Sonntag, 27. April 2025

Saint Vitus - Born Too Late


Obwohl Saint Vitus mit ihren beiden Vorgängeralben "Saint Vitus" und "Hallow's Victim" bereits Kultstatus genossen, katapultierte sie "Born Too Late" im Jahr 1986 endgültig in den Olymp des Doom Metal und zementierte ihren Status als Vorreiter des Genres. Mit zäher Langsamkeit, düsteren Riffs und einer trotzigen Außenseiterhaltung brachten sie einen Sound hervor, der in den Wurzeln von Black Sabbath und der Verzweiflung der 80er Underground-Szene verankert ist.
Der Titelsong des Albums ist eine Kampfansage an eine Welt, die für die Band und ihre Fans keinen Platz bereithält. Winos heisere, klagende Stimme verleiht dem Sound eine emotionale Tiefe, die Scott Reagers auf den Vorgängeralben nicht ansatzweise erreichte. Dave Chandlers fantastische Gitarrenarbeit ist wunderbar roh und unverkennbar, seine Riffs dröhnen wie Lavabrocken und erzeugen eine bedrückend-hypnotische Atmosphäre.
'Clear Windowpane' und 'Dying Inside' gewähren packende Einblicke in Selbstzweifel und Isolation. Besonders 'Dying Inside' konfrontiert schonungslos mit dem Thema Alkoholismus. Die Schwere und erdige Authentizität dieser Songs verzichtet auf jede Effekthascherei, Saint Vitus blieben ihrem Stil treu.
Die spartanische Produktion verstärkt die rohe Wirkung des Albums. "Born Too Late" ist nicht nur für Doom-Fans essenziell, sondern für alle, die verstehen wollen, wie Musik Zugehörigkeit vermitteln kann. Das Album wurde gerade durch seine Unangepasstheit und kompromisslose Schwere zu einem der ikonischsten Werke des Genres.

Freitag, 25. April 2025

Fleetwood Mac - Rumours


Es gibt Alben, die eine Ära prägen und untrennbar mit ihrer Zeit verbunden sind; oft sind sie schon bei ihrer Entstehung als Klassiker vorgesehen. "Rumours" ist ein Meisterwerk, das sowohl durch musikalische Perfektion als auch durch die chaotischen, persönlichen Dramen seiner Schöpfer unsterblich geworden ist. Veröffentlicht im Jahr 1977, katapultierte es die Band in den Olymp der Rockgeschichte und wurde zu einem der meistverkauften Alben aller Zeiten.
Der Zauber von "Rumours" liegt in seiner Ehrlichkeit. Hinter der makellosen Produktion und den butterweichen Harmonien verbergen sich Geschichten von gebrochenen Herzen, Verrat und der unermüdlichen Suche nach Heilung. Jeder Song öffnet ein Fenster in die Seelen von Stevie Nicks, Lindsey Buckingham, Christine McVie, John McVie und Mick Fleetwood, ein Bandgefüge, das an der Schwelle des Zerfalls stand und dennoch gemeinsam etwas Monumentales schuf.
Songs wie 'Dreams', Nicks' melancholische Hymne über den Verlust der Liebe, und Buckinghams bissiges 'Go Your Own Way' tragen eine emotionale Rohheit in sich, die im starken Kontrast zu ihrer makellosen musikalischen Struktur steht. Christine McVies 'Songbird' verkörpert pure Zärtlichkeit; ein leises Versprechen von Hoffnung, während 'The Chain' mit seinem eindringlichen Basslauf und den mehrstimmigen Gesängen eine besondere kollektive Bedeutung für die Band hat. Die warmen Gitarren, präzisen Rhythmen und perfekten Harmonien fließen mühelos ineinander und schaffen einen zeitlosen, organischen Klang, der sowohl intim als auch vielseitig ist. Jede Note und jede Zeile scheinen sorgfältig platziert, ohne die Spontaneität zu verlieren, die das Album so lebendig macht.
"Rumours" ist in seiner Einzigartigkeit ein emotionaler Moment, der in der Zeit eingefroren ist; ein Werk, das sowohl Schmerz als auch Schönheit in den Fokus rückt. Egal, wie oft man es hört, es bleibt ein zeitloses Meisterwerk, das in knapp 40 Minuten pures musikalisches Gold bietet.

