Freitag, 21. Februar 2025

Swans - Children of God


"Children of God", der markante und epochale "Wendepunkt" der Band, die Transformation hin zu einem emotionalen Erlebnis, ist ein Beben und zugleich ein wütender, giftiger Gottesdienst, der in einer zerstörten Kathedrale abgehalten wird, in dem Heiligkeit und Verdammnis miteinander verschmelzen und eine musikalische Metamorphose offenbart, die gleichermaßen faszinierend wie verstörend ist.
Auf diesem fünften Studioalbum, ihrem großen Meisterwerk, schüttelten Michael Gira und seine Mitstreiter die rohe Brutalität ihrer frühen Noise- und Industrial-Phase ab, um einer düsteren, sakralen und emotional tiefgreifenden Klanghölle Platz zu machen - eine schier unermessliche Klangfülle und Ambivalenz zwischen brutalem Krach und zarten, fast sakralen Momenten. Das Album zwingt einen wortwörtlich in die Knie - nicht aus Resignation, sondern vor Ehrfurcht.

Die Eröffnung 'New Mind' tritt und schlägt sofort das massive Tor zur Hölle auf. Die düsteren, stampfenden Rhythmen, die stählerne Monotonie der Gitarren, das dröhnende Schlagzeug, Giras markerschütternde Stimme, die einen siamesischen Zwilling aus Prediger und Tyrann abgibt und sich zwischen Verdammung und Erlösung windet, und der unheilvolle, bedrohliche Unterton machen klar, dass hier keine Erlösung wartet. "Save your soul, damn you to hell" - die Worte brennen sich tief ein, als würde Gira die unversöhnliche Härte von Glauben und Sünde beschwören und den Teufel höchstpersönlich an die Wand nageln. Doch dann schimmert etwas Unerwartetes durch: Schönheit.

Songs wie 'In My Garden' und 'Our Love Lies' zeigen eine neue, fast zärtliche Seite der Swans - getragen von Jarboes entrücktem Gesang, der der Finsternis des Albums ein silbernes Leuchten verleiht. Jarboe ist auf "Children of God" nicht nur ein Gegengewicht zu Giras unbarmherziger Härte, sie ist die personifizierte Verführung, der Engel, der in die Dunkelheit hinabgestürzt wurde. Diese beiden Songs schaffen es, einen in falscher Sicherheit zu wiegen. Doch diese trügerische Stille entpuppt sich als perfekte Falle. Jarboe, die in der Band immer stärker an Bedeutung gewinnt, fungiert hier nicht nur als Gegenpol zu Gira, sondern als spirituelle Führerin durch die dunklen, verlassenen Korridore dieses Albums. Ihre Stimme in 'Our Love Lies' klingt so zerbrechlich, und doch liegt eine tiefgründige, fast schreckliche Intensität in ihrem Gesang.

Das zentrale Thema von "Children of God" ist der ewige Kampf zwischen Spiritualität und Verzweiflung, zwischen Erlösung und Verdammnis. Songs wie das erbarmungslose und abgrundtief boshafte, von körperlicher Gewalt geprägte 'Beautiful Child' - immer noch der extremste Song, den ich bisher gehört habe mit all seiner puren negativen Überladung und unmenschlichen Vehemenz, seinem ertaubenden, hämmernden SCHLAGzeug und den kriegerischen Synthfanfaren - und natürlich Gira in seiner bis heute manischsten, schier greifbarsten Hasspredigt, die zerfressen von obsessiver Wut und zerstörerischem Zorn aus einem Sumpf des Niedergangs emporsteigt. Auch 'Sex, God, Sex' entblößt die groteske Seite von Glauben und Heiligkeit, indem es die Widersprüche der menschlichen Existenz offenlegt. Giras Texte, voller düsterer Symbolik und bösartigem Zynismus, zeichnen ein schreckliches Bild von fanatischer Hingabe und psychischer Verwahrlosung - beide Songs loten die tiefsten Abgründe und höchsten Höhen der menschlichen Psyche aus.

Die monumentale Klangarchitektur des Albums wird durch den kreativen Einsatz verschiedener Instrumente unterstützt. Swans sprengen hier die Grenzen des Industrial und No Wave, die ihre früheren Werke wie "Filth" oder "Holy Money" prägten, und erweitern ihr Spektrum durch den Einsatz von Celli, Flöten, Oboen und Violinen. "Children of God" zeigt Swans auf dem Weg in ein neues, experimentelleres Klangterritorium, das neben der fast schon orchestralen Atmosphäre dennoch ihre fundamentale Härte und zerstörerische Brutalität beibehält.

Das Album bewegt sich in einer faszinierenden Zwischensphäre. Die Gitarren dröhnen und sägen, während sakrale Keyboard-Klänge und unerwartet fragile Melodien immer wieder durch die Finsternis brechen und Jarboes unheilvolle, dunkle Stimmführung, die wie ein bösartiges Omen über der Szenerie schwebt, kombiniert mit einem hypnotischen Gitarrenspiel, erschafft eine Stimmung der absoluten Beklommenheit - die einen immer tiefer in einen Strudel aus Angst und Faszination zieht. Der Sound ist gleichermaßen roh und majestätisch, düster und erhebend, und erschafft eine klaustrophobische Atmosphäre - eine perfekte Balance zwischen den industriellen Wurzeln der Swans und der hymnischen Eleganz, die sie später perfektionieren sollten.

