Freitag, 12. Dezember 2025
Sonic Youth - Goo
Mitten im wilden Getöse des Alternative Rock der frühen 90er erhob sich "Goo" wie ein lauter, widerspenstiger, rebellischer Riese, und trotzdem war dieses Album plötzlich irgendwie eingängig. Das Vorgängermonster hatte es bereits angedeutet. Das legendäre Noise-Kollektiv aus New York um Thurston Moore und Kim Gordon schoss sich mit diesem Major-Debüt aus dem Underground in den Mainstream, ohne auch nur einen Moment seine künstlerische Kompromisslosigkeit zu verlieren.
Vor "Goo" war Sonic Youth schon lange kein Geheimtipp mehr, aber hier gelingt ihnen ein echter Drahtseilakt: Sie nehmen die krachige Essenz des No Wave und pressen sie in ein Format, das charttauglich ist, zumindest auf ihre eigene, verdrehte Art. Statt aufzugeben, was sie besonders macht, nutzen sie ihre neue Plattform, um zu zeigen, dass man auch mit Feedback-Schleifen und verzerrten Gitarren großartige, berührende Geschichten erzählen kann.
Die Entwicklung bis zu diesem Punkt war konsequent, von radikalem Krach zu kontrollierter Anarchie. "Goo" zeigt eine Band, die sich nicht zwischen Dissonanz und Melodie entscheiden will. Der Opener 'Dirty Boots' bringt das perfekt auf den Punkt: Da sind diese sich umeinander windenden Gitarren von Moore und Ranaldo, ein verwaschener Akkord, ein schepperndes Riff, schräg und nicht ganz bei Trost. Es zischt, kratzt, und es werden auf rostigen Drähten Melodien erzwungen, die eigentlich nicht existieren sollten; ein einladender, maschinell-unnachgiebiger Tanzbeat, kein Groove, kein Swing, nur Vorwärtsdrang.
Verglichen mit dem monumentalen Vorgänger "Daydream Nation" wirkt "Goo" fokussierter, verdichteter. Eine Entgleisung; ein greller Sprung aus der Post Punk-Kälte hinein in eine lärmende, neonhelle Albtraumwelt, in der nichts glatt läuft. Sonic Youth werfen mit Gitarren um sich wie mit Brandgeschossen, und doch steckt hinter jeder dissonanten Wand, jedem fiependen Feedback, jedem scheinbar unkontrollierten Krach eine beängstigende Präzision. Hier ist nichts Zufall. Hier wird mit fanatischer Leidenschaft dekonstruiert, zerlegt und neu zusammengesetzt.
"Goo" ist zwar ihr Major-Debüt, aber es klingt, als würden sie das Label in gleichem Maße feiern und verhöhnen. Alles ist größer, lauter, klarer produziert, und dennoch bleibt die Musik widerständig und behält ihre urbane Coolness: schmutzig, arty, abweisend. Aber nie elitär. "Goo" ist keine Kehrtwende, kein Bruch, es ist eine Kristallisation. Hier wird klar, was Sonic Youth immer waren: Avantgarde mit Sexappeal. Feedback mit Seele. Eine Band, die den Lärm nicht als Stilmittel benutzt, sondern als Wahrheit. Thurston Moore und Lee Ranaldo zerren ihre Gitarren durch Dimensionen, in denen der Begriff "Akkord" jegliche Bedeutung verliert. Refrains, die sich weigern, Refrains zu sein.
Und trotzdem ist da Pop. Zwar zertrümmert, zerlegt, dekonstruiert, aber unverkennbar da. In der Struktur, in der Attitüde, im Mut zur Wiederholung. "Goo" ist nicht unzugänglich, es ist herausfordernd und besitzt Sounds, die wie Lichtblitze durch den Schädel zucken.
Das Album ist für mich auch irgendwie das "Kim Gordon-Album". Sie wird hier zur Leitfigur einer neuen Sprache. Ihre Stimme, eher ein tonloses Sprechen, völlig ohne Drama; halb Flüstern, halb Vorahnung, stets trocken, lasziv und messerscharf. Mal erzählt sie flüsternd aus einem Grab von Karen Carpenter. Dann wieder lässt sie sich auf ein Interview mit LL Cool J ein, als feministisches Statement in Lederjacke.
Am Ende steht man da – mit offenem Mund, zitternden Ohren – und hat etwas erlebt, das bleibt. Nicht als Melodie im Kopf, sondern als Störung im System. Als Bekenntnis. Zur Unordnung. Zum Lärm. Zur Schönheit des Unfertigen. "Goo" ist ihre schönste Belastungsstörung.