Mittwoch, 23. April 2025

Elend - Les Ténèbres du Dehors

Elends 1996er Zweitwerk "Les Ténèbres du Dehors" gleicht einem opernhaften Ritual, das wie ein außerweltliches vertontes Epos anmutet. Ein Oratorium für eine Welt im Sturzflug. Das französisch-österreichische Neoklassik-Duo, bestehend aus Alexandre Iskandar Hasnaoui und Renaud Tschirner, schuf eine göttlich dekadente Klangkathedrale, die einen in eine unerbittliche Welt aus orchestraler Erhabenheit und apokalyptischer Trostlosigkeit zieht, während bereits die Reiter der Verdammnis die Kirche einzäunen.

Dieses außergewöhnliche Album ist ein Konzeptwerk, das auf John Miltons "Paradise Lost" basiert und bereits der zweite Teil der "Officium Tenebrarum"-Trilogie ist. Nach dem eher ruhigen und minimalistischen Vorgänger "Leçons de Ténèbres" entschied sich das kreative Duo auf diesem Werk für eine deutlich gesteigerte Komplexität, zeitverschlingende Songs und vor allem eine gewaltige Steigerung des Bombasts. Das eröffnende 'Nocturne' spielt noch mit den Erwartungen, indem es sehr langsam die Spannung steigert, sich jedoch niemals vollständig in die Fluten der nachfolgenden Apokalypse stürzt. Stattdessen gestaltet es mit den engelsgleichen Sopranstimmen von Eve-Gabrielle Siskind und Nathalie Barbary eine himmlische Bildmalerei.
Doch dann stürzt alles ein: Ein finsterer Schlund öffnet sich, und ein langer Fall in den Abgrund nimmt seinen schicksalhaften Lauf. Eine orchestrale Massenpanik, ein Klangkrieg.

Wuchtige Chorpassagen, rauschende Streicher und donnernde Percussion entfalten in 'Ethereal Journeys' eine Atmosphäre, die irgendwo zwischen sakraler Liturgie und höllischer Verdammnis schwebt und dennoch eine fragile Schönheit besitzt, die einen in einen melancholischen, taumelnden Rausch versetzt. 'The Luciferian Revolution' ist eine erschütternde Collage aus choralem Wahnsinn und orchestralen Gruppierungen, ein Sturm aus Streichern, überwältigenden, von Chorälen getriebenen Melodien und kilometerhohen gotischen Keyboardkirchen. Die filigranen Arrangements, die für die damalige Zeit und durch die unfreiwillige Zuordnung zur "Szenen"-Zugehörigkeit – Elend wurden damals hartnäckig in der (Black) Metal-Szene beworben und mitgeschleift, obwohl sie sich nie genretypischer Instrumente bedienten – als ungewöhnlich galten, schaffen auf "Les Ténèbres du Dehors" eine Dynamik, die zugleich majestätisch und vernichtend daherkommt.

Vielleicht liegt es am wilden Kreischgesang von Renaud Tschirner, der auf diesem Werk für abgrundtiefe Verzweiflung im Sound sorgt. Elend verbinden hier mühelos klassische Kompositionstechniken mit einem avantgardistischen Verständnis für die Macht der Klanggestaltung. Die Arrangements sind dicht, oft chaotisch und dennoch von makelloser Präzision. Elektronische Elemente und düstere Ambient-Texturen erweitern die orchestralen Landschaften, ohne die epische Ernsthaftigkeit zu mindern.
Das Album war bereits 1996 viel zu anspruchsvoll für Gothic, zu "theatralisch" für Black Metal und eigentlich zu düster für Neoklassik, ein bis heute einzigartiges Werk von einer nur schwer greifbaren Unfassbarkeit: einschüchternd, effektiv, atmosphärisch und maßlos emotional.

Dass der bedingt leicht künstliche Klang für die heutigen Hörgewohnheiten etwas störend sein kann, ist der einzige "Makel" an diesem Epos. Vergleicht man dieses Werk jedoch mit ähnlichen Ansätzen in der metallischen Bauernbevölkerung von 1996, ist der alkoholische Auswurf "beeindruckend" noch stark untertrieben. Und jede Wette, dass sich Deathspell Omega in ihrem Sound massiv von Elend haben beeinflussen lassen.

