Sonntag, 6. März 2016

Aphex Twin - Selected Ambient Works 85-92

Aphex-Twin-Selected-Ambient-Works-85-92

In der Szene der elektronischen Musik ragt Richard D. James, besser bekannt unter seinem ikonischen Pseudonym Aphex Twin, als eine der einflussreichsten Figuren hervor. Sein Debütalbum „Selected Ambient Works 85-92“ markiert nicht nur den Beginn einer bemerkenswerten Karriere, sondern auch einen Wendepunkt in der Evolution der elektronischen Musik. Das Werk bietet eine klangliche Welt, die die Grenzen zwischen Ambient, Techno und experimenteller Elektronik verwischt und auch drei Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch fasziniert und inspiriert.

Die Entstehungsgeschichte des Albums ist so mysteriös wie sein Schöpfer. James behauptet, die Songs seien über einen Zeitraum von sieben Jahren entstanden, beginnend in seiner frühen Jugend. Diese Behauptung, ob nun Fakt oder clevere Mythosbildung, unterstreicht die zeitlose Qualität der Musik. Die Vorstellung eines Teenagers, der in seinem Zimmer in Cornwall diese futuristischen Klanglandschaften erschafft, hat etwas fast Magisches an sich.

Der besondere Reiz von „Selected Ambient Works 85-92“ liegt in seiner einzigartigen Verbindung von Melodie und Harmonie – zwei Elemente, die James in einer Weise miteinander verwebt, wie es kaum ein anderer Elektronikkünstler dieser Zeit tat. Während viele seiner Zeitgenossen in der elektronischen Musik eher kalte, mechanische und oft klinische Sounds produzierten, schuf James warme, pulsierende und träumerische Klanglandschaften, die eine beispiellose Tiefe und Emotionalität aufweisen.

Von Beginn an umweht das Album eine seltsame Wärme, fast als ob man von den Klängen eingehüllt wird, wie von einem Mantel aus synthetischen Nebeln. Aphex Twin zeigt hier mit beängstigender Leichtigkeit, dass elektronische Musik nicht klinisch, kalt oder unpersönlich sein muss – ganz im Gegenteil. Es ist dieser subtile Wechsel aus Melodie und Rhythmus, der „Selected Ambient Works 85-92“ zu einem der atmosphärischsten und doch zugänglichsten Werke der elektronischen Musik macht. Die verschachtelten Bassbeats und Trancerhythmen, die James hier wie zufällig in seine Ambient-Kompositionen einwebt, verleihen der Musik nicht nur Struktur, sondern auch eine fast greifbare Emotionalität.

Im Gegensatz zu seinem späteren Werk, „Selected Ambient Works Volume II“, das sich durch düstere, oft beängstigende Ambient-Collagen auszeichnet, vereint dieses Album den Ambientanteil mit eben diesen warmen Bassbeats und Trancerhythmen. Diese Mischung aus rhythmischer Struktur und atmosphärischer Dichte öffnete mir erstmals die Tür zur Welt der elektronischen Musik. Es war eine Offenbarung, die mir zeigte, dass diese Musik nicht nur aus bloßen Beats und Synthesizer-Klängen bestehen muss, sondern ebenso melodische und harmonische Komplexität bieten kann wie jede andere Musikrichtung.

Von den ersten sphärischen Klängen von ‚Xtal‘ bis zum hypnotischen Pulsieren von ‚Tha‘ entfaltet sich „Selected Ambient Works 85-92“ wie ein akustischer Traum. James' Fähigkeit, warme, analoge Synthesizerklänge mit präzisen, oft komplexen Rhythmen zu verweben, ist bemerkenswert. Songs wie ‚Ageispolis‘ und ‚Pulsewidth‘ demonstrieren seine Gabe, eingängige Melodien zu kreieren, die gleichzeitig zugänglich und avantgardistisch sind.

Die Einzigartigkeit des Albums liegt in den fantastisch ausgearbeiteten Beats, den präzise und intelligent eingesetzten Samples sowie dem eigenwilligen, schwammigen Sound, der sich durch die gesamte Laufzeit zieht. Jeder Song ist eine eigene Entdeckungsreise, eine Traumweberei, die sich in den komplexen Songs entfaltet.

