Freitag, 29. Juli 2016

Idi i smotri


Regie: Elem Germanowitsch Klimow, 1985

Der Film erzählt die Geschichte des 12-jährigen Fljora, eines weißrussischen Bauernjungen zur Zeit der deutschen Besatzung. Nach dem Untergang der deutschen Armee in Stalingrad ziehen Einheiten der Waffen-SS durch Weißrussland und ermorden die Einheimischen. 628 Dörfer fallen den Gräueltaten zum Opfer. Fljora schließt sich den Partisanen an und muss nach einem Überfall deutscher Fallschirmjäger auf das Lager fliehen. Ein Massaker der SS überlebt der Junge.

In eindringlichen, teilweise erschreckenden Bildern erzeugt der Film eine beklemmende Endzeitstimmung. Der karge und hintergründige Soundtrack unterstreicht die Grausamkeit und den Horror der Bilder. Anders als in Hollywood werden die Szenen hier nicht von Explosionen, Schlachten und Effekten dominiert, sondern durch ein extrem authentisches und realistisches, dreckiges Bild. Fast dokumentarisch fängt die Kamera Gesichter in Nahaufnahmen, weite Waldgebiete und graue Landschaften ein. Manche Szenen sind großartig gefilmt und symbolisieren oft Verzweiflung, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Überhaupt ist die Kameraarbeit absolut großartig und beeindruckend – typisch russisch eben.

Untypisch für einen Kriegsfilm ist auch die geringe Darstellung von Gewalt in exzessiven Bildern, die kaum vorkommt. Stattdessen ist der psychische Horror umso grausamer, bedrückender und gnadenloser als in allen Kriegsfilmen, die ich kenne.

Die Schlussszene gehört übrigens zu den eindrucksvollsten montierten Szenen, die ich je gesehen habe. Ein Film, der nicht unterhält, sondern zeigt!

Mittwoch, 27. Juli 2016

Black Sabbath - Vol. 4

Es gibt Alben, die nicht nur eine Ära definieren, sondern die Essenz eines ganzen Genres in sich tragen. „Vol. 4“ von Black Sabbath ist ein Album, das den Hörer in eine wahre Urgewalt aus Sound, Wut und psychedelischem Taumel stürzt. Es ist eine der bedeutendsten Veröffentlichungen der frühen Siebziger und markiert einen Wendepunkt im Schaffen der Band, die sich von ihren bluesgetränkten Wurzeln weiter in die Tiefen einer zunehmend progressiven und experimentellen Klangwelt vorwagt. Die bereits bekannte Schwere und Finsternis, die Black Sabbath als Begründer des Heavy Metal kultivierten, erhält hier eine zusätzliche Dimension: eine Mischung aus Verzweiflung, nahezu nihilistischer Euphorie und einer eigentümlichen Sensibilität, die in ihrer Eigenart unvergesslich ist. „Vol. 4“ ist nicht nur eines der wichtigsten Alben für den Heavy Metal – es ist eines der coolsten, lässigsten und kompromisslosesten Werke, die jemals aufgenommen wurden. Die rohe Energie und der ungezähmte Spirit, der durch jede Note dieses Albums pulsiert, machen es zu einem zeitlosen Meisterwerk. Es ist ein Album, das vor Authentizität strotzt und die unbändige Kreativität der Band auf ihrem absoluten Höhepunkt einfängt.

Für mich persönlich zählt „Vol. 4“ zu den ganz wenigen perfekten Alben der Musikgeschichte, obwohl es in meinem musikalischen Werdegang erst relativ spät seine volle Wirkung entfalten konnte. So gut wie auf „Vol. 4“ waren Black Sabbath in ihrer klassischen Besetzung nie wieder. Es ist das perfekte Zusammenspiel von vier Musikern, die hier die Höhe ihrer Schaffenskraft erreicht haben. Tony Iommi zaubert Riffs aus seiner Gitarre, die so ikonisch und mächtig sind, dass sie bis heute als Blaupause für unzählige Metalbands dienen. Bill Ward am Schlagzeug und Geezer Butler am Bass bilden eine Rhythmussektion, die so tight und druckvoll spielt, dass sie jeden Song in eine unerbittliche Walze aus purem Rock verwandelt. Und natürlich Ozzy Osbourne – der Teufelsanbeter, dessen unverkennbare Stimme über dem ganzen Werk thront und ihm seine dunkle, unheimliche Seele verleiht.

Der Opener ‚Wheels of Confusion‘ zeigt, dass es hier um mehr geht als um bloße Kraftmeierei. Das Stück beginnt mit einem getäuschten Gefühl der Kontrolle, einem scheinbar einfachen, fast rockigen Riff, doch bereits nach wenigen Takten weicht es einem musikalischen Wirbelwind, der das bekannte Terrain verlässt und sich in immer verworrenere Bahnen begibt. Iommis Gitarre klagt, schwelgt, erhebt sich in triumphale Höhen, nur um sich wieder in melancholische Gefilde zu stürzen. Es ist ein Epos, das in seinen verschiedenen Teilen die Bandbreite von Black Sabbath aufzeigt: vom verführerisch melodischen bis zum geradezu beängstigend düsteren Klangspektrum.

Ein weiterer Höhepunkt ist das treibende ‚Snowblind‘ – die offene Hommage an die Kokainexzesse, die das Leben der Band damals prägten. Tony Iommi spielt hier eines seiner prägnantesten Riffs, eine schwerfällige, aber unwiderstehliche Wand aus Sound, die sich wie eine Lawine auf den Zuhörer zubewegt. Ozzy Osbournes Stimme klingt hier verletzlich und aufgeladen zugleich; es ist eine Mischung aus Wahnsinn und Klarheit, die durch die gesamte Aufnahme hindurchschimmert. Gerade in dieser Unmittelbarkeit, in der schonungslosen Ehrlichkeit, die nicht um das Thema der Droge herumtänzelt, sondern es frontal angreift, liegt die Intensität von ‚Snowblind‘. Es ist ein Song, der das Gefühl der Flucht und des Kontrollverlusts in purer musikalischer Form einfängt.

Was „Vol. 4“ ebenfalls auszeichnet, ist die Fülle an stilistischen Experimenten, die die Band wagt. ‚Changes‘, eine balladeske Nummer, markiert einen tiefen Bruch im sonst so düsteren Klangbild der Band. Hier dominiert das Klavier, gespielt von Iommi selbst, und Ozzys Stimme erreicht eine emotionale Tiefe, die von Schmerz und Verlust erzählt. Der Song ist schlicht, fast verletzlich, und zeigt eine Seite der Band, die viele vielleicht nicht erwartet hätten – eine melancholische Aufrichtigkeit, die zwischen all der Schwere und Dunkelheit fast wie eine Erlösung wirkt. Es sind Momente wie diese, die Black Sabbath als mehr denn eine bloße Metal-Band ausweisen – sie waren stets auch musikalische Pioniere, bereit, die Grenzen dessen, was „heavy“ sein kann, zu erweitern.

Mit ‚Supernaut‘ liefert die Band eines der direktesten und kraftvollsten Stücke auf dem Album. Das treibende Riffing von Iommi in Verbindung mit Bill Wards unermüdlichem, fast tribalistischem Schlagzeugspiel macht diesen Track zu einer wahrhaft energiegeladenen Hymne. Der Groove, der sich durch das Stück zieht, ist elektrisierend, und auch wenn die Riffs simpel erscheinen, tragen sie eine unbändige Kraft in sich, die bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren hat. Es sind genau diese Elemente – die scheinbare Einfachheit kombiniert mit einer absoluten Hingabe und Präzision – die ‚Supernaut‘ zu einem unverzichtbaren Stück der Rockgeschichte machen. Es hat etwas fast Hypnotisches an sich, wie die Band hier unaufhaltsam und kompromisslos nach vorne prescht.