Samstag, 19. April 2025

Pixies - Doolittle


Ich bin stets sparsam und vorsichtig mit Begriffen wie "Meilenstein". Mit "Doolittle" schufen die Pixies 1989 jedoch genau diesen und prägten nachhaltig die Indie- und Alternative-Musikszene der 90er Jahre. Ähnliches gilt bereits für ihr herausragendes Debüt "Surfer Rosa", das nur ein Jahr zuvor erschien und dank der beeindruckenden feuchten Traum-Produktion von Steve Albini für hemmungslose Erregungen sorgte. Auf ihrem zweiten Album perfektionierte die Band ihre einzigartige Mischung aus roher Energie, surrealem Humor und melodischer Eingängigkeit und hob das Songwriting auf eine Ebene, an der sich nahezu jede nachfolgende Band dieses Genres messen lassen musste, oft jedoch kläglich scheiterte. Doolittle" bietet unzählige großartige Supersongs, kantige Krachstimulationen sowie eingängige wie coole Melodien.
'Debaser' ist eine triumphale Chaos-Hymne, getragen von Frank Blacks wilder Stimme und einer beeindruckenden Gitarrenlinie. Die markanten dynamischen Wechsel zwischen zarten, fast flüsternden Momenten und brachialen Ausbrüchen sind typisch für die Pixies und durchziehen das gesamte Album. 'Wave of Mutilation' und 'Here Comes Your Man' sind poppige, nahezu radiotaugliche Hits, die dennoch die charakteristische Schrägheit der Band bewahren. Kim Deals oft unterschätzte, harmonische Basslinien und ihre sanften Backing-Vocals bilden den perfekten Kontrapunkt zu Joey Santiagos und Frank Blacks kantigen Gitarren. Abgerundet wird das Ganze durch David Loverings präzises Schlagzeugspiel. Der zarte und zerstörerische, eingängige und zugleich experimentelle Sound spiegelt perfekt die Widersprüchlichkeit der Band wider.
Gil Norton gelingt es mit seiner Produktion zwar nicht ganz, die brachiale Kraft des Debüts einzufangen, dennoch verleiht er dem Album den Charakter eines Soundtracks zu einer bizarren Traumwelt. Die Band ist sich ihrer eigenen Absurdität bewusst und hat damit eine Blaupause für die Verbindung von "Pop" und Wahnsinn geschaffen. Zusammen mit dem Debüt zählt "Doolittle" zu den einflussreichsten Inspirationsquellen, auf die sich nahezu alle Bands dieses Genres Anfang der Neunziger berufen haben.

Freitag, 11. April 2025

Deutsch Amerikanische Freundschaft - Alles Ist Gut

DAF sprengten mit ihrem dritten Album von 1981 im innerdeutschen Raum musikalische Grenzen und präsentierten die Essenz dessen, was "Tanzmusik" sein kann, während sie diese gleichzeitig mit definierten. In dieser Zeit, in der die Nachwirkungen des Punk und die Anfänge der elektronischen Musik aufeinanderprallten, schufen Robert Görl und Gabi Delgado-López ein außergewöhnlich modernes Werk, das radikal, minimalistisch und unwiderstehlich tanzbar war. "Alles ist Gut" fungiert als Defibrillator und zugleich als teergetränkte Raucherlunge der Neuen Deutschen Welle, eine bewusst provokative Kundgebung der Körperlichkeit und eine Kampfansage an (deutsche) musikalische Konventionen.
'Sato-Sato' zieht einen direkt am Arm und zerrt einen auf eine Reise durch treibende Drum Machine-Rhythmen, synthetische Basslinien und hämmernde maschinelle Stakkatos, während Delgado-López' hedonistische, provokative Stimme nicht nur verführt, sondern auch herausfordert. Diese maximal-minimalistische Ästhetik zieht sich durch das gesamte Album, DAF waren eine der seltenen Bands, die das Credo "weniger ist mehr" bis zur Besessenheit ausreizten. Mit 'Der Mussolini', dem bekanntesten Song des Albums, schufen DAF eine der ikonischsten Tanzhymnen der frühen 80er. Der monoton-treibende Beat und der für die damalige Zeit provokante Text – gleichermaßen ironisch wie subversiv – wurden zum Inbegriff einer neuen musikalischen Sprache. Hier übernahmen die Maschinen selbst das Kommando, um die Körper dieser Generation in Bewegung zu setzen.
"Alles ist Gut" ist jedoch nur oberflächlich ein "Party-Soundtrack". Songs wie 'Als wär's das letzte Mal' oder 'Der Räuber und der Prinz' zeigen eine düstere, hypnotische Seite der Band, die stets auf dem Album präsent ist. Die ständige Wiederholung einfacher Phrasen und Motive erzeugt eine tranceartige Wirkung, die erschreckend unheimlich ist. Der bewusst reduzierte Sound und die unverhohlene Provokation sind ein präziser, scharfer und energiegeladener Tanz auf der Rasierklinge.
Ein leider oft übergangenes, wegweisendes Album für die elektronische Musik und ein rebellisches Statement gegen die Ernsthaftigkeit und Schwere der damaligen Rockmusik. Es bleibt bis heute ein wunderbares, testosteronüberschäumendes und augenzwinkerndes Werk, das in seiner typisch deutschen Eigenart und musikalischen Reduziertheit weltweit Spuren hinterlassen hat.