"Children of God" hinterlässt keine Wunden, sondern Narben, die Geschichten erzählen. Ein Werk von visionärer Kraft, das in seiner Intensität und spirituellen Tiefe für mich einzigartig ist. Wenn die Swans hier tatsächlich eine Messe abgehalten haben, dann war sie nicht für Gott - sondern für die verloren geglaubten Götter in uns allen. Die Gewalt, die Dunkelheit und die Zerrissenheit, die ständig durch die Musik strömen, sind beängstigend spürbar. Man kann das Album nicht hören, ohne sich davon erschüttert, ja fast verschluckt zu fühlen. "Children of God" ist ein unumstößliches Monument in der Geschichte der experimentellen Musik - ein Album, das wie kein anderes die Schönheit und Grausamkeit zu einem überwältigenden Ganzen verbindet.

Mittwoch, 19. Februar 2025

Billy Idol - Cyberpunk


Mit "Cyberpunk" wagte sich Billy Idol 1993 auf ein Terrain, das für einen ikonischen Rock-Rebellen der 80er alles andere als naheliegend war. Statt weiter auf seine bewährte (und in den Achtzigern sehr erfolgreiche) Formel zu setzen, präsentierte Idol ein experimentelles Konzeptalbum, das von der damals aufkommenden Cyberpunk-Ästhetik und der digitalen Revolution inspiriert war. Definitiv beneidenswert mutig, aber auch nur mäßig erfolgreich (vielmehr leider komplett untergegangen). "Cyberpunk" möchte von Anfang an mehr sein als eine Sammlung von Songs. Es ist eher ein Projekt, das elektronische Beats, Industrial-Elemente und die typische Idol-Attitüde in einen futuristischen Sound-Cocktail mischt.
Der Opener 'Wasteland' zieht einen nach dem Intro direkt und ungefragt in eine dystopische Klangwelt, während 'Shock to the System' - der bekannteste Song des Albums - eine elektrisierende Mischung aus Rock und Industrial präsentiert, die Idol tatsächlich überraschend gut steht.
Idol zeigte hier nicht nur musikalische, sondern auch technische Ambitionen. Er produzierte das Album teilweise auf seinem Macintosh-Computer und setzte digitale Tools ein, die zu der Zeit noch exotisch wirkten. "Cyberpunk" ist und bleibt eines der ungewöhnlichsten und auch mutigsten Alben der Neunziger und war für Idol ein riskanter und experimenteller Ausflug in ein unbekanntes Gebiet. Vielleicht war die Welt 1993 einfach noch nicht bereit für (ausgerechnet) Billy Idols digitale Pionierarbeit und verdient heute umso mehr Respekt für seine visionäre Kühnheit. Ein nicht perfektes (bei aller Experimentierfreude hat "Cyberpunk" auch seine (kleineren und vermutlich der Zeit geschuldeten) Schwächen), aber extrem faszinierendes Zeitdokument, das einen Künstler zeigt, der es bewundernswert verstand, seinen Sound radikal neu zu definieren.

Montag, 17. Februar 2025

The Denver Gentlemen - Introducing


"Introducing" ist ein schaurig-schöner Zirkuszug, der durch die dunklen Gassen des Americana rollt. Obwohl das Album als eine Art Rückblick der Bandgeschichte veröffentlicht wurde - die Band existierte in wechselnden Formationen bereits seit den frühen Neunzigern - wirkt es wie eine theatralische Offenbarung. Auf dem Werk wird eine fast überirdische Mischung aus Gothic-Folk, Vaudeville und düsterem Americana aufgefahren.
Die Band, angeführt von Jeffrey-Paul Norlander, gilt zudem auch als Keimzelle für spätere Größen wie 16 Horsepower oder Slim Cessna's Auto Club und präsentiert sich auf "Introducing" als eine Art verlorene Legende. Die Musik wird getragen von verführerischen Klaviermelodien, verspielten Akkordeonklängen und den erzählerischen Qualitäten Norlanders. Seine Stimme ist ein heiserer und zitternder Flüsterton, der Geschichten von Verzweiflung, Glauben und mystischer Entrückung erzählt. Die Arrangements auf "Introducing" sind sehr opulent, aber nie überladen - eine zarte Balance zwischen morbider Eleganz und volkstümlicher Schlichtheit. Die Songs klingen, als wären sie einem staubigen Salon aus längst vergangenen Tagen entstiegen, voll von Schatten, Kerzenlicht und der schwülen Atmosphäre eines Sommerabends in der Vergessenheit. Hier treffen unheilvolle Spiritualität und die rohe Schönheit des Unperfekten aufeinander. Das Album ist ein leiser, fast vergessener Klassiker, der tatsächlich erst im Schatten seiner bekannteren Nachkommen aufblüht.

