Mittwoch, 23. April 2025

Elend - Les Ténèbres du Dehors

Elends 1996er Zweitwerk "Les Ténèbres du Dehors" gleicht einem opernhaften Ritual, das wie ein außerweltliches vertontes Epos anmutet. Ein Oratorium für eine Welt im Sturzflug. Das französisch-österreichische Neoklassik-Duo, bestehend aus Alexandre Iskandar Hasnaoui und Renaud Tschirner, schuf eine göttlich dekadente Klangkathedrale, die einen in eine unerbittliche Welt aus orchestraler Erhabenheit und apokalyptischer Trostlosigkeit zieht, während bereits die Reiter der Verdammnis die Kirche einzäunen.

Dieses außergewöhnliche Album ist ein Konzeptwerk, das auf John Miltons "Paradise Lost" basiert und bereits der zweite Teil der "Officium Tenebrarum"-Trilogie ist. Nach dem eher ruhigen und minimalistischen Vorgänger "Leçons de Ténèbres" entschied sich das kreative Duo auf diesem Werk für eine deutlich gesteigerte Komplexität, zeitverschlingende Songs und vor allem eine gewaltige Steigerung des Bombasts. Das eröffnende 'Nocturne' spielt noch mit den Erwartungen, indem es sehr langsam die Spannung steigert, sich jedoch niemals vollständig in die Fluten der nachfolgenden Apokalypse stürzt. Stattdessen gestaltet es mit den engelsgleichen Sopranstimmen von Eve-Gabrielle Siskind und Nathalie Barbary eine himmlische Bildmalerei.
Doch dann stürzt alles ein: Ein finsterer Schlund öffnet sich, und ein langer Fall in den Abgrund nimmt seinen schicksalhaften Lauf. Eine orchestrale Massenpanik, ein Klangkrieg.

Wuchtige Chorpassagen, rauschende Streicher und donnernde Percussion entfalten in 'Ethereal Journeys' eine Atmosphäre, die irgendwo zwischen sakraler Liturgie und höllischer Verdammnis schwebt und dennoch eine fragile Schönheit besitzt, die einen in einen melancholischen, taumelnden Rausch versetzt. 'The Luciferian Revolution' ist eine erschütternde Collage aus choralem Wahnsinn und orchestralen Gruppierungen, ein Sturm aus Streichern, überwältigenden, von Chorälen getriebenen Melodien und kilometerhohen gotischen Keyboardkirchen. Die filigranen Arrangements, die für die damalige Zeit und durch die unfreiwillige Zuordnung zur "Szenen"-Zugehörigkeit – Elend wurden damals hartnäckig in der (Black) Metal-Szene beworben und mitgeschleift, obwohl sie sich nie genretypischer Instrumente bedienten – als ungewöhnlich galten, schaffen auf "Les Ténèbres du Dehors" eine Dynamik, die zugleich majestätisch und vernichtend daherkommt.

Vielleicht liegt es am wilden Kreischgesang von Renaud Tschirner, der auf diesem Werk für abgrundtiefe Verzweiflung im Sound sorgt. Elend verbinden hier mühelos klassische Kompositionstechniken mit einem avantgardistischen Verständnis für die Macht der Klanggestaltung. Die Arrangements sind dicht, oft chaotisch und dennoch von makelloser Präzision. Elektronische Elemente und düstere Ambient-Texturen erweitern die orchestralen Landschaften, ohne die epische Ernsthaftigkeit zu mindern.
Das Album war bereits 1996 viel zu anspruchsvoll für Gothic, zu "theatralisch" für Black Metal und eigentlich zu düster für Neoklassik, ein bis heute einzigartiges Werk von einer nur schwer greifbaren Unfassbarkeit: einschüchternd, effektiv, atmosphärisch und maßlos emotional.

Dass der bedingt leicht künstliche Klang für die heutigen Hörgewohnheiten etwas störend sein kann, ist der einzige "Makel" an diesem Epos. Vergleicht man dieses Werk jedoch mit ähnlichen Ansätzen in der metallischen Bauernbevölkerung von 1996, ist der alkoholische Auswurf "beeindruckend" noch stark untertrieben. Und jede Wette, dass sich Deathspell Omega in ihrem Sound massiv von Elend haben beeinflussen lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen