opener 'Big Exit' explodiert förmlich vor Energie mit seiner unvergesslichen Gitarrenlinie, die auf den vor Selbstbewusstsein strotzenden, energiegeladenen Gesang von PJ Harvey trifft, ihre Stimme drückt sich durch den Mix, schneidend, direkt, verzweifelt kontrolliert. Ein knarzender Gitarrenteppich, darunter pocht der Puls der Stadt, und PJ klingt, als wolle sie die Welt gleichzeitig umarmen und zerreißen.

Die donnernden Gitarren und Harveys markante Stimme transportieren eine brisante Entschlossenheit, die von einem tief verwurzelten Gefühl innerer Unruhe und Zwang getrieben wird. Hier offenbart sich eine neue Direktheit in Harveys Entwicklung, sie singt mit einer Intensität, die keine Kompromisse kennt, und wechselt mühelos zwischen kraftvollen Rockmomenten und fragilen Passagen. Hier wird nicht um Erlaubnis gefragt. Hier wird sich Raum genommen.

Das Album fängt den Geist einer Künstlerin ein, die sich in einer neuen Phase ihres Schaffens befindet. Während ihre früheren Werke oft von dunkler, ungeschliffener Energie geprägt waren – nach Keller, Chaos und offenen Nerven klangen –, zeigt sich Harvey hier zugänglicher, ohne Tiefe einzubüßen. Sie steht nicht mehr in dunklen Ecken und flüstert kryptische Albträume; sie steht im grellen Licht der Großstadt und schreit mit erhobenem Kopf.

'The Whores Hustle and the Hustlers Whore' erinnert in seiner Direktheit und Härte an die kantigen Momente ihrer frühen Alben. Die Texte sind durchdringend, bissig, voller kalter Wahrheiten, doch nie zynisch. Keine Parolen, sondern Nadeln, die unterschiedlich tief stechen. Harveys Gesang klagt an, kratzt, spuckt, zwingt zum Zuhören, und bleibt dennoch durchdrungen von Empathie. Ein Spiegelbild menschlicher Komplexität, gefangen zwischen Verlangen und Verzweiflung. Sie singt nicht über Menschen; sie singt als Mensch, mittendrin im Lärm, ohne Urteil, ohne Lösung. 'You Said Something' bietet einen der schönsten, berührendsten Momente des Albums. Harvey destilliert darin die Essenz einer flüchtigen, aber tiefgreifenden Verbindung zu einer bleibenden Erinnerung. Die Leichtigkeit des Arrangements kontrastiert elegant mit der emotionalen Tiefe des Textes.

"Stories From The City, Stories From The Sea" ist jedoch keine bloße Sammlung von Liebesliedern oder Stadtansichten. 'This Is Love' ist eine Hymne an die rohe, unverblümte Kraft des Verlangens, eine Verdichtung animalischer Intensität, die mit treibendem Rhythmus wie eine Feier der Leidenschaft wirkt. Ein knapp vierminütiger Abriss all dessen, was man sich selbst nicht eingesteht. Harvey zeigt sich selbstbewusst, entschlossen, gleichzeitig rotzig, direkt, schamlos, und bewahrt dennoch jene Verletzlichkeit, die ihre Musik so faszinierend macht. Keine zerzauste Liebesballade, sondern das, was passiert, wenn Lust auf die Straße rennt. "I can't believe life's so complex / When I just want to sit here and watch you undress" – zwei Akkorde, ein flammender Blick, keine falsche Romantik. Ein triumphaler "Sex"-Sturm, der selbstbewusst durchs Zimmer fegt, mit Zähnen und Schlagseite.

Die Produktion des Albums, die von Rob Ellis und Mick Harvey mitgestaltet wurde, trägt wesentlich zur eindringlichen Wirkung von "Stories From The City, Stories From The Sea" bei. Der Sound ist klar, minimalistisch, kein Ton zu viel, keine Deko, nie diffus. Harveys Stimme – fordernd, verletzlich, ungeschönt – steht im Zentrum, umrahmt von kraftvollen, luftigen Instrumenten. Alles hat Platz, alles darf atmen. Es ist unheimlich, wie sehr sich das Album anfühlt, als hätte der Toningenieur einfach ein Aufnahmegerät in Harveys Brust gesteckt. Diese Klarheit betont die thematische Polarität des Albums und erzeugt eine magnetische Spannung zwischen präzisem Arrangement und emotionaler Komplexität.
Harvey navigiert auf dem Album souverän zwischen urbaner Hektik und maritimer Ruhe, zwischen Leidenschaft und Reflexion. 

"Stories From The City, Stories From The Sea" zählt zweifellos zu den herausragendsten Alben ihrer Karriere, irgendwo zwischen Hochhausdach und Ozean, mit flackerndem Herzen und Salz auf der Zunge. Harvey zeigt hier ihre emotionale Tiefe und künstlerische Vision in voller Blüte - sie war nie klarer, nie direkter, nie fesselnder.