Freitag, 14. Februar 2025

Pungent Stench - "Club Mondo Bizarre" - For Members Only


Mit ihrem dritten und vorläufig letzten Album ""Club Mondo Bizarre" - For Members Only" haben Pungent Stench 1994 den Death Metal nicht nur durch den mittlerweile ausgedienten Fleischwolf gedreht, sondern gleich auf ein fleckiges Samtsofa drapiert, um ihn mit einer gehörigen Dosis sleaziger Dekadenz und morbider "Erotik" zu garnieren. Das dritte Studioalbum meiner damaligen Lieblings-Österreicher ist ein ebenso provokanter wie verstörender Ausflug in die Abgründe menschlicher Perversionen - ein ominöses Wechselspiel aus musikalischer Brutalität und groteskem Humor.

Grenzen des guten Geschmacks werden hier nicht nur übersprungen, sondern geradezu pulverisiert. Das Album macht es sich in seiner einzigartig eindeutigen Obszönität und musikalischen Asozialität auch heute noch auf einem Thron aus Lustfleisch und Perversion bequem. Als ein Strudel aus Ekel, Faszination und morbider Belustigung präsentiert sich ""Club Mondo Bizarre" - For Members Only" als eine infernalische Melange aus brachialem Death Metal und unverschämt groovigen Elementen.

Inmitten dieser äußerst erheiternden Kakophonie finden sich immer wieder Momente überraschender Musikalität - ein Beweis für die oft unterschätzte "Versiertheit" der Band. Die Songs s(ch)wingen zwischen schleppenden, leicht doomigen Passagen und explosiven Death Metal-Attacken bis hin zu Rock'n'Roll in seiner natürlichsten Form. Pungent Stench lassen den räudigen und chaotischen Death Metal ihrer (mit)prägenden Vergangenheit hinter sich und zeigen auf diesem schon fast geschmeidigen Album mit Abfahrten wie dem überdrehten und verstopfenden 'Klyster Boogie', dem berührenden 'I'm A Family Man' und vielleicht dem bestmöglichen Schwiegermutter-Sampler-Song aller Zeiten 'Fuck Bizarre' eine unerwartete Fähigkeit, technisch präzisen Krach mit einer lasziven Eingängigkeit zu verschmelzen.

Jedes Riff tropft förmlich vor Sleaze, das Schlagzeug marschiert mit stoischer Härte durch die Gangbang-Szenerie, während Chefassi Martin Schirenc mit seinem markanten, halb gutturalen, halb dreckig-knurrenden Gesang jedem Song eine zynische Note einprülpst. Das bizarre Konzept des Albums findet sich bereits im Titel - eine erlesene Sammlung von Präejakulat-Geschichten, die in einem dekadenten Club für die moralisch Verkommenen spielt und jede Weltliteratur in den Schatten öffentlicher Videokabinen stellt.

Die lyrischen Ergüsse leben im Abgrund des guten Geschmacks - mit einer Faszination für das Absurde, die von Erotik über Fetischismus bis hin zu grotesken Obsessionen reicht. Doch neben all der köstlich plakativen Perversion verbirgt sich auch eine Art satirischer Kommentar auf die Absurditäten der menschlichen Natur.

Ein "erschreckend" klar produziertes Album, das die tiefen Frequenzen betont, wodurch die wuchtigen Grooves besonders dröhnend aufstampfen - provokant, aber auch mit einer unbestreitbaren musikalischen Finesse versehen. Ein augenzwinkernder, köstlich grotesker Spiegel der menschlichen Abgründe und neben "Sardonischer Untergang im Zeichen irreligiöser Darbietung" eine leidenschaftliche Liebe meiner auslaufenden (hihi) und durch dieses Werk geschändeten Jugend.

Mittwoch, 12. Februar 2025

Adolescents - Adolescents


Kaum ein Album hat den kalifornischen Punkrock so definiert wie das selbstbetitelte Debüt der Adolescents. Das Album ist ein grandioses Fest jugendlicher Wut, Rebellion und herrlich ungeschliffener Energie. Es hat den Hardcore der Westküste nachhaltig geprägt und dient bis heute als Blaupause für melodischen Punkrock. Auf dem Debüt findet man ausreichend Freude an scharfkantigen Gitarrenriffs, rasendem Schlagzeugspiel und Tony Cadenas Gesang, der irgendwo zwischen zynischem Spott und purem Frust agiert. Das Album ist vollgestopft mit Hymnen für eine desillusionierte Jugend, die sich nach Freiheit sehnt, aber gleichzeitig in der kulturellen Enge der Vorstadt gefangen ist. Die Songs sind kurz, direkt und ohne Umschweife in die Pickelfresse. Die rohe, fast schon chaotische Produktion verleiht dem Album eine ungefilterte Kraft. Die coole Gitarrenarbeit von Rikk und Frank Agnew hebt sich durch ihre melodische Finesse vom klassischen Hardcore-Sound ab, ohne an Aggressivität einzubüßen. Der Bass von Steve Soto legt zusätzlich ein starkes Fundament, das den Songs ihre ungebremste Dynamik verleiht. Hier wird die perfekte Mixtur aus jugendlichem Übermut und musikalischer Raffinesse zelebriert. Ein unverzichtbares und weiterhin inspirierendes (Meister)Werk, das den Kern des amerikanischen Punkrock in einem nie alternden Klassiker beinhaltet. Und was für eine ungreifbare Hymne die Band mit 'Kids of the Black Hole' erschaffen hat!

