Ok, lassen wir mal den Namen CRADLE OF FILTH außen vor und konzentrieren uns nur auf die Musik, denn diese ist auf Vempire herausragend. Black Metal im eigentlichen Sinne bieten CRADLE OF FILTH auf ihrem einzigen Album, welches ich auch heute noch für überragend halte, nicht unbedingt. Aber wen interessiert das, wenn es so erstklassig komponiert ist und einen ganz bestimmten Reiz ausübt?
Bis Cruelty and the Beast (1998) hatte ich den Weg der Engländer verfolgt, um danach zu erkennen, dass CRADLE OF FILTH mit Vempire das einzige Album veröffentlichten, das mich begeistern konnte. Nur auf Vempire klangen die Engländer so ausgewogen und perfekt ausbalanciert, und dazu gleichzeitig aggressiv und dramatisch.
Das Debüt The Principle of Evil Made Flesh (1994) brachte mich bei der Veröffentlichung zum Schmunzeln, Dusk… and Her Embrace (1996) ist ein katastrophal produziertes Gothic-Scheibchen, und Cruelty and the Beast landete sofort wieder auf dem Flohmarkt. Danach wurde die Band für mich völlig uninteressant, nur Vempire lege ich bis heute immer wieder gerne auf.
CRADLE OF FILTH haben auf diesem Album die perfekte Mischung aus aggressivem Black Metal, Heavy Metal, Gothic Metal und Horroratmosphäre erschaffen, die mich auch heute noch begeistern kann. Druckvoll produziert, stehen die Gitarren nicht im Hintergrund und dominieren größtenteils den Sound auf Vempire, die durch das drückende Schlagzeugspiel von Onkel Fester immer wieder angetrieben werden.
Selbstverständlich gibt es jede Menge Keyboards zu hören, die aber glücklicherweise nicht im Vordergrund stehen, sondern die mystische Atmosphäre wunderbar untermalen und für ein paar grandiose Momente sorgen. Überraschenderweise fällt Vempire gegenüber den anderen Alben sehr „metallisch“ aus, ist durchweg fantastisch komponiert und musikalisch wird genug Abwechslung geboten.
Über den Gesangsstil von Dani Filth kann man sich streiten, aber so nervig wie auf dem Debüt, so schrill wie auf Dusk… and Her Embrace und so beschissen wie auf Cruelty and the Beast klingt er auf Vempire jedenfalls nicht. Songs wie The Forest Whispers My Name, Nocturnal Supremacy oder das völlig geniale Queen of Winter, Throned bringen mich auch heute noch zum Tanzen.
Auch wenn ich nicht der größte Fan der Band bin, kann ich bis heute Vempire eine Menge abgewinnen und bin auch der Meinung, dass CRADLE OF FILTH mit diesem Album eines der bedeutendsten melodischen „Black“ Metal-Werke der Neunziger erschaffen haben – selbst die Konkurrenten DIMMU BORGIR konnten da nicht wirklich mithalten.
Sonntag, 25. Februar 2018
Cradle Of Filth - Vempire or Dark Faerytales in Phallustein
Freitag, 23. Februar 2018
Kyuss - Welcome To Sky Valley
Wie klingt es wohl, wenn man mit einem (Krause)DUO mit 34 mph durch die Mojave-Wüste donnert? Kyuss, die Stoner Rock-Legende schlechthin, haben mit ihren letzten drei von insgesamt vier Studioalben unantastbare Legenden der Hitzewellen-Musik erschaffen. Es gibt keine andere Band, die den Zeitgeist der frühen Black Sabbath so perfekt und dennoch mit einer ganz eigenen Marke in die Neunziger transformierte und dabei so cool und mitreißend klang, wie es Kyuss auf ihren drei Momenten der Lust taten.
Dabei ist Welcome to Sky Valley noch mal von allem so viel mehr und mehr und mehr. Wichtigstes und berauschendstes Brandzeichen im Sound von Kyuss – und bei Welcome to Sky Valley eine ganz eigene Hausnummer – ist der staubtrockene Druck im Hirn namens Josh Homme-Gitarrensound, welcher kongenial von Scott Reeders verschlingender Bassbalz begattet wird.
