Dienstag, 20. Oktober 2015

Manes - Vilosophe

Manes-Vilosophe

Neben ULVER haben MANES den wohl wahnwitzigsten Kurswechsel in der Black Metal-Zeitlinie vollzogen. Viele Jahre haben MANES Anfang der 90er im tiefsten Black Metal-Underground Demos veröffentlicht, bis sie 1999 mit „Under ein blodraud maane“ ein sehr beeindruckendes Black Metal-Werk hinterließen, das für mich persönlich zu den letzten großen Werken aus Norwegen gehört.

Neben TAAKE gehörten MANES damals zu den hoffnungsvollsten Black Metal-Bands aus Norwegen, und Fans sowie Kritiker erwarteten einen meisterlichen Nachfolger zu „Under ein blodraud maane“. Die Erwartungen wurden mehr als übertroffen, jedoch nicht für die Debüt-Fans, denn was MANES 2003 mit ihrem Meisterwerk „Vilosophe“ präsentierten, war nicht im Ansatz Black Metal. Es war noch nicht einmal Metal.

Der Aufschrei der Fans war ekelhaft abwertend gegenüber „Vilosophe“ – ich habe es in meinem Umkreis selbst miterlebt. Es ist einfach unglaublich, wie man die Fantastik von „Vilosophe“ nicht erkennen konnte. Von Techno, Hip-Hop und sogar Radio-Pop war die Rede. Keine Ahnung, was damals wieder für Drogen populär waren, aber „Vilosophe“ war für mich nicht nur ein Ventil, um mich von der engen Black Metal-Diktatur und ihrer Lächerlichkeit zu verabschieden, sondern auch, um meinen musikalischen Horizont zu erweitern.

Nach dem schon überwältigenden „Themes from William Blake’s The Marriage of Heaven and Hell“ öffnete sich mit dem zweiten Werk von MANES für mich ein neues musikalisches Dimensionstor. Neue Welten, fremde Lebensformen, moderne Ästhetik.

Als ob es erst gestern geschehen wäre, rasierte mir der Eröffnungssong ‚Nodamnbrakes [One Zero/Endpoint]‘ sämtliche Geschmacksnerven samt Wurzeln aus meinem Leben und pflanzte zugleich neue Zellen in meine willige Hauthülle ein. Was für ein glasklarer, hochmoderner, unfassbar ausbalancierter, warmer und zugleich klinisch druckvoller und menschmaschineller Sound da auf mich einstürzte, gehört auch heute noch zu meinen erinnerungswürdigsten Musikerlebnissen.

Ein Gebräu aus Trip-Hop, dezenter Electronica, skalpellscharfen Gitarrenriffs und hämmernden Drums, das zu einem strukturierten Hit verschmolzen wurde, über dem zu guter Letzt ein emotional kalt wirkender Gesang thront. Wie ich damals mit offenem Mund staunend nur die phänomenale Drumspur verfolgt habe. Für mich auch heute noch einer der besten Eröffnungssongs eines Albums in meiner Sammlung.

„Vilosophe“ muss man als Gesamtkunstwerk betrachten. Jeder einzelne Song ist ein weiteres Kunstwerk, ein Puzzleteil eines modernen Klassikers. Die Grundstimmung ist durchweg eher melancholisch, jedoch besitzt jeder Song ein völlig eigenes Farbschema. Von zart zerbrechlich bis stürmisch wütend, von laut bis leise und hin zu emotional aufrüttelnden Gefühlsaufwirbelungen wird man durch einen Klangkosmos gezogen, der die Feinheiten des 70er Progressive Rocks genauso beinhaltet wie die Soundzaubereien von MASSIVE ATTACK und PORTISHEAD und die Statik von modernem Rock besitzt.

Herausstechend im Sound ist eindeutig der außergewöhnliche Gesang, der wie ein weiteres Instrument eingesetzt wird. Ebenso sind die Gitarrenarrangements bombastisch in Szene gesetzt. Nicht eine Sekunde wirkt aufgesetzt oder angeberisch – es gibt leise Soli, harmonische Melodien, wütende und knackige Fetzriffs sowie allerhand Effekte zu bestaunen. Das Album endet dann auch unerwartet „verstörend“ mit einem Monologausschnitt aus dem Film Der Todesking von Jörg Buttgereit, über dem MANES eine langsam aufbauende Klangwand hochziehen.

Ich kann und möchte die Musik nicht weiter mit Worten beschreiben, denn großartige Kunstwerke benötigen keine weiteren Erläuterungen. Was MANES mit „Vilosophe“ abgeliefert haben, gilt für mich schlicht als eines der fantastischsten und mutigsten Musikalben der 00er Jahre. Ein Monument an Kreativität und Weitsicht, befreit von allen musikalischen Fesseln und in der Umsetzung so nah an der Perfektion, dass man es förmlich entgegengeschrien bekommt.

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