War. War never changes.
Der große Panzergeneral Bolt Thrower lebt dies wie keine zweite Band aus und überrollte die Musiklandschaft sage und schreibe vier (4) Jahrzehnte lang mit einzigartigen Live-Blitzkriegen und heilig verehrter Kettenfahrzeug-Musik. Wenn es nur eine Band gibt, die den Begriff Death Metal verkörpert, dann kann es nur die mit allen Dienstgraden ausgezeichnete Institution aus England sein. Mercenary ist da "nur" ein Partikel dieser Kriegsmaschine. Würden sich doch nur alle Politiker, Diktatoren, Fanatiker und Kriegstreiber diesem Sound hingeben, bräuchte die Menschheit auch keine doofen Kriege mehr.
Hier bekommt man nicht nur den Sound des Krieges, sondern es surren alle Knochen, und die Riffs gehen direkt in den Blutkreislauf. Singende Panzer, tanzende Haubitzen, gewaltige Flak-Batterien. Alles ohne Blutvergießen, Mord, Folter, Vergewaltigungen, maskuline Dummheit und ähnliches trauriges Menschheitsversagen.
Ach ja, Jo Bench ist die fuckin' Sex-Queen. Wenn sie (mit ihrem Bass) drückt, kommt es bei mir!
Freitag, 28. Dezember 2018
Bolt Thrower - Mercenary
Rush - Moving Pictures
Neben meinen Lieblingen Hemispheres (70er) und Power Windows (80er) ist es Moving Pictures, das als einziges Album perfekt die progressive Ausrichtung der frühen Alben mit der späteren Synthesizer-Phase verbindet. Sieben Songs, davon ein Instrumental, die alles beinhalten, was Rockmusik ausmacht. Sei es das extravagante Powerdrumming von Neil Peart, die unwiderstehlichen, dicken Basslinien von Geddy Lee, die unzähligen magischen Momente von Alex Lifesons Gitarrenspiel, das unwirkliche Songwriting, die großartige Produktion von Terry Brown oder die typischen Rush-Melodien.
Panoramen wie Red Barchetta, Tom Sawyer, Limelight oder das gern übersehene Witch Hunt gehören auch nach über 30 Jahren zu den beneidenswertesten Momenten, die die Rockmusik jemals hervorgebracht hat.
Samstag, 15. Dezember 2018
Love Exposure
Regie: Sion Sono, 2008
Ungelogen, vielleicht das größte Filmerlebnis neben The Turin Horse, das ich in den letzten Jahren gesehen – nein, erlebt – habe. Eine fast vierstündige Filmoper aus Japan, die das zentrale Thema Liebe meisterhaft erzählt. Wahnsinnig gute Schauspieler (wunderbar: Yu aka Takahiro Nishijima, zauberhaft und unendlich niedlich: Yoko aka Hikari Mitsushima) zelebrieren hier eine Geschichte, die so genial und außergewöhnlich erzählt wird, dass man nach den knapp vier Stunden (die übrigens wie im Flug vergehen, so klug und interessant ist der Film komponiert) heulend, glücklich, aufgewühlt, nachdenklich, geflasht und überwältigt nach Taschentüchern und einer neuen Schlüppi greift.
Untermalt mit dem berühmten zweiten Satz aus Beethovens 7. Sinfonie, Ravels Bolero und Rockmusik wird hier eine Bilderflut der Extreme gezeigt. Was anfänglich noch ungewohnt und fremd wirkt (japanischer Schlüpfer-Wahn bei Schulmädchen), überzogene Komik/Mimik, Kampfkunsteinlagen und religiöser Irrsinn, wird nach und nach aufgedröselt und passend zusammengefügt. Es dauert auch knapp eine volle Stunde, bis überhaupt der Titel des Films eingeblendet wird.
Slasher, Komödie (teilweise wirklich sehr lustige Dialoge und Situationen), Action, Horror, Religion, Splatter, Drama und Erektionen gehen Hand in Hand und sind großartig in Szene gesetzt. Schrill, bunt, lebensfreudig, traurig, romantisch, spannend, ernst, witzig, geistreich – ein berauschender Trip, und man fühlt sich nach diesem GENUSS wie benebelt. Klingt merkwürdig fremd und etwas abgefuckt, aber der Film ist wirklich von vorne bis hinten großartig.
Lunar Aurora - Hoagascht
Das letzte Album der Rosenheimer gehört zu den besten musikalischen Schöpfungen, die der deutsche Musikmarkt im neuen Jahrtausend hervorgebracht hat. „Hoagascht“ ist so unheimlich perfekt, dass ich es auch heute kaum glauben kann, dass das Kapitel Lunar Aurora tatsächlich abgeschlossen ist. Auf diesem Schwanengesang singen die Rosenheimer im strengen, urbayrischen Dialekt und erschaffen damit ein unverwechselbares, klangliches Kunstwerk, das nicht nur in der (Black) Metal-Landschaft seinesgleichen sucht. Bis heute zählt dieses Album für mich zu den großartigsten Veröffentlichungen des Genres. Mir ist kein anderes Werk der letzten Jahre bekannt, das dermaßen stimmig und zugleich komplex aufgebaut ist – vor allem im Sounddesign.
Als „Hoagascht“ im Jahr 2012 veröffentlicht wurde, stand ich dem Album zunächst mit gemischten Gefühlen gegenüber. Die vorherigen Werke von Lunar Aurora, insbesondere „Andacht“, gehörten zu meinen absoluten Favoriten im Black Metal-Genre, und die Erwartungen an das neue Album waren entsprechend hoch. Doch was mich bei den ersten Durchläufen von „Hoagascht“ erwartete, war etwas völlig Neues, etwas Unerwartetes – ein Klangbild, das sich stark von dem unterschied, was ich von dieser Band kannte und liebte. Die komplexe, fast schon erdrückende Soundlandschaft war zunächst eine Herausforderung für mich.
Im Vergleich zu früheren Werken der Band zeigt sich auf „Hoagascht“ eine gesteigerte Souveränität im Umgang mit dynamischen Kontrasten. Wo zuvor noch eine gewisse Kompromisslosigkeit in der Härte zu spüren war, präsentiert sich die Gruppe hier als Meister der kontrollierten Intensität. Dies mag auch der Grund sein, warum „Hoagascht“ trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner Kompromisslosigkeit als eines der zugänglichsten Alben im Œuvre von Lunar Aurora gilt.
Die Soundlandschaft, die das Duo hier entwirft, ist von tiefer Schwere und dennoch voller Details. Die Gitarren klingen oft, als würden sie von Wind und Wetter gepeitscht, während das „Schlagzeug“ in den Songs wie ein pochender Herzschlag durch die düsteren Wälder hallt. Über allem schwebt ein atmosphärischer Schleier aus Synthesizern, der die einzelnen Tracks zusammenhält und eine kühle, fast majestätische Erhabenheit verleiht. Dabei wird das Tempo immer wieder gedrosselt, die Musik zieht sich in die Länge wie ein schleichender Nebel, der den Hörer langsam und unaufhaltsam umhüllt.
Die sagenhafte Atmosphäre, die auf dem Werk erzeugt wird, ist kaum in Worte zu fassen: Die kunstvoll eingesetzten Keyboards, die eine wesentliche Rolle in der Klangstruktur des Albums spielen, sind überwältigend, die umwerfenden Melodien übergroß, der Sound herrlich urig, der Drumcomputer perfekt programmiert, die Riffs sensationell harmonisch und schwebend, und das Songwriting zum Niederknien. Jeder einzelne Song ist ein Kunstwerk für sich; die darin enthaltenen Ideen und Soundkreationen sind unfassbar ausgereift, und die verträumte Atmosphäre ist so gut eingefangen, wie ich es auf kaum einem anderen Album so intensiv erlebt habe. In den besten Momenten des Albums fühlt man sich wie ein Wanderer, der allein durch die Nacht zieht, nur begleitet vom Heulen des Windes und den entfernten Rufen der Eulen.