Songs wie ‚Snowblind‘, ‚Supernaut‘ und ‚Wheels of Confusion‘ sind nicht nur Klassiker – sie sind essenziell für das Verständnis des Heavy Metal. Sie zeigen, wie man düsteren, schweren Rock mit einer fast mühelosen Coolness verbindet. Die unheilvolle Stimmung, die düsteren Lyrics und die rohe, unpolierte Produktion verleihen dem Album eine Authentizität, die es von allem abhebt, was zuvor kam und was danach noch folgen sollte. Die Produktion von „Vol. 4“ fängt den Geist der Zeit perfekt ein: Sie ist roh, stellenweise fast unfertig wirkend. Es gibt keinen Schnickschnack, keinen überflüssigen Glamour – alles ist auf den Punkt, direkt und ehrlich. Man hört dem Album an, dass es in einer Zeit entstanden ist, in der Musik noch unmittelbarer Ausdruck von Lebensgefühl und Existenz war. Die Soundexperimente und kleinen Studio-Gimmicks tragen alle dazu bei, dass „Vol. 4“ wie ein organisches Ganzes wirkt – ein lebendiges Stück Musik voller Überraschungen.

Es ist ein versiffter Trip, ein Hörspiel des Wahnsinns und des Genies, eine Reise durch die tiefsten Abgründe und die höchsten Höhen der menschlichen Kreativität. Einer der eindrucksvollsten Aspekte von „Vol. 4“ ist die Balance zwischen der kompromisslosen Härte und der tiefen Emotionalität, die durch das gesamte Album schwingt. Ob es die düsteren, drogengetriebenen Visionen in ‚Snowblind‘ sind, die schmerzvolle Melancholie von ‚Changes‘ oder die rohe, fast ekstatische Energie von ‚Supernaut‘ – all diese Elemente verbinden sich zu einem komplexen Geflecht, das in seiner Gesamtheit weit über das hinausgeht, was man von einem „Metal-Album“ erwarten könnte. Black Sabbath waren niemals nur die Begründer eines Genres, sie waren Künstler, die die Grenzen dessen, was Musik leisten kann, immer weiter ausloteten.

„Vol. 4“ ist ein Denkmal der Rockgeschichte – ein Album, das für immer den Stempel "unvergänglich" trägt. Es ist eines dieser Werke, die nicht altern, die nichts von ihrer Kraft verlieren und die auch nach Jahrzehnten noch die gleiche elektrisierende Wirkung entfalten. Wenn man darüber spricht, was Heavy Metal wirklich ausmacht, wenn man nach der Essenz dieser Musik sucht, dann führt kein Weg an „Vol. 4“ vorbei. Es ist die Verkörperung dessen, was Rock und Metal sein können – roh, ungeschönt und absolut zeitlos.

Dienstag, 26. Juli 2016

Dissection - Storm Of The Light's Bane



Es gibt Alben, die einen unauslöschlichen Abdruck in der Geschichte eines Genres hinterlassen - Werke, die sich durch ihre unvergleichliche Kreativität und ihre technische Brillanz nicht nur von der Masse abheben, sondern selbst zu stilprägenden Monumenten werden. „Storm of the Light's Bane“ von Dissection ist genau ein solches Album. Es gehört zu den seltenen Schöpfungen, die den extremen Metal auf ein neues Niveau hoben und bis heute als eines der bedeutendsten Alben des Black/Death Metal angesehen werden. Dieses Werk war nicht nur für die 90er Jahre prägend, sondern hat die Richtung des skandinavischen Extrem-Metal auf Jahrzehnte hinaus mitbestimmt.

„Storm Of The Light's Bane“ hat mich in meiner Jugend regelrecht überrollt. Es war eines der Alben, die mir die Tür zur Welt des Black- und Death Metal öffneten, und bis heute bleibt es ein unverzichtbarer Wegweiser für die Entwicklung des Genres. Was Jon Nödtveidt auf diesem Album geschaffen hat, ist eine atemberaubende Verschmelzung aus roher Black Metal-Wut und der für den Swedish Death Metal typischen Präzision, verpackt in betörend düstere Melodien. Was dieses Album wirklich herausragen lässt, ist Nödtveidts außergewöhnliches Gespür für Harmonien und Songstrukturen, die sich deutlich von allem unterscheiden, was zu dieser Zeit im Extrem-Metal existierte. Nödtveidts brillante musikalische Vision spiegelt sich in jedem Detail wider, von der sorgfältigen Komposition bis zur akribischen Produktion. Diese perfekte Symbiose ist nicht bloß ein theoretisches Konzept, sondern wurde von Nödtveidt meisterhaft in die Realität umgesetzt.

Das faszinierende Coverartwork, das düstere, frostige Landschaften zeigt, spiegelt den musikalischen Inhalt wider: Es ist eine kalte, pechschwarze Klangwelt, in der Gewalt und Melodie zu einer unheiligen Allianz verschmelzen. Der Opener ‚Night's Blood‘ stellt die vollkommene Verkörperung dieses einzigartigen Stils dar und gilt bis heute als einer der definierenden Songs dieser Ära. ‚Night's Blood‘ ist nach all den Jahren immer noch ein Song, der die Essenz dessen einfängt, was Dissection zu dieser Zeit so besonders machte. Die Riffs schneiden sich durch die Kälte, wie scharfe Klingen durch Nebel - von dunkler Schwärze umhüllt, aber mit einem melodischen Glanz, der die Dunkelheit zum Leuchten bringt. Doch trotz der wütenden Intensität liegt unter der Oberfläche eine ausgeklügelte, fast symphonische Struktur, die den Song zu einem der stilistischsten und einflussreichsten Stücke macht, die die skandinavische Szene je hervorgebracht hat. Hier zeigt sich Nödtveidts außergewöhnliches Gespür für Harmonien und Melodiebögen, die das musikalische Chaos auf eine fast majestätische Weise zähmen, und in jeder Note dieses Albums spürt man seine visionäre Kraft. „Storm Of The Light's Bane“ hat vielen anderen Alben aus dieser Zeit etwas voraus: Es verbindet gnadenloses musikalisches Können mit einem Songwriting, das nicht nur die Extreme des Genres auslotet, sondern sie auf ein völlig neues Niveau hebt.

Doch die Faszination von „Storm of the Light's Bane“ liegt nicht nur in den unverwechselbaren Leads und Riffs, die Nödtveidt so virtuos in das Klanggefüge einwebt. Was dieses Album ebenfalls so besonders macht, ist die unglaubliche Dynamik zwischen den Instrumenten. Ebenso entscheidend für die bahnbrechende Wirkung dieses Albums ist das atemberaubende Drumming von Ole Öhman. Sein eindrucksvolles Schlagzeugspiel, das die komplexe Klangstruktur entscheidend mitbestimmt, gehört zu den besten Leistungen im Extrem-Metal der 90er Jahre und wird allzu oft übersehen. Öhman versteht es, mit einer scheinbar mühelosen Präzision zwischen den kraftvollen Blastbeats und den komplexeren Rhythmen zu wechseln, die den Songs Tiefe und Dynamik verleihen. Sein Schlagzeugspiel ist wuchtig, fast schon physisch spürbar, und verleiht dem Album eine rhythmische Struktur, die ebenso unnachgiebig wie mitreißend ist. Der Drumsound selbst, kantig und voluminös, trägt entscheidend zur düsteren Atmosphäre des Albums bei und sorgt dafür, dass jeder Schlag wie eine donnernde Explosion durch die Musik hallt. In einem Genre, in dem die Gitarren oft das Hauptaugenmerk erhalten, gelingt es Öhman, das Schlagzeug in den Mittelpunkt des musikalischen Ausdrucks zu stellen, ohne dabei die Balance des Gesamtklangs zu gefährden.

