Als The B-52’s 1979 mit ihrem schrillen, farbenfrohen und völlig unverfrorenen Debütalbum auf der Bildfläche erschienen, war klar: Hier passiert etwas, das sich nicht so leicht in die vorherrschenden musikalischen Schubladen einordnen ließ. Während sich Punk und New Wave auf den Straßen von New York und London ausbreiteten, machten sich diese fünf Musiker daran, ein Album zu kreieren, das genauso bunt und unberechenbar klang wie die Frisuren ihrer Bandmitglieder.
Wie ein grellbunter Meteorit aus den Tiefen des Kosmos schlägt das selbstbetitelte Debütalbum in die Landschaft des späten 70er-Jahre-Rock ein und verwischt die Grenzen zwischen Kitsch und Kunst, Parodie und Ernsthaftigkeit, Vergangenheit und Zukunft.
Mit ihrem Debütalbum „The B-52's“ gelingt der Band ein Kunststück, das in seiner Radikalität und seinem popkulturellen Einfluss seinesgleichen sucht: die Schaffung eines Sounduniversums, das gleichermaßen nostalgisch und futuristisch, albern und tiefgründig, tanzbar und avantgardistisch erscheint.
Der Opener ‚Planet Claire‘ ist paradigmatisch für den einzigartigen Ansatz der B-52's. Ricky Wilsons surfige Gitarrenriffs treffen auf Kate Piersons und Cindy Wilsons schrill-harmonischen Gesang, während Fred Schneiders sprechgesungene Vocals wie Nachrichten aus einer bizarren Parallelwelt klingen. Es ist, als würde man gleichzeitig einen B-Movie der 50er Jahre schauen und in einer futuristischen Discothek tanzen. Hier wird bereits der Ton für ein Album gesetzt, das sich klanglich wie eine bunte Rakete in die 60er-Jahre zurückschießt und dabei gleichzeitig modern und frisch wirkt.
Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie die B-52's verschiedene kulturelle Referenzen in einen kohärenten Sound destillieren. ‚Rock Lobster‘, der wohl bekannteste Song des Albums, ist ein Paradebeispiel für diese Kunst der musikalischen Collage. Der Song vereint Elemente aus Surf-Rock, Psychedelia und New Wave zu einem sechsminütigen Epos, das in seiner Absurdität und seinem Groove gleichermaßen fasziniert. Es ist, als hätte man den Geist der 60er Jahre durch ein Kaleidoskop der späten 70er betrachtet.
Was die Platte jedoch wirklich unvergesslich macht, ist die einzigartige Kombination aus instrumentaler und vokaler Performance. Die Gitarrenarbeit von Ricky Wilson, der ohne die tiefste Saite seiner Gitarre spielte, verlieh den Songs einen eigenartig schwebenden Klang, der die Grenzen des konventionellen Rock sprengte. Seine Mischung aus Surf-Riffs und kantigen Akkorden prägt den Sound des Albums, während das wilde Keyboardspiel von Pierson und Wilson eine spacige, fast außerirdische Atmosphäre erzeugt. Doch es ist die Harmonie der drei Gesangsstimmen - Fred Schneider, Kate Pierson und Cindy Wilson -, die die wahre Magie des Albums entfaltet. Die Wechselspiele zwischen den schrillen Schreien, dem nasalen Sprechgesang und den melodischen Passagen erzeugen eine Dynamik, die absolut elektrisierend wirkt. Die beiden Sängerinnen ergänzen Schneider perfekt, liefern melodiöse Gegenpole zu seiner verrückten Darbietung und verleihen den Songs eine gewisse Erdung. Ihre Gesangsharmonien sind sowohl verträumt als auch scharf - sie heben die Songs auf ein Level, das weit über bloßen Klamauk hinausgeht. Diese Mischung aus dem witzigen, fast cartoonhaften Gesang von Schneider und den fesselnden, oft fast hypnotischen Gesängen von Pierson und Wilson gibt dem Album eine besondere Dynamik, die so unverwechselbar ist. Fred Schneiders exzentrischer Vortrag ist ein zentraler Bestandteil der einzigartigen Identität der Band. In Songs wie ‚Planet Claire‘ oder ‚Rock Lobster‘ liefert er eine Performance ab, die sowohl witzig als auch eindringlich ist. Seine Texte sind absurd, surreal und gerade deshalb so genial. Wer sonst würde über Hummer, Außerirdische und tanzende Kreaturen aus den Tiefen des Meeres singen, und das auch noch mit einer derart elektrisierenden Energie, dass man nicht anders kann, als mitgerissen zu werden? Er ist der zentrale Star auf diesem Album.
Die Produktion des Albums ist ein Paradebeispiel der Balance zwischen Lo-Fi-Ästhetik und klanglicher Präzision. Jeder Song hat eine fast haptische Qualität, als könnte man die schrillen Farben und wilden Muster der B-52's-Kostüme durch die Lautsprecher sehen. In Songs wie ‚Dance This Mess Around‘ offenbart sich Chris Blackwells Genie für räumliche Tiefe und klangliche Separation, während er gleichzeitig die rohe Energie der Band einfängt. Die Instrumente klingen roh und direkt, es gibt keine übermäßigen Studioeffekte oder unnötigen Schnörkel. Dies verleiht den Songs eine gewisse Authentizität - man hat das Gefühl, als stünde man mitten im Raum, während die Band ihre schräge Show abzieht. Gerade diese Mischung aus Einfachheit und Wahnsinn macht „The B-52’s“ zu einem der besten Debütalben der Musikgeschichte.
Die thematische Bandbreite des Albums ist bemerkenswert, gerade angesichts seiner scheinbaren Oberflächlichkeit. Es ist, als hätten die B-52's nicht nur Klänge, sondern auch die kollektiven Träume und Albträume der amerikanischen Popkultur eingefangen. Von der augenzwinkernden Gesellschaftskritik in ‚52 Girls‘ bis zur surrealen Liebesgeschichte in ‚Lava‘ spannt die Band einen Bogen, der die gesamte emotionale Palette von Kunst und Kitsch auslotet.
The B-52’s haben mit ihrem Debüt 1979 etwas erschaffen, das bis heute frisch und einzigartig klingt - ein Album, das in seiner Überdrehtheit und Verspieltheit geradezu revolutionär wirkt. „The B-52’s“ ist eines der herausragendsten Debütalben der Musikgeschichte - ein quirliges, organisches Gesamtkunstwerk, das nicht altert, weil es in seiner Art so einzigartig ist - ein verrücktes, buntes Kunstwerk.
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