Und jetzt stellt man sich mal für ein paar Minuten vor, dass es das schon war, keine weiteren Instrumente. Denn bereits das allein ist die Essenz, die Soundkrypta von Kyuss. Die monströse Vereinigung von Wüstenriffs und Staubbrummen wurde mir auf keinem anderen Album so konsequent und authentisch um die Ohren gezwiebelt wie hier, wo Homme und Reeder abziehen. Hinzu kommt natürlich auch der fantastische, schweißtreibende Brant Bjork-Beat an den Dampfkesseln und der formidable Geckogesang von John Garcia, die die Songs atmen lassen. Supa Scoopa and Mighty Scoop, Demon Cleaner, Gardenia, 100°, Asteroid, Conan Troutman oder Whitewater sind Stopfsongs, vollgepresst mit Sand, Sonne und Trockenheit, und verwandeln meine Knochen in porös-brüchige Materie.
In seiner eigen- und einzigartigen Soundästhetik ist Welcome to Sky Valley vielleicht sogar das kultigste Rockalbum der letzten 20 Jahre.
Freitag, 16. Februar 2018
Mercyful Fate - Melissa
„Melissa“ von Mercyful Fate ist eines dieser Alben, bei dem man kaum glauben kann, dass es ein Debüt ist. Für mich ist es nicht nur besser als der ebenfalls aberwitzige Nachfolger „Don’t Break the Oath“, sondern schlichtweg das beste klassische Heavy Metal-Album überhaupt. Es ist die Quintessenz dessen, was Heavy Metal in seiner pursten, rohesten Form ausmacht: grandiose und verschachtelte Riffs, Gitarrensoli, die so technisch brillant wie melodisch sind, und eine Produktion, die gleichzeitig rau und doch perfekt abgestimmt ist.
Die Gitarrenarbeit auf „Melissa“ ist schlicht und ergreifend eine Wucht. Hank Shermann und Michael Denner liefern hier Riff um Riff, Melodie um Melodie ab, als gäbe es kein Morgen. Man fragt sich unweigerlich, wie es möglich ist, dass eine Band bereits auf ihrem Debüt ein solches Feuerwerk an Einfällen zündet. Die Harmonie zwischen den beiden Gitarristen ist atemberaubend – sie ergänzen sich perfekt, wechseln nahtlos zwischen rhythmischen Attacken und epischen Soli, die sich sofort ins Gehirn brennen. Besonders Songs wie ‚Evil‘ oder ‚Curse of the Pharaohs‘ zeigen dieses Zusammenspiel in Perfektion. Diese Songs sind nicht nur ikonisch, sie sind der aufbauende „Stolz“ einer ganzen Szene, die durch Mercyful Fate eine neue Dimension bekam.
Doch die Gitarren sind nur ein (enorm großer) Teil der Magie von „Melissa“. King Diamonds Stimme ist ein Kapitel für sich. Sein überbordender Gesang, der von tiefem, diabolischem Knurren bis hin zu seinen legendären Falsett-Exzessen reicht, ist so einzigartig wie verstörend. Besonders in dem epischen ‚Satan’s Fall‘ überschlägt sich seine Stimme derart, dass man unweigerlich und instinktiv vor Begeisterung seinen Sack schützend in den Händen hält, um die Männlichkeit zu bewahren. Die Intensität, die King Diamond hier an den Tag legt, sucht ihresgleichen und hat bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren. Er klingt wie ein Wahnsinniger, der gleichzeitig die ganze Macht und Boshaftigkeit der Hölle heraufbeschwört und dabei jeden, der zuhört, in einen tranceartigen Zustand versetzt.
Ein weiteres unschätzbares Highlight ist das Bassspiel von Timi Hansen. Sein Bass läuft nicht einfach nebenher, er ist ein integraler Teil des Albums. Die Linien, die er in Stücken wie ‚Into the Coven‘ oder ‚Black Funeral‘ spielt, sind komplex und doch unglaublich druckvoll – sie verleihen dem Sound einen erdigen, fast 70er-Jahre-mäßigen Mief, der perfekt zum muffigen, düsteren Soundbild passt. Das alles wird von der großartigen Produktion von Henrik Lund zusammengehalten, die dafür sorgt, dass jedes Instrument zur Geltung kommt, ohne die rohe Kraft und Authentizität des Sounds zu verwässern. Diese Mischung aus Old-School-Vibe und technischer Präzision macht „Melissa“ zu einem zeitlosen Klassiker.
