Dienstag, 23. August 2016

Type O Negative - Slow, Deep And Hard

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Nach der Auflösung von Carnivore gründete Peter Steele, der zu den zehn prägnantesten Persönlichkeiten im Heavy Metal gehört, mit Type O Negative eine der markantesten, herausragendsten und wichtigsten Bands in der Geschichte langer Männerhaare. Es ist schon fast unverschämt, dass Type O Negative mit ihrem Debüt nicht nur das beste Album ihrer Karriere abgeliefert haben, sondern mit Slow, Deep and Hard ein Unikat in Sachen Hass und Bösartigkeit geschaffen haben, das bis heute in dieser Form unerreicht ist. Slow, Deep and Hard ist nicht nur ein Klassiker der Extreme, sondern eines der ganz großen Meilensteine der harten Musik.

Die überlangen und unaussprechlichen Songs sind spielerisch nicht einmal besonders anspruchsvoll, sondern von einer Rohheit und Direktheit geprägt, die sich direkt ins Knochenmark bohrt. Die abnormale Mischung aus punkwildem Hardcore, Zeitlupen-Doom, Schmerzmittel-Gothic und ruppigem Thrash Metal wurde auf keinem anderen mir bekannten Album mit solch einer Höllenintensität vertont, wie es die vier Brooklyn-Boys hier (aus)leben.

Textlich überschreitet das Album Geschmacksgrenzen in einer Weise, dass es eine wahre Freude ist, den angepissten Ausbrüchen von Peter Steele zu lauschen. Das ist allerdings nichts für nervenschwache Gemüter, denn wenn man den derb-bitteren Sarkasmus, den überzogenen schwarzen Humor und den teilweise persönlichen Hintergrund in Steeles Texten nicht erkennt, kann das durchaus auch abstoßend wirken. Auch wenn die Band eher für den Schlüpferstürmer Bloody Kisses und den Blockbuster October Rust bekannt und berühmt ist, ist es dieses Über(menschen)debüt, das in seiner Einzigartigkeit und Pracht eine Sonderstellung im Bereich „Hart & Laut“ innehat.

Peter Steele verstarb am 14. April 2010 im Alter von 48 Jahren an einem Herzinfarkt, und mit ihm endete auch die Band Type O Negative. Trauriger ist eigentlich nur die Tatsache, dass mit Peter Steele eine große Persönlichkeit, ein charismatischer Charakterkopf und ein kantiges Unikat eine Lücke hinterließ, die nicht geschlossen werden kann.

Celtic Frost - Into The Pandemonium

Celtic-Frost-Into-The-Pandemonium

Bügelt ihr auch so gerne wie ich? Man denkt sich den ganzen Tag bei der Arbeit: „Ist die Wäsche auf der Leine schon trocken?“ und „Welches Album lege ich heute dazu auf?“ Into the Pandemonium von Celtic Frost gilt bei mir als der ganz große Wurf der Band.

Die Schweizer hatten auf diesem Klassiker ihre Pforten geöffnet und allerlei Fremdeinflüsse in ihren bis dato urigen und gewaltigen Krachsound Einlass gewährt. 1987 war Heavy Metal längst nicht mehr die NWoBHM-Schunkelmusik, die härtere Version von Rock und Punk aus den Siebzigern; Maiden, Priest & Co. strauchelten nur noch vor sich hin, während Metallica, Slayer & Co. sowie der weltweite Underground die Musik in immer neue Härtedimensionen rumpelten.

Und dann kamen plötzlich die Schweizer mit ihrem Zweitwerk daher und hinterließen wohl (ich selbst hörte damals noch Petra Zieger, Frank Schöbel und IC Falkenberg im Kindergarten, also kann ich nicht als Zeitzeuge dienen) eine Menge hämmernder Fragezeichen beim tobenden Mob.

Während Celtic Frost auf ihren beiden EPs und dem Vorgänger den Protosound für die spätere Death-Metal-Welle zelebrierten, gab es auf Into the Pandemonium auf einmal Disco, Bauhaus-Wave, elektronische Beatexperimente, Pop, Gothic-Tristesse, fliegende Teppiche, orientalischen Bazar-Zauber, opernhaftes Frauengesang, orchestrale Arrangements mit Pauken und Trompeten – und Thomas Gabriel Fischer sang plötzlich vereinzelt in verständlicher Sprache.

