Montag, 18. August 2025
Goblin - Profondo Rosso
"Profondo Rosso" vertont meisterhaft die Essenz des cineastischen Horrors und gilt als einer der größten Triumphe von Goblin. Ihr Meisterwerk aus dem Jahr 1975, das als Soundtrack zu Dario Argentos gleichnamigem Film entstand, ist ein prägendes Werk des italienischen Progressive Rock der Siebziger.
Der charakteristische Sound von Goblin, durchflutet von düsteren, hypnotischen und unheilvollen hektischen Synthesizern, angejazzten und treibenden Schlagzeuggrooves und prägnanten verschwitzten tänzelnden Bassfiguren, ist in seiner fiebrig roten Albtraum-Atmosphäre so unheimlich, dass man ständig fürchten muss, ein Mahr könnte jederzeit aus dem Klangbild auftauchen.
Goblins Fähigkeit, Spannung und Dramatik musikalisch umzusetzen, ist bereits hier in Vollendung zu hören; die Mischung aus Jazz-Elementen, progressiven Riffs und sphärischen Keyboard-Klängen verleiht dem Album eine Dynamik, die weit über das hinausgeht, was man gemeinhin unter Italoprog versteht.
Das Album ist ein Paradebeispiel für einen harmonischen Reigen unterschwelliger Bedrohungen in den ruhigeren Passagen und der fieberhaften Dramatik intensiverer Songs. Goblin haben sich eine eigene großartige Klangwelt mit ikonischem Sounddesign erschaffen und gehören nach wie vor zu den unverzichtbaren Erlebnissen, wenn man sich durch die Siebziger gräbt.
Freitag, 15. August 2025
Gluecifer - Automatic Thrill
Das 2004 veröffentlichte "Automatic Thrill" markierte den Schwanengesang von Gluecifer, meine Lieblingsschweine der skandinavischen Hard Rock-Welle aus den Neunzigern; ein letztes, donnerndes Statement, das die Essenz ihrer Musik erneut auf den Siedepunkt brachte. Das Album ist ein Hochgeschwindigkeits-Trip durch verrauchte Clubs mit schmuddeligen Bühnen; ein rotzig und selbstbewusster Faustschlag mit Lederjacke und Sonnenbrille.
Der wuchtige Gitarrensound, irgendwo zwischen punkiger Deutlichkeit und asozialem, leicht stadiontauglichem Hard Rock, dient als Katalysator für die treibenden Songs, die mit ihrer unnachgiebigen Energie ständig eine bevorstehende Detonation erzeugen. Biff Malibu führt das dreckige Treiben mit seiner schmierigen, kraftvollen Stimme an, wie ein charismatischer Draufgänger.
Das Songwriting auf "Automatic Thrill" ist scharf wie ein frisch geschliffenes Klappmesser. Gezielte Bombenabwürfe wie 'Shaking So Bad', 'A Call from the Other Side' und 'Here Come the Pigs' füllen jedes vernünftige Rockfan-Ohr mit Napalm. Der geschickte und nie zum Selbstzweck verkommene Umgang mit Groove sowie das unverschämte Talent, eingängige Songs zu schreiben, zeigen das Charisma der Band, die neben Tempo auch Stil zu bieten hat.
Ihre letzte große Feier des Rock lässt trotz der lauten, rauen und ungezähmten Energie unerwartete Melodiösität durchschimmern.
Mittwoch, 13. August 2025
Talk Talk - Laughing Stock
Mark Hollis, der mit "Spirit of Eden" bereits in experimentelle Gefilde vordrang und sein Pop-Kostüm ablegte, vollendete hier sein kompromissloses Streben nach künstlerischer Wahrhaftigkeit: seine Vision eines introspektiven, spirituellen und lebendigen Klangraums. Vorsichtig angeschlagene Gitarren, atemlose Trompeten und Hollis' schwebende Stimme, die zwischen Flüstern und Gesang schwankt, schaffen im Opener 'Myrrhman' eine Atmosphäre von zerbrechlicher Intensität. Die Band fusioniert Jazz, Post Rock und Kammermusik zu minimalistischen, tiefgründigen Kompositionen. Anstelle kommerzieller Zugeständnisse oder konventioneller Strukturen durchzieht eine organische Dynamik das Album. Die charakteristischen Momente der Stille wirken nicht wie Pausen, sondern wie bedeutungsvolle Areale voller Resonanz, jedes Knarzen und Zittern der Instrumente wird auf "Laughing Stock" greifbar. "Laughing Stock" war 1991 ein wegweisendes Album, ein musikalisches Panorama von revolutionärer Tragweite. Mit seiner dogmatischen Kopplung unterschiedlichster Klangzonen zu einem atmosphärischen Gesamtwerk voller Emotionen wurde es zur zentralen Wegmarke des Post Rock.
Donnerstag, 7. August 2025
Queen - Sheer Heart Attack
"Sheer Heart Attack" hob Queen 1974 endgültig aus dem Schatten der aufstrebenden Bands und etablierte sie als eine der innovativsten und faszinierendsten Rockbands ihrer Zeit. Dieses dritte Studioalbum (Wahnfakt: sieben Sprengkörper innerhalb von nur fünf Jahren gezündet) markiert einen Wendepunkt in der Karriere der Briten und vereint den bombastischen Charme ihres Debüts mit der stilistischen Vielfalt, die später ihr Markenzeichen werden sollte. 'Brighton Rock' demonstriert die technische Virtuosität der Band und gibt einen Vorgeschmack auf die kreative Energie, die das gesamte Album durchdringt. "Sheer Heart Attack" zeigt sich stilistisch als Chamäleon: von Hard Rock ('Now I'm Here') über theatralische und dramatische Elemente ('Lily of the Valley') bis hin zu beinahe kabarettistischen Eskapaden wie 'Bring Back That Leroy Brown'. Queen demonstrieren hier eine beeindruckende Bandbreite, ohne den roten Faden zu verlieren. Die Produktion ist dicht und opulent, ein frühes Zeugnis für die Ambitionen der Band, das Studio als eigenständiges Instrument zu begreifen.
Ein Höhepunkt ist das unvermeidlich mitreißende 'Killer Queen', das eine perfekte Balance aus Glamour, Ironie und musikalischer Präzision bietet. Nicht umsonst zählt dieser Song zu den größten Hits der Band und zeigt Freddie Mercury in Höchstform, sowohl als Sänger als auch als Songwriter. Darüber hinaus sticht das epische 'In the Lap of the Gods' hervor, das mit seinen ausladenden Chören und bombastischen Arrangements einen Vorboten für spätere Großtaten darstellt. Die oft unterschätzten Rhythmen von Roger Taylor und John Deacon sind hier tighter und kreativer denn je, und das Zusammenspiel aller vier Mitglieder zeigt auf diesem Werk eine einzigartige Synergie, die Queen ausmacht. "Sheer Heart Attack" lebt von seiner unbändigen Lust am Experimentieren und weigert sich konsequent, sich auf ein Genre festzulegen.
Ein energiegeladenes, innovatives und schlichtweg brillantes frühes Meisterwerk, das einen faszinierenden Blick auf die musikalische Meisterschaft von Queen bietet und die Weichen für ihren späteren Welterfolg stellte.