Und dann ist da natürlich der übergreifende Einfluss dieses Albums. Man kann den Wert von „Melissa“ für die Entwicklung des Black Metal nicht hoch genug einschätzen. Dieses Album war wegweisend – es schuf eine Brücke zwischen dem klassischen Heavy Metal und den dunkleren, extremen Klängen, die später den Black Metal definieren sollten. Doch es wäre zu kurz gegriffen, „Melissa“ nur auf seinen Einfluss zu reduzieren. Es ist nicht nur ein Meilenstein, sondern auch ein emotional intensives, technisch brillantes und einfach verdammt gutes Album, das in seiner Gesamtheit schlichtweg perfekt funktioniert und den Gipfel des klassischen Heavy Metal der Achtziger darstellt.
Sonntag, 11. Februar 2018
The Stooges - Fun House
Meine Damen, meine Herren, das vermutlich beste (Rock-)Album, das ich in über 30 Jahren Musikekstase kennenlernen durfte. Es gibt einige Alben, mit denen ich mich sehr stark verbunden fühle. Aber kein einziges kotzt mir so aus meiner Seele wie „Fun House“ von den Stooges. The Stooges haben hier einfach mal eine vollgepackte Ladung Chaos in die Musikwelt geworfen, die bis heute nichts von ihrer zerstörerischen Macht verloren hat. Zwischen „The Kinks Are the Village Green Preservation Society“ und „Quadrophenia’s Next“ hat „Fun House“ einen festen Platz in meiner heiligen Dreifaltigkeit der Lieblingsalben.
Die späten 60er markieren in der Rockmusik einen Umbruch, der alles Bisherige über den Haufen werfen sollte. Bands experimentierten mit neuen Sounds, erweiterten das musikalische Vokabular und verließen die sicheren Gefilde des Pop und Blues. Und wenn es ein Album gibt, das den Sound dieser aufkommenden musikalischen Rebellion in seiner rohen, ungeschliffenen Form auf den Punkt bringt, dann ist es „Fun House“ von The Stooges. In der Rockmusik gibt es wenige Alben, die mit solch brachialer Gewalt die Grundfesten des Genres erschüttert haben. Während das selbstbetitelte 69er Debüt bereits eine klare Ansage war, eine minimalistische Kundgebung aus Härte und Rebellion, ist dieses Zweitwerk eine noch tiefere und wildere Exkursion in die Ursprünge von Wut, Exzess und musikalischer Freiheit - und das mit einer Energie, die alles übertraf, was man bis dahin gehört hatte.
The Stooges, unter der elektrisierenden Präsenz von Iggy Pop, haben mit diesem Album eine rohe, unverfälschte Version von Rockmusik erschaffen, die in ihrer kompromisslosen Reinheit wie ein Urknall des Genres wirkt. Es ist die Urkraft für Punk, Noise und alles Ungestüme und Abgefuckte im Rock, das laut, dreckig, roh, ungebändigt und gnadenlos kaputt ist. Die Band entzieht sich allen gängigen Normen, verzichtet auf gefällige Strukturen und treibt die Songs mit einer Vehemenz voran, die keine Zugeständnisse zulässt. Wenn man die Platte auflegt, findet man sich in einer verwahrlosten Katastrophenzone wieder, wo Wut, Lust und Verzweiflung auf die primitivsten Instinkte prallen. Das Album zertrümmerte mit seiner atavistischen Kraft das Establishment der frühen 70er Jahre. Hier gibt es keine geschliffenen Gitarrensoli, keine filigranen Kompositionen - „Fun House“ ist ein animalischer Urknall, der wie eine unaufhaltsame Naturgewalt durch die Rockgeschichte tobt. Die Musik ist ein Schrei nach Freiheit, der aus den verrotteten Kellern und den vernarbten Straßen Detroits hervordringt. Die Arrangements auf „Fun House“ sind extrem reduziert, minimalistisch und dabei wahnsinnig effektiv. Der Blick bleibt immer auf den Grundton des Albums gerichtet - eine unaufhaltsame, raue Energie, die von einer wütenden und zugleich befreiten Ekstase getrieben wird.
