Mit „So“ lieferte Peter Gabriel 1986 ein Werk ab, das sich nicht nur tief in die Pop-Geschichte der 80er Jahre eingegraben hat, sondern die Grenzen dieses Genres sprengte und bewies, dass Popmusik weitaus mehr sein kann als bloße Unterhaltung. Gabriel, der sich in den 70ern als Frontmann von Genesis als Vorreiter des Art-Rocks einen Namen machte, transformierte mit seinem Solo-Schaffen die musikalische Landschaft immer wieder aufs Neue – und mit „So“ gelang ihm der Spagat zwischen Komplexität und Eingängigkeit in einer Art und Weise, die bis heute bewundernswert ist.
Bereits der fantastische Opener ‚Red Rain‘ entfaltet eine bildgewaltige Atmosphäre. Der Song wächst zu einem emotionalen Sturm heran, der den Hörer auf eine düstere, aber hoffnungsvolle Reise mitnimmt. Es ist die Art von musikalischer Dichte und Komplexität, die Gabriel mit jedem Album perfektionierte, hier jedoch mit einer Brillanz, die den Zeitgeist der 80er einfängt und gleichzeitig darüber hinausblickt. Die Gastmusiker auf „So“ sind erstklassig und fügen der ohnehin schon meisterhaften Produktion weitere Schichten hinzu. Dennoch ist es Gabriels unverwechselbare Stimme, die wie ein Anker durch das Album führt – voller Emotion, oft zurückhaltend, aber stets eindringlich.
Es folgt der größte Hit des Albums – und vermutlich der gesamten Karriere von Gabriel: ‚Sledgehammer‘. Ein Song, der mit seiner funkigen, souligen Struktur und dem unvergesslichen Bläsereinsatz sofort ins Ohr geht. „So“ hat hier nicht nur musikalisch Geschichte geschrieben, sondern auch visuell: Das bahnbrechende Video zu ‚Sledgehammer‘ revolutionierte die Ästhetik von Musikvideos und schuf Bilder, die sich unauslöschlich in das kollektive Gedächtnis eingeprägt haben. Der Song mag ein Ohrwurm sein, aber er ist weit davon entfernt, oberflächlich zu sein – es ist diese perfekte Balance aus Komplexität und Zugänglichkeit, die Gabriel meisterhaft beherrscht. Besonders hervorzuheben ist Tony Levins denkwürdige Basslinie.
Mit ‚Don’t Give Up‘ betritt das Album emotionale Tiefen, die geradezu unergründlich erscheinen. Kate Bush und Peter Gabriel liefern sich ein Duett, das so schön und melancholisch zugleich ist, dass es den Hörer unvermittelt in seine eigene emotionale Welt zurückwirft. Bushs ätherische Stimme, die sich mit Gabriels warmer, brüchiger Stimme verbindet, erschafft einen Song, der Trost und Schmerz zugleich transportiert – eine Hymne für alle, die sich in schwierigen Zeiten verloren fühlen, aber die Hoffnung dennoch nicht aufgeben wollen.
‚That Voice Again‘ und ‚In Your Eyes‘ zeigen Gabriels Gespür für Art-Pop in Reinform: Schöne Harmonien, intelligente Melodien und eine Finesse im Songwriting, die auch heute noch beeindruckt. Besonders ‚In Your Eyes‘ – ein Song, der durch seine tiefgreifende Emotionalität und universelle Botschaft besticht – hat sich seinen Platz in der Popkultur verdient.
Das eigentliche Herzstück des Albums ist das düstere und gleichzeitig von hypnotischer Schönheit geprägte ‚Mercy Street‘. Gabriel zeigt hier, warum er einer der größten Geschichtenerzähler der Musik ist – nicht nur durch seine großartige stimmliche Performance, sondern durch die Art, wie er Stimmungen und Gefühle einfängt. Die sparsame Instrumentierung, die subtile Produktion und Gabriels Flüstern ziehen den Hörer in einen unvermeidlichen Sog. Gabriel malt mit seiner Stimme Bilder, die jenseits des Greifbaren liegen.
Mit ‚Big Time‘ kehrt die Energie von ‚Sledgehammer‘ zurück – ein funkiger, treibender Track, der die Leichtigkeit und das Selbstbewusstsein der 80er perfekt verkörpert. Mit ‚We Do What We’re Told (Milgram’s 37)‘ liefert Gabriel den wohl rätselhaftesten Song des Albums ab. Ein hypnotisches, fast psychedelisches Stück, das mit dem restlichen Album musikalisch bricht und Gabriels experimentelle Seite offenbart – ein mutiger Schritt, der dem Album noch mehr Tiefe verleiht.
Peter Gabriel hat mit „So“ bewiesen, dass Popmusik nicht trivial sein muss. In einer Ära, in der viele Bands auf Plastikproduktionen und Oberflächlichkeiten setzten, schuf er ein Album, das anspruchsvoll und zugänglich zugleich war – intelligent, emotional und visionär. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass ohne „So“ die 80er Jahre ein Stück ärmer gewesen wären. Und auch heute klingt dieses Album noch frisch, relevant und zutiefst berührend.
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