Montag, 4. August 2025
The Meads of Asphodel - The Murder of Jesus the Jew
Das 2010 veröffentlichte Werk ist ein aberwitziges Konzeptalbum, das sich mit der historischen und religiösen Figur Jesus auseinandersetzt, eingebettet in einen theologischen, philosophischen und politisch aufgeladenen Kontext. Doch keine Sorge: Trotz der schwerwiegenden Thematik bleibt das Album ein musikalisches Spektakel voller Absurdität, Kreativität und schwarzem Humor. The Meads of Asphodel überschreiten hier sämtliche Genregrenzen. Black Metal bildet zwar die Basis, doch schon der erste Song 'My Psychotic Sand Deity' zeigt, dass hier alles erlaubt ist; von sakralen Chören über folkige Einflüsse, Bläser und thrashige Riffs bis hin zu psychedelischen Ausbrüchen und einem unnormal fragilen, völlig unerwarteten Mittelteil, vorgetragen von einer sich auflösenden weiblichen Engelsstimme und von epischen Leadgitarren zum Licht geführt. Es entsteht ein kaleidoskopischer Wirbelsturm aus Stilen und Ideen, die scheinbar unzusammenhängend wirken, aber auf wundersame Weise ein zusammenhängendes Ganzes ergeben. 'Addicted to God' ist eine bitterböse Satire mit hymnischen Refrains, treibenden Riffs und wütenden Vocals. Auch hier wird man von einer abnormalen kreativen Verrücktheit im Mittelteil überrumpelt; plötzlich ertönt ein ketzerisches, Monty Python-artiges Musical in seiner ganzen grotesken Tragweite. Textlich ist das Album ebenso provokant wie die Musik. The Meads setzen sich kritisch mit Religion, Dogmatismus und der historischen Figur Jesus auseinander, ohne den Anspruch auf eine absolute Wahrheit zu erheben. Stattdessen laden sie dazu ein, bestehende Geschichte zu hinterfragen und eigene Perspektiven zu entwickeln. Die Texte sind intelligent, bissig und bieten eine faszinierende Mischung aus Geschichtswissen, Ironie und bitterem Sarkasmus. "The Murder of Jesus the Jew" ist alles andere als leicht verdaulich, weder musikalisch noch inhaltlich. Es ist ein wilder, respektloser, fordernder und teilweise verstörter Streifzug durch die schrägen Visionen der Band.
Dienstag, 29. Juli 2025
PJ Harvey - To Bring You My Love
Vor genau drei Jahrzehnten öffnete sich ein Spalt in der Erde, nicht mit Lärm, sondern mit einem Zucken, einem tiefen Dröhnen aus Gitarre, Orgel und gespenstischer Stimme. Es war der 27. Februar 1995, als PJ Harvey mit "To Bring You My Love" eine neue Ikone gebar: eine Gestalt zwischen Dämonin, Göttin und Erzählerin aus dem Niemandsland der Gefühle.
Die Gitarren wurden tiefer, das Storytelling düsterer, das Begehren biblisch. Inmitten von Trip-Hop, Post-Grunge und britischer Coolness trat sie auf wie eine schwarze Madonna im roten Kleid, zitternd vor Inbrunst, die Zähne gefletscht vor Liebe. Ihre Präsenz war zugleich Herausforderung und Warnung, eingehüllt in eine verstörende, betörende Ästhetik. Sie war der Inbegriff gefährlicher Schönheit; eine Sirene, die nicht bloß verführte, sondern auch in die Abgründe des Menschseins lockte.
Dreißig Jahre ist dieses Meisterwerk nun alt, und es hat nichts verloren von seiner Schärfe, seiner Gefahr, seiner Schönheit. Das Werk hat sich in den 2010er Jahren wie ein küssender Fluch für immer in meinen Blutkreislauf eingenistet.
Grund genug für mich, das meiner bescheuerten Meinung nach großartigste und zwingendste PJ Harvey-Album in Worten zu verehren und mich demütig vor dieser Künstlerin zu verbeugen.
Grund genug für mich, das meiner bescheuerten Meinung nach großartigste und zwingendste PJ Harvey-Album in Worten zu verehren und mich demütig vor dieser Künstlerin zu verbeugen.
Ein paar knochige, unhöfliche Akkorde, fast schon beiläufig angeschlagen und staubig gezupft, sie tragen etwas Unausweichliches in sich; ein dunkles Versprechen liegt darin, ein Flüstern, ein Flirren. Dann: diese Melodie. Diese verrottete, wie in Zeitlupe ausgegrabene Gitarre. Noch bevor man begreift, wie einem geschieht, ätzt sich das Eröffnungsriff des Titelsongs wie ein Markenzeichen durch die Gehörgänge. Dahinter fackelt langsam die Orgel aus dem Nebel. Die Nervenenden ziehen sich zusammen, und dann setzt ihre Stimme ein: "I was born in the desert, I been down for years, Jesus come closer, I think my time is near."
Die Stimme wird schärfer, härter, kräftiger mit jedem Vers. Kein Entkommen, keine Gnade. Die Musik duckt sich unter die Worte und hebt sie hoch wie ein Podest aus Lava und Staub. Die Arrangements sind präzise wie ein Skalpell. Doch alles zentriert sich um den Gesang, der in diesen Momenten nichts weniger ist als eine Naturgewalt. Eine dunkle, fieberhafte Mischung aus Wut, Flehen und Weissagung, die einem kalt über den Rücken läuft und die Luft aus der Lunge presst. Und man glaubt ihr jedes einzelne Wort. In diesen ersten Minuten spannt PJ Harvey ein ganzes Universum auf; eine düstere Welt, in der die Grenze zwischen Sinnlichkeit und Wahnsinn kaum noch zu ziehen ist, weniger Exorzismus, mehr Verführung. Eine Verführerin am Rand des Abgrunds.
"To Bring You My Love" erschien 1995, offiziell ihr drittes Album, in Wahrheit jedoch ein Neuanfang. Alles war plötzlich anders: die klangliche Sprache, die Produktionshandschrift, die künstlerische Ausrichtung. PJ Harvey hatte sich aus dem rauen Korsett des Trios befreit und war zu einer Figur geworden, größer als das Bandkonstrukt; ein mythisches Wesen in ihrer eigenen Welt.
Mit "To Bring You My Love" hat sich PJ Harvey neu erfunden, nicht nur musikalisch, sondern auch ikonografisch. Sie wurde zur Erzählfigur, zur Erzählerin, und was für eine. Sie führt durch verdreckte Hotelzimmer, durch düstere Gassen, flackernde Nachtclubs, durch Sümpfe und über karge Ebenen. Und immer wieder ans Wasser; das große Motiv ihrer Kunst: still stehende Seen, schwarze Ströme, blutgetränkte Ufer. Wo die Toten liegen. Wo die Stimmen flüstern. Wo Geschichten warten, von Liebe, von Tod, von Wahnsinn und Anmut, von dem, was Menschen zu Göttern oder Monstern macht.
Personell hat sich viel verschoben: PJ Harvey war früher ein Bandname. Seit diesem Album ist es der Name einer Solokünstlerin, einer Figur mit magnetischer Anziehungskraft. Die Songs sind vielfältiger geworden; ja, auch sanfter, aber nicht harmloser. Die Wut, die Obsession, das Wilde – sie sind nicht verschwunden. Sie wurden umgeformt; weniger Explosion, mehr Gärung. 'Send His Love to Me' bringt all die Verzweiflung und das Sehnen früherer Songs zurück, diesmal jedoch nicht in Schmutz und Schrei, sondern mit akustischer Gitarre, zerbrechlichem Streichersatz und einer Stimme, die über sich hinauswächst.
Statt Steve Albini saßen nun Flood an den Reglern, John Parish als alter Vertrauter und Polly Jean selbst, die erstmals entschlossen das Ruder mit in die Hand nahm. Der rohe, flackernde Garagensound von "Rid of Me" wich einem düsteren, sinnlichen Klangraum. Die Produktion betont die Stimme, das theatrale Moment, die ständige Präsenz dieser Figur, die Harvey in ihren Songs entwirft. Mal ist sie die anstößige Sirene, dann wieder die Besessene, halb Hexe, halb Kind, oder die zynische Prophetin mit der Flasche in der Hand.
Songs wie 'Down by the Water' ziehen sich ein elektrisches, dröhnendes Kleid an; basslastig und körperlich spürbar. Bei 'I Think I'm a Mother' kriecht der Sound aus den Ritzen eines blechernen Sargdeckels direkt ins Ohr: Rasseln, Schatten, Stimmen aus der Tiefe. Es brodelt, es flimmert; unheimlich, hypnotisch, kunstvoll.
Aber da ist auch die Lautstärke, der Krach: 'Meet Ze Monsta' dröhnt, zerrt, zuckt elektrisch. 'Long Snake Moan' klingt nach Hitzeflimmern, aufgeplatzten Lippen, endlosen Straßen unter glühender Sonne. Die Gitarre röhrt wie ein Dämon, während PJ Harvey dem Hörer entgegenschleudert: "It's my voodoo working". Hier darf es noch einmal kreischen, röhren, schnauben wie zu alten Tagen. Doch selbst dieser Krach wirkt jetzt kontrollierter, massiver, schwerer; sexy und gefährlich zugleich.