Der Opener ‚Down on the Street‘ prügelt den Hörer in eine Welt voller Schweiß, Dreck, zersplitterten Glasflaschen und ungezügelter Lust. Es gibt keine Einführung, keine Aufwärmphase - von der ersten Sekunde an geht es um pure Energie. Ron Ashetons Gitarre kreischt und wimmert wie ein verwundetes Tier, seine Zerstörungsriffs sind maximal direkt, scharf und rau - Asheton trifft gezielt den Nerv, ohne viel Schnickschnack drumherum, während Iggy Pops Gesang - mehr ein animalisches Knurren als konventioneller Gesang, das keinen Raum für Kompromisse lässt - von den Tiefen der menschlichen Existenz kündet. Es ist ein Sound, der die Stagnation der Vororte der Mittelschicht in den späten 60er Jahren regelrecht verhöhnt. Und natürlich der treibende Bass von Dave Alexander sowie Scott Ashetons donnerndes Schlagzeug mit seinen in Dynamit getränkten Drumsticks, die dem ganzen Wahnsinn eine unbändige Wucht verleihen, als würde die Erde unter den Füßen vibrieren, kurz bevor sie auseinanderbricht. Das Zusammenspiel von Gitarre, Bass, Schlagzeug und der fast animalischen Wucht von Iggys Gesang entwickelt eine ungestüme Dynamik, die direkt ins Blut geht. Hier ist nichts gezähmt, alles scheint in Flammen zu stehen. Der Fokus liegt nicht auf ausgefeilter Technik, sondern auf dieser brodelnden, wilden Energie, die einen durch jede Faser des Albums begleitet. „Fun House“ gehört gerade deshalb zu meinen drei Lieblingsalben, weil es sich nicht in ausgefeilter Technik oder komplexen Strukturen verliert. Noch nie und auch nie wieder klang Rock so schmutzig, so direkt und so gefährlich.
„Fun House“ besitzt eine fast schon vulgäre und gnadenlose Direktheit. Die Produktion ist rau und ungeschliffen, genau wie die Musik selbst. Es gibt keine Glätte, keine Perfektion - alles klingt, als wäre es live und unkontrolliert, als könnten die Stooges jeden Moment das komplette Studio niederreißen. Es fühlt sich an, als hätte die Band jede Note, jedes Wort und jede Geste in einem einzigen Wutausbruch auf die Welt losgelassen. Dieses Soundschlachthaus ist unfassbar druckvoll, fast körperlich spürbar, und die Atmosphäre, die sich über die gesamte Spielzeit aufbaut, hat eine enorme hypnotische Qualität. Die Intensität ist beinahe unerträglich - und doch will man sich dieser Energie immer wieder aussetzen.
Im Titelsong ‚Fun House‘ offenbart sich die wahre Genialität der Band, die das gesamte Album in einem fieberhaften Crescendo zur Eskalation bringt. Über sieben hypnotische Minuten hinweg entfaltet sich ein musikalisches Panorama, das gleichermaßen von Free Jazz wie von primitiven Stammestrommeln inspiriert scheint. Dave Alexanders pulsierender Sex-Bass und Scott Ashetons stoisches und wichsfreies Schlagzeugspiel bilden das Fundament für eine ekstatische Reise ins Unbekannte, gekrönt von Steve Mackays frenetischem Saxophonpusterei.
‚1970‘ ist nichts weniger als die Geburtsstunde des Punk - Jahre bevor dieser Begriff überhaupt geprägt wurde. Iggys manisches „I feel alright!“ ist mehr als nur ein Refrain; es ist eine Kampfansage, ein nihilistisches Credo - eine rohe, unverfälschte Freude an der Rebellion und am Chaos.
In ‚Dirt‘ offenbart sich die existenzielle Krise einer ganzen Generation. Über einem schleppenden, blues-inspirierten Riff deklamiert Iggy Pop Zeilen von erstaunlicher poetischer Tiefe. „I've been dirt, and I don't care“. Es ist ein Moment von Dekadenz, der die Verzweiflung und Entfremdung der Post-Woodstock-Ära perfekt einfängt. Iggys Gesang hier ist langsamer, fast schleichend, während die Musik sich um ihn windet und eine Atmosphäre des drohenden Zusammenbruchs aufbaut. Der Song dehnt die Spannung aus, bis sie kaum noch zu ertragen ist, und zeigt, dass The Stooges nicht nur „Lärm“ erzeugen konnten, sondern auch in der Lage waren, emotionale und klangliche Tiefe zu erreichen.