Heute läuft das unter dem Namen Avantgarde, damals war das Langhaarvolk damit wohl ziemlich überfordert. Diese größenwahnsinnige Kombination aus dem urtypischen Celtic-Frost-Sound (der Gitarrensound gehört zu den besten Momenten im gesamten Hard’n‘Heavy-Bereich) und den erwähnten Einflüssen schuf diesen kreativen Höhepunkt – ein Geniestreich, der auch nach fast dreißig Jahren zu den großen Meilensteinen der Heavy Metal-Musik zählt. Veredelt wurde diese Machtrakete mit einem wunderbaren, erdigen und warmen Sound sowie einem Ausschnitt aus der rechten Höllenseite von Hieronymus Boschs The Garden of Earthly Delights.

Übrigens wurde ein Heavy-Metal-Album nie wieder größenwahnsinniger und abgeklärter eröffnet als mit Mexican Radio.

Dienstag, 9. August 2016

Clerks



Regie: Kevin Smith, 1994

Irgendwann Ende der Neunziger habe ich diesen ersten Film von Kevin Smith mal im TV gesehen, doch er ist bei mir irgendwie völlig in Vergessenheit geraten. Man muss wohl nicht viel dazu sagen: Eine kleine Perle der Neunziger, für viele tonnenschwerer Kult und ein kleines Abzeichen dieser Zeit und der Generation der 90er Jahre.

Brian O’Halloran als Dante und Jeff Anderson als Randal verkörpern die beiden gelangweilten Nichtskönner auf überzeugend glaubwürdige Weise, auch wenn man schauspielerisch nicht allzu viel erwarten darf. Die große Stärke dieser kleinen Indie-Perle liegt in den Dialogen: Die ganzen Gespräche mit der nervenden Kundschaft (Dante arbeitet als Kassierer in einem schäbigen kleinen Lebensmittelladen, Randal übernimmt dieselbe Aufgabe in einer Videothek, die sich zwei Meter neben dem Laden befindet) und die skurrilen Situationen, die sich oft aus diesen Gesprächen ergeben, sind der Kern des Films.

Randal mag keine Menschen und verärgert mit Freude seine Kundschaft, was er auch bei Dante im Laden abzieht, da er dort oft zu „Besuch“ ist, wenn ihm langweilig ist. Dazu gesellt sich ein derber Humor, der meiner Meinung nach zwar die Fäkalgrenze, wie man sie aus aktuellen Komödien kennt, streift, aber trotz aller Zoten fast immer ins Schwarze trifft. Einige Sprüche sind auch heute noch unglaublich lustig und großartig. Der russische Metalsänger ist auch so ein kleines Highlight:

„My love for you is like a truck, Berserker. Would you like some making fuck, Berserker.“

Genau so funktioniert Heavy Metal!

Atmosphärisch ist der Film ebenfalls ganz groß, da die Bilder komplett in Schwarz-Weiß gehalten sind und die grobe Kameraführung ein ganz eigenes Bild zeichnet. Zudem besitzt der Film eine starke melancholische Note, die auf wundervolle Weise eine Generation einfängt. Für die Augen gibt es mit der damaligen Damenmode und den unglaublich hässlichen Damenfrisuren ein tolles Bild der Zeit.

Stimmig, lustig, skurril und ganz nah dran.

Donnerstag, 4. August 2016

Toto - The Seventh One

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Ich habe Toto zwar immer gemocht, sie als herausragende Musiker eingestuft und mir die Hits nie totgehört, aber so richtig mit deren Alben habe ich mich nie beschäftigt. Ich hatte auch nie das Bedürfnis, mir ein Toto-Album zu kaufen. Vor ein paar Jahren jedoch, in einem Rausch, habe ich fast den gesamten Bandkatalog von einem Kumpel aufgekauft, der gerade seine Sammlung verramschte – zu einem fairen Preis.