Und dann kommt die wunderschöne Traurigkeit von 'C'mon Billy'. Der finstere Geschmack von 'The Dancer'. Der Abgrundblues von 'Teclo'. Hier brennt eine neue Art von Feuer; nicht mehr offenes Inferno, sondern glühende Glut unter der Oberfläche.
"To Bring You My Love" ist ein neuer Charakter, ein neuer Körper, eine neue Sprache und offenbart so viele Details wie kein anderes Album in Harveys grandioser Diskografie. Dieses Album ist ein Aufschrei, eine Verwandlung, eine Selbsteinsetzung zur Mythenfigur. Für mich ist es nicht einfach nur gut; es ist notwendig. Vom ersten Ohrgasmus in 'To Bring You My Love' bis zum letzten Tropfen bei 'The Dancer' bietet es vollkommene Songs, eine radikale Atmosphäre und eine Stimme, die in ihrer Vielseitigkeit, Tiefe und erschütternden Schönheit einfach unübertrefflich ist.
Und es ist das unvermeidliche Album, das am eindrücklichsten verstehen lässt, was für eine Ausnahmegestalt, wie kompromisslos, wie visionär, wie elementar diese Musikerin ist. PJ Harvey ist nicht irgendeine Sängerin und Musikerin. Sie ist – Punkt.
Montag, 21. Juli 2025
diSEMBOWELMENT - Transcendence Into The Peripheral
Die australische Band, bekannt für ihre einzigartige Mischung aus Doom-, Death- und Ambient-Elementen, hinterließ 1993 mit ihrem einzigen Album ein wegweisendes Meisterwerk. Das Album ist eine abgründige Reise durch trostlose Klangsphären, in denen sich brutale Riffs und Growls mit ruhigen, meditativen Passagen paaren. 'The Tree of Life and Death' und 'A Burial at Ornans' zeigen, wie mühelos diSEMBOWELMENT zwischen erbarmungsloser Härte und ätherischer Atmosphäre wechseln. Die Gitarren sind monumental; tonnenschwere, schleppende Riffs werden von plötzlichen Ausbrüchen chaotischer Raserei durchbrochen. Besonders einzigartig für die damalige Zeit sind die schamanenhaften, ambient-inspirierten Abschnitte, die einen in tranceartige Ruhe versetzen, bevor man von der nächsten Welle der Zerstörung verschluckt wird. Das Album ist ein fast metaphysisches Erlebnis für jeden Liebhaber extremer und atmosphärischer Musik.
Freitag, 11. Juli 2025
Cathedral - The Carnival Bizarre
In "The Carnival Bizarre" kulminiert der doomige Sound von Cathedral zu einem Meisterwerk, das die massive Wucht eines Lavaberges mit der psychedelischen Ausgelassenheit eines Drogentrips auf einem Jahrmarkt verbindet. Das dritte Album der britischen Doom Metal-Institution ist eine mitreißende Akrobatik zwischen der erdrückenden Schwere ihrer frühen Werke und einer merklich aufblühenden Experimentierfreude.
Das Album strahlt einen Hauch sabbath'scher Magie aus (Tony Iommi höchstpersönlich verleiht 'Utopian Blaster' seinen Ritterschlag) und präsentiert ein monumentales Klangbild (die Drums!), das sowohl die massiven Gitarrenwände als auch die subtileren, psychedelischen Nuancen zur Geltung bringt. Cathedral vereinen hier die zähe, basslastige Intensität des Doom mit einer fast bizarren Leichtigkeit; der perfekte Sound für einen karnevalesken Trip ins Abgründige. Fettes, unheilvolles Riffing, stampfende Grooves und Lee Dorrians beschwörende Predigten zwischen Wahnsinn und Wut schwelgen in einer dichten, hypnotischen Atmosphäre und entfalten eine surrealistische Klanglandschaft, die einen in eine bizarre Welt aus Gauklern, Dämonen und unergründlicher Dunkelheit zieht. "The Carnival Bizarre" gehört in diesem Bereich zu meinen heiß verehrten Alben; es verzaubert mich durch seine schillernden Facetten des Wahnsinns, die psychedelische Experimentierfreude und das schiere Gewicht der erdrückenden Riffs nun schon seit über 25 Jahren.
Mittwoch, 9. Juli 2025
The Chemical Brothers - Surrender
1999 veröffentlichte das Duo sein vielseitigstes und farbenprächtigstes Album; einen wilden, harmonischen Mix aus Psychedelia, Pop und Clubkultur. Es entfaltet eine vibrierende Welt mit knackigen Beats und futuristischen Synthesizern, die eine audiophile Achterbahnfahrt bietet. Das Album bewegt sich in einem konstanten, rasanten Tempo und vereint Acid-Elemente, hypnotische Rhythmen, eingängige Samples und wummernde Basslinien. Besonders auffällig ist die Experimentierfreudigkeit des Duos, die sich in einem neuen Klangspektrum zeigt. 'The Sunshine Underground' ist ein hypnotischer Trip, geprägt von Krautrock-Einflüssen, während 'Out of Control', mit Bernard Sumner von New Order und Bobby Gillespie von Primal Scream, eine pochende Mischung aus Post Punk-Energie und House-Ekstase entfacht. "Surrender" ist voller Raffinesse, künstlerischer Vision und gilt als kreativer Klassiker der elektronischen Musik.
Freitag, 4. Juli 2025
DJ Shadow - Endtroducing.....
Joshua Paul Davis kreierte mit seinem beeindruckenden Debüt ein bahnbrechendes Werk, das die Sample-Kunst auf ein nie zuvor gehörtes Niveau hob. "Endtroducing....." elevierte den Turntablism zu einer hochgradig emotionalen und tiefgründigen Kunstform.
Davis konstruierte "Endtroducing....." ausschließlich aus Samples – eine gewagte Entscheidung in den 90er-Jahren. Die "Songs" wirken wie eine Reise durch alte Plattenläden; Schichten aus Funk, Soul, Hip-Hop und Ambient verschmelzen zu einem hypnotischen, präzisen und organischen Klangmosaik. Eine düstere, fast meditative Atmosphäre, die aus minimalen Elementen etwas Monumentales erschafft, ist durchgehend präsent. Jedes Sample, jeder Beat, jede Nuance sitzt exakt da, wo sie hingehört. Gleichzeitig vermeidet Shadow jegliche sterile Perfektion – hier pulsiert das Leben, Fehler verwandeln sich in Kunst, und das Album erzählt fortlaufend Geschichten, die beim ersten Hören nur angedeutet werden können. Es ist nicht nur ein technisches Wunderwerk, sondern auch ein emotionales Werk, das zukünftige Sounds mitdefinierte. Abseits der Rockmusik zählt dieses Album für mich zu den spannendsten und innovativsten der Neunzigerjahre.
Dienstag, 1. Juli 2025
Valborg - Endstrand
"Endstrand" offenbart die deutschen Avantgarde-Doom-Meister Valborg als visionäre Architekten eines klanglichen Untergangs. Die Formation hat ein Album geschaffen, das in seiner Düsternis einer apokalyptischen Vision ähnelt, eine akustische Verzweiflungstat zwischen industriellem Lärm, monolithischem Doom und nihilistischer Kälte. Wie der Titel bereits offenbart: Hier wartet kein Licht, sondern die stählerne Umarmung der Leere.
Das Album besticht durch minimalistische Brutalität. Mit jedem Stück bohren sich die reduzierten, hämmernden Riffs unerbittlich ins Gehör, wie Maschinenschläge, die das Ende aller Humanität verkünden. Songs wie 'Blut am Eisen' und 'Bunkerluft' klingen wie die musikalische Untermalung einer hoffnungslosen Welt; eine bedrückende Melange aus bleierner Schwere und rostiger, industrial-inspirierter Rauheit.