Die Produktion und die klangliche Ästhetik dieses Albums, die über die typische Black Metal-Raserei hinausgeht, ist absolut herausragend. Die Produktion besitzt eine Klarheit und ein Volumen, das vielen anderen zeitgenössischen Aufnahmen fehlt. Trotz der intensiven, oft chaotischen Energie der Songs bleibt der Sound klar und durchdringend, mit Kanten und Volumen, die den Songs Tiefe und Schärfe verleihen. Ein Sound, der die feinen Nuancen der Gitarrenarbeit zur Geltung bringt, ohne die infernalische Wucht des Albums zu mindern. Die Melodien sind präsent, aber nie aufdringlich, die Härte bleibt allgegenwärtig und wird durch den präzisen und voluminösen Soundrahmen verstärkt. Es ist diese Balance zwischen der rohen, unerbittlichen Intensität und der kristallinen Klarheit der Produktion, die Storm of the Light's Bane auch heute noch so kraftvoll macht. Wenn die Blastbeats einsetzen oder die Gitarren in wütenden Riffs explodieren, klingt es, als würde sich die eisige Dunkelheit des nordischen Winters direkt vor dem Hörer entfalten.

Die sechs Songs auf „Storm Of The Light's Bane“ sind allesamt Meisterwerke. Sie bieten einen harmonischen Rausch, der gleichermaßen verstörend wie hypnotisch ist. Stücke wie ‚Unhallowed‘ oder ‚Where Dead Angels Lie‘' verflechten Melodie und Brutalität auf eine Weise, die fast wie eine verzweifelte, zerstörerische Schönheit wirkt. Die Gitarrenmelodien tanzen förmlich über das frostige Fundament der Songs und die Melodiebögen brennen sich tief ins Gedächtnis ein, während der Blastbeat unbarmherzig darunter wütet. Nur selten gelingt es einem Album, die Vielzahl extremer Elemente in einer solch fließenden und eleganten Form zu integrieren. „Storm of the Light's Bane“ ist sowohl gnadenlos als auch erhaben, brutal und zugleich wunderschön. Diese Raffinesse zeigt sich in jedem Detail von „Storm of the Light's Bane“, und auch Jahrzehnte später bleibt das Album eine unverzichtbare Referenz.

Jon Nödtveidt, so umstritten seine Persönlichkeit auch war, bleibt unbestritten einer der visionärsten Musiker des nordischen Metal. Seine Fähigkeit, in den Wirren des Black- und Death Metal eine eigene, unverkennbare Sprache zu finden, hat ihn zu einem maßgeblichen Einfluss für Generationen von Musikern gemacht. „Storm of the Light’s Bane“ ist das Zeugnis dieses Talents, ein Werk, das die Essenz des Genres verkörpert und doch seine Grenzen sprengt. Fast drei Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung ist es noch immer ein Eckpfeiler des skandinavischen Metal, ein Album, das die Brutalität und die Melancholie des Extremen in vollendeter Form vereint.

„Storm of the Light's Bane“ bleibt ein unverzichtbares Werk für jeden, der die Entwicklung des skandinavischen Extrem-Metal verstehen will.

Montag, 25. Juli 2016

Manowar - Into Glory Ride

 

Ein Live-Tape (Bootleg) mit dem Namen Death to False Metal! von der Fighting the World-Tour 1987 hat mich eigentlich "verändert". Das erste richtige Album folgte wenige Wochen später. Das erste Album, das ich bewusst, komplett, mit dem Lesen der Texte, unter Kopfhörern, mit Fantasybildern im Kopf, unter ständigem Mitsingen der Melodien und ausschließlich alleine gehört habe, war Into Glory Ride. Ob Hail to England heute denselben Stellenwert bei mir hätte, was es ja eigentlich hat, wenn ich statt Into Glory Ride zuerst Hail to England gehört hätte, kann ich nicht genau sagen.

Vermutlich aber nicht, denn abgesehen von Warlord – das kein schlechter Manowar-Song ist, aber einfach nicht zum Kontext des Albums passt – sind auf Into Glory Ride sechs der epischsten und rohsten Diamanten der Metal-Geschichte verewigt. Dieses betörende Secret of Steel, das galoppierende und mächtige Gloves of Metal, die Überhymne Gates of Valhalla, das schrecklich finstere Hatred (für mich das Bridge of Death des Albums), und die beiden abschließenden, unerreichten magischen Sternstunden des epischen Metals, Revelation (Death’s Angel) und March for Revenge (By the Soldiers of Death) – das war von nun an meine Religion.

Hinzu kommt dieser (ungewollt) ehrliche Sound, der die Stimmung in Dimensionen treibt, die ich auf keinem anderen klassischen Heavy-Metal-Album je wiedergefunden habe. Ross Friedman (für mich einer der zehn typischsten und einflussreichsten Gitarristen im Bereich Heavy & Metal) mit seinem leidenschaftlichen Gitarrenspiel, seinen Weltriffs und den warmen, aber dennoch feurigen Soli; Scott Columbus' punchende Lärmorgie an den Kesseln – nichts anderes ist es, aber er war vielleicht der effektivste, "talentloseste" Schlagzeuger des Heavy Metal, und das ist überaus positiv gemeint; Joey DeMaios berserkerhaftes Talent, echte und spürbare Stahlhymnen zu komponieren (wahrscheinlich ist daraus der Terminator entstanden) und sein Gespür für dramatische Epik in den Songs – und natürlich Eric Adams, ein Sänger, der in seinen Glanzzeiten für Dickinson, Halford und Co. nur ein achselzuckendes Lächeln übriggehabt hätte.

Sechs der für mich bedeutendsten Songs des Heavy Metal befinden sich auf Into Glory Ride, alle für sich makellos perfekt, veredelt von einer einzigartigen Stimme, gekrönt von einem dermaßen passenden Cover-Artwork und voller textlicher Schlagwörter, die ich auch heute noch lauthals mitsinge. Dieses Album glorifiziert für mich den Heavy Metal bis in die ungepflegten Haarspitzen und ist ein heiliges Unikat dieser Musik.

Durch Into Glory Ride bin ich ein anderer Mensch geworden, und kein anderes Album danach hat je wieder dieses Gefühl vermittelt wie damals, als ich 1993 wochenlang dieses Album zutiefst vergöttert habe und die große, weite Welt der Musik für mich entdeckte. Ich mutierte endgültig zum Musikfan, Metalhörer und zum wandelnden Outfit-Overkill.

Freitag, 22. Juli 2016

Totenmond - Reich in Rost

 

Der Elitekrach von Totenmond gehört zu den stumpfsinnigsten Auswürfen der zersetzenden Tonkunst. Mit Reich in Rost hat die Band im Jahr 2000 ihr eingängigstes Werk geschaffen. Es erreicht zwar nicht ganz die Brachialität von Lichtbringer und stellt auch keinen solchen Vernichtungsschlag wie Fleischwald dar, glänzt dafür aber mit einem schmissigen, rostigen Metall-auf-Metall-Sound und einem punkigen Songwriting. Außerdem gehört Pazzer mit seinem Umgang mit der deutschen Sprache zu den verkannten Genies.

Und mit Schiff Ahoi hat man ganz nebenbei noch einen lupenreinen Hit geschrieben. Aber bei Totenmond fließt bei mir sowieso mit jedem Album der Geifer. Hirn-Korrosion der freudigen Hingabe!

Laurence Anyways


Regie: Xavier Dolan, 2012

Xavier Dolan wird ja gerne als Regiewunderkind gefeiert. Meinen Erstkontakt mit dem blutjungen kanadischen Autorenfilmer hatte ich mit seinem Zweitwerk Les amours imaginaires und war völlig unterwältigt. Eine komplette Schlafpille, die allerdings mit einem geschmackssicheren Soundtrack ausgestattet war (was sich zu Dolans Handschrift entwickelt hat), und dennoch erkannte man das Talent von Dolan. Sein letztjähriges Werk Mommy hat mich dann aber ziemlich begeistert.