Mittwoch, 9. April 2025

Orchestral Manoeuvres in the Dark - Dazzle Ships


Der Name Orchestral Manoeuvres in the Dark wird in Synthpop-Kreisen mit Ehrfurcht ausgesprochen. "Dazzle Ships" gilt als das experimentellste Werk der Band; eine Kostbarkeit der Achtzigerjahre-Avantgarde, das jedoch nie die populäre Anerkennung von Alben wie "Architecture & Morality" oder "Organisation" erreichte. "Dazzle Ships" besitzt eine Faszination, die bereits mit den ersten Takten von 'Radio Prague' spürbar ist. Die verzerrten Radiowellen und die mechanisch-kühlen Klänge erzeugen ein Gefühl, als würde man in eine gesellschaftlich zerbrochene und totalitäre Zukunft eintauchen. Es sind keine typischen Eröffnungsklänge, sondern das Auftaktstück zu einer Reise in eine seltsam fremde, fragmentierte Welt, die OMD mit "Dazzle Ships" erschaffen haben. Noch bevor man richtig eintaucht, ist man gefangen in einer rätselhaften Klangcollage, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet.

Mit 'Genetic Engineering' setzen die elektrischen Synth-Wellen ein, während eine distanziert-mechanische Stimme die Veränderung durch Wissenschaft besingt. Der Song wirkt bedrohlich in seiner Kälte und der strengen, präzisen Struktur, und doch liegt unter der Oberfläche etwas zutiefst Menschliches, etwas Verzweifeltes. Elektronische Geräusche, pochende Beats und Synthie-Sequenzen verbinden sich zu einer undurchdringlichen Klangwand, während Andy McCluskeys unverkennbare Stimme einen emotionalen Kontrapunkt setzt.

So ungewohnt der Sound von "Dazzle Ships" zu Beginn auch erscheinen mag, so sehr offenbaren sich im weiteren Verlauf des Albums immer mehr Nuancen und Details. "Dazzle Ships" ist außergewöhnlich, es ist kein leicht zugängliches Pop-Album, sondern ein Puzzle aus Störgeräuschen, Radiowellen und mechanischen Rhythmen, das sich schrittweise entfaltet. Der von Maschinen beherrschte Sound ist kühl und distanziert; gleichzeitig unglaublich intensiv und fesselnd. Humphreys, Holmes, McCluskey und Cooper spielen mit einer solch präzisen technokratischen Härte, dass man stets das Gefühl hat, sie hätten die Kontrolle über jede kleinste Frequenz. Die Arrangements auf "Dazzle Ships" sind mit chirurgischer Präzision konstruiert, und doch wirken sie nie nüchtern.

In 'Telegraph' wird das Dissonante zum Ästhetischen erhoben, der Synthie-Klangteppich dehnt sich massiv aus; gleichzeitig reißt das stakkatoartige Drumming von Malcolm Holmes einen aus jeder Form von Komfort. Und doch ist es der zugänglichste Song auf dem gesamten Album. Er wirkt im Kontrast zu den experimentellen Soundcollagen fast wie eine Verschnaufpause. Dabei war es zur damaligen Zeit sicherlich ein Schock, wie mutig OMD sich vom eingängigen Synthpop ihrer Vorgängeralben entfernten. Wo waren plötzlich die zugänglichen Hits, die romantischen Hymnen von "Architecture & Morality" geblieben? Stattdessen erheben sich hier Maschinenstimmen, wie in 'ABC Auto-Industry', und werfen einen in eine fremde, dehumanisierte Klangwelt. Doch unter dieser harten Oberfläche brodelt es und zeigt eine faszinierende Ambivalenz.

