Nach dem noch schwerlich kategorisierbaren, rohen Debüt "The Principle of Evil Made Flesh", mit dem Cradle of Filth 1994 als blutgetränkter, theatralischer Sonderfall zwischen Black Metal und Gothic ihre Geburtsstunde feierten, legte die britische Band 1996 mit "Dusk... and Her Embrace" ein Werk vor, das nicht weniger als die sinistre Perfektion ihres Stils darstellt. Ein opulentes, barockes Meisterstück zwischen viktorianischem Schauerroman, nekrophiler Poesie und okkultem Black Metal; so detailverliebt, so konsequent, so makellos in seiner klanglichen und konzeptuellen Ausformung, dass es in seiner Art bis heute unantastbar scheint.
Doch konnte dieser Stil überhaupt noch weiter verfeinert werden? War "Dusk... and Her Embrace" nicht bereits das maximal Verdichtete, das kunstvoll Ausformulierte eines Genres, das ohnehin schon am Abgrund entlang tänzelte? Cradle of Filth schienen diese Fragen mit einem leidenschaftlichen "Ja, aber anders" zu beantworten. Zwar blieben spätere Alben wie "Cruelty and the Beast" oder "Midian" dem Grundton treu; setzten aber neue, andere Akzente, professioneller, experimenteller und natürlich viel zugänglicher.
Doch "Dusk... and Her Embrace" bleibt in seiner Form so geschlossen, so hermetisch, dass man kaum an ihm rühren kann, ohne seine zerbrechliche Schönheit und seine albtraumhafte Eleganz zu beschädigen. "Dusk... and Her Embrace" ist ein Album, das in seinen überladenen, fast übernatürlich wirkenden Klanggewändern badet und dennoch nie ins Lächerliche kippt, vielleicht, weil es sich seiner eigenen Überhöhung so bewusst ist.
Dabei beginnt alles ganz unscheinbar: die elegische Eröffnungs-Ouvertüre 'Humana Inspired to Nightmare', ein schwermütiger Vorhang aus orchestraler Dramatik, der sich langsam hebt, um das zu offenbaren, was danach folgt: das monumentale 'Heaven Torn Asunder', eine rasende, messerscharf komponierte Black Metal-Hymne mit rasend schnellen Blastbeats, infernalischen Gitarrenläufen und Dani Filths hysterischem, geiferndem Kreischgesang, irgendwo zwischen dämonischem Kind, verrücktem Aristokraten und leidendem Tier, der "Dusk... and Her Embrace" seinen Stempel aufdrückt.
Filth deklamiert nicht nur; er spuckt, haucht, faucht seine Lyrik in die Welt, eine literarisch versierte Mischung aus viktorianischer Romantik, dekadenter Erotik und morbidem Schauer. Dass "Dusk... and Her Embrace" dennoch weit über den bloßen Schockeffekt hinausgeht, liegt an seiner außergewöhnlichen musikalischen Ausarbeitung. Die sensationellen Arrangements wirken wie aus einem Guss; jede Note, jedes Sample, jeder orchestrale Einschub sitzt, nichts wirkt überladen, obwohl alles überladen ist.
Besonders das titelgebende Stück 'Dusk and Her Embrace' ist ein Paradebeispiel für diese doppelbödige Eleganz: Von einem zarten Gitarrenmotiv getragen, entfaltet es sich zu einem hypnotischen Reigen, zu einem opulenten Totentanz, der bei Vollmond getanzt wird, aus Chören, Doublebass-Gewittern und hymnischer Melodik.
Auch das sakrale 'A Gothic Romance (Red Roses for the Devil's Whore)' bringt diese Ambivalenz auf den Punkt: Theatralisch, romantisch, düster, ein wilder Ritt durch die Abgründe viktorianischer Erotik, von Violinensamples und Choralgesängen untermalt, als würde man ein Lovecraft-Gedicht in die Kulisse eines Hammer-Horrorfilms projizieren. Es ist diese perfekt eingefangene ästhetische Geschlossenheit, man glaubt beim Hören förmlich den kalten Stein unter den nackten Füßen zu spüren; das schwere Parfüm verfallener Damen, das Rascheln zerfledderter Kleider im Kerzenschein.
Besonders hervorzuheben ist auch das für die damalige Zeit (meine Güte, fast dreißig Jahre her) fantastische Zusammenspiel zwischen Dani Filth und den weiblichen Stimmen, die immer wieder durch die Songs geistern, schaurig flüsternd, lockend, lachend –, sie verleihen den Songs eine Sinnlichkeit, die "Dusk... and Her Embrace" aus dem Rahmen des Gewöhnlichen heraushebt. So ist es auch kein Zufall, dass die stärksten Momente des Albums oft jene sind, in denen diese Stimmen in den Vordergrund treten – etwa im unvergesslichen 'Malice Through The Looking Glass', dessen Melancholie damals bei mir noch Tage nachgewirkt hat.
"Dusk... and Her Embrace" ist in seiner Gesamtheit zu genießen, als Werk, als Konzept, als düsteres Theaterstück in neun Akten. Jeder Song trägt zum Gesamtbild bei; doch erst im Zusammenhang offenbart sich die wahre Stärke des Albums: das Gefühl, in eine andere Welt eingetaucht zu sein. Cradle of Filth konnten dieses Level an klanglicher Kohärenz und atmosphärischer Dichte nie wieder wiederholen, zu sehr drifteten sie mal in Richtung bombastischem Horror-Metal, mal in pseudo-symphonische Gefilde, mal in fast schon parodistische Selbstzitate.
"Dusk... and Her Embrace" aber bleibt. Ein elegisches Kunstwerk, geätzt in die Nacht. Und neben "Bergtatt - Et eeventyr i 5 capitler" und "Anthems to the Welkin at Dusk" das am klügsten komponierte "Black" Metal-Album der Neunzigerjahre.

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