Nun habe ich mir sein hochgelobtes Drittwerk angesehen. Das Drama, das knapp an der Drei-Stunden-Grenze kratzt, zeigt den Willen und den Wunsch von Laurence Alia, sich in eine Frau zu verwandeln, da er seit über dreißig Jahren im falschen Körper eingesperrt ist und so nicht mehr leben kann und will. Seine Freundin Frédérique versucht, dies zu akzeptieren und die Liebe aufrechtzuerhalten. Doch nervlich scheint sie nach einer gewissen Zeit und einer heimlichen Abtreibung an ihre Grenzen zu stoßen. Mehr möchte ich zur Geschichte nicht verraten, denn diese sollte man sich wirklich im Zusammenspiel von Bildern und Musik ansehen.

Dolan stolpert hier keine Sekunde ins Peinliche oder versinkt im Kitsch (der trotzdem bewusst dezent als Stilmittel eingesetzt wird – aber auf typische Dolan-Art). Man muss sich auch mal vor Augen führen, dass Dolan hier gerade mal 23 Jahre alt war und gleichzeitig ein so selbstsicheres und fantastisches Meisterwerk abgeliefert hat. Dolans Stil ist eigenwillig, schon fast provokant und selbstverliebt, aber er ist mit einem Ideenreichtum ausgestattet, wie es seit Jahren nur wenigen Regisseuren vergönnt ist.

Sein Spiel mit Farben, Zeitlupen, grandioser Musik und Kameraeinstellungen erinnert an eine moderne Interpretation der Nouvelle Vague. Dolan setzt sehr oft bekannte Pop- und moderne Electro-Musik ein, die in Kombination mit den Bildern wie ein Popmärchen wirken. Es gibt hier zum Beispiel eine grandiose Szene, in der Fred zu einem Filmball geht und sie knallbunt gestylt zu Fade to Grey durch die Massen (die ebenfalls abgefahren gestylt sind) abwechselnd in Zeitlupe drehend schwebt und dann wieder mit ernstem Gang voranschreitet. Allein diese Szene ist so übertrieben und pompös, dass man mit herunterlaufendem Speichelfaden vor dem TV-Gerät anfängt zu zucken.

Die Handlung spielt in den Neunzigern, also in einer sehr bunten Zeit, mit kleinen Ausflügen in die späten Achtziger. Hier tobt sich Dolan regelrecht an den Kostümen, Frisuren, Perücken und dem Make-up aus. Seine Bilder sind perfekte Zeitepochen-Darstellungen, die aber nur nebenbei existieren, denn im Vordergrund steht die Geschichte von Laurence und Fred.

Der Film hat so viele denkwürdige Szenen: die Wasserfallszene in der Wohnung von Fred, die „Klamotten-regnen-vom-Himmel“-Szene oder die Szene, als Laurence in Frauenkleidern seine Klasse betritt (er ist Lehrer) – und natürlich die angesprochene Fade to Grey-Szene. Aber am meisten hat mich die Szene im Café begeistert, als Fred die Bedienung in gewaltiger Lautstärke zusammenfaltet und fast explodiert. Fantastique!

Die beiden Hauptdarsteller sind großartig, und mir persönlich hat Suzanne Clément als Fred am besten gefallen. Man könnte meinen, Dolan sei mit seinen 23 Jahren überheblich, aber dem ist nicht so. Er kann es einfach. Seine Filme sind sicherlich nicht für die breite Masse bestimmt (was man auch sofort merkt), aber es lohnt sich für Filmbegeisterte, seine Werke zu entdecken. Dieses hier ist sein Meisterstück und gleichzeitig ein Vorbild für kommende Filmemacher in Sachen Kreativität und Stil.

Mittwoch, 20. Juli 2016

Heather Nova - Siren

 

Ich stehe ja total auf diese Musikerin, deshalb möchte ich hier schnell mein liebstes Werk dieser tollen Frau vorstellen.

"Siren" ist das dritte Album von Heather Nova und dürfte wohl auch ihr erfolgreichstes Werk sein. Schon der fantastische Vorgänger "Oyster" mit großartigen Songs wie 'Maybe an Angel' oder 'Island' hat mich damals als pubertierender Jugendlicher sehr angesprochen. Offiziell zugeben konnte ich das aber nicht, denn es war in meiner damaligen Szene einfach nicht angesagt, solche Musik gut zu finden – vor allem, wenn man im The Triumph of Steel-Muscle-Shirt ständig das Manowar-Zeichen mit seinen Kleinkind-Armen machte.

Heute, 20 Jahre später, wirkt das natürlich unfreiwillig komisch. Richtig schön – und ich meine wirklich schön – wurde es aber erst mit dem dritten Album, welches vier Jahre nach "Oyster" erschien. "Siren" ist nicht nur erdiger, sondern besitzt auch einen klasse Bandsound und ist rockiger als seine beiden Vorgänger. Die Produktion ist angenehm warm und voluminös. Hier haben übrigens Martin Glover von Killing Joke und Jon Kelly die Produktion übernommen.

Was "Siren" neben dem typischen 90er-Sound so wunderbar macht, sind die richtig gut komponierten Songs, die Heather hier geschrieben hat. Während die beiden Vorgänger noch etwas durchwachsen waren, zeigt "Siren" das volle Talent von Nova. Knackige Rocksongs stehen neben melancholisch angehauchten Popsongs und unkitschigen Balladen in perfekter Balance. Das Album wird zudem erstklassig eröffnet: 'London Rain (Nothing Heals Me Like You Do)' ist ein unglaublich guter Opener für diese Art von Pop-Rock-Musik, gefolgt von dem starken 'Blood of Me' und dem schönen 'Heart and Shoulder'. 'What a Feeling' ist dann eher ein Schmusesong – aber ein guter!

Hier braucht es keine großen instrumentalen Höhepunkte, denn die Songs sind einprägsam und flüssig. Heather Nova hat nebenbei bemerkt eine wunderhübsche Stimme, auf der die Songs aufbauen. Mit 'I'm the Girl' ist auf dem Album auch mein absoluter Lieblingssong von Heather vertreten, bei dem ich regelmäßig mit eingeklemmtem Spatzelmann zwischen den Beinen den Buffalo Bill tanze.

Musikalisch ist "Siren" typische Sommermusik – man kann sie ohne große Konzentration genießen, sie passt eigentlich immer und ist weit entfernt von seelenloser Popmusik. Heather Nova ist eine äußerst talentierte Songwriterin mit einer tollen Stimme und einem ausgeprägten Sinn für gute Songs.

The Jasmine Flower von 2008 fand ich ebenfalls wieder richtig stark, obwohl Heather selbst nie wieder an ihre beiden Meisterwerke "Oyster" und eben "Siren" anknüpfen konnte. Heather ist auch heute noch ein oft gesehener Gast in meinem Musiktempel. Eine super Frau halt!

Dienstag, 19. Juli 2016

System Of A Down - Mezmerize

System-of-aDown-Mezmerize

Müsste ich mich entscheiden, welche Band mich im letzten Jahrzehnt am meisten beeindruckt und durcheinandergebracht hat, dann würde ich wohl System of a Down (SOAD) nennen. "Toxicity" ist für mich mittlerweile mein liebstes, harsches Gitarrenpower-Album aus diesem Jahrzehnt. Diese ungezügelte, rohe Brutalität, die von Rick Rubin meisterhaft eingefangen und in der Produktion umgesetzt wurde, knallt (hier stimmt dieser Ausdruck mal) immer noch so berserkerhaft wie am ersten Tag. Man darf auch nicht überhören, dass hier nur ein einziger Gitarrist für diesen Sturm verantwortlich ist.

