Mittwoch, 2. März 2016

Bethlehem - Sardonischer Untergang im Zeichen irreligiöser Darbietung

Bethlehem - Sardonischer Untergang im Zeichen irreligiöser Darbietung

Sickness over the top!

Das war mein Empfinden bei meiner ersten Berührung mit dieser wahrlich einzigartigen Band. 1997 gab es den hier genannten Soundtrack aus einer Nervenklinik noch nicht, dafür aber den Vorgänger – die nicht weniger, um nicht zu sagen noch intensivere, psychopathische Abfahrt ins Nirgendwo.

Dictius Te Necare aus dem Jahr 1996 ist bis heute eines der intensivsten Schweinereien in meiner Sammlung und hat mich 1997 im wahrsten Sinne des Wortes um den Verstand gebracht. Rainer Landfermann, die Rasierklinge, die sich durch das Gehirn schneidet, lieferte eine bis heute unerreichte „Gesangsleistung“ ab. Irre Schreie in unmenschlicher Darbietung, die hart an den Nerven zerren und zugleich Begeisterung auslösen. Diese Intensität und Sickness wurden bis heute nie wieder erreicht.

1998 wurde dann der Nachfolger mit Spannung erwartet, um meine restlichen Nerven wochenlang zu quälen. Rainer Landfermann war nicht mehr das Aushängeschild von BETHLEHEM und wurde durch den sympathischen Marco Kehren ersetzt, der mit seiner Band DEINONYCHUS ähnliche Psychomusik produzierte.

Nach anfänglichen Zweifeln entpuppte sich dieser Wechsel als eine grandiose Entscheidung, ohne dass Marco Kehren als bloßer Ersatz angesehen werden könnte. Auch wenn der bis zur Schmerzgrenze dargebotene Kreischgesang des Vorgängers nur sehr selten auf dem gleichen „Niveau“ eines Landfermann dargeboten wird, ist es gerade dieser charismatische, unglaublich abwechslungsreiche und emotionale Gesang von Marco Kehren, der überzeugt. Kehren deckt ein breites Spektrum ab – von tiefen Growls, hohem Gekreische, Sprechgesang, trostlosem Gejammer bis hin zu aufwühlendem Geheule. Jeder Song wird auf eine völlig andere Art interpretiert, sodass man teilweise den Eindruck hat, es wären mehrere Sänger an diesem Werk beteiligt.

Neben Marco Kehren steuert Cathrin Campen einige stirnrunzelnde Einlagen bei: Gestöhne, Gekeifer, drogenvernebelte Textpassagen. Wer weiß, was die männlichen Mitglieder mit der guten Cathrin im Proberaum und Studio angestellt haben – auf den Bandfotos jedenfalls kann man sie, im Vergleich zu den restlichen Mitgliedern, die genauso aussehen, wie die Musik klingt, als Schönheit bezeichnen.

So ist auch ‚Teufelverrückt Gottdreizehn‘ mit dem von Cathrin gesprochenen 3-minütigen Vortrag (Auszug: „Eine Zeit ist zu kurz, aber niemals länger – darum lasst mich meine Schulter begraben und alle Finger einzeln auskleiden. Dann kann ich das schwarze Loch leugnen und tief in gefaltete Keuschheit einblicken. Beim nächsten Mal lauschen wir deinem Blut und ergeben uns in die Sünde meiner strangulierten Sprotte. Halbierte Uhren lachen lautlos in deiner Nähe und übelgelaunte Versuchung trübt frucht’gen Suizid“) ein Beweis für die völlige Alleinstellung von BETHLEHEM in der Szene. Völlig egal, ob die Texte einen Sinn ergeben oder ein einziger Witz sind – sie erzielen in Verbindung mit Musik, Gesang und Sound eine unbeschreibliche Wirkung.

Texte und Gesang spielen bei BETHLEHEM eine große Rolle, ebenso wie dieser einzigartige, schrullige Sound, der sich so anhört, als wäre er in einem Abwasserkanal unter einer Psychiatrie aufgenommen worden. Nur Gesang und Gitarre sind schneidend und rasiermesserscharf, wohingegen die restlichen Instrumente extrem dumpf und trotzdem breit und großflächig klingen. Typisch für den BETHLEHEM-Sound ist der prägnante Bass von Oberpsycho Jürgen Bartsch – vertonte Dystopie. Dazu dieser irre Gitarrensound, der immer wie eine rostige Säge klingt, aber dennoch klar durch den Sound gleitet und hier und da mit bittersüßen Soli begeistert. Technisch ist hier gar nichts, spielerisches Niveau sucht man vergeblich, aber das Gesamtergebnis ist so unglaublich gut komponiert, ausgetüftelt, soundmäßig grandios in Szene gesetzt und von vorne bis hinten mutig, fesselnd, umwerfend, verstörend, atmosphärisch unglaublich dicht, ironisch und auch heute noch so viel beeindruckender, böser und nachhaltiger als die vielen anderen Alben aus der Black-Metal-Szene.

Was BETHLEHEM allerdings allen anderen Black-Metal-Bands voraus hat, ist dieser tief versteckte Humor, dieser ausgestreckte Mittelfinger, die Arschloch-Attitüde. Die Band nimmt sich selbst nicht zu ernst, spielt aber trotzdem mit Extremen wie keine andere Band und klingt dennoch böser, verzweifelter, kaputter, menschenfeindlicher und tödlicher als jede Schlitzer-Band. Bands wie SHINING, FORGOTTEN TOMB, LIFELOVER und weitere gestörte Hohlbirnen gäbe es ohne BETHLEHEM in dieser Form wohlmöglich gar nicht.

Und vielleicht ist BETHLEHEM auch nichts weiter als die größte Satire der Black-Metal-Geschichte – das Plastikschwert in der Trve-"Gesellschaft", der Spiegel einer Szene, die den größten Fundus von Lächerlichkeiten beinhaltet und durch BETHLEHEM besser parodiert wird, als es viele Originale jemals könnten.

Nicht umsonst gehören BETHLEHEM bis heute zu den Heiligtümern meines Musikgeschmacks!

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