In
der Szene der elektronischen Musik ragt Richard D. James, besser
bekannt unter seinem ikonischen Pseudonym Aphex Twin, als eine der
einflussreichsten Figuren hervor. Sein Debütalbum „Selected Ambient
Works 85-92“ markiert nicht nur den Beginn einer bemerkenswerten
Karriere, sondern auch einen Wendepunkt in der Evolution der
elektronischen Musik. Das Werk bietet eine klangliche Welt, die die
Grenzen zwischen Ambient, Techno und experimenteller Elektronik
verwischt und auch drei Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch fasziniert
und inspiriert.
Die Entstehungsgeschichte des Albums ist so
mysteriös wie sein Schöpfer. James behauptet, die Songs seien über einen
Zeitraum von sieben Jahren entstanden, beginnend in seiner frühen
Jugend. Diese Behauptung, ob nun Fakt oder clevere Mythosbildung,
unterstreicht die zeitlose Qualität der Musik. Die Vorstellung eines
Teenagers, der in seinem Zimmer in Cornwall diese futuristischen
Klanglandschaften erschafft, hat etwas fast Magisches an sich.
Der
besondere Reiz von „Selected Ambient Works 85-92“ liegt in seiner
einzigartigen Verbindung von Melodie und Harmonie – zwei Elemente, die
James in einer Weise miteinander verwebt, wie es kaum ein anderer
Elektronikkünstler dieser Zeit tat. Während viele seiner Zeitgenossen in
der elektronischen Musik eher kalte, mechanische und oft klinische
Sounds produzierten, schuf James warme, pulsierende und träumerische
Klanglandschaften, die eine beispiellose Tiefe und Emotionalität
aufweisen.
Von Beginn an umweht das Album eine seltsame Wärme,
fast als ob man von den Klängen eingehüllt wird, wie von einem Mantel
aus synthetischen Nebeln. Aphex Twin zeigt hier mit beängstigender
Leichtigkeit, dass elektronische Musik nicht klinisch, kalt oder
unpersönlich sein muss – ganz im Gegenteil. Es ist dieser subtile
Wechsel aus Melodie und Rhythmus, der „Selected Ambient Works 85-92“ zu
einem der atmosphärischsten und doch zugänglichsten Werke der
elektronischen Musik macht. Die verschachtelten Bassbeats und
Trancerhythmen, die James hier wie zufällig in seine
Ambient-Kompositionen einwebt, verleihen der Musik nicht nur Struktur,
sondern auch eine fast greifbare Emotionalität.
Im Gegensatz zu
seinem späteren Werk, „Selected Ambient Works Volume II“, das sich durch
düstere, oft beängstigende Ambient-Collagen auszeichnet, vereint dieses
Album den Ambientanteil mit eben diesen warmen Bassbeats und
Trancerhythmen. Diese Mischung aus rhythmischer Struktur und
atmosphärischer Dichte öffnete mir erstmals die Tür zur Welt der
elektronischen Musik. Es war eine Offenbarung, die mir zeigte, dass
diese Musik nicht nur aus bloßen Beats und Synthesizer-Klängen bestehen
muss, sondern ebenso melodische und harmonische Komplexität bieten kann
wie jede andere Musikrichtung.
Von den ersten sphärischen
Klängen von ‚Xtal‘ bis zum hypnotischen Pulsieren von ‚Tha‘ entfaltet
sich „Selected Ambient Works 85-92“ wie ein akustischer Traum. James'
Fähigkeit, warme, analoge Synthesizerklänge mit präzisen, oft komplexen
Rhythmen zu verweben, ist bemerkenswert. Songs wie ‚Ageispolis‘ und
‚Pulsewidth‘ demonstrieren seine Gabe, eingängige Melodien zu kreieren,
die gleichzeitig zugänglich und avantgardistisch sind.
Die
Einzigartigkeit des Albums liegt in den fantastisch ausgearbeiteten
Beats, den präzise und intelligent eingesetzten Samples sowie dem
eigenwilligen, schwammigen Sound, der sich durch die gesamte Laufzeit
zieht. Jeder Song ist eine eigene Entdeckungsreise, eine Traumweberei,
die sich in den komplexen Songs entfaltet.
