Nach einer elfjährigen kreativen Pause meldeten sich Portishead 2008 mit „Third“ zurück - ein Album, das (etwas später) wie ein seismisches Ereignis meine musikalische Landschaft erschütterte. Die Bristol-Formation, einst Pioniere des Trip-Hop, hatte sich von den sanften, melancholischen Klanglandschaften ihrer früheren Werke weit entfernt und präsentierte sich in einer Form, die gleichermaßen verstörend wie faszinierend wirkte. Die Entwicklung von Portishead bis zu diesem Punkt war geprägt von einer stetigen Suche nach dem Unerhörten, dem Unbehaglichen, dem Unerwarteten. „Third“ markiert dabei nicht nur eine Weiterentwicklung, sondern einen radikalen Bruch - sowohl mit den Erwartungen der Fans als auch mit den eigenen musikalischen Konventionen. Es ist, als hätte die Band die DNA ihrer Musik dekonstruiert und in einer düsteren Zukunftsvision neu zusammengesetzt.
Das Album zieht einen in einen Strudel aus dunklen, pulsierenden Beats und einer schier greifbaren, emotionalen Intensität. Es ist ein Werk, das kalte Mechanik und rohe Emotionen miteinander verwebt und dabei eine Atmosphäre der Zerrissenheit und Isolation erschafft. „Third“ taucht tiefer in eine düstere, industrielle Welt ein, in der jeder Beat wie das Echo eines leeren Raumes klingt und jeder Ton ein Schrei in die Stille ist. Es vermittelt in seiner Trostlosigkeit und Fragilität ein seltsames Gefühl von Nähe und Verständnis.
Schon mit den ersten Klängen macht „Third“ klar, dass hier keine Wärme zu finden ist. Es ist ein Album, das wie ein kühler, mechanischer Puls in einer sterilen, menschenleeren Umgebung wirkt - eine Landschaft aus Stahl und Beton, die von der düsteren Schönheit des Minimalismus lebt. Und doch ist es gerade diese kalte, graue Umgebung, die die zerbrechliche Stimme von Beth Gibbons in den Mittelpunkt rückt. Ihr Gesang schwebt über den klaustrophobischen Beats und den harschen, industriellen Klängen wie eine verlorene Seele, die versucht, in einer Welt zu überleben, die keinen Platz für sie hat. Gibbons' Stimme wirkt auf „Third“ fast zerbrechlicher als je zuvor - ein Hauch von Menschlichkeit inmitten einer trostlosen Maschine. Die rohe Emotionalität, die Beth Gibbons in ihrer Stimme trägt, trifft einen mitten ins Herz, und es gibt Momente, in denen man fast den Atem anhält, weil die Musik so erdrückend, so intensiv ist. Welche Präsenz diese Frau auf diesem Album hat, ist unfassbar. Sie singt nicht einfach nur, sie durchlebt jeden einzelnen Ton, jedes Wort, als würde sie einen Schmerz hinausschreien, den sie tief in sich trägt. Ihre Darbietung auf „Third“ ist eine verletzliche und gleichzeitig unbezwingbare Kraft, die einen packt und in eine Spirale aus Melancholie und existenziellen Ängsten zieht.
Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie „Third“ mit Erwartungen und Genrekonventionen spielt. ‚We Carry On‘ ist ein industrieller Moloch, der mit seiner hypnotischen Monotonie an Krautrock-Experimente erinnert und gleichzeitig eine fast physisch spürbare Beklemmung erzeugt. Hier dominieren fieberhafte Beats und ein treibender, fast martialischer Rhythmus. Der Song trägt einen psychotischen Grundtenor in sich - es ist, als würde man durch ein verlassenes Fabrikgelände streifen, während am Horizont atomare Wolken aufsteigen.
Im Gegensatz dazu steht ‚The Rip‘ - ein Song, der zunächst wie eine zarte Folkballade beginnt, nur um sich dann in eine sphärische Synthesizer-Odyssee zu verwandeln - eine schwindelerregende, fast surrealistische Flucht vor der Realität. ‚The Rip‘ ist ein Song, der sich gleichzeitig schwerelos und unerträglich erdrückend anfühlt, als ob man in einer leeren, endlosen Weite verloren geht. Die Melodie schwebt wie ein Hauch durch den Raum, zart und doch mit einer kaum greifbaren Tiefe versehen. Es ist dieser Kontrast zwischen dem Intimen und dem Kosmischen, dem Handgemachten und dem Elektronischen, der „Third“ zu einem so fesselnden Hörerlebnis macht.