Daron Malakian ist für mich das größte Talent an der Gitarre seit Darrell Lance Abbott, und das meine ich völlig ernst. Was Daron für kreative Riffs, Melodien, ungewöhnliche Soli und Ideen auf der Gitarre auslebt, ist für mich wirklich nur mit einem Dimebag zu vergleichen. Stilistisch zwar auf einem anderen Level, aber von der Wirkung nicht weniger erschlagend. Dabei sind es nicht nur seine ungehaltenen und monströsen Power-Riffs, die kochende Wut und blutige Aggression atmen, sondern auch seine ruhigen Töne, sein ausgeprägter Sinn für feine Melodien und natürlich dieser ultraherbe, geile musikalische Einfluss seiner Herkunft. Dieser ist fester Bestandteil im Sound von SOAD, wird aber nie plakativ in den Vordergrund gestellt, sondern begleitet mit sanften Schritten den musikalischen Rahmen.

Dazu hat man mit Serj Tankian einen der außergewöhnlichsten Sänger der letzten Jahre hinter dem Mikro, der passend zu Malakians Stil aggressiv, wild, verrückt und melodisch die abgefahrensten Gesangslinien ausspuckt. Richtig sexuell wird es aber erst, wenn Tankian und Malakian sich zusammen duellieren und im Duett die schrägsten Parts mit ihren Stimmen nochmals aufwerten.

Mit John Dolmayan sitzt eine extrem unterbewertete Groovemaschine am Schlagzeug, die so richtig vom Leder zieht, wenn sie synchron mit Malakian eine Urgewalt heraufbeschwört.

Mit "Mesmerize" (mein Erstkontakt mit SOAD) hat die Band 2005 ein wahres Gigantenwerk an Kreativität, Feuer, Melodien, Hits, Riffs für Millionen, Refrains und Momente für die Ewigkeit veröffentlicht. Die brachialen Momente von "Toxicity" finden sich nun in einem etwas geordneteren Rahmen, der wunderbar mit den einprägsamen Melodien harmoniert, die erst auf dem melodischeren Zwillingsbruder "Hypnotize" so richtig aufblühen.

Das Doppel "Mesmerize"/"Hypnotize" ist vielleicht der letzte große Paukenschlag in der Rockmusik bis heute. Sozusagen die beiden "Use Your Illusion"-Alben – nur in musikalisch gut und wertvoll. "Toxicity" war zwar, glaube ich, erfolgreicher, aber "Mesmerize" ist musikalisch das bisher ausgereifteste Werk in der Bandgeschichte. Was für wahnwitzige Songs wie 'Sad Statue' (wie dieses Riff tötet!), 'Violent Pornography', 'Question!', 'B.Y.O.B.', 'Cigaro' oder mein Lieblingssong 'Radio/Video' mit seiner orientalischen Köstlichkeit im Mittelteil auf diesem Album enthalten sind, ist kaum auszuhalten. Dabei gibt es eigentlich keinen einzigen Ausfall. Auch die Verpackung ist endlich mal hübsch, was man ja bei den Vorgängern nicht behaupten konnte.

Auch hier war Rick Rubin wieder für die Produktion verantwortlich, diesmal in Zusammenarbeit mit Malakian. Auch wenn der Sound nicht ganz so brachial wie bei "Toxicity" ist, sind es die besser nuancierten Feinheiten und die weicheren Gitarrenmelodien, die den Bandsound noch spannender gestalten.

In allen Belangen ist "Mesmerize" das anspruchsvollste und am besten komponierte Werk der Bandgeschichte. Die unglaublich komplexen Gesangsleistungen von Tankian und Malakian, die Luxusarbeit von Malakian an der Gitarre, die sagenhafte Groovearbeit von Shavo Odadjian und John Dolmayan und dieser irre Stilmix aus allem, was gut ist, gehören zu den größten Momenten der Rockmusik des neuen Jahrtausends.

System of a Down sind laut meinem Gehirn, meinem Bauch, meiner Seele und meinem Herzen die kreativste und frischeste Band, die die Rockmusik nach den Neunzigern hervorgebracht hat. Es ist wie mit Falafel: Ich kann es (leider) nicht immer und überall essen, aber wenn ich es in die Finger bekomme, ist es das geilste Zeug der Welt.

Montag, 18. Juli 2016

Nagelfar - Hünengrab im Herbst

Nagelfar - Hünengrab im Herbst

1997 hatte ich meine ersten ernstzunehmenden Berührungen mit Black Metal. Das für mich im Nachhinein vielleicht wichtigste und prägendste Album, welches mir den Black Metal ins Haus holte, kam nicht aus Norwegen, sondern aus Deutschland.

Damals besorgte ich mir CDs und Shirts noch über Papier-Mailorder per Post oder per Telefon. Napalm Records, Last Episode, Nuclear Blast, EMP, Invasion – die üblichen Verdächtigen aus dieser Zeit. Dort habe ich dann auch das Debüt "Hünengrab im Herbst" von NAGELFAR entdeckt. Die positiven Meinungen zum Album haben mich schließlich zum Kauf überredet, und diesen habe ich bis heute nicht bereut.

Der ausschlaggebende Punkt war aber, dass die Texte komplett auf Deutsch vorgetragen wurden – damals eine Seltenheit im Black Metal. Auch das Covermotiv war eher untypisch für das Genre.

Ich kann mich heute noch genau an diesen großen Moment erinnern, als das kurze Intro in den ersten Song 'Seelenland' überging. Ein Schrei, ein Blastbeat, ein druckvolles Riff und eine, meiner Meinung nach, immer noch einzigartige und unerwartete Produktion. Andy Classen hat hier unglaubliche Arbeit abgeliefert. Den Sound für das eher moderne Songwriting, welches sich klar von anderen Bands unterschied, hat er perfekt zugeschnitten und einen großen Klangkosmos mit Emotionen, Details, Ecken und Kanten sowie leichten elektronischen Experimenten geschaffen.

Natürlich bringt die beste Produktion nichts, wenn das Songwriting nicht stimmt. Und da kommt man automatisch auf den nächsten herausragenden Punkt, der für die Sonderstellung des Albums verantwortlich ist. NAGELFAR haben auf "Hünengrab im Herbst" fünf teuflische Songs verewigt, die sich, genau wie die Produktion, vom üblichen Schema der Black Metal-Kunst (bewusst?) abgrenzen. Wahnsinnig mutiges Songwriting, furchtloser Einsatz von Keyboards und Electronica, ungewöhnliches Drumming, druckvoller Gitarrensound, deutsche Texte und verständlicher Gesang gehen Hand in Hand mit geistesgestörtem Geschrei.

Zudem hat sich mit dem Titelsong eine gothische Ballade auf dem Album versteckt, die mir persönlich aber schon immer nicht so recht schmecken wollte. Eine weitere außergewöhnliche Kombination – so ein Stück in die Mitte des Albums zu platzieren. Man darf nicht vergessen, dass Keyboards, zu viele Melodien, klarer Gesang und ein druckvoller Sound 1997 mit Black Metal so viel zu tun hatten, wie meine Oma mit WACO JESUS.

Zurück zu 'Seelenland'. Der erste Song sorgte bereits in meinem damals zarten Alter für unfassbare Begeisterung und ließ meinen Penis abermals einen mächtigen Wachstumsschub erfahren. Wie ein Sturm donnert der Song los, prügelt und sägt, um dann in einen hymnischen Rhythmus zu wechseln. Immer wieder brechen NAGELFAR in rasende Parts aus und verbinden das alles so geschickt und stimmig, dass mir damals echt nichts mehr dazu einfiel. Auf jeden Sampler packte ich 'Seelenland', und alle wurden in meinem Bekanntenkreis mit diesem Song beglückt – ob sie wollten oder nicht.

