2006 ließ ich alles fallen, alles stehen und liegen – TOOL veröffentlichten mit 10,000 Days endlich eine neue Zeitrechnung, doch dann entwich etwas Unvorhersehbares aus den tiefen, urigen Wäldern Rumäniens: drei Musiker entfachten still und heimlich im Herzen Osteuropas eine schiere Revolution, die nicht nur den (Black) Metal auf die nächste Stufe hob, sondern allgemein alles rebootete, was bis dahin unter diesem Genre passierte.
OM stellt im Inneren der Musik Wunder nach, Faszinationen der Natur: warme Lichter funkeln, Stürme toben, Wälder rauschen – alles bildlich vertont. Mit geschärften Sinnen taucht man ab, und ich wurde seit Ænima nie wieder so durchgeschüttelt.
Die charismatischen und bodenständigen Rumänen von NEGURĂ BUNGET haben also 2006 mit ihrem Meilenstein (etwas untertrieben ausgedrückt) OM nicht nur in der Black Metal-Szene für einen gewaltigen "Kulturschock" gesorgt, sondern wurden auch außerhalb der Szene bestaunt, respektiert und bis zur völligen Hingabe vergöttert. 2002 wurde mit 'N Crugu Bradului bereits ein Vorgeschmack auf die darauf folgende Großtat abgeliefert, welches den urigen und faszinierend-eigenartigen Stil dieser besonderen Band in ureigener Weise aufzeigt.
OM hat mich, das weiß ich noch immer haargenau, als ich das Album zum ersten Mal in den Händen hielt und wirklich bis zum Abend gewartet habe, bis ich mich völlig der Musik hingab, komplett fertig gemacht. Seit Ænima wurde ich nie wieder so extrem durch meine Gefühlswelt hin und her gerissen. Ungelogen, ich erstarrte über die komplette Spielzeit von OM, habe vor Freude geweint, 67 Minuten lang Gänsehaut von der Haarspitze bis zur äußeren Hornhaut meiner Ferse gehabt, mich gekniffen, weil ich es wirklich nicht für real hielt, was ich da gerade hörte, und geschwitzt vor lauter Druck, den die Musik auf mich ausübte.
Ein Moment, den ich bis heute nicht vergessen habe und der immer wieder auffrischt, wenn ich mir OM heute anhöre – und sich dabei nichts an der Meisterschaft dieser Musik geändert hat. Das sind Momente, die ich in dieser Intensität eigentlich nur bei Ænima durchlebt hatte.
Eingeleitet wird dieses Klangwunder durch Ceasuri Rele, eines der drei besten Intros der Musikgeschichte. Es ist unglaublich, wie so ein bis auf das Minimalste reduziertes Stück, das eigentlich nur aus einer Stimme und minimalen Synthsounds besteht, so ergreifend und furchteinflößend ist und mir dabei die Nackenhaare so zu Berge stehen, dass ich bereits nach den ersten drei Minuten meinen Schlafanzug durchgeschwitzt hatte.
Aber die nächsten knapp 13 Minuten sollten mich dann komplett abholen – und ich meine damit wirklich, dass ich aus Raum und Zeit gerissen wurde. Die leisen, surrenden Gitarren, die sich in Țesarul de Lumini immer mehr hochschrauben, bis dann das Schlagzeug einsetzt – das allein hat mich schon zum Heulen gebracht und mich völlig betäubt. Aber als dann dieser gottgegebene hymnische Jahrhundertgitarrenmoment einsetzt, war es dann auch vorbei mit meiner Zurechnungsfähigkeit.
Dieser Moment, diese Gitarre, dieses perfekte unsaubere Drumming, das völlig schräg klingt, aber zugleich im Einklang mit Gitarre und Bass harmoniert und dann in einen Sturm übergeht – das ist Musik, die man hören muss, die man einfach nicht in Worte fassen kann. Wunderschöne (!) Keyboardteppiche geben der Musik einen wunderbaren farblichen Anstrich, der die Stimmung bis zur "unerträglichen" Spitze treibt. Es ist sagenhaft. Und wenn Hupogrammos mit seinen wahnwitzigen Kreischvocals über alles triumphiert, kann man sich eigentlich nur noch in die Fötusstellung zusammenziehen. Allein das ausladende Ende ist so magisch und vernebelt wie die rumänischen Wälder.