Und dann ist da ‚Machine Gun‘. Kein anderer Song auf „Third“ verkörpert die düstere Kälte des Albums so sehr wie dieser. Mit einem grausam pulsierenden Beat, der wie das repetitive Feuer einer Maschinenpistole klingt, baut der Track eine nahezu unerträgliche Spannung auf. Die Synthesizer heulen im Hintergrund, als ob sich eine unheilvolle Gefahr nähert, während Gibbons' Stimme wie ein einsames, verzweifeltes Echo durch die trostlose Klanglandschaft hallt. Und doch strahlt ihre Stimme inmitten dieses musikalischen Schlachtfelds eine unglaubliche Kraft aus. ‚Machine Gun‘ ist laut, düster, erschütternd - ein Song, der keine Gnade kennt und einen in eine düstere Welt voller Lärm und Schmerz zieht. Es ist das Herzstück des Albums, ein Manifest der Verzweiflung, das den emotionalen Tiefpunkt markiert und dennoch eine unheimliche Faszination ausübt. Es ist diese Unmittelbarkeit, die „Third“ so einzigartig macht - es gibt keine Distanz zwischen der Musik und dem Hörer, man ist unmittelbar Teil dieser düsteren Klangwelt.
Die gesamte Produktion des Albums ist ein Meisterwerk der Klangarchitektur. Jeder Song ist wie ein eigenes Mikrouniversum, in dem Geräusche und Melodien in unerwarteten Konstellationen aufeinanderprallen. Jeder Ton, jede Stille ist perfekt platziert, um eine maximale emotionale Wirkung zu erzielen. ‚Magic Doors‘ beispielsweise integriert ein verstörendes Saxophon-Motiv in eine Struktur aus stolpernden Beats und dissonanten Synthesizerlinien. Im Vergleich zu früheren Alben wie „Dummy“ oder „Portishead“ zeigt sich auf „Third“ eine fast aggressive Experimentierfreudigkeit. Die Band scheint jede Erwartung, jede Formel, die mit ihrem Namen verbunden war, bewusst zu unterlaufen. Die dichten, fast klaustrophobischen Soundwelten lassen einen kaum Luft holen, und doch gibt es immer wieder diese Momente, in denen die Musik Raum zum Atmen lässt, in denen die leisen Töne genauso viel sagen wie die lauten. Es ist ein Balanceakt zwischen Zerstörung und Erlösung, und Portishead meistern diesen mit einer unglaublichen Präzision. Diese minimalistische Eleganz, die Portishead hier an den Tag legen, wirkt wie ein flirrendes, musikalisches Fieber. Die Mischung aus elektronischen Beats, verzerrten Gitarren und klassischen Instrumenten erzeugt eine Dichte, die gerade in ihrer sparsamen Verwendung von Klängen eine enorme emotionale Wucht entfaltet. Die düstere Spannung, die im Raum liegt, wird nie gelöst, sie bleibt, sie steigert sich bis zur Unerträglichkeit.
Die dichte Soundlandschaft, die Geoff Barrow und Adrian Utley entwerfen, verstärkt das Gefühl von Isolation und innerem Aufruhr. Es gibt Songs auf diesem Album, die wie Schatten erscheinen, die einen umhüllen und fast erdrücken. Es fühlt sich an, als ob die Instrumente genauso viel erzählen wie Gibbons selbst, jedes Gitarrenriff und jede verzerrte Melodie trägt ein schweres Gewicht auf den Schultern.
Portishead haben mit „Third“ ein Werk geschaffen, das sich von allem abhebt, was sie vorher getan haben - ein Album, das nicht in den warmen, analogen Klang des Trip-Hop eingebettet ist, sondern in eine kalte, mechanische Zukunft blickt. Es ist ein Werk, das von Trostlosigkeit und Isolation spricht, aber dennoch die menschliche Zerbrechlichkeit in all ihrer Schönheit offenbart. Ein Album, das verstört und tröstet, das den Hörer in eine trostlose Welt entführt, in der man dennoch einen seltsamen Frieden findet. Third bleibt für mich eines der intensivsten und bewegendsten Alben der elektronischen Musik - ein Werk, das in seiner Kälte und seinem Schmerz eine unerwartete Wärme birgt.
„Third“ gehört zu den besten Musikalben des neuen Jahrtausends, weil es etwas schafft, was nur wenigen Werken gelingt: Es reißt den Hörer emotional in Stücke und setzt ihn gleichzeitig wieder zusammen. Es fordert, es drängt, es lässt einen nicht los - und gerade deshalb bleibt es so lange im Gedächtnis. Es ist nicht nur musikalisch brillant, sondern auch eine emotionale Tour de Force.
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