Hier lief dann mal IV, dann mal Isolation und Hydra. Aber alles eher nebenbei. Irgendwann kam der Tag, als The Seventh One im CD-Schacht landete. Und dieses Werk machte mich zum Fan. Mit dem Opener Pamela und seinem Mörder-Refrain hatte die Band sofort meine volle Aufmerksamkeit. Joseph Williams’ großartiger Gesang, irgendwo zwischen George Michael und einer kraftvollen Rockröhre, in Kombination mit den punktgenau komponierten Songs, ergab über das gesamte Album eine eindrucksvolle Verschmelzung von handwerklichem Können, 80er-Sound, „dicke Hose“-Radiorock und einer Hitdichte, die fast schon eitel wirkt.

Mit diesem Album veröffentlichten Toto die Blaupause für perfekten Pop-Rock und untermauerten ihren Status als Band, die einige der besten Musiker der Rockmusik beherbergte. Am bekanntesten ist dabei die Rhythmusfraktion der Porcaro-Brüder, Jeff und Mike, die leider nicht mehr unter uns weilen. Besonders Jeff gehört zu den mächtigsten Schlagzeugern der Rockmusik.

Die nächste Größe ist Steve Lukather an der Gitarre, ein Weltklassegitarrist und gefragter Studiomusiker, dessen unaufdringliches Spiel erst beim genauen Hinhören seine wahre Größe zeigt. David Paich an den Tasten ist der heimliche Wunderknabe der Band. Er zeichnet sich nicht nur als hervorragender Songwriter für die meisten Songs aus, sondern pumpt mit seinem Keyboard gewaltige Melodien in den typischen Toto-Sound.

The Seventh One ist natürlich komplett im Stil der Achtziger produziert, allerdings mit feinen Nuancen, die man erst mit der Zeit erkennt. Der allgemeine Tenor besagt ja, dass IV DAS Toto-Album ist. Für mich jedoch ist es ganz eindeutig dieses hier. Hier sind in konzentrierter Form die besten Songs aus ihrer Achtziger-Phase vertreten: das übermenschliche Stop Loving You, in dem auch Jon Anderson im Hintergrund trällert, mit seinem unfassbar leichtfüßigen Refrain, das wunderbare Mushanga mit einem unbeschreiblichen Jeff Porcaro, das pumpende Straight for the Heart, mein persönlicher Liebling Only the Children oder das epische Home of the Brave – alles Kompositionen auf einem Niveau, das nur die wenigsten Rockbands erreichen.

Trotz allem technischen Können der einzelnen Musiker drängt sich nie jemand in den Vordergrund oder spielt sinnlos an seinem Instrument herum. Auch versucht sich niemand in krampfhafter Komplexität. Die Songs von Toto sind immer klar strukturiert und songdienlich, aber unter der Haube oft technischer und abgefahrener als bei den meisten Prog-Bands.

The Seventh One gehört für mich ganz klar neben Köstlichkeiten wie Agent Provocateur und Frontiers auf den Achtziger-Altar gestellt.

Dead Congregation - Promulgation Of The Fall

Dead Congregation - Promulgation Of The Fall
Dead Congregation - Promulgation Of The Fall (CD, Martyrdoom Productions, 2014)
Promulgation of the Fall ist für mich nicht nur das beste Death-Metal-Album des bisherigen Jahrzehnts, sondern auch der lang ersehnte Thronfolger zu Gateways to Annihilation und mein persönliches Heavy-Metal-Werk des Jahres 2014. Leider hat dieses Monster viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Fehlt der Plastik in der Produktion? Der Eiter, das Blut und die weibliche Erniedrigung auf dem Cover und in den Texten? Die heimlich eingeschmuggelten Trinkhörner im Outfit? Klingt das Schlagzeug vielleicht zu unnatürlich natürlich? Liegt es am vermeintlich „lächerlichen“ Herkunftsland der Band? Ist der Sound nicht übersteuert genug? Oder sind es die muffigen, höllischen Gitarrenriffs, die auf Bodybuilder-'n'-Goldkettchen-'n'-Penisbegradigung-Zirkustheater verzichten?