Das Album lebt von dieser intensiven, fast greifbaren, organischen Atmosphäre. Jede Melodie scheint aus der Erde selbst geboren zu sein, jede Note klingt wie ein Echo uralter Geschichten und Mythen, die in den Bergen und Tälern der Alpenregion verwurzelt sind. Lunar Aurora haben schon immer ihre Umgebung in die Musik einfließen lassen, doch hier wird diese regionale Verwurzelung so direkt und authentisch in die Klangwelt integriert wie niemals zuvor. Es ist eine melancholische, fast romantische Sicht auf die Natur, die die Band hier musikalisch umsetzt.
Die Songs ‚Nachteule‘, ‚Sterna‘, ‚Im Gartn‘ und ‚Håbergoaß‘ verkörpern die Genialität dieses Albums auf exemplarische Weise. ‚Nachteule‘ ist ein atmosphärisches Meisterwerk: Mit einer melancholischen Melodie, getragen von tiefen, bedrohlichen Riffs, erschafft der Song eine Atmosphäre, die gleichermaßen erdrückend und hypnotisch wirkt. ‚Sterna‘ besticht durch majestätische Erhabenheit – seine unheimlich schöne Melodie gräbt sich unauslöschlich ins Gedächtnis ein. Das beeindruckende ‚Im Gartn‘ entfaltet durch hypnotische Strukturen und sich überlagernde Klangschichten die besten Momente atmosphärischen Black Metal. Hier beweist die Band ihre Fähigkeit, Rohheit und Feinsinnigkeit zu einem faszinierenden Ganzen zu verschmelzen. Mit ‚Håbergoaß‘ schließlich vereinen Lunar Aurora all diese Elemente und entführen den Hörer in die verschneiten Wälder Bayerns, wo sich Mythen und Realität verweben. Der Song offenbart eine fast meditative Qualität.
Die Entwicklung von Lunar Aurora bis zu diesem Punkt ist gekennzeichnet von einer stetigen Verfeinerung ihres einzigartigen Sounds. Vom rohen Black Metal ihrer Anfänge über atmosphärische Klanglandschaften bis hin zu den komplexen, fast symphonischen Arrangements auf „Andacht“ zeichnet sich ein Weg ab, der von unbedingtem künstlerischem Willen zeugt. Dieses Album markiert dabei zweifellos den Zenit ihres Schaffens – ein Meisterwerk, das die Band kurz vor ihrer Auflösung noch einmal in all ihrer Größe zeigt.
Da das eigentliche Abschiedswerk „Andacht“ schon ein Ausnahmemeisterwerk war, ist es umso erstaunlicher, dass Lunar Aurora mit „Hoagascht“ die Qualität nochmals steigern konnten. Besser hätte die beste deutsche Black Metal-Band nicht abtreten können. Mit ihren Alben nach der Jahrtausendwende haben die Bayern ausschließlich Meisterwerke geschaffen, die ich persönlich zu den besten Alben im Black Metal-Genre zähle, und „Hoagascht“ ist nichts weniger als ein perfektes Wunder. „Hoagascht“ ist ein Album, das tief in der Tradition des Black Metal verwurzelt ist, aber gleichzeitig die Konventionen des Genres in eine Richtung lenkt, die so einzigartig und eigenständig ist, dass es fast aus der Zeit gefallen scheint. Es ist ein Werk, das sich nicht an Moden oder Trends orientiert, sondern aus einer tieferen, zeitlosen Quelle schöpft.
„Hoagascht“ gehört zu meinen absoluten Lieblingsalben, und die emotionale Verbindung, die ich mittlerweile zu diesem Album aufgebaut habe, ist enorm. Es ist ein Album, das sich mit seiner beängstigenden Perfektion und einzigartigen, verwunschenen Atmosphäre in die Riege der großartigsten Black Metal-Alben aller Zeiten einreiht.
Dienstag, 11. Dezember 2018
Insect Warfare - World Extermination
Grindcore to the Max! Mit World Extermination haben die Texaner Insect Warfare 2007 einen neumodernen Klassiker in diesem Genre eingeschlachtet, der in seiner Intensität und Brachialität neue Maßstäbe gesetzt hat. 20 Vernichtungsanschläge werden hier in etwas mehr als 20 Minuten in geballter Konzentration abgefeuert und in magenumdrehender Rotzigkeit präsentiert, sodass man in diesen 20 Minuten nicht mehr an den Weltfrieden glauben mag. Musikalisch gerät man hier an die Grenzen des Machbaren, ohne dabei jedoch den Sinn für Knochenmatschriffs, Misshandlungsdrumming und kotzende Auslöschungspoesie zu verlieren. Der bestmögliche Soundtrack zum allabendlichen Sinnieren über den Sinn des Lebens – mit einer wankenden Whiskyflasche in der Hand.
Donnerstag, 29. November 2018
Entombed - Clandestine
Die Definition von Death Metal. Für den wohl besten Drumsound der Menschheitsgeschichte gehört Skogsberg für immer ein Denkmal errichtet. Nicke Andersson trommelt hier eine Klassiker-Performance aus den Gliedmaßen, dass man auch heute noch vergeblich nach vergleichbaren Leistungen sucht. Die Gitarren sind unmenschlich perfekt für diese Musik produziert und drücken derber als die Freundin am neuesten, überreifen Pickel. Ein ewig funkelnder Meilenstein und die Krone eines ganzen Genres.
Es ist unmöglich, alles aufzuführen, warum dieses Werk so ungeheuer wichtig war und noch immer ist. Vom Seagrave-Coverartwork-Kunstwerk über den mächtigen Living Dead/Sinners Bleed-Eröffnungsschlag bis hin zum grandiosen Songmaterial, dem ungewöhnlichen Gesang und den wahnsinnigen Melodien in Kombination mit dem urtypischen Entombed-Groove.
Zusammen mit Gateways to Annihilation auf ewig das fantastischste Werk, das jemals unter dem Banner Death Metal erschien.
Bauhaus - In The Flat Field
Meine persönliche Lieblingsband der Achtziger veröffentlichte mit In the Flat Field (1980), Mask (1981), The Sky’s Gone Out (1982) und Burning from the Inside (1983) gleich vier Alleskönner hintereinander. Die ordinäre Gitarrenkunst von Daniel Ash ist ein gewaltiges Fegefeuer an Kreativität und berstender Eruption. Verschleierte Soundexperimente, lähmende Voodoo-Trance und bittersüße, liebliche Ohrenschmerzen – luststeigernd bis zum multiplen Ohrgasmus in Dauerschleife. Und Peter Murphy ist der Lord Commander, Herrscher der dunklen Keller und Dachböden ohne Licht. Die brutal-sanfte Stimme, die in der Dunkelheit unter dem Bett und im Kleiderschrank lauert.
Ich könnte mich gar nicht für ein Album entscheiden, aber In the Flat Field hat schon seinen eigenen Status und bei mir den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen, sowie diese rohen, elektrisierenden Songs und diese völlige Schwärze. Trotzdem bietet jedes Album eine Traumzauberwelt. Was die Band innerhalb von vier Jahren an Gottsongs erschaffen hat, ist leider in der heutigen Zeit unvorstellbar.
Sonic Youth - Daydream Nation
Die Alternative-Rock-Wundertüte und zugleich riesengroßer Einfluss für die Seattle-Bands Anfang der 90er. Die Noise-Rock-Legende Sonic Youth hat so viele unglaublich gute Alben produziert, dass ich jetzt einfach mal das wohl bekannteste und wegweisendste Album nenne. Allein für 'Cross the Breeze' gehört die Band auf den Rockolymp. Kim Gordon ist übrigens neben Jo Bench die heißeste Frau, die jemals eine Bassgitarre in der Hand hatte. Ultrageil: der Stil von Steve Shelley am Schlagzeug.
Arcturus - La Masquerade Infernale
Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass dieses Album 1997 heftig diskutiert wurde. Bekannte und angesehene grimmige Black Metal-Lausbuben wurden plötzlich "erwachsen" und verzichteten größtenteils auf Kreischerei, Schrammelgitarren und holprige Blastbeats. Dies wurde zwar alles schon mit dem Vorgänger angedeutet, doch hier schoss die "Supergroup" so weit über die enge Grenze der Black Metal-Ordnungsgemeinschaft e.V., dass sich für einen Moment die Welt nicht mehr drehte. Trip-Hop spielten sie, hieß es laut und verächtlich schallend aus dunklen Kellern, und Verrat durch Elektronik sowie die Nutzung des Keyboards als Leadinstrument.
