Dienstag, 20. Oktober 2015
A Torinói ló
Regie: Béla Tarr, 2011
Das beste Stück Film der letzten Jahre!
Béla Tarrs monotoner Weltuntergangsfilm, der 146 Minuten lang ein poetisch-raues Bild nach dem anderen zeigt. Im Sekundentakt präsentiert uns die Kamera unbeschreiblich kraftvolle Bilder von einem alten Mann und seiner Tochter, die auf einem alten Bauernhof, abgeschieden von der Zivilisation, leben. Das einzige Nutztier, ein Pferd, muss täglich gefüttert werden. Wasser muss aus einem nahe am Gehöft gelegenen Brunnen geholt werden. Die ganze Zeit weht ein starker Sturm, Blätter fliegen durch die Luft, genau wie der Staub und der Sand. Die langen Haare der Tochter wehen ängstlich durch den Wind. Es pfeift, Türen schlagen zu, Ketten rasseln.
Im uralten Steinhaus muss das Feuer entzündet werden, und die Tochter opfert sich für alle Aufgaben im Haus auf. Sie kocht, wäscht, kleidet den Vater ein (er hat einen tauben rechten Arm) und aus, und sitzt starr und regungslos vor dem Fenster. Vater und Tochter haben sich nichts zu sagen, sie wechseln so gut wie kein Wort miteinander. Warum das so ist, bleibt unbekannt. Die gemeinsame Mahlzeit, die aus jeweils einer Pellkartoffel besteht (der heimliche Star des Films), ist zugleich der Tageshöhepunkt. Hier wird hypnotisch mit der Kamera der komplette Vorgang gezeigt – vom Schälen der noch kochend heißen Kartoffel mit bloßen Händen bis zum hastigen Verspeisen mit der Hand. Diese Szene kommt sehr oft im Film vor, nämlich an jedem der gezeigten letzten sechs Tage. Immer wieder gibt es kleine neue Nuancen in dieser überwältigenden Szene zu entdecken. Dazu ertönt die monotone, depressive Musik, die sensible Kameraführung und der beängstigende Ton.
Béla Tarr hat einen Film von unbeschreiblicher Schönheit erschaffen, der so viele stimmungsvolle und malerische Bilder enthält, die ich zu den ergreifendsten und schönsten Momenten der Filmgeschichte zähle. Eine Bilderwucht in Schwarzweiß – trostlos, morbide, mit enormer Kraft und einem unbeschreiblichen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.
Allein der Weg zum Brunnen, wenn die Tochter mit zwei alten Metalleimern und in derben Stoffroben gekleidet Wasser holt, während der Wind ihre Haare verängstigt, Blätter und Staub herumwirbeln, das dröhnende Pfeifen des Sturms aufheult und man für kurze Momente tief in ihr Gesicht sieht, ist ein großartiger Filmmoment. Dann wird wieder die Tür verschlossen. Stille. Ein neuer Tag beginnt. Alles wiederholt sich. Man beobachtet Tochter und Vater, Pferd und Stall, Ofen und Küche, kahle Steinmauern. Jedes Bild, jede Szene ist von intensiver Traurigkeit und Schönheit umhüllt.
Mit den verstreichenden Tagen verändert sich auch das Pferd. Es will sich nicht mehr bewegen, ist scheinbar so verängstigt, dass es weder frisst noch trinkt. Die bevorstehende Dunkelheit wird sehr eindrucksvoll am Pferd gezeigt, ebenso wie die Verzweiflung und das Mitgefühl der Tochter, die (erfolglos) versucht, das Tier zu beruhigen und zu füttern. Diese Pferdeszenen gehören zu den druckvollsten Bildern des Films. Wenn der Vater auf das Pferd mit den Zügeln einprügelt und es anschreit, weil es sich nicht bewegt, und die Tochter dazwischengeht, um das Tier zu beruhigen, zeigt sich ihre stille Verzweiflung. Man könnte meinen, dass sie das Pferd lieber hat als ihren mürrischen Vater.
Auch die Szenen, in denen die Tochter ihren Vater ein- und auskleidet, sind bewegende Bilder für die Ewigkeit. Hier wird klar, dass der Vater auf seine Tochter angewiesen ist, während die Tochter sich gefühlskalt aufopfert. Gefühle spielen in dem Film kaum eine Rolle. Keine Liebe zwischen Tochter und Vater ist erkennbar; sie haben sich wahrscheinlich schon vor langer Zeit alles gesagt. Sie leben zusammen, aber jeder hat seine Aufgaben und kümmert sich nicht um den anderen. Wenn der Vater mit nur einem Arm Holz hackt oder die Tochter sich um die Wäsche, Nahrung und den Stall kümmert, während sie Wasser schleppt und der Vater die Leinen spannt oder seinem Handwerk nachgeht, herrscht stets eine unterkühlte Distanz zwischen ihnen.
Dann wieder die Mahlzeit: eine Pellkartoffel. Diesmal beobachtet die Kamera die Tochter. Bei ihr kann man noch einen Rest von Genuss erkennen, während der Vater nach hastigem Schlingen den Tisch nach wenigen Minuten wieder verlässt.
Der Film ist trostlos, erschlagend düster, gezeichnet von berauschenden Bildern voller Pracht und Schönheit. Er besitzt ein einzigartiges Setting, das ich so noch nie gesehen habe, und von dem eine sehr schwere, dichte Stimmung ausgeht. Ein atmosphärisch dichtes Meisterwerk, von einem Poeten der Regiekunst, von einem Bildmaler und mit einem beunruhigenden Sounddesign auf höchstem Niveau zelebriert.
Béla Tarr hat mit seinem letzten Film „A Torinói ló“ neue Maßstäbe gesetzt und eines der großartigsten Meisterwerke der Filmgeschichte abgeliefert. Und mit der letzten Einstellung des Films hat Béla Tarr sich für immer bei mir eingebrannt – mit diesem Meisterwerk.
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