Montag, 8. Dezember 2025
Fields of the Nephilim - Elizium
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere veröffentlichten Fields of the Nephilim 1990 ihr Meisterwerk "Elizium": ein Werk voller düsterer Schönheit, hypnotischer Tiefgründigkeit und majestätischer Erhabenheit. "Elizium" schafft einen gewaltigen Klangraum, der wie ein zeitloses postnukleares Reich wirkt. Mit seinen Western-Szenarien und der Lovecraft-artigen Ästhetik verwischt es mühelos die Grenzen zwischen Gothic Rock, Darkwave und einem tiefgreifenden spirituellen Erlebnis. Der Einstieg in diese sinistren Untiefen ist von epischem Ausmaß und entführt in eine bedrohliche Welt aus hallenden Gitarren, atmosphärischen Synthesizern und Carl McCoys markanter, beschwörender Schamanen-Stimme, die aus den Tiefen eines vergessenen Tempels emporsteigt; gleichzeitig wird man von dem erdigen, natürlichen Sound in einem Atomschutzanzug umhüllt. Die Songs fließen mit atmosphärischer Intensität ineinander und bilden eine untrennbare, schwerfällige Karawane, die sich durch verstrahlte Wüstenlandschaften schiebt. Die Musik beschwört Bilder unendlicher Landschaften und okkulter Rituale, aufrechterhalten von intensiven Spannungsbögen und den sphärischen Melodien der Gitarren. Hier funktioniert kein einzelner Song ohne seinen Kontext – vielleicht noch der "schwächste" Moment auf dem Album, 'For Her Light', den man als "Hit" betrachten kann. Alles bildet ein zusammenhängendes Kunstwerk, das in dieser Dimension von der Band nie wieder so intensiv geschaffen wurde. "Elizium" ist ein klanglicher Pilgerweg in eine andere Dimension, die man heutzutage nicht mehr findet, und für mich die Verkörperung, der Inbegriff und das Leitbild des Gothic Rock; es ist das Werk, das maßgeblich verantwortlich für die hohe Geburtenrate des Genres in den Neunzigern war.
Mittwoch, 3. Dezember 2025
PJ Harvey - Rid of Me
Der Sturm, den PJ Harvey auf ihrem zweiten Album entfesselt, fegt unaufhörlich über einen hinweg und gleicht – milde ausgedrückt – einer Naturgewalt. Ein psychologisches Theater in Lo-Fi. Es ist der brutale, kompromisslose Zwilling ihres ohnehin schon ungeschönten Debüts "Dry". "Rid of Me" hält nichts zurück; es reißt alles aus einem heraus und gilt mit seinem einzigartigen Charme als eines der rohesten und intensivsten Alben der Rockgeschichte, eine Entblößung mit Schmirgelpapier. Die gerade mal 23-jährige Harvey zeigt sich hier als unbändige Kraft der Musik: wild, verletzlich, verführerisch und furchteinflößend. Und doch lässt dieses Album kaum erahnen, welche musikalischen Häutungen dieses Wesen noch vollziehen würde.
Die Produktion von Steve Albini verleiht dem Album einen unfassbar lebendigen, unmittelbaren Sound – jedes Gitarrenzupfen und jeder Schlag auf die Drums klingt, als stünde man im Studio direkt neben der Band. Alles, was nicht schreit oder weh tut, wird weggelassen. Für mich ist es das Album mit dem bestmöglichen Bandsound: Lärm, Brüche, Kanten und es schabt an den Nerven. "I'll make you lick my injuries", singt sie im Opener, und man spürt: Hier geht es um Macht. Um Begierde. Um Schmerz als Lust.
Songs wie 'Yuri-G', 'Me-Jane' oder 'Man-Size Sextet', das mit nervösen, sägenden Streichern direkt ins Nervensystem schneidet und es zerfasert zurücklässt, strotzen vor roher Energie, während '50ft Queenie' mit seiner punkigen Attitüde und frechen Arroganz unmissverständlich klarstellt, wer hier das Sagen hat. Diese Songs sind aus dem Fleisch geschnitten, um tief sitzende Gefühle wie Eifersucht, Verlangen, Rache oder Verzweiflung hervorzuzerren. Es gibt kein klassisches Songwriting; alles knarzt und stinkt nach unvollkommenem Dreck. Rohe, ungeschliffene Klänge dominieren und erzeugen eine bewusst unperfekte, schmutzige Ästhetik. Eine Art Notwehr, ein Versuch, das Unaussprechliche durch den Verstärker zu jagen.
Harveys Stimme wechselt ständig zwischen verletzlicher Intimität, unheilschwangerem Flüstern und animalischem Schreien; sie speit ihre Texte wie Peitschenhiebe ins Mikro, um auszutreiben. Die Musik ist eine wilde Explosion aus Kontrolle, weiblicher Wut und Selbstbestimmung, aus Kraft und Verletzlichkeit; überall lauert der rostige Splitter dieser ungezähmten Rachegöttin. Dieses Wahnsinnswerk hört man nicht einfach, sondern man durchlebt- und überlebt es.
Ein erbarmungsloses, krachend-fiebriges und unbequemes Stück Musikgeschichte aus der Blütezeit der Neunziger; das emotionalste, lauteste, hässlichste und direkteste Erdbeben mit der gewaltigsten Präsenz in Harveys Karriere.


