Meine Damen, meine Herren, das vermutlich beste (Rock-)Album, das ich in über 30 Jahren Musikekstase kennenlernen durfte. Es gibt einige Alben, mit denen ich mich sehr stark verbunden fühle. Aber kein einziges kotzt mir so aus meiner Seele wie „Fun House“ von den Stooges. The Stooges haben hier einfach mal eine vollgepackte Ladung Chaos in die Musikwelt geworfen, die bis heute nichts von ihrer zerstörerischen Macht verloren hat. Zwischen „The Kinks Are the Village Green Preservation Society“ und „Quadrophenia’s Next“ hat „Fun House“ einen festen Platz in meiner heiligen Dreifaltigkeit der Lieblingsalben.
Die späten 60er markieren in der Rockmusik einen Umbruch, der alles Bisherige über den Haufen werfen sollte. Bands experimentierten mit neuen Sounds, erweiterten das musikalische Vokabular und verließen die sicheren Gefilde des Pop und Blues. Und wenn es ein Album gibt, das den Sound dieser aufkommenden musikalischen Rebellion in seiner rohen, ungeschliffenen Form auf den Punkt bringt, dann ist es „Fun House“ von The Stooges. In der Rockmusik gibt es wenige Alben, die mit solch brachialer Gewalt die Grundfesten des Genres erschüttert haben. Während das selbstbetitelte 69er Debüt bereits eine klare Ansage war, eine minimalistische Kundgebung aus Härte und Rebellion, ist dieses Zweitwerk eine noch tiefere und wildere Exkursion in die Ursprünge von Wut, Exzess und musikalischer Freiheit - und das mit einer Energie, die alles übertraf, was man bis dahin gehört hatte.
The Stooges, unter der elektrisierenden Präsenz von Iggy Pop, haben mit diesem Album eine rohe, unverfälschte Version von Rockmusik erschaffen, die in ihrer kompromisslosen Reinheit wie ein Urknall des Genres wirkt. Es ist die Urkraft für Punk, Noise und alles Ungestüme und Abgefuckte im Rock, das laut, dreckig, roh, ungebändigt und gnadenlos kaputt ist. Die Band entzieht sich allen gängigen Normen, verzichtet auf gefällige Strukturen und treibt die Songs mit einer Vehemenz voran, die keine Zugeständnisse zulässt. Wenn man die Platte auflegt, findet man sich in einer verwahrlosten Katastrophenzone wieder, wo Wut, Lust und Verzweiflung auf die primitivsten Instinkte prallen. Das Album zertrümmerte mit seiner atavistischen Kraft das Establishment der frühen 70er Jahre. Hier gibt es keine geschliffenen Gitarrensoli, keine filigranen Kompositionen - „Fun House“ ist ein animalischer Urknall, der wie eine unaufhaltsame Naturgewalt durch die Rockgeschichte tobt. Die Musik ist ein Schrei nach Freiheit, der aus den verrotteten Kellern und den vernarbten Straßen Detroits hervordringt. Die Arrangements auf „Fun House“ sind extrem reduziert, minimalistisch und dabei wahnsinnig effektiv. Der Blick bleibt immer auf den Grundton des Albums gerichtet - eine unaufhaltsame, raue Energie, die von einer wütenden und zugleich befreiten Ekstase getrieben wird.
Der Opener ‚Down on the Street‘ prügelt den Hörer in eine Welt voller Schweiß, Dreck, zersplitterten Glasflaschen und ungezügelter Lust. Es gibt keine Einführung, keine Aufwärmphase - von der ersten Sekunde an geht es um pure Energie. Ron Ashetons Gitarre kreischt und wimmert wie ein verwundetes Tier, seine Zerstörungsriffs sind maximal direkt, scharf und rau - Asheton trifft gezielt den Nerv, ohne viel Schnickschnack drumherum, während Iggy Pops Gesang - mehr ein animalisches Knurren als konventioneller Gesang, das keinen Raum für Kompromisse lässt - von den Tiefen der menschlichen Existenz kündet. Es ist ein Sound, der die Stagnation der Vororte der Mittelschicht in den späten 60er Jahren regelrecht verhöhnt. Und natürlich der treibende Bass von Dave Alexander sowie Scott Ashetons donnerndes Schlagzeug mit seinen in Dynamit getränkten Drumsticks, die dem ganzen Wahnsinn eine unbändige Wucht verleihen, als würde die Erde unter den Füßen vibrieren, kurz bevor sie auseinanderbricht. Das Zusammenspiel von Gitarre, Bass, Schlagzeug und der fast animalischen Wucht von Iggys Gesang entwickelt eine ungestüme Dynamik, die direkt ins Blut geht. Hier ist nichts gezähmt, alles scheint in Flammen zu stehen. Der Fokus liegt nicht auf ausgefeilter Technik, sondern auf dieser brodelnden, wilden Energie, die einen durch jede Faser des Albums begleitet. „Fun House“ gehört gerade deshalb zu meinen drei Lieblingsalben, weil es sich nicht in ausgefeilter Technik oder komplexen Strukturen verliert. Noch nie und auch nie wieder klang Rock so schmutzig, so direkt und so gefährlich.