Dienstag, 11. Februar 2025

Jefferson Airplane - Crown of Creation


"Crown of Creation" fängt die Essenz der späten 1960er Jahre wie kaum ein anderes Album ein. Grace Slicks unverwechselbare Stimme thront wie eine sirenenhafte Präsenz über den facettenreichen Kompositionen, während Marty Balin und Paul Kantner harmonisch eine perfekte Balance aus Leidenschaft und Melancholie schaffen. Songs wie 'Lather' - ein bittersüßer, fast theatralischer Blick auf das Erwachsenwerden - oder der hypnotisch düstere Titelsong 'Crown of Creation', in dem Slick und Kantner die gesellschaftlichen Umwälzungen seismisch spürbar machen, zeigen die Band auf dem Höhepunkt ihrer kreativen Schaffenskraft.
Das Album bietet alles, was man von einer Band erwarten kann, die Psychedelic Rock nicht nur gespielt, sondern praktisch definiert hat. Üppige Klanglandschaften, verzerrte Gitarren, unorthodoxe Songstrukturen und diese schwer greifbare Aura von Freiheit und Rebellion. Das ikonische 'Triad' sticht mit seiner tabubrechenden Thematik hervor und wird von Grace Slick mit einer erschreckenden Intensität vorgetragen. Wenn es ein Album gibt, das beweist, warum Jefferson Airplane weit mehr als nur ein Relikt der Flower-Power-Ära sind, dann ist es dieses.

Sonntag, 9. Februar 2025

The Sweet - Sweet Fanny Adams


Das Album, das den Übergang von ihrer Glam Pop-Phase hin zu ernsthaftem, knallhartem Rock markierte. Die Band legte hier den glitzernden Paillettenanzug ab und spielte sich mit donnernden Riffs und einer rebellischen Attitüde mitten ins Herz der 70er Rockszene. Plötzlich klingt der Sound mehr nach Kneipenschlägerei als nach Tanzfläche. Das Album strotzt nur so vor Energie und beweist, dass The Sweet technisch versierter und wilder waren, als es ihre früheren Singles hätten erahnen lassen. Eine einzigartige Mischung aus verwegener Eleganz und rotziger Provokation. Knallharte Songstrukturen, ein Hauch von Drama, ein (Vor)Geschmacksverstärker auf Heavy Metal ('Set Me Free' präsentiert bereits eine Vorlage für den späteren Speed Metal), ausufernde Instrumentalpassagen - all das, getragen von spürbarer Wildheit und gnadenloser Hingabe, zelebriert sich die Band in knapp 40 Minuten einen festen Platz in der Rockgeschichte. "Sweet Fanny Adams" ist ein ständiges Hin und Her aus roher Energie und musikalischer Tiefe. Es vereint Virtuosität und eine unbändige Spielfreude - ein Album, das ebenso dramatisch wie rebellisch klingt und die Essenz der 70er Rockkultur farbenprächtig einfängt.

Freitag, 7. Februar 2025

Fehlfarben - Monarchie und Alltag


DAS Album, das den deutschen (Post) Punk und die Neue Deutsche Welle gleichzeitig begründet und übertroffen hat. Der Eröffnungssong 'Hier und jetzt' schleudert einen mit seinen stoischen Gitarrenriffs und dem rotzigen Gesang von Peter Hein direkt in die kalte Realität der frühen 80er Jahre. Der wahre Triumph von "Monarchie und Alltag" liegt jedoch in den Texten - zynisch, scharfsinnig und oft so trocken vorgetragen, dass man erst beim zweiten Hören die Genialität erkennt. 'Grauschleier' ist ein bitterer Kommentar zur Tristesse der Vorstadtwelt, während 'Apokalypse' das Lebensgefühl einer desillusionierten Generation in Worte und Töne fasst. Natürlich ist 'Ein Jahr (Es geht voran)' der bekannteste Song, eine ironische Hymne, die von der Band selbst eher widerwillig als Pop-Hit akzeptiert wurde (und auch der "schlechteste" Song auf dem Album ist).
Das gesamte Album bietet eine faszinierende Mischung aus minimalistischer Instrumentierung, eindringlichen Melodien und messerscharfen Beobachtungen. "Monarchie und Alltag" ist dabei aber alles andere als ein Wohlfühlalbum, sondern ein aufrüttelndes Dokument einer Ära. Ein Album, das eine klaustrophobische Welt mit unverblümter Ehrlichkeit einfängt und sich dennoch immer wieder in melodischen Hooks verstrickt. Es gehört nach wie vor zu den relevantesten und besten deutschsprachigen Alben, die bis heute auf einem Kartoffelacker entstanden sind.