Der Abschlusstrack ‚L.A. Blues‘ ist ein kakophonisches Experiment in Noise und Wahnsinn. Es ist kein Song im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr eine klangliche Repräsentation des Nervenzusammenbruchs der 60er Jahre. In seiner Unnachgiebigkeit liegt eine verstörende Schönheit - es ist der Soundtrack zum Untergang einer Ära, zum endgültigen Zerplatzen der Träume einer Generation. ‚L.A. Blues‘ ist auch zugleich ein radikaler Abschluss für ein radikales Album - ein Zeichen dafür, dass The Stooges bereit waren, jede Grenze zu überschreiten, um ihre künstlerische Vision zu verwirklichen.
„Fun House“ markiert das Ende der naiven Unschuld der 60er und weist gleichzeitig voraus auf die Wut und Frustration, die den Punk der späten 70er nähren würden. In seiner rohen Energie und seinem kompromisslosen Ansatz war es seiner Zeit mehrere Universen weit voraus - was damals wie Chaos und Zerstörung wirkte, war in Wahrheit eine kontrollierte Explosion kreativer Freiheit. The Stooges hatten keine Angst vor musikalischer Destruktion, und in diesem Prozess schufen sie etwas Zeitloses, Unvergängliches. „Fun House“ zeigt die Band auf dem Höhepunkt ihrer zer- und verstörenden Kraft - es ist ein Ritus, eine Art musikalisches Inferno, das alles um sich herum in Flammen setzt. The Stooges haben mit diesem Album DAS Referenzwerk in Sachen Dreck und Räudigkeit in die Rockgeschichte gekackt und damit das Serum für den Punk und die dampfende Latrine der Rockmusik geschaffen - es ist zweifellos eines der wichtigsten und kraftvollsten Rockalben aller Zeiten und für mich persönlich das Maß aller Dinge.
Freitag, 9. Februar 2018
Nehëmah - Light Of A Dead Star
Light Of A Dead Star kann man mit ruhigem Gewissen als einen Klassiker des französischen Black Metal ansehen. Black Metal der alten Schule, verpackt in einem fantastischen, voluminösen Soundgewand und einer zutiefst finsteren Stimmung. Spielerisch beweisen die vier Franzosen ein überdurchschnittliches Geschick an den Instrumenten, was sich in den sechs Songs niederschlägt.
Eröffnet wird dieser kalte Sturm mit Feuerknistern und minimalen Ambientklängen; stimmungsvoll und geheimnisvoll bauen diese drei Minuten in The Witch Burns… eine schaurige Atmosphäre auf. Mit Light Of The Dead Star wird man sofort zehn Jahre zurückgeworfen: Die Gitarre sägt gnadenlos roh durch den Gehörgang, und das mächtige Drumming treibt den Song immens nach vorne. Auffallend ist sofort der räumliche Gitarrensound und die Präsenz des Basses, alles mit dem für Black Metal typischen Hall unterlegt.
Auch Sänger Corven weiß mit seinem prägnanten Kreischgesang zu überzeugen und besitzt zudem eine gewisse eigene Note. Die teilweise überlangen Songs (zwischen fünf und zwölf Minuten) werden durch dezente Keyboardflächen stimmig untermalt. Tempovariationen sorgen für hochgradige Abwechslung, und auch cleaner Gesang kommt zum Einsatz. Besonders die geschickten Tempowechsel sind die großen Stärken von Light Of A Dead Star.
Hier wird nicht 50 Minuten lang drauflosgeprügelt, sondern eine finstere Stimmung heraufbeschworen, die es locker mit den Frühneunziger-Klassikern der zweiten Black Metal-Welle aufnehmen kann. Beim ersten Hördurchgang klingen die Songs noch alle nach typischem Black Metal skandinavischer Prägung, doch spätestens beim dritten Versuch sollten sich die morbiden Kompositionen in ihrer Vielfalt erschließen.
Einzelne Songs hervorzuheben, macht wenig Sinn, denn Light Of A Dead Star funktioniert als eine homogene Einheit. Der Fluss des Albums ist spannend, bedrückend und herausfordernd. Jeder Ton ist geschickt platziert, das abwechslungsreiche Drumming hält die Songs immer zusammen, und die sägende, bedrohliche Gitarrenarbeit ist wahre Black Metal-Kunst.