Die von Valborg verwendete deutsche Sprache verstärkt diese Kälte zusätzlich. Ihre knappen, fast militärisch anmutenden Phrasen wirken unentrinnbar, beinahe befehlsartig. Anstelle zusammenhängender Erzählungen präsentieren sie fragmentierte Bilder und verstörende Momentaufnahmen einer zerbrochenen Realität.
Was "Endstrand" heraushebt, ist die kompromisslose Fokussierung auf die künstlerische Vision. Hier finden sich weder ausufernde Melodien noch verspielte Soli, jedes Element dient ausschließlich der beklemmenden Atmosphäre. Der Bass grollt wie ein Generator der Entmenschlichung, das Schlagzeug hämmert mit stoischer Präzision, während der Gesang eine eisige, gefühllose Distanz wahrt.
Valborg haben einen abstoßenden Klangkoloss erschaffen, ein Album, das einen mit der Imposanz einer Betonwand trifft und durch seine ungeschönte Lichtlosigkeit in seinen Bann zieht. Für alle, die in der Musik die Konfrontation mit Abgründen suchen, ist dies der Soundtrack zum Abstieg ins Nichts.
Montag, 30. Juni 2025
Misþyrming - Söngvar elds og óreiðu
Mit ihrem eiskalten Debüt haben die Isländer 2015 einen kleinen Überraschungshit abgeliefert und gleichzeitig eines der betörendsten Black Metal-Alben im letzten Jahrzehnt. Exzessiv wird hier ein Fest aus wilden Rifforgien, feisten Melodien, chaotischen Blastbeats und intensivster Gesangsdarbietung gefeiert, auf dem man des Öfteren an die Großtaten von Deathspell Omega erinnert wird. Der Sound klingt zwar modern, aber Misþyrming verzichten zum Glück auf nervige Shoegaze-Gehhilfen, pubertierenden Post-Quatsch und progressives Gewichse – womit sich ja mittlerweile fast jede dritte Black Metal-Band den Stock in den Arsch schiebt – und liefern stattdessen ein klug komponiertes, leicht vertracktes, massiv drückendes und gitarrenlastiges Werk ab, welches mit seinen intelligenten Spannungskurven und dem perfekt arrangierten Wechsel aus aggressiven und ruhigen Momenten überzeugt. Wie toll moderner Black Metal klingen kann, ohne sich im Mief der Neunziger zu suhlen, Unmengen an Millionen in die Produktionstechnik zu stecken und dabei auch noch den Musiklehrer beeindrucken zu wollen, ist wunderbar auf "Söngvar elds og óreiðu" zu bestaunen.
Mittwoch, 18. Juni 2025
The Cars - Panorama
The Cars bewiesen 1980 mit ihrem dritten Album "Panorama", dass sie mehr waren als nur eine New Wave-Hitmaschine. Während die Vorgängeralben voller eingängiger Ohrwürmer und radiofreundlicher Singles steckten, schlug "Panorama" eine deutlich düsterere, experimentellere Richtung ein. Diese offensichtliche Kühle steht in starkem Kontrast zum lebhafteren Sound der Vorgänger.
Das Album zeigt die künstlerische Vielseitigkeit der Band in ihrer spannendsten Phase, irritierte jedoch zugleich mit seinem eigenwilligen Sound. Die kalte, mechanische Präzision erinnert mehr an die futuristische Sterilität von Kraftwerk als an den sonnigen Power Pop ihrer Hits wie 'Just What I Needed'. Synthesizer übernehmen plötzlich eine dominante Rolle, während Ric Ocaseks spöttischer Gesang eine für die Achtziger typische dystopische Stimmung heraufbeschwört – besonders auf dem zappeligen 'Gimme Some Slack', in dem die Punk-Wurzeln der Band deutlich durchscheinen. Benjamin Orrs Stimme glänzt besonders auf dem melancholischen 'Running to You'.
Das Album ist alles andere als homogen; die Band verbindet experimentelle Elemente mit der zugänglichen Sensibilität, für die The Cars bekannt waren. Mit vielen seltsam tanzbaren Taktwechseln und verschmitzten Hooklines beweist die Band, dass sie weiterhin ein Gespür für unwiderstehliche Melodien hat – diesmal jedoch eingebettet in eine kantigere Klanglandschaft. Der eigenwillige Einsatz von Gitarren und Synths schafft eine außergewöhnliche Ausgewogenheit zwischen schneidender Härte und polierter Eleganz. Auf diesem Werk war die Band besonders mutig, ging erhebliche Risiken ein und löste sich von ihrem bewährten Erfolgsrezept; zu unkonventionell, zu unnahbar – für viele Fans damals eher ein Stolperstein, für mich jedoch ganz klar das beste und ambitionierteste Album der ohnehin überragenden ersten drei Meisterwerke der Band.
Freitag, 13. Juni 2025
Tiamat - A Deeper Kind Of Slumber
Auf "A Deeper Kind Of Slumber" werden Melancholie und Schmerz in einem für das Jahr 1997 einzigartigen, düster-atmosphärischen Sounddesign verwoben und zu einem faszinierenden, hypnotischen musikalischen Traum in Form gegossen. Tiamat brachen hier radikal mit ihrem bisherigen Sound und überforderten ihre Fans mit diesem direkten Nachfolger ihres Klassikers "Wildhoney", das jeden Ansatz von "Sturm aus Riffs" erst gar nicht zulässt - so sehr, dass es bis heute für mich das beste Werk ihrer Karriere darstellt.
Der Wechsel im Sound der Band, allein und "egoistisch" getrieben von der kreativen Vision Johan Edlunds, ist sofort hörbar. Während "Wildhoney" noch auf dichte Gitarrenwände und epische Melodien setzte, öffnet "A Deeper Kind Of Slumber" die Tür zu einer für die damalige Zeit in diesem Genre ungewohnten psychedelischen Dimension. Massive elektronische Elemente, Trip-Hop-Anklänge und tribalartige Percussions treffen hier auf sehr sparsame Gitarrenarbeit und atmosphärische Keyboards. Songs wie "Cold Seed" oder das betörend schöne "Atlantis as a Lover" zeigen Tiamat in einer Phase vollendeter experimenteller Reife.
Johan Edlunds Stimme steht im Zentrum des Albums - zurückhaltend, aber voller emotionaler Kraft. Sein Gesang schwebt zwischen erzählendem Flüstern und melancholischer Klage. Edlund erzählt Geschichten, die sich zwischen Themen wie Verlust, existenzieller Einsamkeit und einem Hauch esoterischer Mystik bewegen, was perfekt zur traumhaften Atmosphäre passt. Die Produktion auf "A Deeper Kind Of Slumber" ist makellos (auch wenn dezent die typische 90er Century Media-"Ästhetik" erkennbar ist) und fängt jede Nuance ein - sei es das warme Summen der Basslinien oder die sphärischen Synthesizer-Arrangements, die wie ein sanfter Nebel durch die Songs ziehen.
"A Deeper Kind Of Slumber" stellt für Tiamat nicht nur einen musikalischen Wendepunkt dar, sondern auch einen emotionalen. Das Album beeindruckt zu keiner Sekunde durch Gewalt oder Dramatik - jedes dieser Elemente wurde penibel von Edlund während des Entstehungsprozesses verbannt -, sondern durch seine zerbrechliche Schönheit und seinen Mut zur Verletzlichkeit. Es ist eine intime, fast meditative Hörerfahrung, die 1997 so weit vom Verständnis und den Erwartungen der Fans entfernt war, dass seine vollständige Genialität erst durch eine intensive Auseinandersetzung greifbar wird. Es ist bis heute ein Wunder, dass die Band diese künstlerische Ausfahrt tatsächlich "überlebt" hat.
Montag, 9. Juni 2025
Scorpions - Taken By Force
"Taken By Force" markierte das Ende einer Ära für die Scorpions und den Beginn einer neuen Dynamik. Dieses fünfte Studioalbum ist nicht nur das letzte Werk mit Uli Jon Roth, sondern auch ein entscheidender Wendepunkt in der Entwicklung der Band, die sich von einer progressiven, experimentierfreudigen Rockgruppe zu den stadionfüllenden Hardrock-Giganten wandelte, die sie in den Achtzigern werden sollten. "Taken By Force" präsentiert einen bemerkenswert ausgewogenen Mix aus den psychedelisch angehauchten Klängen früherer Jahre und einem härteren, zugänglicheren Sound, der bereits den Weg für die kommenden Alben ebnete.