Mittwoch, 5. Februar 2025

Pylon - Gyrate


Als Teil der aufblühenden Musikszene Athens, Georgia - die Bands wie R.E.M. und The B-52's hervorbrachte - waren Pylon vielleicht nie so bekannt wie ihre Zeitgenossen, aber "Gyrate" macht deutlich, dass sie ebenso einflussreich und innovativ waren. Das Album ist die perfekte Essenz aus Post Punk-Energie und minimalistischer Funk-Kantigkeit. Vanessa Briscoe Hays grandiose und wahnsinnig sounddominierende Stimme ist ein Emaskulator der ungezähmten Emotionen - sie schreit, sie heult, sie flüstert, als wolle sie jeden Song direkt in die Synapsen der Zuhörerschaft ätzen. Kombiniert mit Michael Lachowskis elastischem Bass, Curtis Crowes präzisem Drumming und Randy Bewleys scharfkantiger Gitarre entsteht ein Klang, der ebenso tanzbar wie aufwühlend ist. Songperlen wie 'The Human Body' und 'Driving School' verkörpern diese dynamische Spannung zwischen rhythmischer Disziplin und roher Spontaneität. Die Band versteht es meisterhaft, mit repetitiven Grooves hypnotische Energien aufzubauen, während Briscoe Hays Vocals immer wieder wie ein Ruf aus einer anderen Dimension wirken. 'Danger' und 'Gravity' unterstreichen Pylons Fähigkeit, vermeintlich einfache Strukturen in musikalische Mosaike zu verwandeln, die zwar stark reduziert sind, aber dennoch vor Textur nur so strotzen.
Auf "Gyrate" wagten Pylon eine visionäre Herangehensweise an Post Punk und Dance-Rhythmen. 1980 waren sie mit ihrem schmalen Grat zwischen Chaos und Ordnung - zu jeder Zeit berauschend und fesselnd zugleich - vermutlich eher so etwas wie Aliens in der aufkommenden DIY-Welle. "Gyrate" ist vielleicht deswegen so ein unglaublich intelligentes und unwiderstehliches Groove-Feuerwerk.

Samstag, 1. Februar 2025

The Knife - Shaking The Habitual


Mit "Shaking The Habitual" verabschiedeten sich die schwedischen Geschwister Karin und Olof Dreijer im Jahr 2013 endgültig von der Bühne der elektronischen Musik. Doch ihr letztes Album ist weit mehr als nur ein Abschluss; es ist ein schwer verdaulicher und zugleich faszinierender Monolith, der sich konsequent jeder Konvention entzieht. "Shaking The Habitual" ist ein Werk, das sich jeglicher einfachen Kategorisierung verweigert - eine mehr als zweistündige Reise durch harsche Elektrobeats, zermürbende Drone-Sounds, vertrackte Rhythmen, geisterhafte Klangwelten und unkonventionelle Songstrukturen. Es bricht nicht nur mit den Erwartungen, die man an Musik haben könnte, es zerstört sie förmlich. 

Wer The Knife nur von ihren beiden erfolgreichen, fast poppigen Vorgängeralben kennt, wird auf "Shaking The Habitual" kaum Vertrautes wiederfinden. Hier gibt es keine eingängigen Melodien, keine vertraulichen Noten, die man aus Karins Solo-Projekt Fever Ray mitgebracht haben könnte. Stattdessen haben sich The Knife dafür entschieden, gegen den Strich zu musizieren - und das in einer abstoßenden, aber zugleich faszinierenden Weise, die alles auf diesem Album zusammenhält. 

Mit einer Spielzeit von über 90 Minuten und Songs, die in ihrer Länge und Komplexität alles andere als leicht zugänglich sind, betreten The Knife mit diesem Album unbekanntes Terrain. Von Beginn an fühlt man sich in eine düstere, beklemmende Atmosphäre hineingezogen. "Shaking The Habitual" ist ein zäher, fordernder Brocken, der nichts für beiläufiges Hören übrig hat. Es bedarf einer intensiven Auseinandersetzung, um dieses Werk zu durchdringen. Einiges ist leichter zugänglich, wie die verstörend wummernde Attacke 'Full Of Fire', die mit massiven, drückenden Beats und nervösen Rhythmen aufwartet, oder das an Dead Can Dance erinnernde 'Wrap Your Arms Around Me', das einen unheimlichen Trip durch die düsteren Klangwelten des Albums bietet. Die intensiven Beats und schroffen Klangwände in 'Full of Fire' spiegeln die brennende Intensität wider, die das Album durchzieht. Diese Stücke bieten Ankerpunkte inmitten der komplexen Soundlandschaften. 