'International' hebt das Album in der Mitte auf eine andere Ebene, hier breitet sich ein bittersüßer Synthie-Walzer aus; eine nahezu perfekte Verschmelzung von futuristischer Kälte und menschlicher Wärme. Der Song beginnt fast meditativ, doch die Synthie-Wellen schwingen bald in eine fast schmerzliche Melodie um, die einen unweigerlich in ihren Bann zieht. Die Schönheit dieser Melodie steht im krassen Gegensatz zu den kargen, distanzierten Klängen, die das Album dominieren, und macht den Song zu einem der emotionalen Höhepunkte von "Dazzle Ships". Auch hier bleibt die Kälte immer spürbar, die sich durch das gesamte Album zieht wie ein unnachgiebiger roter Faden.

Im Vergleich zu den vorherigen Alben wirkt "Dazzle Ships" wie ein Ausreißer, ein Experiment, das weit über den typischen Synthpop hinausgeht. Die Band setzt hier auf Desorientierung, gebrochene Strukturen und verfremdete Sounds, die einem nichts schenken, sondern einen herausfordern, das Unbekannte zu umarmen. Besonders 'ABC Auto-Industry' illustriert dies geschickt. Die monotone Stimme, die kalt und distanziert über industrielle Prozesse spricht, gepaart mit kaskadierenden Synthie-Schleifen, erzeugt ein unheilvolles Gefühl der Entfremdung, das durch den unaufhaltsamen Rhythmus noch verstärkt wird. Ein Song, der das Wesen der Moderne einfängt, kalt, unbarmherzig; und doch faszinierend in seiner ästhetischen Schönheit.

Mit "Dazzle Ships" haben OMD etwas geschaffen, das nicht nur mit seiner experimentellen Natur überrascht, sondern das auch auf eine verstörend schöne Weise zeitlos klingt. Es ist ein Werk, das sich jeder einfachen Kategorisierung widersetzt; gleichzeitig jedoch die Essenz der Band einfängt, den Drang, Neues zu schaffen, Grenzen zu überschreiten und Klangräume zu erkunden.

Die Rückkehr zum Pop, den man von OMD damals erwartet hätte, blieb gänzlich aus. Stattdessen vertieften sie sich in die Dekonstruktion von Klang, wie im Titelsong 'Dazzle Ships (Parts II, III & VII)', der nicht nur einschüchtert, sondern eine verstörende Faszination entfaltet – als ob man durch die Augen eines Maschinengeistes auf die menschliche Existenz blickt. Was ein Klang.

"Dazzle Ships" ist kein einfaches Album, kein Werk, das sich sofort erschließt. In dieser Unzugänglichkeit liegt genau seine Größe. In den frühen Achtzigern, in denen Synthpop eher auf Gefälligkeit und Melodien setzte, ist "Dazzle Ships" vielleicht das mutigste Statement aus diesem Bereich; ein experimentelles Werk, das seiner Zeit sehr weit voraus war. Ein intensives Meisterwerk, das auch über 40 Jahre später nichts von seinem Zauber und seiner visionären Größe verloren hat.