Dieter Dierks war erneut für eine sagenhaft kraftvolle und fokussierte Produktion verantwortlich, die dem Album eine unglaubliche Energie verlieh. Die Band zeigt sich von ihrer kraftvollen, riffgetriebenen Seite, dominiert von Uli Jon Roths himmlischer Gitarrenarbeit und Klaus Meines Gesang. Roth ist auf diesem Album eindeutig der Star. Seine unvergleichliche Gitarrentechnik kommt hier zur vollen Entfaltung; orientalisch inspirierte Gitarrenlinien demonstrieren sein einzigartiges Talent und seine Fähigkeit, Virtuosität und Emotion zu vereinen.
"Taken By Force" ist ein faszinierendes Album, das mich mit seiner Mischung aus Härte, Melodie und Experimentierfreude bis heute begeistert. Es zeigt die Scorpions auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität, bevor der Mainstream und der Ruhm sie in eine andere Richtung lenkten. Mit diesem Album verabschiedete sich die Band endgültig von ihrer progressiven Vergangenheit und lieferte bereits einen Ausblick auf ihre stadionfüllende Zukunft.
Samstag, 7. Juni 2025
Autopsy - Mental Funeral
Die ersten beiden Alben waren in meiner verlotterten Jugend essenziell und prägend für meine Wahrnehmung von Death Metal und wie er für mich zu klingen hat. 1991 lieferte Chris Reifert mit seinem morbiden Heer und "Mental Funeral" den Grundstein für klaustrophobischen, grotesken und authentisch beängstigenden Death Metal. Die Band entwickelte mit diesem noch relativ neuartigen Sound ihr unverkennbares Klangdesign, das von unbändiger, doomiger Schwere geprägt ist, aber auch plötzliche, nervenaufreibende Ausbrüche enthält.
Während dieser goldenen Ära des Death Metal waren die meisten Bands auf Geschwindigkeit getrimmt, doch Reifert nahm sich in aller verwesenden Ruhe die Zeit, sich mit einer verschlammten Klobürste im Studio die Zähne zu putzen und durch einen Jauchesud aus getrocknetem Eiter, porösen Gedärmen, madenzerfressenen Innereien und verspritzten Fäkalien zu schlürfen. Sein gleichermaßen roher wie natürlicher Drumsound und sein einzigartiger Gesang, der wie das Gurgeln eines gerade erwachten Toten im fortgeschrittenen Verwesungszustand klingt, sind bis heute ein Unikum in diesem Genre.
Dazu gesellt sich abscheuliches Riffing, das zwischen groteskem Wahnsinn und erdrückender Monotonie dahinsiecht, sowie Steve Cutlers wunderbar polterndes Basswummern. Besonders die psychotischen Lead-Gitarren, die durch das gesamte Album wimmern, tragen zum bizarren, halluzinogenen Temperament bei. Ein sumpfiges Loch aus Verfall mit all seiner Lobpreisung auf den Tod in seiner ekelerregendsten Form - und für mich eindeutig das vielleicht verdorbenste Meisterwerk in der Geschichte des Death Metal.
Dienstag, 3. Juni 2025
Warlord - ...And the Cannons of Destruction Have Begun
Warlord haben mit diesem unglaublichen Werk nicht nur eines der drei besten US Metal-Alben aller Zeiten geschaffen, sondern auch das ultimative Epic Metal-Meisterwerk. Der einzigartige Gesang, das filigrane und technische Hochleistungs-Schlagzeugspiel, der pumpende Basssound und der spezielle Gitarrensound vereinen sich zu einem mystischen Klangbild, das bis heute einzigartig ist.
Warlord verlagerten wie keine andere stahlgeprägte Band in den Achtzigern den Schwerpunkt so extrem auf Melodien und setzen so geschmackvoll und subtil Keyboards ein. Das Gespür für melodisches und harmoniegesegnetes Songwriting von William Tsamis sucht immer noch seinesgleichen. Das technisch brillante, aber wie von Zauberhand spürbar unaufdringliche und trotzdem dominante sowie extrem groovetighte Drumming von Mark Zonder ist der blanke Wahnsinn. Ich habe das Album in meinem Leben bestimmt schon hunderte Male gehört, und jedes Mal fällt mir auf, wie abwechslungsreich, songorientiert, kreativ, bewundernswert, locker, immer zu 101% passend und treibend Zonder grandios den Sound dirigiert.
Und diese abartigen Gesangsmelodien, der Sound, die Basslinien, die hohe Kunst, keinen einzigen Stinker auf dem Album zu haben, Drive, Atmosphäre ... hach, einfach das Aushängeschild für (epischen) US Metal und insgeheim mein absolutes Lieblingsalbum aus diesem Genre. Gilt übrigens auch für die gottgleiche EP, die tatsächlich an manchen Tagen noch besser ist.
US-Metal beginnt mit 'Lucifer's Hammer' und endet mit 'Deliver Us From Evil' - das Beste, was jemals unter dem Banner US Metal veröffentlicht wurde.
Montag, 2. Juni 2025
PJ Harvey – Stories From The City, Stories From The Sea
PJ Harvey hat mit "Stories From The City, Stories From The Sea" im Jahr 2000 ein Album erschaffen, das so lebendig, kraftvoll, unmittelbar und stellenweise großspurig, zugleich aber intim und verletzlich ist, dass es mich jedes Mal aufs Neue in sich hineinsaugt. Keine verkopfte Konzeptkunst, kein überproduzierter Popentwurf, ein Album, das wie ein Körper atmet. Und das seit dem Jahr 2000 konsequent nicht altert. Ein Zuhause für Unruhe, Begehren und Schönheit; ein Brennglas der eigenen inneren Zustände. Es verliert nie an Bedeutung und bleibt als Album meiner unverrückbaren Lieblingsmusikerin stets relevant, lebendig in jeder Note, mit dem tiefen Nachklang von Gedanken.
"Stories From The City, Stories From The Sea" fängt die Energie einer lebendigen Metropole ein und reflektiert zugleich die Stille und Weite des Meeres, ein Spannungsfeld zwischen der Gier nach Nähe und dem Drang zu verschwinden, das Harvey meisterhaft nutzt, um ihre tiefsten Emotionen und Gedanken zu erkunden. Ein Tagebuch in Flammen, das zugleich heilt und zerfrisst, und jede Note klingt wie eine Entscheidung.
Schon in der ersten Sekunde zeigt sich: "Stories From The City, Stories From The Sea" ist ein kraftvoller Ausdruck von Harveys künstlerischer Vision. Der Opener 'Big Exit' explodiert förmlich vor Energie mit seiner unvergesslichen Gitarrenlinie, die auf den vor Selbstbewusstsein strotzenden, energiegeladenen Gesang von PJ Harvey trifft, ihre Stimme drückt sich durch den Mix, schneidend, direkt, verzweifelt kontrolliert. Ein knarzender Gitarrenteppich, darunter pocht der Puls der Stadt, und PJ klingt, als wolle sie die Welt gleichzeitig umarmen und zerreißen.
Die donnernden Gitarren und Harveys markante Stimme transportieren eine brisante Entschlossenheit, die von einem tief verwurzelten Gefühl innerer Unruhe und Zwang getrieben wird. Hier offenbart sich eine neue Direktheit in Harveys Entwicklung, sie singt mit einer Intensität, die keine Kompromisse kennt, und wechselt mühelos zwischen kraftvollen Rockmomenten und fragilen Passagen. Hier wird nicht um Erlaubnis gefragt. Hier wird sich Raum genommen.
Das Album fängt den Geist einer Künstlerin ein, die sich in einer neuen Phase ihres Schaffens befindet. Während ihre früheren Werke oft von dunkler, ungeschliffener Energie geprägt waren – nach Keller, Chaos und offenen Nerven klangen –, zeigt sich Harvey hier zugänglicher, ohne Tiefe einzubüßen. Sie steht nicht mehr in dunklen Ecken und flüstert kryptische Albträume; sie steht im grellen Licht der Großstadt und schreit mit erhobenem Kopf.