Andere Songs wie das experimentelle 'Raging Lung' oder das fordernde 'Stay Out Here' verlangen einem deutlich mehr ab. 'A Cherry on Top' oder das 19 Minuten lange 'Old Dreams Waiting to Be Realized' dringen in avantgardistische Sphären vor, die von einer fast schmerzhaften Langsamkeit und Wiederholung durchzogen sind. Diese Klangexperimente sprengen die Grenzen konventionellen Songwritings und setzen auf ein tiefes, meditatives Erleben von Klang und Stille. Hier verliert man sich in den Rissen und Brüchen der Geräuschkulisse. The Knife reizen hier die technischen Möglichkeiten des Studios bis an ihre Grenzen aus und schaffen überlange Soundklumpen, die oft mehr einer Herausforderung gleichen als einem klassischen Song. Diese Herangehensweise formt "Shaking The Habitual" jedoch zu einem der kreativsten und forderndsten Alben der letzten Dekade - ungemütlich, unbequem und gleichzeitig visionär.
Nicht nur die klangliche Radikalität begeistert, auch die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Themen. Geschlechterrollen, Machtstrukturen und Umweltfragen werden subtil in die musikalische Struktur eingewoben.  

Das Album hat sicherlich seine Längen, und es ist keine leichte Aufgabe, sich durch die fast schon labyrinthischen Strukturen zu bewegen. "Shaking The Habitual" zwingt einen, sich intensiv mit ihm auseinanderzusetzen - es fordert, es drängt, es zieht einen hinein in seine eigenwillige, manchmal beunruhigende Welt. Dieses Album zeigt, dass The Knife sich in einer künstlerischen Phase befanden, in der sie sich vollständig von jeglichen Konventionen losgelöst haben. Sie setzen alles daran, den Hörer aus der Komfortzone zu holen. Dabei entsteht eine Klangkulisse, die sich wie eine apokalyptische Vision einer Welt anfühlt, die auseinanderbricht und neu geformt wird - manchmal verstörend, manchmal befreiend. Es gibt Momente des Lärms, der Leere, der Fülle und der Stille.  

Trotz oder gerade wegen dieser Herausforderungen ist "Shaking The Habitual" ein bemerkenswertes Werk. Es ist ein Album, das sich nicht mit einfachen Antworten zufriedengibt, sondern die Hörgewohnheiten auf eine harte Probe stellt. Es ist nicht darauf ausgelegt, den Erwartungen zu entsprechen, sondern sie zu durchbrechen. Die radikale Natur dieses Albums und der Mut, mit dem The Knife es geschaffen haben, machen es zu einem der spannendsten und unvergesslichsten Werke der 2010er Jahre.

Mittwoch, 29. Januar 2025

Leonard Cohen - Songs of Leonard Cohen


Wenn ein Album bereits mit einem unantastbaren Song wie 'Suzanne' eröffnet wird, muss man nicht noch extra warten, bis einem der Scheuerhader um die Ohren gewichst wird mit dem Aufschrei "Meisterwerk!". Cohen, begleitet von sanftem Fingerpicking und subtilen Streicherarrangements, entführt in eine Welt der Sehnsucht und spirituellen Ambivalenz. 'Suzanne' glänzt mit einer fast unerträglichen Schönheit und macht sofort klar, dass man es hier mit einem Künstler zu tun hat, der mit Worten eine Tiefe erreicht, die jenseits des Alltäglichen liegt. Das gesamte Album ist ein Flüstern - intim, fragil und voller Poesie. Cohen schafft es, in jedem Lied einen Teil seiner Seele zu offenbaren. Seine Stimme, damals noch jugendlich und klar, verleiht den Texten eine fast unheimliche Authentizität. Die Produktion ist zurückhaltend und dient einzig dem Zweck, Cohens Stimme und Poesie ins rechte Licht zu rücken. Kein unnötiger Bombast, keine Überinszenierung - stattdessen eine reduzierte Instrumentierung, die Raum für Cohens poetische Welt lässt. Die Songs wirken dadurch wie intime Geständnisse - direkt und ungeschönt. Cohen ist nicht nur eine Stimme der 60er Jahre, sondern gehört bis heute zu den zeitlosen Erzählern, die die Kunst des Songwritings auf ein neues Niveau hoben.

Montag, 27. Januar 2025

The Birthday Party - Junkyard


"Junkyard" ist wie ein Absturz in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Psyche. Die 1982er Geburtstagsparty ist ein fiebriger Albtraum voller Chaos, Wahnsinn und kreativer Anarchie. Nick Cave und seine fantastische Band lieferten ein Werk ab, das wie ein unkontrollierter Wutausbruch klingt - roh, verstörend und vollkommen kompromisslos. Eine brutale Attacke auf die Sinne, ein Krachgewitter aus dissonanten Gitarren, ratternden Rhythmen und Caves bedrohlichem Gesang, der wie ein völlig wahnsinniger Prediger durch die Songs tobt. Alles auf dem Album ist konzentriertes Gift, das sich durch die Gehörgänge frisst. Mit jedem Ton schreit "Junkyard" nach Verzweiflung und Zerstörung.
Die fulminante Gitarrenarbeit von Rowland S. Howard ist ein weiteres spannendes Kapitel auf diesem Werk - schneidend, fiebrig und unberechenbar. Songperlen wie 'Dead Joe' oder 'Big-Jesus-Trash-Can' sind klangliche Explosionen, in denen Howard und Mick Harvey ein musikalisches Schlachtfeld aufbauen, während Cave Texte ausspuckt, die irgendwo zwischen surrealen Horrorszenarien und dadaistischer Poesie passen. Die Band lehnte bewusst jede Politur am Sound ab und wählte eine ungeschliffene und beneidenswerte raue Produktion für das Album. Es ist jedenfalls weiterhin schwer zu sagen, ob "Junkyard" ein Meisterwerk oder ein anarchistischer Unfall ist - für mich verschmelzen jedenfalls diese Eigenschaften hier perfekt wie auf keinem anderen mir bekannten Album zu einem schockierenden und unbequemen Freudenfest. Ein beispielloser, wütender, musikalischer Höllentrip.

