Vor genau drei Jahrzehnten öffnete sich ein Spalt in der Erde, nicht mit Lärm, sondern mit einem Zucken, einem tiefen Dröhnen aus Gitarre, Orgel und gespenstischer Stimme. Es war der 27. Februar 1995, als PJ Harvey mit "To Bring You My Love" eine neue Ikone gebar: eine Gestalt zwischen Dämonin, Göttin und Erzählerin aus dem Niemandsland der Gefühle.
Die Gitarren wurden tiefer, das Storytelling düsterer, das Begehren biblisch. Inmitten von Trip-Hop, Post-Grunge und britischer Coolness trat sie auf wie eine schwarze Madonna im roten Kleid, zitternd vor Inbrunst, die Zähne gefletscht vor Liebe. Ihre Präsenz war zugleich Herausforderung und Warnung, eingehüllt in eine verstörende, betörende Ästhetik. Sie war der Inbegriff gefährlicher Schönheit; eine Sirene, die nicht bloß verführte, sondern auch in die Abgründe des Menschseins lockte.
Dreißig Jahre ist dieses Meisterwerk nun alt, und es hat nichts verloren von seiner Schärfe, seiner Gefahr, seiner Schönheit. Das Werk hat sich in den 2010er Jahren wie ein küssender Fluch für immer in meinen Blutkreislauf eingenistet.
Grund genug für mich, das meiner bescheuerten Meinung nach großartigste und zwingendste PJ Harvey-Album in Worten zu verehren und mich demütig vor dieser Künstlerin zu verbeugen.
Grund genug für mich, das meiner bescheuerten Meinung nach großartigste und zwingendste PJ Harvey-Album in Worten zu verehren und mich demütig vor dieser Künstlerin zu verbeugen.
Ein paar knochige, unhöfliche Akkorde, fast schon beiläufig angeschlagen und staubig gezupft, sie tragen etwas Unausweichliches in sich; ein dunkles Versprechen liegt darin, ein Flüstern, ein Flirren. Dann: diese Melodie. Diese verrottete, wie in Zeitlupe ausgegrabene Gitarre. Noch bevor man begreift, wie einem geschieht, ätzt sich das Eröffnungsriff des Titelsongs wie ein Markenzeichen durch die Gehörgänge. Dahinter fackelt langsam die Orgel aus dem Nebel. Die Nervenenden ziehen sich zusammen, und dann setzt ihre Stimme ein: "I was born in the desert, I been down for years, Jesus come closer, I think my time is near."
Die Stimme wird schärfer, härter, kräftiger mit jedem Vers. Kein Entkommen, keine Gnade. Die Musik duckt sich unter die Worte und hebt sie hoch wie ein Podest aus Lava und Staub. Die Arrangements sind präzise wie ein Skalpell. Doch alles zentriert sich um den Gesang, der in diesen Momenten nichts weniger ist als eine Naturgewalt. Eine dunkle, fieberhafte Mischung aus Wut, Flehen und Weissagung, die einem kalt über den Rücken läuft und die Luft aus der Lunge presst. Und man glaubt ihr jedes einzelne Wort. In diesen ersten Minuten spannt PJ Harvey ein ganzes Universum auf; eine düstere Welt, in der die Grenze zwischen Sinnlichkeit und Wahnsinn kaum noch zu ziehen ist, weniger Exorzismus, mehr Verführung. Eine Verführerin am Rand des Abgrunds.
"To Bring You My Love" erschien 1995, offiziell ihr drittes Album, in Wahrheit jedoch ein Neuanfang. Alles war plötzlich anders: die klangliche Sprache, die Produktionshandschrift, die künstlerische Ausrichtung. PJ Harvey hatte sich aus dem rauen Korsett des Trios befreit und war zu einer Figur geworden, größer als das Bandkonstrukt; ein mythisches Wesen in ihrer eigenen Welt.