Promulgation of the Fall hat alles, was ich noch am Death Metal mag. Ich war beinahe erstarrt, als mich die ersten Snare- und Bassdrumanschläge in Only Ashes Remain getroffen haben. Es fühlt sich an, als würde der Drummer seine gesamten Schlagzeugkomponenten nach mir werfen und die Bassdrum-Fußmaschinen direkt am Skrotum montieren, sodass die beiden Rosinen im Beutel im freudigen Sekundentakt wie Eiterpusteln zum Platzen gebracht werden.

Wenn dieses menschliche Drummonster auf Promulgation of the Fall komplett ausflippt, bricht förmlich ein barbarischer Sturm aus. Was für eine teerschwarze Wand aus Druck, Höllenenergie und Zerstörung! Besonders im Song Nigredo tobt in den ersten Sekunden eine schier unglaubliche Panzerschlacht auf Speed. Gewaltige Drumfontänen treiben die ätzenden Todesriffs bis an die Spitze der Bösartigkeit.

Das gnadenlose Serpentskin, das Säure verspritzende Immaculate Poison oder Schisma – für mich der mächtigste und erdrückendste Gewaltakt auf diesem Werk mit seinem verstandauslöschenden Mittelteil – sind Todesschwadronen, die in der Lage sind, Leben zu eliminieren.

Dead Congregation haben mit dieser todesmetallischen Dämonenbrutstätte für mich das gewaltigste Extremwerk dieses Jahrzehnts veröffentlicht. Es liefert den Beweis, dass eine lebendige, spürbare und am eigenen Leib vollzogene Exekution nichts weiter benötigt als erschlagende Songs, unkontrollierte Gewalt, eine Produktion nach Art des Hauses und eine unverfälscht eingefangene, schlicht unmenschliche Energie.

Dienstag, 2. August 2016

QUERSCHNITT - zehn Songs, ein Künstler; heute: PJ Harvey

Mir ist heute bei meiner Radtour ein kleines Konzept durch mein Hirn gerauscht. In regelmäßigen Abständen versuche ich hier, Bands und Einzeltäter, die mir besonders wichtig sind, etwas näher zu inspizieren und mit Hilfe von zehn ausgewählten Songs aus den unterschiedlichen Schaffensphasen für die Leser, die sich eventuell hierhin verirrt haben, vorzustellen. Laufen wird das jeweils unter dem Namen "QUERSCHNITT". Die Reihenfolge bezieht sich dabei nicht auf (m)eine persönliche Wertung, sondern dient lediglich zur (chronologischen) Übersicht. Songbeispiele, soweit vorhanden, verlinke ich mit der entsprechenden Quellenangabe.

Den ersten QUERSCHNITT auf diesem Blog übernimmt natürlich und ganz klar...

Die großartigste Musikerin unserer Zeit. Die Herrlichkeit mit Busen, die Kaiserin der modernen Rockmusik, die Gebieterin der Lust, schlicht und ergreifend die beste Rocksängerin aller Zeiten – Helene Fischer. Falscher Zettel. Polly Jean Harvey – die Frau mit dem markanten Mund, der einprägsamen Nase und den tausend Gesichtern. Optisch und akustisch besser als jeder Penis. Der Kompetenzgynäkologe empfiehlt – 10x Qualitätsabstrich:

10. Dress (1992, "Dry")

1992 tauchte die damals 22-jährige PJ Harvey mit ihrem kantigen Debüt Dry plötzlich in der bis dahin fast ausschließlich von Männern dominierten Rocklandschaft auf und machte eigentlich alles richtig. Schwitzender Schrammelrock, wild und lustvoll gespielt und kraftvoll gesungen – wie es eigentlich nur Frauen können. Bereits mit ihrem Debüt galt Polly Jean als ein unerklärliches Jahrhundert-Ausnahmetalent, das nicht nur in der Männerwelt für sabbernde Ohren und Augen sorgte. Gitarre, Bass, Schlagzeug – mehr braucht Frau nicht.
PJ Harvey - Dress (Quelle: Youtube) 