Heute ist sich halb Europa darüber einig, dass Arcturus 1997 mit diesem theaterhaften Projekt für viele folgende experimentierfreudige und progressive Black Metal-Bands aus Frankreich und den USA einen wichtigen und notwendigen Grundstein gelegt haben.
Sonntag, 5. August 2018
Gang Of Four - Entertainment!
Eines der 10 besten Punk-Alben und zugleich ein ungemein einflussreiches Werk für nachfolgende Gitarristen. Andrew Gill, der Superstar auf dem Album, hatte seine eigene Vision und kreierte funkige Gitarren-Stakkatos, die die Rockmusik nachhaltig massiv prägten. Zudem ist Entertainment! die Ohrfeige für alle, die ahnungslos behaupten, Punk sei anspruchslose Assimusik.
Muxmäuschenstill
Regie: Marcus Mittermeier, 2004
Ich traue es mir fast gar nicht zu schreiben, aber Muxmäuschenstill aus dem Jahr 2004 ist einem C'est arrivé près de chez vous (Man Bites Dog) – es ist wirklich unglaublich – ebenbürtig. Nein, Muxmäuschenstill ist kein Abklatsch, keine billige Kopie oder ein deutsches Remake des Kultklassikers aus Belgien. Muxmäuschenstill ist ein eigenständiger, kluger, anspruchsvoller und wahnsinnig ernster und ehrlicher Film, der aber kein Geheimnis daraus macht, dass er sich in jeder Sekunde, jeder Szene und in den Dialogen vor dem übergroßen Vorbild aus Belgien verneigt.
Mux versucht mit seinen Methoden die Welt zu verbessern, hier im Berliner Großstadtzirkus, indem er selbst Richter und Henker spielt. Als seine rechte Hand wird Gerd, ein Langzeitarbeitsloser, von Mux als Begleiter und Kameramann angeheuert. Gemeinsam üben sie Selbstjustiz aus, wobei Mux aktiv auch mal mit Knarre vor der Kamera die "Gesetzlosen" angeht und Gerd passiv hinter der Kamera alles dokumentiert.
Hierdurch entstehen unglaublich witzige Momente, bei denen man aber innerhalb einer Nanosekunde zu ersticken droht. Der Film steigert sich immer mehr, die Gewalt wird schonungsloser, und es wird kein Tabu umgangen. Kinderpornografie wird genauso behandelt wie die "Bevorteilung" von Behinderten. Es wird einfach nichts ausgelassen: Ob es nun Hundehalter sind, die für die Scheißhaufen auf den Gehwegen bestraft werden, Falschparker auf Behindertenparkplätzen, weil Mutters Kind mal eben nur kurz in die Ecke pinkeln muss, Opas mit Kinderpornografie in der Tüte zur Rede gestellt werden oder eine Studentin, die im Kaufhaus einen BH klaut und vor laufender Kamera und den Blicken von Mux und Gerd gedemütigt den geklauten BH wieder in der Umkleide ausziehen muss.
Mit fortschreitender Laufzeit tut der Film auch schon mal weh. Manche Szenen sind schon recht derb, besonders weil sie "unkommentiert" und realistisch gezeigt werden – und hier sind die großen Parallelen zu Man Bites Dog. Auf der anderen Seite wird man von der ersten Sekunde an von Mux an die Hand genommen und durch den Film geschleift. Jan Henrik Stahlberg trägt den Film in jeder Sekunde und hat das gleiche Charisma und eine ähnliche Wirkung wie Benoît Poelvoorde in Man Bites Dog. Eine fantastische Schauspielleistung, die niemals aufdringlich oder realitätsfern wirkt.
Der Film hat zudem ein wackelfestes Fundament aus bitterbösem und tiefschwarzem Humor, der für einen deutschen Film schon fast zu heftig ist. Natürlich ist der Film keine seichte Unterhaltung, und manche Szenen sind wirklich unglaublich unangenehm, dabei verliert sich der Film nie in billiger Unterhaltung oder sinnlosen Gewaltszenen und ist perfekt gestrafft und kontinuierlich auf den Punkt gebracht.
Ich bin stolz, dass so eine Filmperle aus Deutschland kommt – das muss man einfach mal sagen. Für mich einer der besten Filme der letzten Jahre, die ich gesehen habe.
Bolt Thrower - Nachkriegsschauplatz
Heute war für mich ein trauriger Bügeltag, denn als ich in meinen Wäschekorb griff und mein Businessunterhemd auf mein Bügelbrett hievte, wurde ich daran erinnert, dass bereits vor längerer Zeit meine Lieblingssympathieband ihre „Todesanzeige“ veröffentlichte. Die englische Panzermacht Bolt Thrower gab nach genau dreißig Jahren ihr Ende bekannt.
Die Schaffensphase von Bolt Thrower ist auch heute noch einzigartig, nicht nur im Prügelsektor. Die Band, die fast alle Handgriffe im Business selbst in die Hand nahm, begann ihren Siegeszug mit einer Mischung aus Punk, Hardcore, Thrash Metal und einer Prise Crust. Sogar John Peel war so begeistert von der Musik, dass er Bolt Thrower zu seiner legendären Peel Session einlud. Die Band bekam mehr Aufmerksamkeit und hatte bald einen Plattenvertrag im Panzerhandschuhfach.
1988 erschien mit In Battle There Is No Law! das extrem rumpelige und unbarmherzige Debüt, das jedoch noch unter einem miserablen Sound litt und somit nur erahnen ließ, welche Detonationen die Band in den kommenden Jahren zünden würde. Ein Jahr später war es allerdings soweit: Realm of Chaos: Slaves to Darkness rollte gnadenlos durch die beginnende Blütezeit der Death Metal-Welle und hinterließ zum ersten Mal den für Bolt Thrower so berühmten „Nachkriegsschauplatz“. Mit Realm of Chaos fand die Band zu ihrem unverwechselbaren und bis heute einzigartigen Stil: Kettenfahrzeugriffs, singende Panzer, tanzendes Haubitzendrumming und gewaltige Flak-Batterien. Gerade weil auf Realm of Chaos ein Spagat zwischen altem Chaossound und zukünftiger Soundwand vorherrscht, gehört dieses Album zu meinen Top 3 der Band.
War Master, das dritte Werk aus dem Jahr 1991, schoss die Band dann endgültig in die Sphären der großartigsten Death Metal-Bands auf dem Erdenreich. Produziert von Colin Richardson, wurde mit War Master der typische Bolt Thrower-Sound zur Vollendung getrieben. War Master war auch gleichzeitig das letzte Album, auf dem das Chaos im Sound bei der Kriegsführung mitentscheiden durfte.
Mit The IVth Crusade (1992), ...for Victory (1994) und Mercenary (1998) veröffentlichte die Band für mich ihre drei größten Klassiker. Spielerisch war die Band mittlerweile unglaublich mächtig, webte die irrsinnigsten Melodien zwischen Riffpower und Tempowechseln und perfektionierte ihren Sound zur unkopierbaren Panzerschlacht.
2005 erschien mit Those Once Loyal das letzte Werk. Vielen Dank an Jo Bench – die schärfste und authentischste Bassfrau im Langhaarsektor, Barry Thomson und Gavin Ward – das mächtigste Gitarrenduo, das der Death Metal je hervorgebracht hat, Karl Willetts – der einzig wahre Panzergeneral – und natürlich Andrew Whale und den leider viel zu früh verstorbenen Martin Kearns – ihr habt mit eurem wichsfreien Schlagzeugspiel die Kriegsmaschine erst zum Rollen gebracht!
Montag, 30. April 2018
Arcturus - Aspera Hiems Symfonia
Aspera Hiems Symfonia von ARCTURUS ist in jeder Hinsicht ein ganz besonderes Album. Nicht nur, dass dieses Werk eine meiner ersten Berührungen mit dem Black Metal war, nein, es ist auch heute noch einfach ein wunderbares Album.