'The Whores Hustle and the Hustlers Whore' erinnert in seiner Direktheit und Härte an die kantigen Momente ihrer frühen Alben. Die Texte sind durchdringend, bissig, voller kalter Wahrheiten, doch nie zynisch. Keine Parolen, sondern Nadeln, die unterschiedlich tief stechen. Harveys Gesang klagt an, kratzt, spuckt, zwingt zum Zuhören, und bleibt dennoch durchdrungen von Empathie. Ein Spiegelbild menschlicher Komplexität, gefangen zwischen Verlangen und Verzweiflung. Sie singt nicht über Menschen; sie singt als Mensch, mittendrin im Lärm, ohne Urteil, ohne Lösung. 'You Said Something' bietet einen der schönsten, berührendsten Momente des Albums. Harvey destilliert darin die Essenz einer flüchtigen, aber tiefgreifenden Verbindung zu einer bleibenden Erinnerung. Die Leichtigkeit des Arrangements kontrastiert elegant mit der emotionalen Tiefe des Textes.
"Stories From The City, Stories From The Sea" ist jedoch keine bloße Sammlung von Liebesliedern oder Stadtansichten. 'This Is Love' ist eine Hymne an die rohe, unverblümte Kraft des Verlangens, eine Verdichtung animalischer Intensität, die mit treibendem Rhythmus wie eine Feier der Leidenschaft wirkt. Ein knapp vierminütiger Abriss all dessen, was man sich selbst nicht eingesteht. Harvey zeigt sich selbstbewusst, entschlossen, gleichzeitig rotzig, direkt, schamlos, und bewahrt dennoch jene Verletzlichkeit, die ihre Musik so faszinierend macht. Keine zerzauste Liebesballade, sondern das, was passiert, wenn Lust auf die Straße rennt. "I can't believe life's so complex / When I just want to sit here and watch you undress" – zwei Akkorde, ein flammender Blick, keine falsche Romantik. Ein triumphaler "Sex"-Sturm, der selbstbewusst durchs Zimmer fegt, mit Zähnen und Schlagseite.
Die Produktion des Albums, die von Rob Ellis und Mick Harvey mitgestaltet wurde, trägt wesentlich zur eindringlichen Wirkung von "Stories From The City, Stories From The Sea" bei. Der Sound ist klar, minimalistisch, kein Ton zu viel, keine Deko, nie diffus. Harveys Stimme – fordernd, verletzlich, ungeschönt – steht im Zentrum, umrahmt von kraftvollen, luftigen Instrumenten. Alles hat Platz, alles darf atmen. Es ist unheimlich, wie sehr sich das Album anfühlt, als hätte der Toningenieur einfach ein Aufnahmegerät in Harveys Brust gesteckt. Diese Klarheit betont die thematische Polarität des Albums und erzeugt eine magnetische Spannung zwischen präzisem Arrangement und emotionaler Komplexität.
Harvey navigiert auf dem Album souverän zwischen urbaner Hektik und maritimer Ruhe, zwischen Leidenschaft und Reflexion.
"Stories From The City, Stories From The Sea" zählt zweifellos zu den herausragendsten Alben ihrer Karriere, irgendwo zwischen Hochhausdach und Ozean, mit flackerndem Herzen und Salz auf der Zunge. Harvey zeigt hier ihre emotionale Tiefe und künstlerische Vision in voller Blüte - sie war nie klarer, nie direkter, nie fesselnder.
Mittwoch, 28. Mai 2025
16 Horsepower - Secret South
Mit ihrem dritten und eigentlich finalen Album, "Secret South", das zwei Jahre vor dem abschließenden Album "Folklore" erschien, welches aber nur zu 40% aus eigenem Songmaterial bestand, vollzogen 16 Horsepower eine Wendung. Diese führte ihre ohnehin düstere und spirituell aufgeladene Musik in noch tiefere, melancholischere Gewässer. "Secret South" ist weniger von dem treibenden, apokalyptischen Americana geprägt, das ihre früheren Werke wie "Sackcloth 'n' Ashes" auszeichnete. Stattdessen ist es ein aufwühlendes Vordringen in die dunklen Ecken der Seele. Es wird weniger mit Peitschenknall geritten, sondern in einer düsteren Kapelle zurückgezogen morbide Gebete gesprochen.
David Eugene Edwards führt mit seiner eindringlichen Stimme und seiner fast schmerzhaft intensiven Präsenz wie ein Prediger durch die Songs. Seine Texte sind so tief in biblischer Symbolik und Südstaaten-Gotik verwurzelt, dass sie fast wie ein eigenständiges Literaturwerk wirken. 'Splinters', 'Silver Saddle' und 'Cinder Alley' sind ergreifende Verschmelzungen von musikalischem Minimalismus und emotionaler Intensität; es sind Erzählungen, die aufwühlen und erschüttern.
Manilla Road - The Deluge
Alles herhören, alles herhören. Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! In meiner bescheidenen Eigenschaft als seiner gütigen Magnifi... Magnifizenz, Prinz Shelton, habe ich die Ehre und das Vergnügen zu verkünden, dass ein Naturtier, Verzeihung, ein Turnier stattfinden soll – auf Leben und Tod. Es soll ein Ritter gefunden werden, der das Vaterland von Hungersnot, Pestilenz und Tod befreien soll, die es umgibt. Als Belohnung für die Erlegung des Monsters wird der betreffende Ritter dann von Prinz Shelton persönlich die halbe Hand der Prinzessin Griselda und dazu noch als Beigabe das ganze Königreich als Frau bekommen. Ich korrigiere. Heißen muss es natürlich: Es muss heißen, er wird die Hand des Prinz Shelton und die Hälfte des Reichs der Prinzessin bekommen.
"Crystal Logic", "Open the Gates" und besonders "The Deluge": alle drei Alben = Unerreichter. Premium. Epic Metal.
Mittwoch, 21. Mai 2025
Fischer-Z - Red Skies Over Paradise
Das dritte Werk der britischen New Wave-Band unter der Leitung von John Watts verbindet geschickt eingängige Melodien mit nachdenklichen Texten und zeichnet sich durch Vielschichtigkeit aus, sodass man die Band als "kleinen" Bruder von The Police betrachten könnte (mit denen ich nicht viel anfangen kann).
"Red Skies Over Paradise" spiegelt die gesellschaftlichen und politischen Spannungen seiner Zeit wider. Der Titelsong erzeugt eine unbehagliche Atmosphäre, eine sanfte Melodie untermalt Watts' zynischen Blick auf eine Welt am Rande des nuklearen Abgrunds, während das melancholische Hitmonster 'Marliese' von bittersüßer Nostalgie geprägt ist. Watts thematisiert in seinen Texten soziale und politische Missstände, darunter den Kalten Krieg, Arbeitslosigkeit und die Isolation des Individuums.
Trotz dieser schweren Themen strahlt das Album eine zugängliche Leichtigkeit aus, die Songs sind melodiös, die Rhythmen treibend, und mit dem Einsatz von Synthesizern wird nicht gegeizt, ohne den rohen Charme des New Wave zu verlieren. Die musikalische Vielfalt zeigt sich in tanzbaren Nummern wie 'Cruise Missiles' und nachdenklichen Songs wie 'Berlin'. John Watts' prägnante Stimme und seine Fähigkeit, kluge Geschichten in präzise Texte zu packen, machen das Album auch heute noch wertvoll.
Freitag, 16. Mai 2025
Menace Ruine - The Die Is Cast
Es ist ein wahnsinniges Unterfangen, sich "The Die Is Cast" zu nähern, ohne vor einem monumentalen Klanggebilde zu stehen, das einen sofort in seinen Bann zieht. Menace Ruine, das avantgardistische Chaos-Duo aus Kanada, hat auf diesem 2008 veröffentlichten Album sämtliche eigenen musikalischen Grenzen niedergerissen. Ein Werk, das sich in keine herkömmliche Schublade pressen lässt. Stattdessen nutzt es seine erdrückende Schwere als Fundament, um in einem wuchtigen Klangstrudel aus Drone Doom und Neofolk zu verschwinden. Menace Ruine beweisen hier nicht nur die Kunst einer einzigartigen musikalischen Verschmelzung, sondern entführen in die sinnliche, zerstörerische Gewalt dieses Klanguniversums.