Mit 'Schwanengesang' folgte dann ein episches Meisterwerk von knapp 15 Minuten Länge. Es beginnt mit ungewöhnlicher Rhythmik und experimentellen Synthesizern, stürmt danach in epischer Black Metal-Manier umher, um schließlich mit ruhigen, träumerischen und spacigen Passagen ein atmosphärisches Gesamtbild zu erschaffen. Auch hier sticht der grandiose und meiner Meinung nach meisterliche Gesang von Jander heraus. Auf "Hünengrab im Herbst" hat er eine der besten Gesangsleistungen auf einem Black Metal-Album abgeliefert. Wildes, chaotisches Geschrei, Sprechgesang, hymnenhafter Klargesang oder irres Psychogekeifer – Jander besitzt für Black Metal-Verhältnisse eine enorme Vielfältigkeit. Technisch natürlich alles sehr begrenzt, aber darauf kommt es hier gar nicht an. Es ist diese emotionale, extrem charismatische Stimme, die authentisch die gesamte Stimmung der Songs einfängt. Wie geschickt und unverschämt selbstverständlich NAGELFAR in 'Schwanengesang' mit Tempo, Rhythmik, klarem Gesang, ungewöhnlichen Keyboards und Stimmungen spielen, ist heute genauso spannend und faszinierend wie vor 19 Jahren.

Mit 'Hünengrab im Herbst' folgt dann die bereits erwähnte Ballade, die zwar super zur Stimmung des Albums passt, mir aber etwas zu abgedroschen klingt. Mutig ist dieses Stück allemal, und es wartet auch mit schönen Klanglandschaften auf. Vielleicht erinnert mich der Song zu sehr an den Kitsch von Bands wie LACRIMOSA, ohne dabei in diese Gefilde abzurutschen. Kein Ausfall, aber für mich schon damals eher ein nettes Beiwerk zum restlichen Album.

'Bildnis der Apokalypse' zeigt NAGELFAR wieder in experimentierfreudiger Laune. Verzerrter Gesang wechselt sich mit kraftvollem Geschrei ab. Auch hier zelebrieren NAGELFAR wieder eine Symbiose aus rasendem Black Metal, ungewöhnlichen Tempowechseln und Synthesizersounds.

Mit 'Srontgorrth (Das dritte Kapitel)' haben NAGELFAR vielleicht den besten Song ihrer Karriere auf dem Album verewigt. Epochal, rasend, stampfend, hymnisch, poetisch und besessen knüppeln und spielen sie sich in einen Rausch, über dem Janders gnadenloses Gekeife thront. Heute noch verschafft mir der majestätische Mittelteil eine Gänsehaut: "Der Frühling erstarb auf meinen Lippen. Doch da … im Frühnebel – ein Funke – heidnischer Schönheit."

Abschließend bewegen sich NAGELFAR in 'Der Flug des Raben (Ein Jammerschrei in traurig’ Nächten)' 15 Minuten lang durch alle Ebenen, die das Album bisher aufgezeigt hat.

“Hünengrab im Herbst“ ist heute, 19 Jahre später, sicher nicht mehr so faszinierend wie damals. Es gibt mittlerweile auch teilweise viel bessere deutsche Black Metal-Alben. Doch eines hat sich dieses Album bis heute bewahrt: Es ist und bleibt in seinem Ganzen einzigartig und unerreicht.

Die fantastische Produktion von Andy Classen ist bis heute nicht eine Sekunde gealtert. Der druckvolle Schlagzeugsound ist immer noch etwas ganz Besonderes. Die ungewöhnlichen Riffs und Rhythmen waren damals extrem mutig, und Janders Gesang ist und bleibt eine Meisterleistung im Black Metal. Dazu haben NAGELFAR wunderbare, im Gedächtnis bleibende Melodien auf "Hünengrab im Herbst" verewigt – ob nun mit Synthesizer, Gitarre, Samples oder Gesang.

Der für mich aber höchste Stellenwert, den dieses Album besitzt, ist, dass es ein Teil meiner Jugend ist. Für mich ist es ein ähnlich prägendes und sehr wichtiges Album wie "Into Glory Ride", "Dark Side Of The Moon" oder "Within The Realm Of A Dying Sun". Die Erinnerungen, die ich mit "Hünengrab im Herbst" verbinde, sind sowieso nicht in Worte auszudrücken.

Nach "Hünengrab im Herbst" war ich endgültig und hoffnungslos dem Black Metal verfallen.

De rouille et d'os


Regie: Jacques Audiard, 2012

Der rohe Alain schlägt sich mit seinem Sohn ohne viel Perspektive durchs Leben und bekommt einen Job als Türsteher in einem Club. Dort muss er gleich bei einem Handgemenge eingreifen, wo er auf die schöne Stéphanie trifft, die wohl daran beteiligt war und etwas abbekommen hat. Er fährt sie nach Hause und bittet sie, noch Eis für seine verletzte Hand zu besorgen. Stéphanie lässt ihn in die Wohnung, wo Alain auch gleich ihren Freund kennenlernen darf. Zudem erfährt er von ihrem Beruf, da überall in der Wohnung Fotos und Artikel Stéphanie als Orca-Dompteurin in einem Seapark zeigen. Für Alain eine unerwartet coole Sache. Cut.

Stéphanie wird bei ihrer nächsten Show gezeigt – alles riesengroß mit Pomp und Menschenmengen. Alles läuft normal, bis plötzlich ein Orca mehr Hunger hat als die anderen. Stéphanie wird bei dem Zwischenfall schwer verletzt und verliert ihre beiden Beine.

Monate später meldet sich Stéphanie bei Alain (der damals seine Nummer hinterlassen hat), der mittlerweile bei seiner ebenfalls sozial eher schwachen Schwester wohnt und jetzt Nachtschichten in einer Security-Firma schiebt. Er besucht sie, doch Stéphanie hat die Lust am Leben verloren, gammelt im Rollstuhl in ihrer abgedunkelten Wohnung vor sich hin und steht völlig alleine da (bis auf eine Kollegin, die öfter vorbeikommt).

Alain nimmt es gelassen, bemerkt ungehobelt, dass es in der Wohnung ziemlich stinkt, und überredet Stéphanie letztendlich dazu, an die frische Luft zu „gehen“. Beide unterhalten sich in einem Strandcafé, bis Alain Stéphanie plump fragt, ob sie Lust hat, mit ihm schnell ins Wasser zu springen. Stéphanie hält das anfänglich für einen Scherz, bis sie dann doch mit dem Rollstuhl zum Strand fährt, wo Alain schon im Wasser ist. Schließlich lässt sie sich von Alain überreden, der sie dann ins Wasser trägt.

Hier sind mir dann schon die Tränen gekullert. Aber was bitte ist das für eine geile Tricktechnik mit den beiden Stummeln? Hier werden keine Kameratricks verwendet – wie das alles in Szene gesetzt ist, zeigt ein tolles Making-of als Extra auf der DVD. Wahnsinn, wie authentisch das aussieht.

Stéphanie schwimmt den halben Tag im Meer (auch das sieht man – ohne Beine) und ist überglücklich, als Alain sie wieder aus dem Wasser trägt und sie sich herzlich dafür bedankt.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine tiefere Freundschaft, auch wenn Alain eher der Arschlochtyp ist. Gegenüber Stéphanie zeigt er aber unbewusst Gefühle. Als Alain ein Angebot für Straßenkämpfe bekommt, sieht er darin seine große Chance auf mehr Geld. Und Stéphanie verliebt sich langsam in Alain.

Wow! Was für ein grandioses Stück Europakino! Marion Cotillard ist einfach eine der besten derzeitigen Schauspielerinnen und spielt ihre Rolle so authentisch und beeindruckend, dass ich der Frau ab sofort verfallen bin. Ihre Ausstrahlung auf dem Bildschirm ist sagenhaft. Matthias Schoenaerts' Rolle als Alain ist ebenfalls überragend. Eine fantastische Schauspielleistung der beiden Hauptakteure.