Die Produktion des Albums ist eine Meisterleistung der Zurückhaltung. Jedes Element hat seinen Platz im Klangbild, nichts wirkt überladen oder überflüssig. Diese minimalistische Herangehensweise verleiht der Musik eine zeitlose Qualität.

Während der Titel des Albums den Begriff „Ambient“ enthält, wäre es irreführend, es ausschließlich diesem Genre zuzuordnen. Tracks wie ‚Green Calx‘ und ‚Heliosphan‘ integrieren treibende Beats und komplexe Rhythmusmuster, die eher an Techno oder Intelligent Dance Music erinnern. Diese Verschmelzung verschiedener elektronischer Stilrichtungen war zu jener Zeit revolutionär und half, den Grundstein für die Entwicklung neuer Subgenres zu legen.

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – seiner oft abstrakten Natur besitzt „Selected Ambient Works 85-92“ eine erstaunliche emotionale Tiefe. Die Songs ‚Tha‘ und ‚Actium‘ bewirken ein Gefühl von Nostalgie und Melancholie, während ‚Ptolemy‘ eine fast kindliche Verspieltheit ausstrahlt. Diese emotionale Bandbreite verleiht dem Album eine menschliche Qualität, die in elektronischer Musik oft vermisst wird.

Diese Klanglandschaften sind nicht einfach nur „hübsch anzuhören“, sondern sie sind durchdrungen von einer tiefen Emotionalität und einer fast schon philosophischen Reflexion über die Möglichkeiten der elektronischen Musik. James’ Fähigkeit, in seinen Tracks gleichzeitig Nähe und Distanz, Wärme und Kälte, Komplexität und Einfachheit zu vereinen, macht ‚Selected Ambient Works 85-92‘ zu einem Album, das weit über die Grenzen der Elektronik hinausgeht.

Das Album erschien zu einer Zeit, als die elektronische Musikszene im Umbruch war. Rave-Kultur und Acid House hatten den Mainstream erreicht, und Künstler suchten nach neuen Wegen, die Möglichkeiten elektronischer Klangerzeugung auszuloten. „Selected Ambient Works 85-92“ bot eine Alternative zur Tanzflächen-orientierten Elektronik, ohne dabei die rhythmische Komponente völlig aufzugeben.

Von Boards of Canada bis Burial – zahllose Künstler haben Aphex Twins Pionierarbeit als Inspiration genannt. Die Art und Weise, wie James Genres verschmolz und mit Klang experimentierte, ebnete den Weg für die Diversifizierung der elektronischen Musik in den folgenden Jahrzehnten.

„Selected Ambient Works 85-92“ ist eines jener seltenen Alben, die mit jeder Hörerfahrung neue Facetten offenbaren. Es funktioniert sowohl als „Hintergrundmusik“, belohnt aber auch intensives, analytisches Hören. Die Zeitlosigkeit der Kompositionen ist bemerkenswert – viele der Tracks könnten ebenso gut gestern entstanden sein.

Richard D. James mag in den folgenden Jahren noch komplexere und experimentellere Werke geschaffen haben, doch „Selected Ambient Works 85-92“ steht als sein vielleicht zugänglichstes und dennoch tiefgründigstes Album. Es ist ein Werk, das die elektronische Musik für immer verändert hat und auch heute noch als Inspirationsquelle für Künstler und Hörer gleichermaßen dient.

Dieses grandiose Album hat nicht nur meinen Zugang zur elektronischen Musik geprägt, sondern es ist auch eines der wichtigsten Werke dieses Genres. Es ist eine belebende Entdeckungsreise, die zeigt, dass die frühen Aphex Twin-Alben die inspirierendsten und schönsten Vorlagen für die moderne elektronische Musik sind. „Selected Ambient Works 85-92“ bleibt zeitlos, ein lupenreines Meisterwerk, das zeigt, dass Richard D. James einer der größten Pioniere der elektronischen Musik ist – ein wahrer Beethoven der Elektronik, dessen Einfluss und Kreativität bis heute nachhallt.

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