9. 50 Ft Queenie (1993, "Rid Of Me")

Unter vielen älteren Fans ist Rid Of Me ja irgendwie das Lieblingsalbum. Die irre geile Signature-Produktion vom Gottkaiser Steve Albini ist wohl auch das herausstechendste Merkmal von Rid Of Me. Eindeutig das räudigste und ungezügeltste Harvey-Album. Vertonter Schmutzfinksex in einer muffigen Drecksgrube und gleichzeitig ein urgewaltiger Anschlag auf die Sinne, dass ich mich auch heute noch in eine Testosteronbombe verwandle, wenn ich das Album auflege. Liebe ich natürlich auch hart ab. Der Bass! Hört doch mal.
PJ Harvey - 50 Ft Queenie (Quelle: Youtube)

8. Meet Ze Monsta (1995, "To Bring You My Love")

1995 erschien mit To Bring You My Love die bis heute mit Abstand abwechslungsreichste und künstlerisch wertvollste Platte, die Harvey aufgenommen hat. Grandioses und originelles Songwriting, verpackt in einer mal wieder fantastischen Produktion. Düster, bedrohlich, verrückt, komplex, ausbrechend, belastend und faszinierend schön – wie die Wasserleiche auf dem Cover. Meet Ze Monsta mit diesem Monster von einem Basssound und dieser verruchten und willigen Harvey, die hier wie eine drogenzerstörte Prostituierte wirkt, ist dabei nur ein Ausschnitt aus diesem Werk voller Weiblichkeit. Vielleicht ist To Bring You My Love sogar mein Lieblingsalbum; jedenfalls streitet es sich mit White Chalk und Stories from the City, Stories from the Sea um das beste weibliche Album in meiner Sammlung. Eindringlich bis ins Knochenmark, hocherotisch und betörend geil!
PJ Harvey - Meet Ze Monsta (Quelle: Youtube)

7. Down By The Water (1995, "To Bring You My Love")

Nochmal "To Bring You My Love". Knisternde Erotik, auch wenn es in diesem Song um Vergewaltigung geht.

6. A Perfect Day Elise (1998, "Is This Desire?")

Is This Desire? ist leider eine total unterbewertete Scheibe in der Harvey-Landschaft, was sicher daran liegt, dass der phänomenale Vorgänger einen viel zu großen Schatten wirft. Ich mag das Album, es ist eher ruhig gehalten, die Gitarren sind selten aggressiv, und PJ Harvey hat auch hier wieder einige Songperlen komponiert.
PJ Harvey - A Perfect Day Elise (Quelle: Youtube)

5. Big Exit (2000, "Stories From The City, Stories From The Sea")

Mit Stories From The City, Stories From The Sea brachte PJ Harvey im Jahr 2000 ihr bis heute zugänglichstes und songorientiertestes Werk hervor. Ein wahres Hit-Feuerwerk mit wunderschönen Melodien, Gesangslinien und einer wunderbar aufspielenden Band. Eröffnet von dem mächtigen Big Exit, in dem Harvey stimmlich von der ersten Sekunde an begeistert, bekommt man zeitlose und einfach richtig gute Rocksongs ins Hirn gepflanzt. Das erste große Meisterwerk für die Masse, das aber trotzdem mit jeder Sekunde künstlerische Großtaten aufzeigt und den schwierigen Spagat zwischen eingängigen Songs und anspruchsvollem Songwriting auslebt.
PJ Harvey - Big Exit (Quelle: Youtube)

4. The Whores Hustle And The Hustlers Whore (2000, "Stories From The City, Stories From The Sea")

Schlicht einer der besten Harvey-Songs und live – wie eigentlich immer bei Harvey – noch eine ganze Nummer knalliger. Wer hier nicht erkennt, was für eine großartige Musikerin sie ist, sollte dann doch lieber bei Helene Fischer bleiben.
PJ Harvey - The Whores Hustle And The Hustlers Whore (Quelle: Youtube)