Samstag, 25. Januar 2025

Hawkwind - Space Ritual


Live-Alben sind bei mir eigentlich von sehr wenig Interesse gesegnet. "Space Ritual" ist jedoch so ein kosmischer Urknall von einer rohen, ungeschliffenen Qualität, die den Geist der 70er Jahre perfekt einfängt und das Raum-Zeit-Kontinuum des Rock explodieren ließ. 1973, als Hawkwind ihren Zenit erreichten, entschieden sie sich, das Konzept des Livealbums auf eine völlig neue Ebene zu heben. Was hier festgehalten wurde, ist nicht bloß ein Konzertmitschnitt, sondern ein halluzinogener Trip durch die unendlichen Weiten von Space Rock und Psychedelic - ein unvergleichliches Spektakel. Dave Brock, Nik Turner und ihre Mitstreiter erschaffen ein Klangbild, das sich wie ein waberndes Sternenmeer aus dröhnenden Bässen, treibenden Rhythmen und intergalaktischen Synthesizer-Sounds entfaltet. Es ist eine wahre Zeremonie - irgendwo zwischen Schamanismus und futuristischer Techno-Apokalypse. Hymnische Beschwörungen, galaktische Funksignale, die durch die Szenerie irren, eskalieren in endlosen Loops und hypnotischen Grooves. Die Spoken-Word-Einlagen von Robert Calvert setzen dem ganzen Wahnsinn eine poetische Krone auf - eine düstere, surreale Vision von Technologie, Mensch und Universum. Das vielleicht beste Werk um sich von der Erdanziehungskraft zu lösen und (mit Hawkwind) in den Orbit zu katapultieren.

Montag, 20. Januar 2025

Mother Tongue - Mother Tongue


Mother Tongues selbstbetiteltes und gnadenlos fesselndes Debüt von 1994 ist ein echtes Kleinod, eine goldene Tonspur der Alternative Rock-Ära, das inmitten der Grunge-Welle leider komplett unterging. Die Band verwebt hier mühelos die rohe Kraft des (Psychedelic) Rock mit Funk-, Soul- und Blues-Elementen und schafft damit ein musikalisch äußerst vielseitiges Erstlingswerk, das zudem zu den besten Debütalben der Neunziger zählt. Die Stärke der Band liegt in der Mischung aus unausweichlicher, sagenhafter Energie und einem gewaltigen, verlotterten Groove, der den Mother Tongue-Sound so unverwechselbar macht. Bryan Tulao haut an der Gitarre rifflastige Ohrfeigen raus, die sich mal hypnotisch ziehen und dann wieder wie ein Donnern zuschlagen. Mother Tongue spielen nicht nur mit verschiedenen Genres, sondern auch mit vielfältigen Dynamiken. Die Songs wechseln zwischen ruhigeren, nachdenklichen Passagen und explosiven Ausbrüchen, die einem wahren Inferno nahekommen. "Mother Tongue" ist eines dieser seltenen Alben, das trotz seiner Understatement-Attitüde einen bleibenden Eindruck hinterlässt - ein facettenreiches, emotional geladenes Rockalbum, das völlig zeitlos ist, endlos frisch klingt und zu Unrecht im tiefen Schatten der großen Namen der 90er steht.

Freitag, 17. Januar 2025

Joy Division - Closer

Das zweite und letzte Album der Band ist eine ehrfurchtgebietende, düstere Grabinschrift, das die Fragilität der menschlichen Existenz seziert. 1980, nur wenige Monate nach Ian Curtis' tragischem Tod, veröffentlicht, steht "Closer" wie ein Grabmal, das mit jeder Note eine schmerzhafte, aber wunderschöne Elegie darstellt. Das Album zieht einen in eine kalte, unversöhnliche Klangwelt, in der jedes der neun Klagelieder einen tiefen emotionalen Schnitt hinterlässt. 'Isolation' tanzt auf einer fast mechanischen Synth-Linie, doch hinter der scheinbaren Leichtigkeit lauert eine bedrückende Einsamkeit.
'Atrocity Exhibition' ist eine verstörende Einladung in die Gedankenwelt von Curtis. Mit tribalartigen Drums, klaustrophobischen Gitarren und einem pulsierenden Bass von Peter Hook entfaltet sich ein Song, der das Chaos und die Verzweiflung förmlich greifbar macht. Curtis' Stimme, zwischen Klage und Resignation schwebend, wirkt wie ein leises Echo aus einer anderen Welt. 'Passover' und 'Colony' entblättern die düsteren Schichten von Schuld und innerem Konflikt, getragen von Bernard Sumners minimalistischer, aber eindringlicher Gitarrenarbeit. Der wahre Herzschlag von Closer sind jedoch die letzten vier Songs - eine Sequenz, die in ihrer Intensität und Emotionalität beispiellos bleibt. 'Heart and Soul' wirkt wie ein schattenhaftes Flüstern, während 'Twenty Four Hours' das Chaos und die Rastlosigkeit von Curtis' Geist eindringlich vertont. 'The Eternal' und 'Decades' schließen das Album mit einer erdrückenden Melancholie ab, die sich wie ein schwerer Schleier über einen legt und gleichermaßen erschüttert und erhellt.
Die fantastische Produktion von Martin Hannett verleiht "Closer" eine fast ätherische Qualität. Jeder Ton, jedes Echo und jede Stille scheinen mit Bedacht gewählt, um die klaustrophobische Atmosphäre zu intensivieren. Die sterile Kälte der elektronischen Elemente kontrastiert mit der rohen Emotion, die aus jedem Wort und jeder Melodie fließt. Ein Album für den inneren Abgrund und eines der einflussreichsten und bedeutendsten Alben der Musikgeschichte.

