Es ist ein wahnsinniges Unterfangen, sich "The Die Is Cast" zu nähern, ohne vor einem monumentalen Klanggebilde zu stehen, das einen sofort in seinen Bann zieht. Menace Ruine, das avantgardistische Chaos-Duo aus Kanada, hat auf diesem 2008 veröffentlichten Album sämtliche eigenen musikalischen Grenzen niedergerissen. Ein Werk, das sich in keine herkömmliche Schublade pressen lässt. Stattdessen nutzt es seine erdrückende Schwere als Fundament, um in einem wuchtigen Klangstrudel aus Drone Doom und Neofolk zu verschwinden. Menace Ruine beweisen hier nicht nur die Kunst einer einzigartigen musikalischen Verschmelzung, sondern entführen in die sinnliche, zerstörerische Gewalt dieses Klanguniversums.
'One Too Many' – der erste Schlag trifft mit seinem unorthodoxen Ansatz. Zwei schillernd-irre Töne, zwei Trommeln wie aus einer apokalyptischen Aufführung der Carmina Burana, verdichten sich zu einem Klangteppich harmonischer Elemente und entfalten sich in epischer Langsamkeit. Und dann: Stille – diese andere Art von Stille, die einen nicht zur Ruhe kommen lässt.
Der Song kriecht mit zerschlagenen Knien und schleift sein Gesicht durch die Asche, die der zermürbende und verstörende noisige Black Metal-Vorgänger "Cult of Ruins" hinterlassen hat. Sängerin Geneviève steht wie ein Medium vorne, das weiß, dass hier niemand lebend herauskommt – und dass dieses Album keinen bequemen Zugang bietet. Stattdessen zwingt einen die hypnotische Monotonie, die Schwere der Töne und der zermalmende Rhythmus, sich auf die verstörende Schlichtheit einzulassen und jeden Klangimpuls wie eine kalte Umarmung aufzusaugen.
"The Die Is Cast" ist keine normale Weiterentwicklung; was hier passiert, ist Mutation unter Schmerzen. Wo "Cult of Ruins" noch in der akustisch schmerzverzerrten Höllenkiste des Black Metal gewühlt hat, legt "The Die Is Cast" plötzlich eine Klangtapete aus, die aussieht wie der endlose Flur einer brennenden Burgkapelle. Drone Doom. Aber auch Folk. Und Mittelalter. Und Sterben. Und irgendetwas, das man vermutlich in keinem Genre unterbringen kann, ohne nervös zu werden. Dieses Album vereint Elemente, die eigentlich in völligem Widerspruch zueinanderstehen – die archaische Direktheit mittelalterlichen Neofolks und die stählerne, kühle Unermüdlichkeit von Drone Doom – und verschmilzt sie zu einer einzigartigen musikalischen Existenz. Lisa Gerrard kuschelt sich in einen Verstärker von Boris. Oder so. *g*
Das Duo spielt auf dem Album nicht nur Instrumente – es verwendet sie. Als Sprache, als Drohung, als Versprechen. Besonders dann, wenn Geneviève singt – wobei es eher einer Beschwörung gleicht, einem melancholischen Sirenensignal. Und diesmal hat sie mehr Raum als auf dem Vorgänger. Viel mehr.
Sie schwebt über den Songs wie Nebel über einem alten Schlachtfeld – oder trägt sie gleich ganz allein. Genevièves Stimme gleitet wie eine rastlose, müde Seele über melancholischen Ruinen; eine uralte Beschwörung, die in eine fremde, erschütternde Welt entführt. Ihre Intonation von Trauer und Resignation beklagt den ewigen Untergang der Menschheit.
Und dann gibt es auch ein "The Bosom of the Earth". 17 Minuten Gänsehaut, Zerstörung, Entrückung. Eine Black Metal-Monolith-Ballade, die sich wie ein Tornado aus aufgeschichteten Tönen und Melodiefetzen steigert – in der alles irgendwie gleichzeitig passiert, und gleichzeitig gar nichts.
Musik, die nicht erzählt, sich nicht erklärt, sondern einfach überrollt. Nach fast drei Minuten explodieren plötzlich Drums aus dem Noise-Teppich, als kämen sie aus einer Parallelrealität. Der Song entfaltet sich zu einem Gewitter, das nicht weiß, ob es einen grillen oder erlösen will. Nach knapp zehn Minuten bleibt nur noch Rauschen übrig. Kein Song mehr. Nur Wind. Und irgendwo singt Geneviève – ganz leise, ganz hinten. Wie ein Lichtschein, der es noch einmal versucht, obwohl in der düsteren Abgeschiedenheit einer ausgelöschten, stillen Welt alles längst verbrannt ist.
Hier zeigt sich die faszinierende Art von Menace Ruine, Naturgewalten auf eine Weise in den Dienst des Sounds zu stellen, die keinen Widerstand duldet.
"The Die Is Cast" ist ein wunderschöner Tinnitus, der mit einem Lächeln im Gesicht daherkommt – ein Gebirge von einem Album. Je näher man herantritt, desto weniger möchte man es erklimmen – man will einfach nur davorstehen und begreifen, wie groß das alles ist.
Menace Ruine zeigen hier, dass Black Metal und seine Abarten nach 1999 keine Entschuldigung für Einfallslosigkeit sein müssen. Dass Musik nicht "zeitgemäß" sein muss, wenn sie stattdessen zeitvergessend sein kann. Und dass man manchmal nur zwei Töne braucht, um sich das Fundament aus der Seele zu bomben.
Freitag, 16. Mai 2025
Menace Ruine - The Die Is Cast
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