Sonntag, 21. Dezember 2025

The Zombies - Odessey and Oracle

Wenn man über die 60er spricht, denkt man an die Beatles, Hendrix, die Stones; die großen, lauten Jungs. Aber zwischen all dem Feedback-Gewitter und LSD-Nebel entstand 1968 mit "Odessey and Oracle" ein kleines, feines Meisterwerk, das eh immer ein bisschen schräg, ein bisschen ab vom Schuss und trotzdem absolut fantastisch ist. The Zombies gründeten sich 1961 im englischen St Albans und gehörten zu den charmantesten Vertretern der sogenannten British Invasion, die Mitte der 60er-Jahre die Popwelt auf links drehte. Ihre frühen Hits wie 'She's Not There' oder 'Tell Her No' brachten sie schnell in die Charts; wirklich unsterblich gemacht hat sie aber vor allem ein Album: "Odessey and Oracle", erschienen 1968, das zweite Studioalbum der Band und für mich mit all seiner barocken Pop-Sensibilität und seinen bittersüßen Harmonien eines der schönsten und zugleich melancholischsten Psychedelic-Pop-Rock-Alben überhaupt. Eine Zauberleistung, die leider immer etwas unter dem Radar lief; in ihrer stillen Größe überragt sie jedoch bis heute vieles, was in dieser Ära sonst so erschienen ist.

Das Artwork, dieser wirre, bunte, naiv-kunstvolle Schriftzug mit dem berühmten Tippfehler im Titel, gibt eine leise Ahnung davon, dass hier nicht einfach ein weiteres Beat-Album wartet. "Odessey and Oracle" ist kein schwerer, „düsterer“ Trip wie bei Pink Floyd, kein ausgelassener wie bei den Beatles; es ist ein bittersüßer Tagtraum, ein Spaziergang durch einen bunten Sommer; eine Halluzination in Musikform.

Der Opener 'Care of Cell 44' ist dafür der perfekte Auftakt: dieser sonnige, fröhlich klingende Barock-Pop, der in Wahrheit eine ziemlich traurige Geschichte erzählt. Diese ironische Spannung zwischen Leichtigkeit und Melancholie durchzieht das ganze Album wie ein roter Faden. Rod Argents Tastenspiel und die flirrenden Mellotron-Teppiche perlen federleicht, während Colin Blunstone mit seiner sanften, unverkennbaren Stimme eine Atmosphäre schafft, die trotz aller Fröhlichkeit immer ein wenig wehmütig bleibt. Diese bittersüße Diskrepanz trägt das gesamte melancholische Masterclass-Material; Zucker auf der Zunge, Schmerz im Bauch.

Rod Argent und Chris White haben ein Songwriting rausgehauen, das zwischen „Psychedelia für Erwachsene“ und „Pop mit Hirn“ schwankt. Die Harmonien sind teilweise so dicht, dass man reinkriechen könnte; gleichzeitig bleibt das alles so leichtfüßig, dass man vergisst, wie clever das eigentlich ist. In den Abbey Road Studios aufgenommen, mit einem geliehenen Mellotron von George Harrison, klingt das Album wie aus einem Guss: feingliedrig, träumerisch, nie überladen. Als hätte die Band "Pet Sounds" mit einem Tee in der Hand gehört und gedacht: „Können wir auch.“

'A Rose for Emily' ist ein fragiles, zerbrechliches Stück, nur von Klavier begleitet, das mehr an klassische Musik erinnert als an Rock. Hier zeigt sich, warum Blunstone zu Recht als einer der unterschätztesten Sänger der 60er gilt: Er haucht den Text mit einer Zärtlichkeit, die einen unwillkürlich die Lautstärke leiser drehen lässt, als wolle man diesen Moment nicht stören. Kein großes Drama, keine Streicher; einfach nur pure, klare Melancholie, die langsam unter die Haut kriecht.

Den großen Closer 'Time of the Season' kennt vermutlich jeder. Das Atmen, dieses laszive Bass-Riff, die schnippischen Call-and-Response-Vocals, der lässige Groove; dieser ganze verführerische Vibe. Ein Song, der in seiner Coolness kaum zu überbieten ist. Unglaublich, dass dieser Hit erst nach dem Auseinanderbrechen der Band einschlug.

Alles klingt nach Flucht aus der Realität, ohne dabei je den Song aus den Augen zu verlieren. Es gibt schlicht kein Füllmaterial. Kein Song wirkt aufgesetzt oder bemüht psychedelisch; alles bleibt immer irgendwie zurückhaltend, sanft, poetisch. The Zombies schrieben keine sperrigen Prog-Exzesse und keine überdrehten Freakouts, sondern kleine Meisterwerke von bestechender Klarheit und Schönheit. Das alles geschieht mit dieser britischen Zurückhaltung, die einem nicht ins Gesicht schreit, wie großartig sie ist, sondern einen einfach sanft davon überzeugt. Alles hier wirkt so mühelos und doch so vielschichtig.

"Odessey and Oracle" ist der stille Schatten der großen Psychedelic-Alben seiner Zeit; aber in dem Moment, wo man ihm zuhört, lässt es alles andere verblassen. Nach der Veröffentlichung war das Album kommerziell ein Flop; einer der größten musikalischen Treppenwitze der 60er.

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