Eigentlich ist Aspera Hiems Symfonia auf den ersten Blick viel zu melodisch, zu bombastisch, zu sanft und zudem noch mit einem unerhörten Keyboard-Overkill aus der Deluxe-Klasse überzogen. Soundtechnisch ist Aspera Hiems Symfonia auch nicht gerade ein Vorzeigealbum, aber alles ist vergessen, wenn Garm mit seiner Stimme, ob klar oder knurrend-kreischend, für so einige magische Momente sorgt.
Neben der überragenden Leistung des charismatischen Garms sind es gerade die eigentlich schon viel zu überzogenen Melodien, die aus Aspera Hiems Symfonia einen echten Klassiker der Black Metal-Szene formen. Da wären auf der einen Seite die für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Gitarrensoli und Leads von Gitarrist Carl August Tidemann, der teilweise Malmsteen-artig vom Leder zieht, dass man denkt, er habe sich bei den Aufnahmen bestimmt im Studio verlaufen. Auf der anderen Seite stehen die – das muss man einfach zugeben – wunderschönen Keyboard- und Synthesizer-Sounds sowie die Klasse von Sverd, dem eigentlichen Kopf von ARCTURUS.
Beides zusammen würde schon ausreichen, um für Walt Disney die zukünftigen Soundtracks zu komponieren. Doch in Wirklichkeit wurden auf diesem Werk immer noch die tollsten Melodien und ausuferndsten Harmonien im Black Metal erschaffen. Ja, es ist teilweise kitschig, grundlos überzogen, pompös und richtig dick aufgetragen, aber es besitzt – und das unterscheidet dieses Album bis heute von dem ganzen anderen melodischen Black Metal-Karneval – Klasse, fantastische Songs, Charme und erstklassige Musiker. Zudem stellt Aspera Hiems Symfonia einfach einen Ausbruch aus den Genre-Grenzen dar. Ähnlich wie VED BUENS ENDE und FLEURETY gehören ARCTURUS zu den Vorreitern des anspruchsvolleren Black Metal, auch wenn ARCTURUS auf Aspera Hiems Symfonia noch weit davon entfernt waren, was sie mit den nachfolgenden Alben kreieren sollten.
Und wenn das alles schon richtig interessant klingt, sollte man nicht vergessen, dass der Motor auf diesem Album Hellhammer heißt, bekanntermaßen ein hirntoter Meister-Drummer. Musikalisch sind hier also wahre Könner am Werk, was man auch mit jeder Sekunde heraushört. Doch musikalische Superfähigkeiten sorgen nicht automatisch für gute Musik. Bei ARCTURUS ragt zum Glück das spannende und talentierte Songwriting hervor, nicht die Perfektion der Musiker – auf frickelige progressive Einschübe wurde zum Glück komplett verzichtet, da diese auch überhaupt nicht zum Sound der Norweger gepasst hätten.
Dass hier unbestreitbar auf hohem Niveau musiziert wird (im Gegensatz zu den folgenden Alben noch etwas begrenzt), kann man besonders auf dem Opener To Thou Who Dwellest In The Night mit seinem Drachentöter-Gitarrensolo, dem grimmigen Atmosphärenhammer Raudt Og Svart, der aus heutiger Sicht wohl einen Klassiker darstellt, und natürlich Fall Of Man, dem wohl größten Schlüpferstürmer, der der norwegischen Black Metal-Szene entsprungen ist, hören. Fall Of Man besitzt wohl die größte Keyboardmelodie jenseits von Gut und Böse und lebt von seinem barocken Grundtenor, den Sverd federleicht aus seinem Tastengerät entlockt.
Klingt alles überhaupt nicht grim und frostbitten? Stimmt! Denn genau das wird man kaum bis gar nicht auf Aspera Hiems Symfonia finden, und gerade deswegen ist dieses Album so grandios, so faszinierend. Dieses Album, das 1996 einfach so von großen Black Metal-Persönlichkeiten komponiert und ohne Rücksicht auf Verluste veröffentlicht wurde, hat etliche Bands beeinflusst. Nebenbei sind auch einige der schlimmsten musikalischen Verbrechen der Szene auf dieses Album zurückzuführen, denn es öffnete den Weg für viele talentierte Bands und erschuf ein komplett eigenes Klanguniversum.
Natürlich sind die Nachfolger um Meilen besser, interessanter, komplexer, verrückter, musikalisch richtig groß und immer noch unangetastete Meisterwerke, aber Aspera Hiems Symfonia hat den gewissen Klassiker-Status. Es war und ist ein wichtiges und einflussreiches Werk für die Black Metal-Szene, auch wenn man das genauso gut über den direkten Nachfolger La Masquerade Infernale sagen muss. Mehr gibt es dann auch fast nicht mehr zu sagen, außer, dass dieses Werk eines der wenigen Werke aus Norwegen ist, das von mir auch heute noch regelmäßig mit viel Liebe konsumiert wird..
Sonntag, 22. April 2018
Massive Attack - Mezzanine
Neben Portishead so ziemlich die wichtigste und einflussreichste Trip-Hop-Truppe, die 1998 mit Mezzanine das für mich bedeutendste Werk dieses Genres abgeliefert hat – das High-End-Produkt dieser Musik. Im Gegensatz zu den beiden nicht minder genialen Vorgängern wird von Anfang an eine eher düstere und verrauchte Aura erzeugt. Es gibt Gitarren, echte Drums und wummernde Bässe zu bestaunen. Auf Mezzanine stimmt die Balance aus Elektronik, Samples, Rockelementen und großartigen Stimmen, sodass es eigentlich kaum zu fassen ist, dass dieses Album von Menschen erschaffen wurde. Und das kreative Trio hinter Massive Attack ist für mich die Definition von Ausnahmemusikern. Für mich nicht nur eines der wichtigsten und besten Alben der 90er, sondern auch eines der durchdachtesten und genialsten Alben der Pop- und Rockmusik.
Mittwoch, 7. März 2018
Journey - Escape
DAS AOR-Monster. Geht immer und überall. Das Gitarrengenie Neal Schon kloppte sich hier 43 Minuten lang Lehrmaterial für die Nachwelt aus den Saiten, während Steve Perry wie eine Nachtigall mit seinem Wunderorgan Refrains für die Ewigkeit in unserem Sonnensystem verankerte. Der heimlich versauteste Musiker auf Escape ist aber Ross Valory, der mit seiner Brillanz am Bass und seinem Spiel aufzeigt, wie wichtig dieses Instrument eigentlich ist. Don’t Stop Believin' ist nebenbei, sollte auch klar sein, einer der fantastischsten Erdensongs.
Sonntag, 25. Februar 2018
Cradle Of Filth - Vempire or Dark Faerytales in Phallustein
Ok, lassen wir mal den Namen CRADLE OF FILTH außen vor und konzentrieren uns nur auf die Musik, denn diese ist auf Vempire herausragend. Black Metal im eigentlichen Sinne bieten CRADLE OF FILTH auf ihrem einzigen Album, welches ich auch heute noch für überragend halte, nicht unbedingt. Aber wen interessiert das, wenn es so erstklassig komponiert ist und einen ganz bestimmten Reiz ausübt?
Bis Cruelty and the Beast (1998) hatte ich den Weg der Engländer verfolgt, um danach zu erkennen, dass CRADLE OF FILTH mit Vempire das einzige Album veröffentlichten, das mich begeistern konnte. Nur auf Vempire klangen die Engländer so ausgewogen und perfekt ausbalanciert, und dazu gleichzeitig aggressiv und dramatisch.
Das Debüt The Principle of Evil Made Flesh (1994) brachte mich bei der Veröffentlichung zum Schmunzeln, Dusk… and Her Embrace (1996) ist ein katastrophal produziertes Gothic-Scheibchen, und Cruelty and the Beast landete sofort wieder auf dem Flohmarkt. Danach wurde die Band für mich völlig uninteressant, nur Vempire lege ich bis heute immer wieder gerne auf.
CRADLE OF FILTH haben auf diesem Album die perfekte Mischung aus aggressivem Black Metal, Heavy Metal, Gothic Metal und Horroratmosphäre erschaffen, die mich auch heute noch begeistern kann. Druckvoll produziert, stehen die Gitarren nicht im Hintergrund und dominieren größtenteils den Sound auf Vempire, die durch das drückende Schlagzeugspiel von Onkel Fester immer wieder angetrieben werden.