Auch das Gespür, mit dem NEHËMAH Melodien erschaffen, ist phänomenal stark. Ob leicht orientalisch, tieftraurig oder einfach nur beklemmend gespenstisch – die Melodien auf Light Of A Dead Star haben einen ganz speziellen Reiz. Die ganze Stimmung, die auf dem Album erschaffen wurde, ist tiefschwarz und beängstigend überzeugend eingefangen.
Frei von progressiven Einflüssen, klinischen Sounds, klebrigen Melodien und einem Keyboard-Overkill, lebt Light Of A Dead Star von seiner ehrfürchtigen Atmosphäre und dem Können der vier Musiker, die auch mal dezent auf genrefremde Rhythmiken und Elemente zurückgreifen.
Sicherlich ist Light Of A Dead Star kein revolutionäres Album, alles ist sehr vertraut. Tempowechsel à la DARKTHRONE, Anlehnungen an ganz alte EMPEROR oder die fanatische Stimmung der ersten BURZUM-Alben finden sich in fast jedem Song wieder. Doch was NEHËMAH innerhalb der engen Grenzen des Black Metal mit Light Of A Dead Star geformt haben, ist monumental stark, beeindruckend, abwechslungsreich und wahnsinnig spannend und intensiv. Selten wurde nach der zweiten Black Metal-Welle ein so konzentriert gutes, harmonisches und authentisches Black Metal-Werk erschaffen, wie es den Franzosen NEHËMAH mit ihrem Debüt gelungen ist.
Sonntag, 4. Februar 2018
Weakling - Dead as Dreams
Machen wir uns nichts vor, der Kult um den skandinavischen Black Metal endete spätestens mit dem Ende der 1990er Jahre. Die vielen Klassiker und richtungsweisenden Alben, die zwischen 1991 und 1995/96 entstanden sind, gehören auch weiterhin in jede Black Metal-Sammlung. Jedoch wurden auch aus meiner Sicht eher zweitklassige skandinavische Bands wie TAAKE, KAMPFAR, GEHENNA, GORGOROTH, SETHERIAL oder auch CARPATHIAN FOREST immer den nicht-skandinavischen Bands vorgezogen.
Bands aus Frankreich, Deutschland, der östlichen Region und besonders aus Amerika, hier ganz speziell aus den USA, wurden selten beachtet. Die Epigonen aus Norwegen und Schweden brüsteten sich mit ihren Demos, die die Bands mit der Frühneunziger-Szene in Verbindung bringen sollten, brachten dann aber ab 1997 regelmäßig eher durchschnittliche Genre-Alben auf den Markt. Was außerhalb der skandinavischen Szene passierte, blieb weitgehend unbeachtet. In Frankreich und Amerika entstand mit den Jahren der „Unbedeutsamkeit“ eine Szene, die in den folgenden Jahren die Skandinavier aus meiner Sicht überrennen sollte.
Die Ursuppe entstand mit der Jahrtausendwende in San Francisco. Die Band WEAKLING veröffentlichte im Jahr 2000 das bis heute einflussreiche und so wichtige Album Dead as Dreams und läutete damit eine neue Generation ein. WEAKLING sprengten mit ihrer Vision von Black Metal Grenzen, komponierten Epen zwischen 10 und 20 Minuten, erschufen einen völlig neuen Sound und brachten das Songwriting innerhalb der Szene auf ein höheres Level.
Wie groß der Einfluss von Dead as Dreams auch heute noch ist, lässt sich an fast jeder US-Black-Metal-Band erkennen. Am deutlichsten wohl bei WOLVES IN THE THRONE ROOM zu sehen, tauchen die Einflüsse von WEAKLING bei vielen amerikanischen Black Metal-Bands auf. Auch wenn der Sound von WEAKLING von den großen norwegischen Bands beeinflusst ist, haben sie mit diesem Album den Prototypen des US-Black Metal erschaffen: ausuferndes Songwriting, komplexe Strukturen, kantige und teils lavaartige Riffs, aberwitzige Melodien, die nicht sofort zünden, dann aber der pure Wahnsinn sind; Doom, ein wenig Noise und Sludge, markantes Geschrei und ein Gespür für pure Emotionen.
Dead as Dreams ist schlichtweg perfekt. Ein rundum begeisterndes Kunstwerk, das mit Worten nur schwer zu deuten ist. Ein Werk, das sich auch nur entfaltet, wenn es als Gesamtwerk gehört wird. Ohne weitere Worte zu verschwenden, gehört Dead as Dreams zu den bedeutendsten Black Metal-Alben und ist aus meiner Sicht der größte Klassiker, der außerhalb der skandinavischen Grenzen nach 1996 entstanden ist.