Samstag, 11. Januar 2025

Godflesh - Streetcleaner

"Streetcleaner" mit seiner rohen und "grausam" sterilen Produktion verkörpert nicht nur pure emotionale Gewalt, sondern ist auch gleichzeitig ein körperlicher Angriff, ein brodelnder Vulkan aus Industrial, Doom und Noise, der alles in seiner Nähe gnadenlos niederwalzt und für mich der unangefochtene Titan in diesem Bereich.
Ein grandioses, karges Sounddesign aus schleppenden, verzerrten und monotonen Gitarrenriffs, die wie kreischende Maschinen klingen, einem tonnenschweren mechanischen Bass und einem knatternden Drumcomputer - das klingt zuweilen ziemlich anstrengend und nervenzehrend, belohnt aber mit "Whoa"-Häppchen in dieser trüben Brühe. Über all dem thront Justin Broadricks kaltes, gequältes Brüllen, das die Verzweiflung und die vergiftete Atmosphäre aus Betonruinen und rauchenden Schornsteinen perfekt einfängt.
Jeder Song - ob das zermalmende 'Christbait Rising', der zermatschende Opener 'Like Rats' oder das schier endlose, hypnotische 'Streetcleaner' - ist ein Destillat aus Dissonanz und Unterdrückung. Die repetitiven Kompositionen verstärken die mechanische Ästhetik und vermitteln ein ständiges Gefühl eines immer wiederkehrenden Albtraums. Keine Wärme, keine Hoffnung. Alles wird hier gnadenlos mit einem stinkenden und giftigen Rauch erstickt, und man wird in eine apokalyptische Welt fallen gelassen, aus der es keinen Ausweg gibt. Ein phänomenales und legendäres Debüt, das so minimalistisch und radikal monoton in seinem Ansatz ist, dass es seiner Zeit weit voraus war und bis heute als Blaupause von Industrial Metal bis hin zu vielen extremen Metal-Sportarten gilt.

Freitag, 10. Januar 2025

Nine Inch Nails - Pretty Hate Machine



1989 waren Synthesizer vor allem ein Werkzeug für schillernde Pop-Hymnen und Tanzflächen-Glitzer - bis Trent Reznor aus seinem dunklen Verlies kroch und das Instrument mit seiner ungezähmten Wut und düsteren Emotionalität fütterte. Er setzte hiermit einen wichtigen Grundstein für den Industrial Rock der 90er Jahre und weit darüber hinaus. Reznor kanalisierte auf diesem Klassiker-Debüt seine rohen Emotionen und verwandelte die Songs in gleichzeitig melodische und erbarmungslose Krach-Hits, die auch heute noch eine enorme Wirkung entfalten. Die Mischung aus aggressiven Synth-Bässen, hämmernden Beats und Reznors verletzlichem, oft vor Wut zitterndem Gesang war 1989 einzigartig und ist bis heute ein grandioses Fest für die Sinne geblieben. 'Terrible Lie' und 'Sin' sind nur zwei Paradebeispiele für die perfekte Balance aus Tanzbarkeit und emotionaler Zerreißprobe, aber das Album ist nicht nur Wut und Protest, sondern auch eine tiefe Reise in Reznors Psyche. Mit dem rohen und ehrlichen "Tagebuch"-Song 'Something I Can Never Have' präsentiert Reznor einen bodenlosen Abgrund, der einen mit minimalistischen Klavierklängen und gespenstischen Synthesizern in die Tiefe zieht. Auf dem Debüt gibt es noch eine saftige Portion Dissonanz und spürbare Ecken und Kanten laut zu beklatschen - eine wunderbare Glückstüte gefüllt mit dezentem Synth-"Pop" der 80er und einer großen Sättigungsbeilage der schmutzigen, nihilistischen Ästhetik, die den Industrial Rock später dominieren sollte. Ein höllisch intensives Werk, das ich immer wieder den Nachfolgern, so gut sie auch wirklich sind, vorziehe.