3. Who The Fuck? (2004, "Uh Huh Her")

Mit diesem Werk ging Harvey wieder ruppiger zur Sache und lieferte Handgranatensongs wie z. B. Who The Fuck? ab, die destilliertes Liebeskonzentrat darstellen. Hier kann man auch wunderbar erkennen, warum PJ Harvey als wandelndes Chamäleon gilt.
PJ Harvey - Who The Fuck? (Quelle: Youtube)

2. Silence (2007, "White Chalk")

Müsste ich mich für ein Album entscheiden, würde meine Wahl wohl eindeutig auf White Chalk fallen. Selten hat mich Musik so schnell und ohne Inkubationszeit gefangen genommen. Mein persönliches Einstiegsalbum und gleichzeitig ein extrem intimer, persönlicher, zerbrechlicher und klagender düsterer Seelenstriptease von der Todesmaid Polly Jean. Da auf White Chalk keine E-Gitarren enthalten sind und die Musik größtenteils komplett auf akustischen Instrumenten eingespielt wurde, untermalt von einem simplen Piano und Harveys extrem hoher Stimme – leidend, schreiend, klagend, wütend, traurig, schmerzlich und zurückhaltend schön – klingt das Album wie ein vertonter Trauerzug, der Soundtrack auf dem Sterbebett. Dabei sind es berührende Momente wie das bittersüße Silence, das hoffnungslose Dear Darkness, der verträumte Titelsong oder das elegische The Mountain, die einen extrem bedrückenden Zauber heraufbeschwören. Vielleicht sogar DAS Album, das am deutlichsten das Jahrhunderttalent dieser Musikerin aufzeigt. Göttingegebenes 10-Punkte-Meisterwerk für die Insel und nichts weiter als eines der 10 besten Musikalben der 00er-Jahre!
PJ Harvey - Silence (Quelle: Youtube)

1. All And Everyone (2011, "Let England Shake")

Let England Shake ist bis heute Harveys ambitioniertestes Album, das irgendwie von allen vorherigen Alben etwas besitzt und trotzdem frisch und neu klingt. Von den Kritikern hoch gelobt, hatte ich anfangs meine Problemchen mit dem komplexen Albumfluss. Mittlerweile liebe ich dieses Werk aber auch. Mit All And Everyone enthält das Album sogar den für mich ergreifendsten Song, den PJ Harvey bisher geschrieben hat.
PJ Harvey - All And Everyone (Quelle: Youtube)

Judas Priest - Sad Wings Of Destiny



Stellvertretend für alles, was Judas Priest bis 1988 auszeichnet, ist bereits auf dem zweiten Album der Birmingham-Legende enthalten. Das urklassische Gitarrenduo Tipton/Downing hämmerte sich bis 1988 auf jedem Album songorientierte Hookline-Riffs aus den Pranken, ohne dabei übertrieben komplex oder selbstverliebt zu wirken (was mich bei der „billigeren“ Variante Maiden mittlerweile ziemlich nervt). Dazu schoss Halford unwiderstehliche Refrains und Gesangslinien in die Plattenrillen.

Neben Black Sabbath sind Judas Priest DIE Definition der klassischen Heavy-Metal-Band, auch wenn sich die Band ab den Neunzigern komplett demontiert hat (mit Ausnahme von Jugulator) und nie wieder zu alter Stärke fand. Dabei sind es solche sensationellen Übersongs wie Dreamer Deceiver/Deceiver (welch begnadete Gesangsleistung Halford hier abliefert), die eben nur Judas Priest schreiben konnten.

Montag, 1. August 2016

Castaway on the Moon


Regie: Lee Hae-jun, 2009

Kennt ihr das? Man lümmelt sich auf die Schnoddercouch, wühlt im Stapel ungesehener Filme im verstaubten Regal herum und zieht blind etwas heraus? Eigentlich wollte ich mich ja mit einem weiteren Werk von Sion Sono beschäftigen, hatte dann aber doch Lust auf etwas Zufälliges. Und dann bekommt man so einen wunderbaren Film!