Samstag, 5. April 2025

Foetus - Nail


Oberzyniker Jim Thirlwell alias Foetus war schon immer ein musikalischer Einzelgänger - ein Besessener, der sich konsequent weigert, in irgendein vorgefertigtes Genre zu passen. Mit "Nail" hat er 1985 ein Werk ausgekotzt, das so brachial wie kunstvoll ist. Ein Album, das einer vertonten Apokalypse gleicht und dabei eine seltsame, fast groteske Schönheit entfaltet. Die Musik ist ein dicht verwobenes Geflecht aus Industrial, Noise, Jazz, orchestralen Elementen, Avantgarde und einer tief verwurzelten, anarchischen Rock-Attitüde. Chaos, Nervosität, Hektik, Besessenheit und Wahnsinn - all das tropft unaufhörlich aus jedem Ton. "Nail" ist der Soundtrack zu einem apokalyptischen Jahrmarkt, der in Flammen steht. Ein schwindelerregender Brocken, der klarstellt, dass hier keine Rücksicht auf Hörgewohnheiten genommen wird. Eines der Herzstücke ist 'Descent into the Inferno', ein wilder Ritt durch chaotische Rhythmen, donnernde Percussion und Thirlwells theatralischen Gesang, der sich zwischen wahnsinnigen Schreien und sarkastischem Raunen die Klinke in die Hand drückt. Die brachiale Energie von Songs wie 'Enter the Exterminator' wird nur durch ihre bizarre Präzision übertroffen - jeder Klang, so chaotisch er auch erscheinen mag, sitzt an genau der richtigen Stelle. Die orchestralen Arrangements, die auf 'Pigswill' oder 'The Throne of Agony' (was ein Groove aus der Unterwelt!) zum Vorschein kommen, sind ein Paradebeispiel für Thirlwells grotesk buntes und gleichzeitig reinschwarzes Genie.
Thirlwells Musik ist sich ihrer Theatralik vollkommen bewusst und umarmt sie mit einer Intensität, die sich zugleich erhebt und dekonstruiert. Die abstoßende Produktion ist schmutzig und voller Überraschungen - ein Klangfluch, der sich anfühlt, als stünde man in einem brodelnden Kessel aus Öl und Metall. "Nail" ist ein bitterböses Meisterwerk, ein brachiales Arschloch von einem Album, das verstört und berauscht. Es macht keine Kompromisse - jede Note ist durchdrungen von einem unbändigen Willen zur totalen künstlerischen Freiheit, sauer eingelegt in einer unheimlichen, süchtig machenden Energie. Ein seltenes Knochenmark-Album.

Freitag, 4. April 2025

Mithotyn - Gathered Around the Oaken Table

"Viking" Metal? Ja. "Gathered Around the Oaken Table" gehört zu den Raritäten (zusammen mit dem Vorgänger), die ich in meiner Nähe haben möchte. Alles, was ich an diesem Genre so nervig finde, widerlegt diese Band immer wieder aufs Neue bei mir und zeigt, wie fantastisch diese Musik gespielt werden kann. Eine nie wieder erreichte Vereinigung aus epischen Melodien, Wikinger-Blödsinn und der rohen Energie des melodischen Black Metal. Majestätische Gitarrenharmonien, die an Bathorys epische Phase erinnern, und eine dynamische Mischung aus stampfender Schwere und erhabenen Melodien prägen das Album und durchziehen die gesamte Musik. Der charakteristische Mithotyn-Sound - plektrumgeführt von der Kreativität Stefan Weinerhalls und geprägt von treibenden und kraftvollen Rhythmen, stimmungsvollen Leads, heroischen Riffs, singenden Gitarren, hymnischen Melodien und den kehligen Vocals von Rickard Martinsson - zieht sich wie ein roter Faden durch das Album.
Die Songs strotzen vor epischem Pathos, ohne jedoch in kitschige Aufgeblasenheit zu versinken. Einzigartig für die Band war die besondere Melodieführung. Die Gitarren agieren wie Erzähler, weben kraftvolle Themen, kreieren vielschichtige Arrangements und sind die absoluten Highlights auf dem Album. Mithotyn hatten Charisma, Originalität und das Können, das vielen damaligen Bands aus diesem oft unsäglichen Genre völlig abging. Sie hatten Leidenschaft, Musikalität und das Talent, epische Geschichten in mitreißende Melodien zu kleiden. Und ganz bestimmt hatte Herr Weinerhall alle Running Wild-Alben in seinem Besitz und ein lebensgroßes Poster von Rolf Kasparek in seinem Kinderzimmer hängen.
Einziges (großes) Ärgernis ist der leider viel zu schwammige, dumpfe, raue und billige Sound sowie die katastrophale Produktion. Hier könnte man meinen, die Band habe genau das Gegenteil zum Vorgänger probieren oder bewirken wollen - diese war auf "King of the Distant Forest" leider viel zu druckvoll, knallig und breit. Ein wohl unerklärliches "Must-have", wenn man damals das "Glück" hatte, bei Invasion Records unterzukommen - viele der Alben auf diesem Label hatten einen sehr, nun ja, eigenartigen bis gewöhnungsbedürftigen Sound.
"Gathered Around the Oaken Table" ist der kreative Höhepunkt der Band und nebenbei eines ganzen Genres, das in den Neunzigern noch halbwegs erträglich war und die Essenz dieses Subgenres perfekt und wie kein anderes Album einfängt.