Die Produktion des
Albums ist eine Meisterleistung der Zurückhaltung. Jedes Element hat
seinen Platz im Klangbild, nichts wirkt überladen oder überflüssig.
Diese minimalistische Herangehensweise verleiht der Musik eine zeitlose
Qualität.
Während der Titel des Albums den Begriff „Ambient“
enthält, wäre es irreführend, es ausschließlich diesem Genre zuzuordnen.
Tracks wie ‚Green Calx‘ und ‚Heliosphan‘ integrieren treibende Beats
und komplexe Rhythmusmuster, die eher an Techno oder Intelligent Dance
Music erinnern. Diese Verschmelzung verschiedener elektronischer
Stilrichtungen war zu jener Zeit revolutionär und half, den Grundstein
für die Entwicklung neuer Subgenres zu legen.
Trotz – oder
vielleicht gerade wegen – seiner oft abstrakten Natur besitzt „Selected
Ambient Works 85-92“ eine erstaunliche emotionale Tiefe. Die Songs ‚Tha‘
und ‚Actium‘ bewirken ein Gefühl von Nostalgie und Melancholie, während
‚Ptolemy‘ eine fast kindliche Verspieltheit ausstrahlt. Diese
emotionale Bandbreite verleiht dem Album eine menschliche Qualität, die
in elektronischer Musik oft vermisst wird.
Diese
Klanglandschaften sind nicht einfach nur „hübsch anzuhören“, sondern sie
sind durchdrungen von einer tiefen Emotionalität und einer fast schon
philosophischen Reflexion über die Möglichkeiten der elektronischen
Musik. James’ Fähigkeit, in seinen Tracks gleichzeitig Nähe und Distanz,
Wärme und Kälte, Komplexität und Einfachheit zu vereinen, macht
‚Selected Ambient Works 85-92‘ zu einem Album, das weit über die Grenzen
der Elektronik hinausgeht.
Das Album erschien zu einer Zeit,
als die elektronische Musikszene im Umbruch war. Rave-Kultur und Acid
House hatten den Mainstream erreicht, und Künstler suchten nach neuen
Wegen, die Möglichkeiten elektronischer Klangerzeugung auszuloten.
„Selected Ambient Works 85-92“ bot eine Alternative zur
Tanzflächen-orientierten Elektronik, ohne dabei die rhythmische
Komponente völlig aufzugeben.
Von Boards of Canada bis Burial –
zahllose Künstler haben Aphex Twins Pionierarbeit als Inspiration
genannt. Die Art und Weise, wie James Genres verschmolz und mit Klang
experimentierte, ebnete den Weg für die Diversifizierung der
elektronischen Musik in den folgenden Jahrzehnten.
„Selected
Ambient Works 85-92“ ist eines jener seltenen Alben, die mit jeder
Hörerfahrung neue Facetten offenbaren. Es funktioniert sowohl als
„Hintergrundmusik“, belohnt aber auch intensives, analytisches Hören.
Die Zeitlosigkeit der Kompositionen ist bemerkenswert – viele der Tracks
könnten ebenso gut gestern entstanden sein.
Richard D. James
mag in den folgenden Jahren noch komplexere und experimentellere Werke
geschaffen haben, doch „Selected Ambient Works 85-92“ steht als sein
vielleicht zugänglichstes und dennoch tiefgründigstes Album. Es ist ein
Werk, das die elektronische Musik für immer verändert hat und auch heute
noch als Inspirationsquelle für Künstler und Hörer gleichermaßen dient.
Dieses grandiose Album hat nicht nur meinen Zugang zur
elektronischen Musik geprägt, sondern es ist auch eines der wichtigsten
Werke dieses Genres. Es ist eine belebende Entdeckungsreise, die zeigt,
dass die frühen Aphex Twin-Alben die inspirierendsten und schönsten
Vorlagen für die moderne elektronische Musik sind. „Selected Ambient
Works 85-92“ bleibt zeitlos, ein lupenreines Meisterwerk, das zeigt,
dass Richard D. James einer der größten Pioniere der elektronischen
Musik ist – ein wahrer Beethoven der Elektronik, dessen Einfluss und
Kreativität bis heute nachhallt.
Sonntag, 6. März 2016
Aphex Twin - Selected Ambient Works 85-92
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