'One Too Many' – der erste Schlag trifft mit seinem unorthodoxen Ansatz. Zwei schillernd-irre Töne, zwei Trommeln wie aus einer apokalyptischen Aufführung der Carmina Burana, verdichten sich zu einem Klangteppich harmonischer Elemente und entfalten sich in epischer Langsamkeit. Und dann: Stille – diese andere Art von Stille, die einen nicht zur Ruhe kommen lässt.
Der Song kriecht mit zerschlagenen Knien und schleift sein Gesicht durch die Asche, die der zermürbende und verstörende noisige Black Metal-Vorgänger "Cult of Ruins" hinterlassen hat. Sängerin Geneviève steht wie ein Medium vorne, das weiß, dass hier niemand lebend herauskommt – und dass dieses Album keinen bequemen Zugang bietet. Stattdessen zwingt einen die hypnotische Monotonie, die Schwere der Töne und der zermalmende Rhythmus, sich auf die verstörende Schlichtheit einzulassen und jeden Klangimpuls wie eine kalte Umarmung aufzusaugen.
"The Die Is Cast" ist keine normale Weiterentwicklung; was hier passiert, ist Mutation unter Schmerzen. Wo "Cult of Ruins" noch in der akustisch schmerzverzerrten Höllenkiste des Black Metal gewühlt hat, legt "The Die Is Cast" plötzlich eine Klangtapete aus, die aussieht wie der endlose Flur einer brennenden Burgkapelle. Drone Doom. Aber auch Folk. Und Mittelalter. Und Sterben. Und irgendetwas, das man vermutlich in keinem Genre unterbringen kann, ohne nervös zu werden. Dieses Album vereint Elemente, die eigentlich in völligem Widerspruch zueinanderstehen – die archaische Direktheit mittelalterlichen Neofolks und die stählerne, kühle Unermüdlichkeit von Drone Doom – und verschmilzt sie zu einer einzigartigen musikalischen Existenz. Lisa Gerrard kuschelt sich in einen Verstärker von Boris. Oder so. *g*
Das Duo spielt auf dem Album nicht nur Instrumente – es verwendet sie. Als Sprache, als Drohung, als Versprechen. Besonders dann, wenn Geneviève singt – wobei es eher einer Beschwörung gleicht, einem melancholischen Sirenensignal. Und diesmal hat sie mehr Raum als auf dem Vorgänger. Viel mehr.
Sie schwebt über den Songs wie Nebel über einem alten Schlachtfeld – oder trägt sie gleich ganz allein. Genevièves Stimme gleitet wie eine rastlose, müde Seele über melancholischen Ruinen; eine uralte Beschwörung, die in eine fremde, erschütternde Welt entführt. Ihre Intonation von Trauer und Resignation beklagt den ewigen Untergang der Menschheit.
Und dann gibt es auch ein "The Bosom of the Earth". 17 Minuten Gänsehaut, Zerstörung, Entrückung. Eine Black Metal-Monolith-Ballade, die sich wie ein Tornado aus aufgeschichteten Tönen und Melodiefetzen steigert – in der alles irgendwie gleichzeitig passiert, und gleichzeitig gar nichts.
Musik, die nicht erzählt, sich nicht erklärt, sondern einfach überrollt. Nach fast drei Minuten explodieren plötzlich Drums aus dem Noise-Teppich, als kämen sie aus einer Parallelrealität. Der Song entfaltet sich zu einem Gewitter, das nicht weiß, ob es einen grillen oder erlösen will. Nach knapp zehn Minuten bleibt nur noch Rauschen übrig. Kein Song mehr. Nur Wind. Und irgendwo singt Geneviève – ganz leise, ganz hinten. Wie ein Lichtschein, der es noch einmal versucht, obwohl in der düsteren Abgeschiedenheit einer ausgelöschten, stillen Welt alles längst verbrannt ist.
Hier zeigt sich die faszinierende Art von Menace Ruine, Naturgewalten auf eine Weise in den Dienst des Sounds zu stellen, die keinen Widerstand duldet.
"The Die Is Cast" ist ein wunderschöner Tinnitus, der mit einem Lächeln im Gesicht daherkommt – ein Gebirge von einem Album. Je näher man herantritt, desto weniger möchte man es erklimmen – man will einfach nur davorstehen und begreifen, wie groß das alles ist.
Menace Ruine zeigen hier, dass Black Metal und seine Abarten nach 1999 keine Entschuldigung für Einfallslosigkeit sein müssen. Dass Musik nicht "zeitgemäß" sein muss, wenn sie stattdessen zeitvergessend sein kann. Und dass man manchmal nur zwei Töne braucht, um sich das Fundament aus der Seele zu bomben.
Dienstag, 13. Mai 2025
Grobschnitt - Solar Music Live
Wenn es ein Live-Album gibt, das den Geist des Progressive Rock und die deutsche Kreativität der Siebziger perfekt einfängt, dann ist es für mich "Solar Music – Live" von Grobschnitt. Aufgenommen während ihrer legendären Auftritte, ist dieses Album eine surreale Reise in fremde Dimensionen. Es führt in die eigenartigen, bodenlosen musikalischen Improvisationen der Band und gleicht eher einem epischen Erlebnis.
Der Kern des Albums ist die überlange Suite 'Solar Music', sphärische Synthesizer-Klänge, wilde, energetische Explosionen von Gitarrenriffs, emotional getriebene Gitarrensoli von Weltruhm und ein alles umhüllender Groove.
Die Band erkundet in diesem Werk die Grenzen ihrer Kompositionen, ohne jemals den roten Faden zu verlieren. Es gibt Momente purer Ekstase, in denen die Musik nahezu außer Kontrolle zu geraten scheint, nur um sich dann wieder in harmonische Melodien und hypnotische Rhythmen zu fügen.
Lupos virtuoses Gitarrenspiel, geprägt von kraftvollen Riffs und emotionalen Soli, sowie Mists vielseitiges Keyboardspiel, das von sphärischen Klängen bis hin zu komplexen Melodien reicht, sind außergewöhnliche Darbietungen, die in ihrer Intensität und Dynamik für die damalige Zeit beispiellos waren.
Die begeisterten Reaktionen des Publikums, die scheinbar endlosen Klanglandschaften und die pure Spielfreude der Band schaffen eine Magie, die in der Studioaufnahme kaum einzufangen wäre; die Live-Atmosphäre ist ständig spürbar. Hinzu kommen kleine, humorvolle Einlagen der Band, die den Charakter von Grobschnitt als energiegeladene, charmante Bühnenkünstler unterstreichen. Ein Pflichtwerk für die grenzenlose Kreativität dieser Ära.
Samstag, 10. Mai 2025
Blondie - Eat To The Beat
Eine echte Attraktion der New Wave-Ära, die künstlerische Vielseitigkeit und kompromisslose Eingängigkeit vereint. "Eat To The Beat" wird nicht nur von der ikonischen Präsenz Debbie Harrys getragen, sondern auch von der Fähigkeit der Band, verschiedene Genres zu umarmen und dennoch homogen zu klingen. Mit dem eröffnenden 'Dreaming' rotzt die mittlerweile extrem selbstbewusste Band elegant ein grandioses Powerpop-Meisterwerk voller Punkrock-Energie und unwiderstehlicher Melodien auf den Bürgersteig vor dem Discotempel, das besonders durch Clem Burkes legendäres Schlagzeugspiel herausragt. Blondie bewegen sich auf ihrem Meisterwerk nahtlos zwischen funky Grooves ('The Hardest Part'), hymnischen Ausflügen ('Union City Blue') und synth-geschwängertem Disco-Rock, wie im zweiten legendären Song 'Atomic'.