Primul Om bildet dann das passende "Erholungsstück". Ein düsteres Instrumental mit unheimlichen Chören, glasklaren Keyboards und Waldelfeninstrumenten, die nur ganz leise aus dem Hintergrund vordringen. Wunderbar unaufdringlich, wunderbar naturverbunden.
Cunoașterea Tăcută gleicht einem Fiebertraum. Klargesang, Klanghölzer, wildes Gekreische, urige Gitarrenriffs, Tempowechsel mit unglaublichen Spannungsbögen – es ist unfassbar, wie viele Details in dem Sound stecken. Und dann wieder dieser Moment, dieser betörende hymnische Klargesang und diese abartig geile Instrumentalpassage mit dieser wunderbaren Gitarre. Man fühlt sich wie neugeboren, wenn man beruhigenden Flöten lauscht, durch die Klanghölzer massiert wird und durch das zähe Tapping an der Gitarre um den Verstand gebracht wird. Dieser ganze Aufbau des Songs ist so übergroß, das gibt es gar nicht. Wenn sich zum Abschluss dann noch einmal alles in schwindelerregende Höhen aufputscht und alles aufeinanderprallt, ein heller Flötenton die Tränen in die Augen treibt, dann hat man echt einen dicken Kloß im Hals.
Bis hierhin haben NEGURĂ BUNGET mein komplettes Weltbild zum Einsturz gebracht. Und das Album hielt dieses unfassbare, ungreifbare Niveau bis zur letzten Sekunde.
Înarborat ist ein wütendes Stück mit einer beängstigenden Dichte an Intensität und kauzigen Riffs, Tempowechseln und irre guten Vocals. Beeindruckend, wie man hier zwischen fast unkontrollierbarer Raserei und wunderschönen Klanglandschaften hin- und hergerissen wird. Diese Geistermomente in Dedesuptul – da werde ich noch mal um den Verstand gebracht. Was da alles mit der Gitarre angestellt wird, ohne technische Raffinessen.
Mit dem schwebenden Instrumental Norilor wird man in ein wildes Rumänien entführt, direkt in wilde Landschaften und beängstigende Wälder, voller Schönheit und Anmut. Roher und zerfahrener geht es dann mit De Piatră weiter. Auch hier werden wieder Momente des Staunens zum Besten gegeben, und man wird daran erinnert, dass die Musik tief im Black Metal verwurzelt ist – das muss man sich nämlich öfter beim Hören von OM ins Gedächtnis zurückrufen.
Das Gefühlsdurcheinander in Cel Din Urmă Vis gehört vielleicht zur komplexesten Komposition auf OM und vereinigt noch einmal alles, was das Album bisher ausgemacht hat, in einem 10-minütigen Ekstaserausch, in dem auch die letzten Nervenzellen blank liegen. Und mit dem hochdramatischen Hora Soarelui (da habe ich live wirklich geweint!) wird ein Album, das so vielleicht nur alle 15 Jahre erscheint, abgeschlossen, bevor Al Doilea Om die Musik wie ein sanftes Tuch wieder verschleiert.
Sogar das spätere Live-Erlebnis (im Original-Line-up) hat mich in Starre versetzt und gehört bis heute zu meinen monumentalsten Live-Erlebnissen, die ich nie vergessen werde. Eine Band, die aus so menschlichen, schüchternen und bodenständigen Musikern besteht, hat für mich eines der größten Musikalben der Rockmusik der letzten 15 Jahre erschaffen. OM wird bis zu meinem Lebensende einen Ehrenplatz in meinem Herzen haben. Ein Album, das wirklich in der Lage ist, komplette Gefühle heraufzubeschwören und auch bei Leuten funktioniert, die mit Black Metal nichts anfangen können.
Und mal ehrlich, selbst wenn der Split nach dem Album nicht passiert wäre, hätten NEGURĂ BUNGET nie wieder so ein Album erschaffen können. OM hat maßgeblich mein musikalisches Weltbild erschüttert und neu zusammengefügt – ein wahrhaft einmaliges und betörendes Monumentalwerk und gleichzeitig eine Ode an die Musik in all ihrer unerträglichen Schönheit.
Donnerstag, 1. Februar 2018
Negură Bunget - OM
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