Selbstverständlich gibt es jede Menge Keyboards zu hören, die aber glücklicherweise nicht im Vordergrund stehen, sondern die mystische Atmosphäre wunderbar untermalen und für ein paar grandiose Momente sorgen. Überraschenderweise fällt Vempire gegenüber den anderen Alben sehr „metallisch“ aus, ist durchweg fantastisch komponiert und musikalisch wird genug Abwechslung geboten.
Über den Gesangsstil von Dani Filth kann man sich streiten, aber so nervig wie auf dem Debüt, so schrill wie auf Dusk… and Her Embrace und so beschissen wie auf Cruelty and the Beast klingt er auf Vempire jedenfalls nicht. Songs wie The Forest Whispers My Name, Nocturnal Supremacy oder das völlig geniale Queen of Winter, Throned bringen mich auch heute noch zum Tanzen.
Auch wenn ich nicht der größte Fan der Band bin, kann ich bis heute Vempire eine Menge abgewinnen und bin auch der Meinung, dass CRADLE OF FILTH mit diesem Album eines der bedeutendsten melodischen „Black“ Metal-Werke der Neunziger erschaffen haben – selbst die Konkurrenten DIMMU BORGIR konnten da nicht wirklich mithalten.
Freitag, 23. Februar 2018
Kyuss - Welcome To Sky Valley
Wie klingt es wohl, wenn man mit einem (Krause)DUO mit 34 mph durch die Mojave-Wüste donnert? Kyuss, die Stoner Rock-Legende schlechthin, haben mit ihren letzten drei von insgesamt vier Studioalben unantastbare Legenden der Hitzewellen-Musik erschaffen. Es gibt keine andere Band, die den Zeitgeist der frühen Black Sabbath so perfekt und dennoch mit einer ganz eigenen Marke in die Neunziger transformierte und dabei so cool und mitreißend klang, wie es Kyuss auf ihren drei Momenten der Lust taten.
Dabei ist Welcome to Sky Valley noch mal von allem so viel mehr und mehr und mehr. Wichtigstes und berauschendstes Brandzeichen im Sound von Kyuss – und bei Welcome to Sky Valley eine ganz eigene Hausnummer – ist der staubtrockene Druck im Hirn namens Josh Homme-Gitarrensound, welcher kongenial von Scott Reeders verschlingender Bassbalz begattet wird.
Und jetzt stellt man sich mal für ein paar Minuten vor, dass es das schon war, keine weiteren Instrumente. Denn bereits das allein ist die Essenz, die Soundkrypta von Kyuss. Die monströse Vereinigung von Wüstenriffs und Staubbrummen wurde mir auf keinem anderen Album so konsequent und authentisch um die Ohren gezwiebelt wie hier, wo Homme und Reeder abziehen. Hinzu kommt natürlich auch der fantastische, schweißtreibende Brant Bjork-Beat an den Dampfkesseln und der formidable Geckogesang von John Garcia, die die Songs atmen lassen. Supa Scoopa and Mighty Scoop, Demon Cleaner, Gardenia, 100°, Asteroid, Conan Troutman oder Whitewater sind Stopfsongs, vollgepresst mit Sand, Sonne und Trockenheit, und verwandeln meine Knochen in porös-brüchige Materie.
In seiner eigen- und einzigartigen Soundästhetik ist Welcome to Sky Valley vielleicht sogar das kultigste Rockalbum der letzten 20 Jahre.
Freitag, 16. Februar 2018
Mercyful Fate - Melissa
„Melissa“ von Mercyful Fate ist eines dieser Alben, bei dem man kaum glauben kann, dass es ein Debüt ist. Für mich ist es nicht nur besser als der ebenfalls aberwitzige Nachfolger „Don’t Break the Oath“, sondern schlichtweg das beste klassische Heavy Metal-Album überhaupt. Es ist die Quintessenz dessen, was Heavy Metal in seiner pursten, rohesten Form ausmacht: grandiose und verschachtelte Riffs, Gitarrensoli, die so technisch brillant wie melodisch sind, und eine Produktion, die gleichzeitig rau und doch perfekt abgestimmt ist.
Die Gitarrenarbeit auf „Melissa“ ist schlicht und ergreifend eine Wucht. Hank Shermann und Michael Denner liefern hier Riff um Riff, Melodie um Melodie ab, als gäbe es kein Morgen. Man fragt sich unweigerlich, wie es möglich ist, dass eine Band bereits auf ihrem Debüt ein solches Feuerwerk an Einfällen zündet. Die Harmonie zwischen den beiden Gitarristen ist atemberaubend – sie ergänzen sich perfekt, wechseln nahtlos zwischen rhythmischen Attacken und epischen Soli, die sich sofort ins Gehirn brennen. Besonders Songs wie ‚Evil‘ oder ‚Curse of the Pharaohs‘ zeigen dieses Zusammenspiel in Perfektion. Diese Songs sind nicht nur ikonisch, sie sind der aufbauende „Stolz“ einer ganzen Szene, die durch Mercyful Fate eine neue Dimension bekam.
Doch die Gitarren sind nur ein (enorm großer) Teil der Magie von „Melissa“. King Diamonds Stimme ist ein Kapitel für sich. Sein überbordender Gesang, der von tiefem, diabolischem Knurren bis hin zu seinen legendären Falsett-Exzessen reicht, ist so einzigartig wie verstörend. Besonders in dem epischen ‚Satan’s Fall‘ überschlägt sich seine Stimme derart, dass man unweigerlich und instinktiv vor Begeisterung seinen Sack schützend in den Händen hält, um die Männlichkeit zu bewahren. Die Intensität, die King Diamond hier an den Tag legt, sucht ihresgleichen und hat bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren. Er klingt wie ein Wahnsinniger, der gleichzeitig die ganze Macht und Boshaftigkeit der Hölle heraufbeschwört und dabei jeden, der zuhört, in einen tranceartigen Zustand versetzt.
Ein weiteres unschätzbares Highlight ist das Bassspiel von Timi Hansen. Sein Bass läuft nicht einfach nebenher, er ist ein integraler Teil des Albums. Die Linien, die er in Stücken wie ‚Into the Coven‘ oder ‚Black Funeral‘ spielt, sind komplex und doch unglaublich druckvoll – sie verleihen dem Sound einen erdigen, fast 70er-Jahre-mäßigen Mief, der perfekt zum muffigen, düsteren Soundbild passt. Das alles wird von der großartigen Produktion von Henrik Lund zusammengehalten, die dafür sorgt, dass jedes Instrument zur Geltung kommt, ohne die rohe Kraft und Authentizität des Sounds zu verwässern. Diese Mischung aus Old-School-Vibe und technischer Präzision macht „Melissa“ zu einem zeitlosen Klassiker.
Und dann ist da natürlich der übergreifende Einfluss dieses Albums. Man kann den Wert von „Melissa“ für die Entwicklung des Black Metal nicht hoch genug einschätzen. Dieses Album war wegweisend – es schuf eine Brücke zwischen dem klassischen Heavy Metal und den dunkleren, extremen Klängen, die später den Black Metal definieren sollten. Doch es wäre zu kurz gegriffen, „Melissa“ nur auf seinen Einfluss zu reduzieren. Es ist nicht nur ein Meilenstein, sondern auch ein emotional intensives, technisch brillantes und einfach verdammt gutes Album, das in seiner Gesamtheit schlichtweg perfekt funktioniert und den Gipfel des klassischen Heavy Metal der Achtziger darstellt.
Sonntag, 11. Februar 2018
The Stooges - Fun House
Meine Damen, meine Herren, das vermutlich beste (Rock-)Album, das ich in über 30 Jahren Musikekstase kennenlernen durfte. Es gibt einige Alben, mit denen ich mich sehr stark verbunden fühle. Aber kein einziges kotzt mir so aus meiner Seele wie „Fun House“ von den Stooges. The Stooges haben hier einfach mal eine vollgepackte Ladung Chaos in die Musikwelt geworfen, die bis heute nichts von ihrer zerstörerischen Macht verloren hat. Zwischen „The Kinks Are the Village Green Preservation Society“ und „Quadrophenia’s Next“ hat „Fun House“ einen festen Platz in meiner heiligen Dreifaltigkeit der Lieblingsalben.