Jacques Audiard hat mich damals schon mit seinem meisterlichen Gefängnisdrama "Un prophète" überzeugt und legt hier nochmal eine Schaufel Emotion drauf. Eine erstklassige Kamera, unterlegt mit einem coolen Soundtrack (Springsteens 'State Trooper'!), und der „Mut“, ungeschönte Sexszenen mit amputierten Beinen zu zeigen, sind dabei eigentlich nur Nebensächlichkeiten, die erst nach dem Ende im Kopf wirken. Getragen von den beiden herausragenden Darstellern, einer absolut kitschfreien Geschichte und dem Weg, wie Stéphanie wieder Freude am Leben findet, ist "De rouille et d'os" für mich großartiges europäisches Kino, wie man es eigentlich nicht besser machen kann.

Soundgarden - Louder Than Love

 

„Louder Than Love“ hat sich über die Jahre einen festen Platz in meinem Herzen erobert. In der breiten Masse der Soundgarden-Diskografie mag es oft im Schatten von „Badmotorfinger“ oder dem legendären „Superunknown“ stehen, doch für mich ist es das rohe, ungeschliffene Herzstück ihrer musikalischen Entwicklung. Dieses Album atmet förmlich die ungezähmte Energie einer Band, die kurz davor steht, die Welt zu erobern – voller jugendlicher Unbekümmertheit und einer klanglichen Wucht, die auch heute noch fasziniert.

Zwar zählen die beiden nachfolgenden Alben von Soundgarden unbestreitbar zu den Götterfunken der 90er-Jahre-Rockmusik und haben diese Ära mitgeprägt, doch „Louder Than Love“ bleibt für mich ein ganz besonderer Wegbegleiter – ein Album, das immer wieder als Lebensladestation für den Alltagsakku dient. Es ist diese rohe Kraft, diese ungebremste Energie, die es so einzigartig macht. Selten klang jugendliche Rockmusik so frisch, so wild und so dynamisch.

Unter der klugen Beaufsichtigung von Terry Date, der es meisterhaft verstand, den Sound der Band auf den Punkt zu bringen, schufen die Wunderknaben 1989 ein Album, das vor Energie nur so strotzt, noch ungetrieben von Erfolg und Perfektion. Chris Cornell schreit und flucht auf „Louder Than Love“ noch in seiner ganzen schrägen und schrillen Pracht. Seine Stimme, die später zu einem der ikonischsten Instrumente der 90er Jahre werden sollte, klingt hier noch ungeschliffen, roh und voller jugendlicher Wut – eine Stimme, die sich unaufhaltsam durch die tonnenschweren Riffs von Kim Thayil kämpft.

Und diese Riffs – diese tonnenschweren, alles niederwalzenden Riffs! Thayils alles plattwalzendes und entfesseltes Gitarrengewitter auf diesem Album ist nichts weniger als eine kraftvolle Hommage an die große Tradition des Heavy Rock. Die Iommi-esken Riffs, die er hier aus dem Ärmel schüttelt, fräsen sich wie ein Panzer durch den Sound. Sie sind schwer, unnachgiebig und von einer gewaltigen Kraft, die den Songs eine monumentale Wucht verleiht. Es ist dieser massive Sound, der „Louder Than Love“ zu einer kaiserlichen Rohware macht – einem unverfälschten Stück Rockmusik, das nicht danach strebt, perfekt zu sein, sondern vielmehr seine raue, ungeschliffene Schönheit und den puren Instinkt in den Vordergrund stellt und das keinen Raum für feinsinnige Nuancen lässt.

Auch Matt Cameron verdient hier eine besondere Erwähnung. Schon hier zeigt sich, warum er als einer der besten Schlagzeuger seiner Generation gilt. Sein Spiel ist interessant, abwechslungsreich und voller kleiner Details, die den Songs das gewisse Etwas verleihen. Cameron weiß, wie man mit Dynamik spielt – jedes Pattern ist präzise, aber immer mit einer gewissen Freiheit gespielt, die den Songs Raum zum Atmen gibt. Er ist das übersehene Rückgrat dieser Band, der treibende Motor, der den Sound von Soundgarden vorantreibt und ihm gleichzeitig eine unverwechselbare Basis gibt.

„Louder Than Love“ mag nicht die verfeinerte Eleganz der späteren Werke besitzen, aber es ist genau diese rohe, ungebremste Kraft, die es so faszinierend macht. Es ist ein Album, das keine Kompromisse eingeht, das ungestüm und wild daherkommt und gerade deswegen eine so erfrischende Wirkung hat. Für mich bleibt es ein essenzielles Werk der Rockmusik – ein unverzichtbares Stück Musikgeschichte, das immer wieder neue Energie spendet und zeigt, wie kraftvoll jugendliche Wut und Kreativität sein können. Es gehört zu den kraftvollsten, vitalsten und dynamischsten Alben, die ich kenne, und fängt die jugendliche Unbekümmertheit und den ungestümen Willen einer Band perfekt ein, die ihre Kraft gerade erst entdeckt. „Louder Than Love“ entfesselt bei jeder Rückkehr aufs Neue seine unbändige Energie und erinnert mich immer daran, warum ich Rockmusik so sehr liebe. Soundgarden haben mit „Louder Than Love“ ein Werk erschaffen, das vor allem eines ausstrahlt: ungebremste Leidenschaft.

Sonntag, 17. Juli 2016

Pink Floyd - Wish You Were Here


Nachdem so gut wie die ganze Welt den Vorgänger "The Dark Side of the Moon" gehört hatte, war die Aufregung um ein neues Pink Floyd-Album natürlich groß. Wie so oft wurde ein identisches Werk erwartet, ein Abziehbild, womit sich der gemeine "Fan" auskannte – sozusagen unkreativer Stillstand. Doch es kam ganz anders. Prahlte der Vorgänger noch mit nie dagewesenen Soundexperimenten, klanglicher Perfektion, kreativen Songs und recht eingängigen Melodien, ist "Wish You Were Here" eigentlich die sinnliche Antithese dazu.

Das Album, das zum Großteil aus nur einem Song besteht – 'Shine On You Crazy Diamond' –, ist nicht nur das 26 Minuten lange Hauptwerk des Albums, sondern auch der allgemeine Höhepunkt in der Schaffensphase der Band. Aufgeteilt in zwei Parts, zwischen denen sich drei weitere Klassiker der Bandgeschichte entfalten, ist "Wish You Were Here" ein stiller Ruhesturm.

Es ist das untypischste typische Pink Floyd-Album, das intimste und ergreifendste. Es ist meilenweit von der Größe eines "The Dark Side of the Moon" entfernt und besitzt nicht den Pomp und (leider auch) den Kitsch der Werke ab "The Wall". Vielmehr ist es ein einzigartiges und stimmiges Klanguniversum, das zwar mit "Animals" in ähnlicher Weise "reproduziert" wurde, jedoch nie wieder die Aura und eigene Atmosphäre so eingefangen hat.

"Wish You Were Here" zählt zu den ganz Großen der Rockgeschichte – ein Album, das so nur ein einziges Mal entsteht, ein wertvoller Schatz der Menschheitsgeschichte, den Worte nicht zu beschreiben vermögen.

DSC_2023

Auf der anderen Seite


Regie: Fatih Akin, 2007  

Wow, Fatih Akin kann einfach großartige Filme drehen! Das war nun mein dritter Akin-Film, und wieder hat mich sein Werk verzaubert.

Es geht um den Tod und das Schicksal von verschiedenen Menschen, die entfernt etwas miteinander zu tun haben. Wie das alles aufgebaut und erzählt wird, ist für einen (modernen) deutschen Film beispiellos. Der Schauplatz wechselt mühelos zwischen der Türkei (Istanbul/Trabzon) und Deutschland (Bremen/Hamburg) in verschiedenen Kapiteln, multikulturell wild durcheinandergewürfelt und sehr stimmig beschrieben. Teilweise ist die Geschichte etwas unlogisch, was jedoch überhaupt nicht stört, da der Film einen angenehmen Erzählfluss besitzt.