Mit "To Bring You My Love" hat sich PJ Harvey neu erfunden, nicht nur musikalisch, sondern auch ikonografisch. Sie wurde zur Erzählfigur, zur Erzählerin, und was für eine. Sie führt durch verdreckte Hotelzimmer, durch düstere Gassen, flackernde Nachtclubs, durch Sümpfe und über karge Ebenen. Und immer wieder ans Wasser; das große Motiv ihrer Kunst: still stehende Seen, schwarze Ströme, blutgetränkte Ufer. Wo die Toten liegen. Wo die Stimmen flüstern. Wo Geschichten warten, von Liebe, von Tod, von Wahnsinn und Anmut, von dem, was Menschen zu Göttern oder Monstern macht.
Personell hat sich viel verschoben: PJ Harvey war früher ein Bandname. Seit diesem Album ist es der Name einer Solokünstlerin, einer Figur mit magnetischer Anziehungskraft. Die Songs sind vielfältiger geworden; ja, auch sanfter, aber nicht harmloser. Die Wut, die Obsession, das Wilde – sie sind nicht verschwunden. Sie wurden umgeformt; weniger Explosion, mehr Gärung. 'Send His Love to Me' bringt all die Verzweiflung und das Sehnen früherer Songs zurück, diesmal jedoch nicht in Schmutz und Schrei, sondern mit akustischer Gitarre, zerbrechlichem Streichersatz und einer Stimme, die über sich hinauswächst.
Statt Steve Albini saßen nun Flood an den Reglern, John Parish als alter Vertrauter und Polly Jean selbst, die erstmals entschlossen das Ruder mit in die Hand nahm. Der rohe, flackernde Garagensound von "Rid of Me" wich einem düsteren, sinnlichen Klangraum. Die Produktion betont die Stimme, das theatrale Moment, die ständige Präsenz dieser Figur, die Harvey in ihren Songs entwirft. Mal ist sie die anstößige Sirene, dann wieder die Besessene, halb Hexe, halb Kind, oder die zynische Prophetin mit der Flasche in der Hand.
Songs wie 'Down by the Water' ziehen sich ein elektrisches, dröhnendes Kleid an; basslastig und körperlich spürbar. Bei 'I Think I'm a Mother' kriecht der Sound aus den Ritzen eines blechernen Sargdeckels direkt ins Ohr: Rasseln, Schatten, Stimmen aus der Tiefe. Es brodelt, es flimmert; unheimlich, hypnotisch, kunstvoll.
Aber da ist auch die Lautstärke, der Krach: 'Meet Ze Monsta' dröhnt, zerrt, zuckt elektrisch. 'Long Snake Moan' klingt nach Hitzeflimmern, aufgeplatzten Lippen, endlosen Straßen unter glühender Sonne. Die Gitarre röhrt wie ein Dämon, während PJ Harvey dem Hörer entgegenschleudert: "It's my voodoo working". Hier darf es noch einmal kreischen, röhren, schnauben wie zu alten Tagen. Doch selbst dieser Krach wirkt jetzt kontrollierter, massiver, schwerer; sexy und gefährlich zugleich.
Und dann kommt die wunderschöne Traurigkeit von 'C'mon Billy'. Der finstere Geschmack von 'The Dancer'. Der Abgrundblues von 'Teclo'. Hier brennt eine neue Art von Feuer; nicht mehr offenes Inferno, sondern glühende Glut unter der Oberfläche.
"To Bring You My Love" ist ein neuer Charakter, ein neuer Körper, eine neue Sprache und offenbart so viele Details wie kein anderes Album in Harveys grandioser Diskografie. Dieses Album ist ein Aufschrei, eine Verwandlung, eine Selbsteinsetzung zur Mythenfigur. Für mich ist es nicht einfach nur gut; es ist notwendig. Vom ersten Ohrgasmus in 'To Bring You My Love' bis zum letzten Tropfen bei 'The Dancer' bietet es vollkommene Songs, eine radikale Atmosphäre und eine Stimme, die in ihrer Vielseitigkeit, Tiefe und erschütternden Schönheit einfach unübertrefflich ist.
Und es ist das unvermeidliche Album, das am eindrücklichsten verstehen lässt, was für eine Ausnahmegestalt, wie kompromisslos, wie visionär, wie elementar diese Musikerin ist. PJ Harvey ist nicht irgendeine Sängerin und Musikerin. Sie ist – Punkt.
Dienstag, 29. Juli 2025
PJ Harvey - To Bring You My Love
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