Die späten 60er markieren in der Rockmusik einen Umbruch, der alles Bisherige über den Haufen werfen sollte. Bands experimentierten mit neuen Sounds, erweiterten das musikalische Vokabular und verließen die sicheren Gefilde des Pop und Blues. Und wenn es ein Album gibt, das den Sound dieser aufkommenden musikalischen Rebellion in seiner rohen, ungeschliffenen Form auf den Punkt bringt, dann ist es „Fun House“ von The Stooges. In der Rockmusik gibt es wenige Alben, die mit solch brachialer Gewalt die Grundfesten des Genres erschüttert haben. Während das selbstbetitelte 69er Debüt bereits eine klare Ansage war, eine minimalistische Kundgebung aus Härte und Rebellion, ist dieses Zweitwerk eine noch tiefere und wildere Exkursion in die Ursprünge von Wut, Exzess und musikalischer Freiheit - und das mit einer Energie, die alles übertraf, was man bis dahin gehört hatte.
The Stooges, unter der elektrisierenden Präsenz von Iggy Pop, haben mit diesem Album eine rohe, unverfälschte Version von Rockmusik erschaffen, die in ihrer kompromisslosen Reinheit wie ein Urknall des Genres wirkt. Es ist die Urkraft für Punk, Noise und alles Ungestüme und Abgefuckte im Rock, das laut, dreckig, roh, ungebändigt und gnadenlos kaputt ist. Die Band entzieht sich allen gängigen Normen, verzichtet auf gefällige Strukturen und treibt die Songs mit einer Vehemenz voran, die keine Zugeständnisse zulässt. Wenn man die Platte auflegt, findet man sich in einer verwahrlosten Katastrophenzone wieder, wo Wut, Lust und Verzweiflung auf die primitivsten Instinkte prallen. Das Album zertrümmerte mit seiner atavistischen Kraft das Establishment der frühen 70er Jahre. Hier gibt es keine geschliffenen Gitarrensoli, keine filigranen Kompositionen - „Fun House“ ist ein animalischer Urknall, der wie eine unaufhaltsame Naturgewalt durch die Rockgeschichte tobt. Die Musik ist ein Schrei nach Freiheit, der aus den verrotteten Kellern und den vernarbten Straßen Detroits hervordringt. Die Arrangements auf „Fun House“ sind extrem reduziert, minimalistisch und dabei wahnsinnig effektiv. Der Blick bleibt immer auf den Grundton des Albums gerichtet - eine unaufhaltsame, raue Energie, die von einer wütenden und zugleich befreiten Ekstase getrieben wird.
Der Opener ‚Down on the Street‘ prügelt den Hörer in eine Welt voller Schweiß, Dreck, zersplitterten Glasflaschen und ungezügelter Lust. Es gibt keine Einführung, keine Aufwärmphase - von der ersten Sekunde an geht es um pure Energie. Ron Ashetons Gitarre kreischt und wimmert wie ein verwundetes Tier, seine Zerstörungsriffs sind maximal direkt, scharf und rau - Asheton trifft gezielt den Nerv, ohne viel Schnickschnack drumherum, während Iggy Pops Gesang - mehr ein animalisches Knurren als konventioneller Gesang, das keinen Raum für Kompromisse lässt - von den Tiefen der menschlichen Existenz kündet. Es ist ein Sound, der die Stagnation der Vororte der Mittelschicht in den späten 60er Jahren regelrecht verhöhnt. Und natürlich der treibende Bass von Dave Alexander sowie Scott Ashetons donnerndes Schlagzeug mit seinen in Dynamit getränkten Drumsticks, die dem ganzen Wahnsinn eine unbändige Wucht verleihen, als würde die Erde unter den Füßen vibrieren, kurz bevor sie auseinanderbricht. Das Zusammenspiel von Gitarre, Bass, Schlagzeug und der fast animalischen Wucht von Iggys Gesang entwickelt eine ungestüme Dynamik, die direkt ins Blut geht. Hier ist nichts gezähmt, alles scheint in Flammen zu stehen. Der Fokus liegt nicht auf ausgefeilter Technik, sondern auf dieser brodelnden, wilden Energie, die einen durch jede Faser des Albums begleitet. „Fun House“ gehört gerade deshalb zu meinen drei Lieblingsalben, weil es sich nicht in ausgefeilter Technik oder komplexen Strukturen verliert. Noch nie und auch nie wieder klang Rock so schmutzig, so direkt und so gefährlich.
„Fun House“ besitzt eine fast schon vulgäre und gnadenlose Direktheit. Die Produktion ist rau und ungeschliffen, genau wie die Musik selbst. Es gibt keine Glätte, keine Perfektion - alles klingt, als wäre es live und unkontrolliert, als könnten die Stooges jeden Moment das komplette Studio niederreißen. Es fühlt sich an, als hätte die Band jede Note, jedes Wort und jede Geste in einem einzigen Wutausbruch auf die Welt losgelassen. Dieses Soundschlachthaus ist unfassbar druckvoll, fast körperlich spürbar, und die Atmosphäre, die sich über die gesamte Spielzeit aufbaut, hat eine enorme hypnotische Qualität. Die Intensität ist beinahe unerträglich - und doch will man sich dieser Energie immer wieder aussetzen.
Im Titelsong ‚Fun House‘ offenbart sich die wahre Genialität der Band, die das gesamte Album in einem fieberhaften Crescendo zur Eskalation bringt. Über sieben hypnotische Minuten hinweg entfaltet sich ein musikalisches Panorama, das gleichermaßen von Free Jazz wie von primitiven Stammestrommeln inspiriert scheint. Dave Alexanders pulsierender Sex-Bass und Scott Ashetons stoisches und wichsfreies Schlagzeugspiel bilden das Fundament für eine ekstatische Reise ins Unbekannte, gekrönt von Steve Mackays frenetischem Saxophonpusterei.
‚1970‘ ist nichts weniger als die Geburtsstunde des Punk - Jahre bevor dieser Begriff überhaupt geprägt wurde. Iggys manisches „I feel alright!“ ist mehr als nur ein Refrain; es ist eine Kampfansage, ein nihilistisches Credo - eine rohe, unverfälschte Freude an der Rebellion und am Chaos.
In ‚Dirt‘ offenbart sich die existenzielle Krise einer ganzen Generation. Über einem schleppenden, blues-inspirierten Riff deklamiert Iggy Pop Zeilen von erstaunlicher poetischer Tiefe. „I've been dirt, and I don't care“. Es ist ein Moment von Dekadenz, der die Verzweiflung und Entfremdung der Post-Woodstock-Ära perfekt einfängt. Iggys Gesang hier ist langsamer, fast schleichend, während die Musik sich um ihn windet und eine Atmosphäre des drohenden Zusammenbruchs aufbaut. Der Song dehnt die Spannung aus, bis sie kaum noch zu ertragen ist, und zeigt, dass The Stooges nicht nur „Lärm“ erzeugen konnten, sondern auch in der Lage waren, emotionale und klangliche Tiefe zu erreichen.
Der Abschlusstrack ‚L.A. Blues‘ ist ein kakophonisches Experiment in Noise und Wahnsinn. Es ist kein Song im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr eine klangliche Repräsentation des Nervenzusammenbruchs der 60er Jahre. In seiner Unnachgiebigkeit liegt eine verstörende Schönheit - es ist der Soundtrack zum Untergang einer Ära, zum endgültigen Zerplatzen der Träume einer Generation. ‚L.A. Blues‘ ist auch zugleich ein radikaler Abschluss für ein radikales Album - ein Zeichen dafür, dass The Stooges bereit waren, jede Grenze zu überschreiten, um ihre künstlerische Vision zu verwirklichen.