Donnerstag, 1. Februar 2018
Negură Bunget - OM
2006 ließ ich alles fallen, alles stehen und liegen – TOOL veröffentlichten mit 10,000 Days endlich eine neue Zeitrechnung, doch dann entwich etwas Unvorhersehbares aus den tiefen, urigen Wäldern Rumäniens: drei Musiker entfachten still und heimlich im Herzen Osteuropas eine schiere Revolution, die nicht nur den (Black) Metal auf die nächste Stufe hob, sondern allgemein alles rebootete, was bis dahin unter diesem Genre passierte.
OM stellt im Inneren der Musik Wunder nach, Faszinationen der Natur: warme Lichter funkeln, Stürme toben, Wälder rauschen – alles bildlich vertont. Mit geschärften Sinnen taucht man ab, und ich wurde seit Ænima nie wieder so durchgeschüttelt.
Die charismatischen und bodenständigen Rumänen von NEGURĂ BUNGET haben also 2006 mit ihrem Meilenstein (etwas untertrieben ausgedrückt) OM nicht nur in der Black Metal-Szene für einen gewaltigen "Kulturschock" gesorgt, sondern wurden auch außerhalb der Szene bestaunt, respektiert und bis zur völligen Hingabe vergöttert. 2002 wurde mit 'N Crugu Bradului bereits ein Vorgeschmack auf die darauf folgende Großtat abgeliefert, welches den urigen und faszinierend-eigenartigen Stil dieser besonderen Band in ureigener Weise aufzeigt.
OM hat mich, das weiß ich noch immer haargenau, als ich das Album zum ersten Mal in den Händen hielt und wirklich bis zum Abend gewartet habe, bis ich mich völlig der Musik hingab, komplett fertig gemacht. Seit Ænima wurde ich nie wieder so extrem durch meine Gefühlswelt hin und her gerissen. Ungelogen, ich erstarrte über die komplette Spielzeit von OM, habe vor Freude geweint, 67 Minuten lang Gänsehaut von der Haarspitze bis zur äußeren Hornhaut meiner Ferse gehabt, mich gekniffen, weil ich es wirklich nicht für real hielt, was ich da gerade hörte, und geschwitzt vor lauter Druck, den die Musik auf mich ausübte.
Ein Moment, den ich bis heute nicht vergessen habe und der immer wieder auffrischt, wenn ich mir OM heute anhöre – und sich dabei nichts an der Meisterschaft dieser Musik geändert hat. Das sind Momente, die ich in dieser Intensität eigentlich nur bei Ænima durchlebt hatte.
Eingeleitet wird dieses Klangwunder durch Ceasuri Rele, eines der drei besten Intros der Musikgeschichte. Es ist unglaublich, wie so ein bis auf das Minimalste reduziertes Stück, das eigentlich nur aus einer Stimme und minimalen Synthsounds besteht, so ergreifend und furchteinflößend ist und mir dabei die Nackenhaare so zu Berge stehen, dass ich bereits nach den ersten drei Minuten meinen Schlafanzug durchgeschwitzt hatte.
Aber die nächsten knapp 13 Minuten sollten mich dann komplett abholen – und ich meine damit wirklich, dass ich aus Raum und Zeit gerissen wurde. Die leisen, surrenden Gitarren, die sich in Țesarul de Lumini immer mehr hochschrauben, bis dann das Schlagzeug einsetzt – das allein hat mich schon zum Heulen gebracht und mich völlig betäubt. Aber als dann dieser gottgegebene hymnische Jahrhundertgitarrenmoment einsetzt, war es dann auch vorbei mit meiner Zurechnungsfähigkeit.
Dieser Moment, diese Gitarre, dieses perfekte unsaubere Drumming, das völlig schräg klingt, aber zugleich im Einklang mit Gitarre und Bass harmoniert und dann in einen Sturm übergeht – das ist Musik, die man hören muss, die man einfach nicht in Worte fassen kann. Wunderschöne (!) Keyboardteppiche geben der Musik einen wunderbaren farblichen Anstrich, der die Stimmung bis zur "unerträglichen" Spitze treibt. Es ist sagenhaft. Und wenn Hupogrammos mit seinen wahnwitzigen Kreischvocals über alles triumphiert, kann man sich eigentlich nur noch in die Fötusstellung zusammenziehen. Allein das ausladende Ende ist so magisch und vernebelt wie die rumänischen Wälder.
