Mittwoch, 3. Dezember 2025

PJ Harvey - Rid of Me


Der Sturm, den PJ Harvey auf ihrem zweiten Album entfesselt, fegt unaufhörlich über einen hinweg und gleicht – milde ausgedrückt – einer Naturgewalt. Ein psychologisches Theater in Lo-Fi. Es ist der brutale, kompromisslose Zwilling ihres ohnehin schon ungeschönten Debüts "Dry". "Rid of Me" hält nichts zurück; es reißt alles aus einem heraus und gilt mit seinem einzigartigen Charme als eines der rohesten und intensivsten Alben der Rockgeschichte, eine Entblößung mit Schmirgelpapier. Die gerade mal 23-jährige Harvey zeigt sich hier als unbändige Kraft der Musik: wild, verletzlich, verführerisch und furchteinflößend. Und doch lässt dieses Album kaum erahnen, welche musikalischen Häutungen dieses Wesen noch vollziehen würde.
Die Produktion von Steve Albini verleiht dem Album einen unfassbar lebendigen, unmittelbaren Sound – jedes Gitarrenzupfen und jeder Schlag auf die Drums klingt, als stünde man im Studio direkt neben der Band. Alles, was nicht schreit oder weh tut, wird weggelassen. Für mich ist es das Album mit dem bestmöglichen Bandsound: Lärm, Brüche, Kanten und es schabt an den Nerven. "I'll make you lick my injuries", singt sie im Opener, und man spürt: Hier geht es um Macht. Um Begierde. Um Schmerz als Lust.
Songs wie 'Yuri-G', 'Me-Jane' oder 'Man-Size Sextet', das mit nervösen, sägenden Streichern direkt ins Nervensystem schneidet und es zerfasert zurücklässt, strotzen vor roher Energie, während '50ft Queenie' mit seiner punkigen Attitüde und frechen Arroganz unmissverständlich klarstellt, wer hier das Sagen hat. Diese Songs sind aus dem Fleisch geschnitten, um tief sitzende Gefühle wie Eifersucht, Verlangen, Rache oder Verzweiflung hervorzuzerren. Es gibt kein klassisches Songwriting; alles knarzt und stinkt nach unvollkommenem Dreck. Rohe, ungeschliffene Klänge dominieren und erzeugen eine bewusst unperfekte, schmutzige Ästhetik. Eine Art Notwehr, ein Versuch, das Unaussprechliche durch den Verstärker zu jagen.
Harveys Stimme wechselt ständig zwischen verletzlicher Intimität, unheilschwangerem Flüstern und animalischem Schreien; sie speit ihre Texte wie Peitschenhiebe ins Mikro, um auszutreiben. Die Musik ist eine wilde Explosion aus Kontrolle, weiblicher Wut und Selbstbestimmung, aus Kraft und Verletzlichkeit; überall lauert der rostige Splitter dieser ungezähmten Rachegöttin. Dieses Wahnsinnswerk hört man nicht einfach, sondern man durchlebt- und überlebt es.
Ein erbarmungsloses, krachend-fiebriges und unbequemes Stück Musikgeschichte aus der Blütezeit der Neunziger; das emotionalste, lauteste, hässlichste und direkteste Erdbeben mit der gewaltigsten Präsenz in Harveys Karriere.

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