„Fun House“ markiert das Ende der naiven Unschuld der 60er und weist gleichzeitig voraus auf die Wut und Frustration, die den Punk der späten 70er nähren würden. In seiner rohen Energie und seinem kompromisslosen Ansatz war es seiner Zeit mehrere Universen weit voraus - was damals wie Chaos und Zerstörung wirkte, war in Wahrheit eine kontrollierte Explosion kreativer Freiheit. The Stooges hatten keine Angst vor musikalischer Destruktion, und in diesem Prozess schufen sie etwas Zeitloses, Unvergängliches. „Fun House“ zeigt die Band auf dem Höhepunkt ihrer zer- und verstörenden Kraft - es ist ein Ritus, eine Art musikalisches Inferno, das alles um sich herum in Flammen setzt. The Stooges haben mit diesem Album DAS Referenzwerk in Sachen Dreck und Räudigkeit in die Rockgeschichte gekackt und damit das Serum für den Punk und die dampfende Latrine der Rockmusik geschaffen - es ist zweifellos eines der wichtigsten und kraftvollsten Rockalben aller Zeiten und für mich persönlich das Maß aller Dinge.
Freitag, 9. Februar 2018
Nehëmah - Light Of A Dead Star
Light Of A Dead Star kann man mit ruhigem Gewissen als einen Klassiker des französischen Black Metal ansehen. Black Metal der alten Schule, verpackt in einem fantastischen, voluminösen Soundgewand und einer zutiefst finsteren Stimmung. Spielerisch beweisen die vier Franzosen ein überdurchschnittliches Geschick an den Instrumenten, was sich in den sechs Songs niederschlägt.
Eröffnet wird dieser kalte Sturm mit Feuerknistern und minimalen Ambientklängen; stimmungsvoll und geheimnisvoll bauen diese drei Minuten in The Witch Burns… eine schaurige Atmosphäre auf. Mit Light Of The Dead Star wird man sofort zehn Jahre zurückgeworfen: Die Gitarre sägt gnadenlos roh durch den Gehörgang, und das mächtige Drumming treibt den Song immens nach vorne. Auffallend ist sofort der räumliche Gitarrensound und die Präsenz des Basses, alles mit dem für Black Metal typischen Hall unterlegt.
Auch Sänger Corven weiß mit seinem prägnanten Kreischgesang zu überzeugen und besitzt zudem eine gewisse eigene Note. Die teilweise überlangen Songs (zwischen fünf und zwölf Minuten) werden durch dezente Keyboardflächen stimmig untermalt. Tempovariationen sorgen für hochgradige Abwechslung, und auch cleaner Gesang kommt zum Einsatz. Besonders die geschickten Tempowechsel sind die großen Stärken von Light Of A Dead Star.
Hier wird nicht 50 Minuten lang drauflosgeprügelt, sondern eine finstere Stimmung heraufbeschworen, die es locker mit den Frühneunziger-Klassikern der zweiten Black Metal-Welle aufnehmen kann. Beim ersten Hördurchgang klingen die Songs noch alle nach typischem Black Metal skandinavischer Prägung, doch spätestens beim dritten Versuch sollten sich die morbiden Kompositionen in ihrer Vielfalt erschließen.
Einzelne Songs hervorzuheben, macht wenig Sinn, denn Light Of A Dead Star funktioniert als eine homogene Einheit. Der Fluss des Albums ist spannend, bedrückend und herausfordernd. Jeder Ton ist geschickt platziert, das abwechslungsreiche Drumming hält die Songs immer zusammen, und die sägende, bedrohliche Gitarrenarbeit ist wahre Black Metal-Kunst.
Auch das Gespür, mit dem NEHËMAH Melodien erschaffen, ist phänomenal stark. Ob leicht orientalisch, tieftraurig oder einfach nur beklemmend gespenstisch – die Melodien auf Light Of A Dead Star haben einen ganz speziellen Reiz. Die ganze Stimmung, die auf dem Album erschaffen wurde, ist tiefschwarz und beängstigend überzeugend eingefangen.
Frei von progressiven Einflüssen, klinischen Sounds, klebrigen Melodien und einem Keyboard-Overkill, lebt Light Of A Dead Star von seiner ehrfürchtigen Atmosphäre und dem Können der vier Musiker, die auch mal dezent auf genrefremde Rhythmiken und Elemente zurückgreifen.
Sicherlich ist Light Of A Dead Star kein revolutionäres Album, alles ist sehr vertraut. Tempowechsel à la DARKTHRONE, Anlehnungen an ganz alte EMPEROR oder die fanatische Stimmung der ersten BURZUM-Alben finden sich in fast jedem Song wieder. Doch was NEHËMAH innerhalb der engen Grenzen des Black Metal mit Light Of A Dead Star geformt haben, ist monumental stark, beeindruckend, abwechslungsreich und wahnsinnig spannend und intensiv. Selten wurde nach der zweiten Black Metal-Welle ein so konzentriert gutes, harmonisches und authentisches Black Metal-Werk erschaffen, wie es den Franzosen NEHËMAH mit ihrem Debüt gelungen ist.
Sonntag, 4. Februar 2018
Weakling - Dead as Dreams
Machen wir uns nichts vor, der Kult um den skandinavischen Black Metal endete spätestens mit dem Ende der 1990er Jahre. Die vielen Klassiker und richtungsweisenden Alben, die zwischen 1991 und 1995/96 entstanden sind, gehören auch weiterhin in jede Black Metal-Sammlung. Jedoch wurden auch aus meiner Sicht eher zweitklassige skandinavische Bands wie TAAKE, KAMPFAR, GEHENNA, GORGOROTH, SETHERIAL oder auch CARPATHIAN FOREST immer den nicht-skandinavischen Bands vorgezogen.
Bands aus Frankreich, Deutschland, der östlichen Region und besonders aus Amerika, hier ganz speziell aus den USA, wurden selten beachtet. Die Epigonen aus Norwegen und Schweden brüsteten sich mit ihren Demos, die die Bands mit der Frühneunziger-Szene in Verbindung bringen sollten, brachten dann aber ab 1997 regelmäßig eher durchschnittliche Genre-Alben auf den Markt. Was außerhalb der skandinavischen Szene passierte, blieb weitgehend unbeachtet. In Frankreich und Amerika entstand mit den Jahren der „Unbedeutsamkeit“ eine Szene, die in den folgenden Jahren die Skandinavier aus meiner Sicht überrennen sollte.
Die Ursuppe entstand mit der Jahrtausendwende in San Francisco. Die Band WEAKLING veröffentlichte im Jahr 2000 das bis heute einflussreiche und so wichtige Album Dead as Dreams und läutete damit eine neue Generation ein. WEAKLING sprengten mit ihrer Vision von Black Metal Grenzen, komponierten Epen zwischen 10 und 20 Minuten, erschufen einen völlig neuen Sound und brachten das Songwriting innerhalb der Szene auf ein höheres Level.
Wie groß der Einfluss von Dead as Dreams auch heute noch ist, lässt sich an fast jeder US-Black-Metal-Band erkennen. Am deutlichsten wohl bei WOLVES IN THE THRONE ROOM zu sehen, tauchen die Einflüsse von WEAKLING bei vielen amerikanischen Black Metal-Bands auf. Auch wenn der Sound von WEAKLING von den großen norwegischen Bands beeinflusst ist, haben sie mit diesem Album den Prototypen des US-Black Metal erschaffen: ausuferndes Songwriting, komplexe Strukturen, kantige und teils lavaartige Riffs, aberwitzige Melodien, die nicht sofort zünden, dann aber der pure Wahnsinn sind; Doom, ein wenig Noise und Sludge, markantes Geschrei und ein Gespür für pure Emotionen.
Dead as Dreams ist schlichtweg perfekt. Ein rundum begeisterndes Kunstwerk, das mit Worten nur schwer zu deuten ist. Ein Werk, das sich auch nur entfaltet, wenn es als Gesamtwerk gehört wird. Ohne weitere Worte zu verschwenden, gehört Dead as Dreams zu den bedeutendsten Black Metal-Alben und ist aus meiner Sicht der größte Klassiker, der außerhalb der skandinavischen Grenzen nach 1996 entstanden ist.