Die Darsteller sind, wie bei Akin fast schon garantiert, großartig. Besonders Nurgül Yeşilçay als türkische Politaktivistin, die nach Deutschland flieht, und Baki Davrak als Germanistikprofessor in Bremen, der wieder in die Türkei zurückkehrt, haben mir sehr gut gefallen.

Nebenbei mag ich Akins Stil ungemein gerne. Er ist ein Regisseur, der etwas zu sagen hat. Die klischeefreie und nüchterne Verarbeitung der türkischen Kultur in seinen Filmen – sei es in Bezug auf Essen, Musik, Sprache oder Gesellschaft – im Kontrast zur deutschen Kultur ist für mich nicht nur spannend und interessant, sondern auch lebendig und natürlich umgesetzt.

Zwar nicht ganz so kraftvoll und überragend wie sein Meisterwerk "Gegen die Wand", gehört auch dieser Film zu den sehr empfehlenswerten deutschen Filmen der letzten Jahre.

Mittwoch, 13. Juli 2016

Death - The Sound Of Perseverance

Dass Charles Michael Schuldiner zu den einflussreichsten und wertvollsten Grob-Gitarristen eines ganzen Genres gehört(e), ist unwiderlegbar. Seine Art und Weise, dieses Instrument zu spielen, Songs zu komponieren, den ständigen Drang zur nächsten Evolution zu verfolgen und die Musiker, die Chuck auf seinen Lebenswerken versammelte und zu schier unmöglichen Höchstleistungen antrieb, ist ein bis heute nie wieder erreichtes Unikum in der weltweiten Metallverarbeitung. Sein perfektionistischer Anspruch an sich, seine Musik und an seine Mitmusiker prägte ein Genre und setzte Maßstäbe, die bis heute unerreicht geblieben sind.

Seine klassischen Revolten wie „Human“, „Symbolic“, „Leprosy“, „Spiritual Healing“ oder „Individual Thought Patterns“ sind Schablonen, die um die Welt gingen und die Blaupausen für unzählige Bands und Musiker darstellen. Doch mit seinem letzten Death-Werk „The Sound of Perseverance“ übertrieb es Herr Schuldiner schon fast – alles ist auf die Spitze getrieben, jede Note, jedes Riff, jedes Solo ist "to the MAX". Dieses Album markiert den Höhepunkt eines Schaffens, das schon zuvor als unerreicht galt, und das in „The Sound of Perseverance“ seine absolut radikalste, komplexeste und zugleich emotionalste Ausprägung fand. Es gibt und gab nie wieder ein vergleichbares Knallbonbon, welches ultra komplexe Songs, "was'n jetzt?"-Solis und unruhiges Zappeldrumming so gekonnt verschmolzen hat, wie „The Sound of Perseverance“.

Von Beginn an nimmt das Album den Hörer an die Hand und zieht ihn in eine wuchtige und zugleich filigrane Klangwelt. ‚Scavenger of Human Sorrow‘ setzt die Marschrichtung: Mit fesselnder Rasanz prallen Gitarrenlinien und die wütende, dennoch erstaunlich klare Stimme Schuldiners aufeinander. Richard Christy stürzt kopfüber in seinen Schlagzeugberg und reißt dabei alles mit – ein Wirbelsturm aus Doublebass-Salven und unvorhersehbaren Breaks, während Schuldiner eines der andächtigsten Riffs der Rockmusik dagegensteuert. Es ist der Beginn einer Reise, die alles bisher Gehörte übertrifft, die den Hörer durch ein Labyrinth aus komplexen Arrangements und rasenden Soli führt, die nur Schuldiner in dieser Perfektion zu erschaffen vermochte. Dabei zeigt sich hier bereits, was dieses Album so unvergleichlich macht: Es ist durchdrungen von einem wahnhaften Perfektionismus, einer kompromisslosen Schönheit in der technokratischen Kälte des Death Metal. Schuldiner hat nie so differenziert gesungen, nie so technisch gespielt, und doch trägt jeder Ton ein emotionales Gewicht, das fast erdrückend wirkt.

Eine zentrale Größe dieses Albums ist ohne Frage die Virtuosität aller beteiligten Musiker. Besonders Richard Christy am Schlagzeug scheint oft so zu spielen, als würde er die Taktarten als bloße Vorschläge betrachten. Seine Fill-Exzesse, der fast chaotische Umgang mit Rhythmus und Dynamik – all das ist die perfekte Folie für Schuldiners Gitarrenspiel, das gleichzeitig ausbrechend und präzise bleibt. Diese organische Unberechenbarkeit von Christy verleiht den Songs eine fast jazzige Note.

Jeder Song auf „The Sound of Perseverance“ ist ein Meisterwerk für sich. Die schiere technische Brillanz wird nur noch von der emotionalen Tiefe übertroffen, die sich durch das gesamte Album zieht. Songs wie ‚Bite the Pain‘ und ‚Spirit Crusher‘ sind nicht nur musikalische Extremleistungen, sie sind auch Ausdruck von Chucks unermüdlichem Streben nach Perfektion und seinem unbändigen Willen, die Grenzen dessen, was möglich ist, immer weiter auszudehnen.

Das Herzstück des Albums, ‚Spirit Crusher‘, bleibt eines der eindrücklichsten Beispiele für Schuldiners Kompositionskunst. Es vereint die wütende Intensität des Death Metal mit einer tiefen, beinahe erhabenen Melancholie, die in der Hookline zur vollen Entfaltung kommt. Der Basslauf von Scott Clendenin, fast untypisch prominent für das Genre, fungiert hier als treibende Kraft, unterlegt die alles verschlingenden Gitarrenwände mit einer unterschwelligen, drohenden Dunkelheit. Gerade diese Kombination aus technischer Präzision, schierer Kraft und emotionaler Tiefe macht den Song – und das ganze Album – zu einer derart besonderen Erfahrung.

Und diese Soli – diese atemberaubenden, irrwitzigen, jenseitigen Soli, die Schuldiner auf eine Art und Weise spielt, die man einfach nicht erklären kann. Sie scheinen direkt aus einer anderen Umlaufbahn zu kommen, als würde Chuck die Gitarre nicht nur spielen, sondern mit ihr sprechen, sie singen lassen. Und es sind diese Soli, die „The Sound of Perseverance“ zu einem der komplexesten und doch zugänglichsten Alben machen, die jemals im Metal entstanden sind.

Was „The Sound of Perseverance“ über seine musikalischen Qualitäten hinaus so besonders macht, ist, wie es Schuldiners künstlerischen Weg zu einem Abschluss bringt, ohne jedoch jemals das Gefühl eines echten Endes zu vermitteln. Es ist ein Album, das sich der Endgültigkeit verweigert – was besonders tragisch wirkt, wenn man bedenkt, dass dies tatsächlich das letzte Kapitel der Bandgeschichte sein sollte. Jeder Song atmet eine unbändige Sehnsucht, eine Suche, die nie abgeschlossen scheint. Die abschließende Coverversion von ‚Painkiller‘ ist in diesem Kontext fast ironisch: Ein Song, der von Unzerstörbarkeit handelt, wird hier in ein fast verzweifelt wirkendes Gewand gekleidet. Die Coverversion wirkt wie ein Vermächtnis – eine respektvolle Verbeugung vor den eigenen Einflüssen und zugleich eine Anklage gegen die eigene Vergänglichkeit.

Charlie, du warst und bist einer der größten Gitarristen und Musiker der Heavy Metal Geschichte. Einzigartig. Unersetzbar. Fehlend! „The Sound of Perseverance“ ist ein Testament, eine letzte große Geste eines Genies, das uns viel zu früh genommen wurde. Ein Werk, das noch heute seinesgleichen sucht und für immer als eines der größten Metal-Alben in die Geschichte eingegangen ist.