Ein junger Mann hat seinen Job und seine Freundin verloren, ist pleite, verschuldet und hat keinen Lebenswillen mehr. Er beschließt, sich von einer Brücke in den Hangang (einen Fluss in Südkorea) zu stürzen. Leider wacht er später auf einer "Insel" zwischen Brückenpfeilern wieder auf, direkt gegenüber der Skyline der Wolkenkratzer am Strand. Mit seinem getrockneten Handy versucht er den Notruf zu erreichen, wird aber für verrückt gehalten. Da er nicht schwimmen kann, bleibt ihm nur noch der Gedanke an Suizid, den er mit seiner Krawatte und einem Baum umsetzen will. Doch schließlich beschließt er, sein Leben auf dieser "Insel" neu zu ordnen. Aus dem angeschwemmten Stadt- und Touristenmüll baut er sich ein kleines Lager und versucht vergeblich, Nahrung zu beschaffen. Sein anfängliches "HELP" am Strand verwandelt sich später in ein "HELLO", nachdem er nach drei Monaten einigermaßen gelernt hat, sich Nahrung zu erbeuten.

Szenenwechsel: In einem Wolkenkratzer direkt gegenüber lebt die völlig zurückgezogene junge Kim, eingesperrt in ihrem vermüllten Zimmer. Sie betreibt eine Homepage und inszeniert sich im Rampenlicht, gibt vor, jemand zu sein, der sie nicht ist. Kim ist im Gesicht leicht entstellt (vielleicht eine Brandnarbe?), was wohl nicht dem Schönheitsideal der Gesellschaft entspricht. Aber das ist natürlich Quatsch – sie ist eine niedliche Schönheit, wie ich finde. Egal. Ihr zweiter großer Lebensinhalt ist die Mondfotografie, für die sie eine entsprechende Ausrüstung besitzt. Im Gegensatz zu ihrem vollgemüllten Zimmer ist der Rest des Elternhauses wohlhabend und blitzblank. Ein weiterer Tick von Kim: Sie schläft im Schrank, eingemummelt in Luftpolsterfolie.

Als sie mit ihrer Kamera das "HELLO" und den Mann auf der Insel entdeckt, hält sie ihn zunächst für einen Außerirdischen (es gibt ein paar absurde Szenen, die ich hier nicht verraten möchte, durch die dieser Eindruck entsteht). Der junge Mann bekommt plötzlich Heißhunger auf Nudeln. Er beschließt, sich seine eigenen Nudeln "anzubauen". Wie er das macht, sollte sich jeder selbst anschauen. Großartig!

Kim entschließt sich, dem Mann Nachrichten per Weinflaschenpost zu schicken. Doch dafür muss sie nicht nur ihr Zimmer, sondern auch das Gebäude verlassen. Mit Motorradhelm und buntem Sonnenschirm schleicht sie sich in der Nacht zur Brücke, die nahe der "Insel" liegt, und wirft die Flasche in diese Richtung. Daraufhin entwickelt sich eine gewisse Kommunikation. Der junge Mann antwortet mit Botschaften, die er in den Sand schreibt, und Kim wagt jede Nacht erneut ihren gefürchteten Gang. Mehr möchte ich zur Geschichte nicht verraten.

Wow! Echt jetzt. WOW! Auch wenn sich das hier sehr komisch liest, der Film ist eine grandiose Mischung aus Isolation, Witz und Menschlichkeit. Er ist ungeheuer herzerwärmend und bietet selbst für Nicht-Asiakenner ein ungewöhnliches Bild. Beide Schauspieler liefern eine großartige Vorstellung ab, dabei wird auf die typischen asiatischen Stilmittel komplett verzichtet. Eine Mischung aus Mary & Max, Le fabuleux destin d’Amélie Poulain und ein wenig Robinson Crusoe mit einer tollen Portion Tiefgründigkeit. Zudem erlebt man eine der bezauberndsten Romanzen der jüngeren Kinogeschichte. Dass beide Figuren den Namen Kim tragen, ist nur das i-Tüpfelchen.

Dringende Empfehlung mit dem Louis Cyphre-Gütesiegel an alle, die mal wieder einen richtig schönen Film erleben wollen. Welt, schau mehr asiatische Filmkunst!