Donnerstag, 1. Februar 2018
Negură Bunget - OM
2006 ließ ich alles fallen, alles stehen und liegen – TOOL veröffentlichten mit 10,000 Days endlich eine neue Zeitrechnung, doch dann entwich etwas Unvorhersehbares aus den tiefen, urigen Wäldern Rumäniens: drei Musiker entfachten still und heimlich im Herzen Osteuropas eine schiere Revolution, die nicht nur den (Black) Metal auf die nächste Stufe hob, sondern allgemein alles rebootete, was bis dahin unter diesem Genre passierte.
OM stellt im Inneren der Musik Wunder nach, Faszinationen der Natur: warme Lichter funkeln, Stürme toben, Wälder rauschen – alles bildlich vertont. Mit geschärften Sinnen taucht man ab, und ich wurde seit Ænima nie wieder so durchgeschüttelt.
Die charismatischen und bodenständigen Rumänen von NEGURĂ BUNGET haben also 2006 mit ihrem Meilenstein (etwas untertrieben ausgedrückt) OM nicht nur in der Black Metal-Szene für einen gewaltigen "Kulturschock" gesorgt, sondern wurden auch außerhalb der Szene bestaunt, respektiert und bis zur völligen Hingabe vergöttert. 2002 wurde mit 'N Crugu Bradului bereits ein Vorgeschmack auf die darauf folgende Großtat abgeliefert, welches den urigen und faszinierend-eigenartigen Stil dieser besonderen Band in ureigener Weise aufzeigt.
OM hat mich, das weiß ich noch immer haargenau, als ich das Album zum ersten Mal in den Händen hielt und wirklich bis zum Abend gewartet habe, bis ich mich völlig der Musik hingab, komplett fertig gemacht. Seit Ænima wurde ich nie wieder so extrem durch meine Gefühlswelt hin und her gerissen. Ungelogen, ich erstarrte über die komplette Spielzeit von OM, habe vor Freude geweint, 67 Minuten lang Gänsehaut von der Haarspitze bis zur äußeren Hornhaut meiner Ferse gehabt, mich gekniffen, weil ich es wirklich nicht für real hielt, was ich da gerade hörte, und geschwitzt vor lauter Druck, den die Musik auf mich ausübte.
Ein Moment, den ich bis heute nicht vergessen habe und der immer wieder auffrischt, wenn ich mir OM heute anhöre – und sich dabei nichts an der Meisterschaft dieser Musik geändert hat. Das sind Momente, die ich in dieser Intensität eigentlich nur bei Ænima durchlebt hatte.
Eingeleitet wird dieses Klangwunder durch Ceasuri Rele, eines der drei besten Intros der Musikgeschichte. Es ist unglaublich, wie so ein bis auf das Minimalste reduziertes Stück, das eigentlich nur aus einer Stimme und minimalen Synthsounds besteht, so ergreifend und furchteinflößend ist und mir dabei die Nackenhaare so zu Berge stehen, dass ich bereits nach den ersten drei Minuten meinen Schlafanzug durchgeschwitzt hatte.
Aber die nächsten knapp 13 Minuten sollten mich dann komplett abholen – und ich meine damit wirklich, dass ich aus Raum und Zeit gerissen wurde. Die leisen, surrenden Gitarren, die sich in Țesarul de Lumini immer mehr hochschrauben, bis dann das Schlagzeug einsetzt – das allein hat mich schon zum Heulen gebracht und mich völlig betäubt. Aber als dann dieser gottgegebene hymnische Jahrhundertgitarrenmoment einsetzt, war es dann auch vorbei mit meiner Zurechnungsfähigkeit.
Dieser Moment, diese Gitarre, dieses perfekte unsaubere Drumming, das völlig schräg klingt, aber zugleich im Einklang mit Gitarre und Bass harmoniert und dann in einen Sturm übergeht – das ist Musik, die man hören muss, die man einfach nicht in Worte fassen kann. Wunderschöne (!) Keyboardteppiche geben der Musik einen wunderbaren farblichen Anstrich, der die Stimmung bis zur "unerträglichen" Spitze treibt. Es ist sagenhaft. Und wenn Hupogrammos mit seinen wahnwitzigen Kreischvocals über alles triumphiert, kann man sich eigentlich nur noch in die Fötusstellung zusammenziehen. Allein das ausladende Ende ist so magisch und vernebelt wie die rumänischen Wälder.
Primul Om bildet dann das passende "Erholungsstück". Ein düsteres Instrumental mit unheimlichen Chören, glasklaren Keyboards und Waldelfeninstrumenten, die nur ganz leise aus dem Hintergrund vordringen. Wunderbar unaufdringlich, wunderbar naturverbunden.
Cunoașterea Tăcută gleicht einem Fiebertraum. Klargesang, Klanghölzer, wildes Gekreische, urige Gitarrenriffs, Tempowechsel mit unglaublichen Spannungsbögen – es ist unfassbar, wie viele Details in dem Sound stecken. Und dann wieder dieser Moment, dieser betörende hymnische Klargesang und diese abartig geile Instrumentalpassage mit dieser wunderbaren Gitarre. Man fühlt sich wie neugeboren, wenn man beruhigenden Flöten lauscht, durch die Klanghölzer massiert wird und durch das zähe Tapping an der Gitarre um den Verstand gebracht wird. Dieser ganze Aufbau des Songs ist so übergroß, das gibt es gar nicht. Wenn sich zum Abschluss dann noch einmal alles in schwindelerregende Höhen aufputscht und alles aufeinanderprallt, ein heller Flötenton die Tränen in die Augen treibt, dann hat man echt einen dicken Kloß im Hals.
Bis hierhin haben NEGURĂ BUNGET mein komplettes Weltbild zum Einsturz gebracht. Und das Album hielt dieses unfassbare, ungreifbare Niveau bis zur letzten Sekunde.
Înarborat ist ein wütendes Stück mit einer beängstigenden Dichte an Intensität und kauzigen Riffs, Tempowechseln und irre guten Vocals. Beeindruckend, wie man hier zwischen fast unkontrollierbarer Raserei und wunderschönen Klanglandschaften hin- und hergerissen wird. Diese Geistermomente in Dedesuptul – da werde ich noch mal um den Verstand gebracht. Was da alles mit der Gitarre angestellt wird, ohne technische Raffinessen.
Mit dem schwebenden Instrumental Norilor wird man in ein wildes Rumänien entführt, direkt in wilde Landschaften und beängstigende Wälder, voller Schönheit und Anmut. Roher und zerfahrener geht es dann mit De Piatră weiter. Auch hier werden wieder Momente des Staunens zum Besten gegeben, und man wird daran erinnert, dass die Musik tief im Black Metal verwurzelt ist – das muss man sich nämlich öfter beim Hören von OM ins Gedächtnis zurückrufen.
Das Gefühlsdurcheinander in Cel Din Urmă Vis gehört vielleicht zur komplexesten Komposition auf OM und vereinigt noch einmal alles, was das Album bisher ausgemacht hat, in einem 10-minütigen Ekstaserausch, in dem auch die letzten Nervenzellen blank liegen. Und mit dem hochdramatischen Hora Soarelui (da habe ich live wirklich geweint!) wird ein Album, das so vielleicht nur alle 15 Jahre erscheint, abgeschlossen, bevor Al Doilea Om die Musik wie ein sanftes Tuch wieder verschleiert.
Sogar das spätere Live-Erlebnis (im Original-Line-up) hat mich in Starre versetzt und gehört bis heute zu meinen monumentalsten Live-Erlebnissen, die ich nie vergessen werde. Eine Band, die aus so menschlichen, schüchternen und bodenständigen Musikern besteht, hat für mich eines der größten Musikalben der Rockmusik der letzten 15 Jahre erschaffen. OM wird bis zu meinem Lebensende einen Ehrenplatz in meinem Herzen haben. Ein Album, das wirklich in der Lage ist, komplette Gefühle heraufzubeschwören und auch bei Leuten funktioniert, die mit Black Metal nichts anfangen können.
Und mal ehrlich, selbst wenn der Split nach dem Album nicht passiert wäre, hätten NEGURĂ BUNGET nie wieder so ein Album erschaffen können. OM hat maßgeblich mein musikalisches Weltbild erschüttert und neu zusammengefügt – ein wahrhaft einmaliges und betörendes Monumentalwerk und gleichzeitig eine Ode an die Musik in all ihrer unerträglichen Schönheit.