Die Band lässt sich durch ihre enorme Vielfalt, die voller subtiler Details steckt und immer wieder neue Facetten zeigt, in keine Schublade stecken; der glatte, aber nicht sterile Sound, der ständig neue Nuancen offenbart, fängt die Dynamik der Band perfekt ein. "Eat To The Beat" transportiert viel Nostalgie und klingt zugleich zeitlos, eine brillante Mischung aus Pop-Empfindlichkeit, experimenteller Lust und der rauen Energie des späten 70er Punk.
Donnerstag, 8. Mai 2025
Rudimentary Peni - Death Church
Das Album ist eine klaustrophobische und erschütternde Tour durch die Abgründe des menschlichen Daseins, angetrieben von nihilistischem Zynismus, bizarrer Poesie und einer musikalischen Wut, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Ein musikalisches und lyrisches Feuerwerk, das bis heute in den düsteren Ecken des Anarcho-Punk nachhallt und einen apokalyptischen Charakter offenbart. Ein Ausbruch aus schroffen Gitarren, lärmendem Bass und wahnsinnigem, predigendem Gesang. Nick Blinko, der Frontmann und kreative Kopf der Band, liefert eine surreale Performance, bei der jedes Wort wie ein Mantra aus Verzweiflung und Abscheu wirkt. Seine Stimme klingt mal wie ein wütender Prophet, mal wie ein verlorener Geist, oft sogar wie beides zugleich. Die Songs sind sehr kurz, schneidend und unnachgiebig; sie wechseln zwischen treibendem Hardcore-Punk und bizarren, psychedelischen Momenten, in denen die Band eindrucksvoll ihre Fähigkeit zur Verdichtung von Chaos und Melodie demonstriert. Ein seltsam morbides Werk, voller grotesker Bilder, gesellschaftskritischer Spitzen und beklemmender Faszination, das als unheimlicher musikalischer Albtraum aus den Tiefen der Achtzigerjahre emporsteigt.
Sonntag, 4. Mai 2025
Wire - 154
"154" ist das Album, auf das Wire wohl schon immer hingearbeitet haben, ein Meisterwerk der Post Punk-Bewegung, das eine kühle, abweisende Schönheit in Klang und Konzept entfaltet und als eines der visionärsten Alben dieser Ära gilt. Für viele mögen die kantige Energie von "Pink Flag" oder die Experimentierfreude von "Chairs Missing" die prägenden Meilensteine sein, doch "154" veredelt alle ungeschliffenen Ideen seiner Vorgänger und präsentiert sich in einem makellos gegossenen, erschreckend klaren Klangbild. Die Songs wirken wie ein kaltes, reflektierendes Prisma, das die inneren Spannungen und das kreative Unbehagen der Band in einer unterkühlten, metallischen und gleichzeitig zutiefst melancholischen Atmosphäre einfängt.
Dieses Album ist nicht bloß der dritte Streich einer einst als Amateur-Provokation gestarteten Band; es ist eine glasklare, schillernde Antithese zur ursprünglich wilden, ungebändigten Punk-Bewegung, die 1979 in Wires Händen zu einem ganz neuen Ausdruck reift.
Wires Entwicklung ist auf "154" nicht nur hör-, sondern spürbar. Die "Dilettanten" von "Pink Flag", die als primitive Punk-Splitter mit krachenden Rhythmen und sägenden Gitarren begannen, sind nun zu architektonischen Meistern gereift, die eine klangliche Welt entworfen haben, in der jedes Element gezielt platziert ist. Mit "154" heben sich Wire endgültig von ihren Anfängen und der Punk-Szene ab und schaffen ein kaleidoskopisches Werk voller Widersprüche und Dissonanzen, das die Ästhetik des Post Punk neu definiert.
Der Opener 'I Should Have Known Better' begrüßt einen nicht mit der erwarteten punkigen Rohheit, sondern mit flächigen, ambienhaften Keyboard-Sounds und Colin Newmans vokaler Melancholie, die durch eine gefühlte Glaswand dringt. Dieser Song eröffnet eine kalte, zerbrechliche Welt, die wie aus Stahl und Glas geschmiedet scheint, und doch ist sie so unaufhaltsam eindringlich. Die kantigen Gitarrenriffs, die früher so charakteristisch für Wire waren, haben sich hier in hypnotische, mechanische Strukturen verwandelt, die durch Synthesizer ergänzt werden und eine leblose, futuristische Ästhetik erzeugen. Und gleich danach schmettert 'Two People In A Room' wie ein vertrauter Ankerpunkt zurück zur Unmittelbarkeit, nur um einen umso deutlicher in die entseelte, künstlich wirkende Soundlandschaft zurückzuwerfen, die dem Album seine einzigartige Stimmung verleiht.
Das Album lebt von Kontrasten und extremen Facetten. Die Pop-Anklänge sind messerscharf und minimalistisch. Songs wie 'The 15th' erscheinen als perfekte Fusion von Post Punk und düsterem Pop, die mit frostiger Mechanik und surrealer Distanz ein futuristisches Gefühl erzeugen. "154" entfaltet sich in seltsamer Kühle, die dennoch emotional überwältigt, wie eine Post Punk-Oper, in der die Gitarren niemals in den Vordergrund drängen, sondern atmosphärisch im Hintergrund pulsieren und treiben. Die einst unverkennbar schroffen Riffs der Band wurden hier durch flächige, synkopierte Sounds ersetzt, die fast unmerklich eine Spannung erzeugen, die Songs wie 'A Touching Display' und 'A Mutual Friend' zu hypnotischen Klangexperimenten verdichtet. In diesen Songs scheinen Wire eine Vision von Anti-Utopie zu entfalten: eine bedrückende Welt, die in all ihrer Kühle niemals aufhört, eine dunkle, beinahe schön-schaurige Poesie auszustrahlen.
Man merkt, dass die Band sich klanglich nicht mehr mit spielerischen, spontanen Ideen abgibt, alles an "154" wirkt durchdacht und kalkuliert, wie ein sorgfältig geplantes, wenn auch beängstigendes Monument. Elektronische und akustische Elemente bilden eine perfekte Symbiose, die den Fluss der Platte zu keinem Zeitpunkt stört. "154" entfaltet seine Klanglandschaften wie eine bleierne, stille Apokalypse. Die Atmosphäre des Albums ist so dicht und allumfassend, dass sie physisch spürbar wird. "154" klingt, als wäre es in einem Raum erschaffen worden, dessen Wände aus kaltem, unnachgiebigem Stahl bestehen, in dem die Zeit stillsteht und nur die Musik selbst als Lebenszeichen existiert. Diese sterile, kalte Eleganz verleiht dem Album seine Zeitlosigkeit und macht es auf monumentale Weise bemerkenswert.
Die düstere Krönung des Albums ist 'A Touching Display'. In diesem fast siebenminütigen Epos steigert sich die Band in eine Vertonung der dunklen Zukunftsvisionen, die dem Album innewohnen. Die hypnotische Wiederholung und der dröhnende, fast erdrückende Sound erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, die einen Blick in eine apokalyptische, entfremdete Welt eröffnet. Die Idee einer "berührenden Inszenierung" verwandelt sich in eine verzerrte Zukunftsvision, die tief in das Unbehagen der Post Punk-Ära greift und gleichzeitig einen Vorgriff auf die kommende Gothic-Ästhetik darstellt.
Wer die frühen Jahre der Post Punk-Bewegung verstehen möchte, findet in "154" ein unverzichtbares Kapitel. Es zeigt eine Band, die entschlossen ist, ihre Grenzen bis zum Äußersten auszuloten, und dabei ein Werk schafft, das in seiner visionären Kraft selbst heute noch erschüttert und fasziniert.
"154" fängt Wires evolutionäre Reise zur künstlerischen Reife ein und zählt somit zu den wichtigsten Platten des Post Punk. Es ist sperrig, geschickt, einnehmend und unbarmherzig in seiner Detailverliebtheit. Hier sind Punk und Post Punk nicht nur musikalische Richtungen, sondern ein Raum, ein Ort, an dem Schönheit und Kälte aufeinandertreffen und eine neue, unbekannte Schwere erzeugen. Mit "154" haben Wire ein Album geschaffen, das die Bewegung nicht nur weiterentwickelte, sondern das Genre in eine neue, bisher unentdeckte Dimension führte.