Primul Om bildet dann das passende "Erholungsstück". Ein düsteres Instrumental mit unheimlichen Chören, glasklaren Keyboards und Waldelfeninstrumenten, die nur ganz leise aus dem Hintergrund vordringen. Wunderbar unaufdringlich, wunderbar naturverbunden.
Cunoașterea Tăcută gleicht einem Fiebertraum. Klargesang, Klanghölzer, wildes Gekreische, urige Gitarrenriffs, Tempowechsel mit unglaublichen Spannungsbögen – es ist unfassbar, wie viele Details in dem Sound stecken. Und dann wieder dieser Moment, dieser betörende hymnische Klargesang und diese abartig geile Instrumentalpassage mit dieser wunderbaren Gitarre. Man fühlt sich wie neugeboren, wenn man beruhigenden Flöten lauscht, durch die Klanghölzer massiert wird und durch das zähe Tapping an der Gitarre um den Verstand gebracht wird. Dieser ganze Aufbau des Songs ist so übergroß, das gibt es gar nicht. Wenn sich zum Abschluss dann noch einmal alles in schwindelerregende Höhen aufputscht und alles aufeinanderprallt, ein heller Flötenton die Tränen in die Augen treibt, dann hat man echt einen dicken Kloß im Hals.
Bis hierhin haben NEGURĂ BUNGET mein komplettes Weltbild zum Einsturz gebracht. Und das Album hielt dieses unfassbare, ungreifbare Niveau bis zur letzten Sekunde.
Înarborat ist ein wütendes Stück mit einer beängstigenden Dichte an Intensität und kauzigen Riffs, Tempowechseln und irre guten Vocals. Beeindruckend, wie man hier zwischen fast unkontrollierbarer Raserei und wunderschönen Klanglandschaften hin- und hergerissen wird. Diese Geistermomente in Dedesuptul – da werde ich noch mal um den Verstand gebracht. Was da alles mit der Gitarre angestellt wird, ohne technische Raffinessen.
Mit dem schwebenden Instrumental Norilor wird man in ein wildes Rumänien entführt, direkt in wilde Landschaften und beängstigende Wälder, voller Schönheit und Anmut. Roher und zerfahrener geht es dann mit De Piatră weiter. Auch hier werden wieder Momente des Staunens zum Besten gegeben, und man wird daran erinnert, dass die Musik tief im Black Metal verwurzelt ist – das muss man sich nämlich öfter beim Hören von OM ins Gedächtnis zurückrufen.
Das Gefühlsdurcheinander in Cel Din Urmă Vis gehört vielleicht zur komplexesten Komposition auf OM und vereinigt noch einmal alles, was das Album bisher ausgemacht hat, in einem 10-minütigen Ekstaserausch, in dem auch die letzten Nervenzellen blank liegen. Und mit dem hochdramatischen Hora Soarelui (da habe ich live wirklich geweint!) wird ein Album, das so vielleicht nur alle 15 Jahre erscheint, abgeschlossen, bevor Al Doilea Om die Musik wie ein sanftes Tuch wieder verschleiert.
Sogar das spätere Live-Erlebnis (im Original-Line-up) hat mich in Starre versetzt und gehört bis heute zu meinen monumentalsten Live-Erlebnissen, die ich nie vergessen werde. Eine Band, die aus so menschlichen, schüchternen und bodenständigen Musikern besteht, hat für mich eines der größten Musikalben der Rockmusik der letzten 15 Jahre erschaffen. OM wird bis zu meinem Lebensende einen Ehrenplatz in meinem Herzen haben. Ein Album, das wirklich in der Lage ist, komplette Gefühle heraufzubeschwören und auch bei Leuten funktioniert, die mit Black Metal nichts anfangen können.
Und mal ehrlich, selbst wenn der Split nach dem Album nicht passiert wäre, hätten NEGURĂ BUNGET nie wieder so ein Album erschaffen können. OM hat maßgeblich mein musikalisches Weltbild erschüttert und neu zusammengefügt – ein wahrhaft einmaliges und betörendes Monumentalwerk und gleichzeitig eine Ode an die Musik in all ihrer unerträglichen Schönheit.