„Fun House“ besitzt eine fast schon vulgäre und gnadenlose Direktheit. Die Produktion ist rau und ungeschliffen, genau wie die Musik selbst. Es gibt keine Glätte, keine Perfektion - alles klingt, als wäre es live und unkontrolliert, als könnten die Stooges jeden Moment das komplette Studio niederreißen. Es fühlt sich an, als hätte die Band jede Note, jedes Wort und jede Geste in einem einzigen Wutausbruch auf die Welt losgelassen. Dieses Soundschlachthaus ist unfassbar druckvoll, fast körperlich spürbar, und die Atmosphäre, die sich über die gesamte Spielzeit aufbaut, hat eine enorme hypnotische Qualität. Die Intensität ist beinahe unerträglich - und doch will man sich dieser Energie immer wieder aussetzen.
Im Titelsong ‚Fun House‘ offenbart sich die wahre Genialität der Band, die das gesamte Album in einem fieberhaften Crescendo zur Eskalation bringt. Über sieben hypnotische Minuten hinweg entfaltet sich ein musikalisches Panorama, das gleichermaßen von Free Jazz wie von primitiven Stammestrommeln inspiriert scheint. Dave Alexanders pulsierender Sex-Bass und Scott Ashetons stoisches und wichsfreies Schlagzeugspiel bilden das Fundament für eine ekstatische Reise ins Unbekannte, gekrönt von Steve Mackays frenetischem Saxophonpusterei.
‚1970‘ ist nichts weniger als die Geburtsstunde des Punk - Jahre bevor dieser Begriff überhaupt geprägt wurde. Iggys manisches „I feel alright!“ ist mehr als nur ein Refrain; es ist eine Kampfansage, ein nihilistisches Credo - eine rohe, unverfälschte Freude an der Rebellion und am Chaos.
In ‚Dirt‘ offenbart sich die existenzielle Krise einer ganzen Generation. Über einem schleppenden, blues-inspirierten Riff deklamiert Iggy Pop Zeilen von erstaunlicher poetischer Tiefe. „I've been dirt, and I don't care“. Es ist ein Moment von Dekadenz, der die Verzweiflung und Entfremdung der Post-Woodstock-Ära perfekt einfängt. Iggys Gesang hier ist langsamer, fast schleichend, während die Musik sich um ihn windet und eine Atmosphäre des drohenden Zusammenbruchs aufbaut. Der Song dehnt die Spannung aus, bis sie kaum noch zu ertragen ist, und zeigt, dass The Stooges nicht nur „Lärm“ erzeugen konnten, sondern auch in der Lage waren, emotionale und klangliche Tiefe zu erreichen.
Der Abschlusstrack ‚L.A. Blues‘ ist ein kakophonisches Experiment in Noise und Wahnsinn. Es ist kein Song im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr eine klangliche Repräsentation des Nervenzusammenbruchs der 60er Jahre. In seiner Unnachgiebigkeit liegt eine verstörende Schönheit - es ist der Soundtrack zum Untergang einer Ära, zum endgültigen Zerplatzen der Träume einer Generation. ‚L.A. Blues‘ ist auch zugleich ein radikaler Abschluss für ein radikales Album - ein Zeichen dafür, dass The Stooges bereit waren, jede Grenze zu überschreiten, um ihre künstlerische Vision zu verwirklichen.
„Fun House“ markiert das Ende der naiven Unschuld der 60er und weist gleichzeitig voraus auf die Wut und Frustration, die den Punk der späten 70er nähren würden. In seiner rohen Energie und seinem kompromisslosen Ansatz war es seiner Zeit mehrere Universen weit voraus - was damals wie Chaos und Zerstörung wirkte, war in Wahrheit eine kontrollierte Explosion kreativer Freiheit. The Stooges hatten keine Angst vor musikalischer Destruktion, und in diesem Prozess schufen sie etwas Zeitloses, Unvergängliches. „Fun House“ zeigt die Band auf dem Höhepunkt ihrer zer- und verstörenden Kraft - es ist ein Ritus, eine Art musikalisches Inferno, das alles um sich herum in Flammen setzt. The Stooges haben mit diesem Album DAS Referenzwerk in Sachen Dreck und Räudigkeit in die Rockgeschichte gekackt und damit das Serum für den Punk und die dampfende Latrine der Rockmusik geschaffen - es ist zweifellos eines der wichtigsten und kraftvollsten Rockalben aller Zeiten und für mich persönlich das Maß aller Dinge.
Sonntag, 11. Februar 2018
The Stooges - Fun House
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