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Dienstag, 2. April 2019

Emperor - Anthems To The Welkin At Dusk

Emperor-Anthems-To-The-Welkin-At-Dusk

Donnerstag, den 17.07.1997

"Werte Frau Mutter,

wie Sie wissen, wohne ich nun schon seit gut 54 Jahren neben Ihrer Wohnung. Ich habe Ihren Buben von klein auf aufwachsen sehen. Dieses süße, blonde Kind mit den lockigen Haaren und dem frechen Gesicht. Dies gehört nun leider schon länger der Vergangenheit an, und die beängstigende Entwicklung Ihres Sohnes beobachte ich nun schon intensiv in den letzten Jahren. Was ist aus dem niedlichen Topfschnitt geworden? Lange Haare, wie ein Mädchen, trägt er nun, ohne sich dafür zu schämen. Dazu diese schreckliche Kleidung. Zerrissene Jeans, anstößige schwarze Nickis mit Wörtern, die man nicht lesen kann, dazu diese grässliche Lederjacke. Da bekommt man es mit der Angst zu tun und schließt seine Haustür schon am frühen Nachmittag ab, nur damit man nicht plötzlich einer Gefahr gegenübersteht. Wissen Sie eigentlich, dass Ihr Sohn nach der Schule seit kurzem immer dieses Mädchen mit enorm entwickelter Oberweite mit zu sich nach Hause nimmt? Sie sind ja bis zum späten Abend auf Arbeit, und ich mache mir da so meine Gedanken, was man in diesem Alter bereits alles anstellen kann. Aber das sollten Sie selber mit Ihrem Sohn klären, da möchte ich mich nicht auch noch einmischen.

Grund für mein Schreiben ist der ständige Krach, der nun schon seit dem 9. Juli aus Ihrer Wohnung kommt. Es klingt, als ob die Hölle auf Erden wandelt. Fürchterliches Geschrei von Todesangst, wo man kein einziges Wort versteht, laute Rockmusik, schlimmer als die von Drafi Deutscher, und Fanfaren, die nach satanischen Ritualen klingen. Ich habe bereits Beschwerde beim Vermieterbund eingereicht, und wenn dieser ständige Lärm nicht sofort ein Ende hat, benachrichtige ich die Polizei und die Eltern von dem Mädchen! Ihre Pakete, die auch zum großen Teil für Ihren Sohn sind, nehme ich auch nicht mehr entgegen. Und bei dem nächsten Treffen Ihres Sohnes mit seinen Freunden vor dem Hauseingang, schütte ich einen Eimer kaltes Wasser aus dem Fenster!

Mit freundlichem Gruß, xxxxxx xxxxxxxxxxx"

So oder so ähnlich musste es damals abgelaufen sein, als ich das beste grüne Album neben "Close to the Edge", "Slow, Deep and Hard" und "World Coming Down" zum ersten Mal in den Händen hielt, das majestätische und leicht verschwommene Cover stundenlang inspizierte, mir die Songtitel auf dem Backcover vor Augen hielt und dabei jeweils mit bewunderten Blicken die vier jungen Musiker Ihsahn, Samoth, Trym und Alver betrachtete. Mit verschwitzten Händen legte ich die CD ganz behutsam in den Player und wartete ab, was da auf mich einwirken sollte.

‘Alsvartr (The Oath)‘ - man kann es einfach nicht oft genug sagen, ist und bleibt das größenwahnsinnigste Intro, welches mir bis heute unter die Ohren gekommen ist. Mit schleichender Behutsamkeit wird eine unheimliche und unwirkliche Stimmung erzeugt, obwohl es bereits die ganze Zeit im Hintergrund fieberhaft brodelt. Dann, dieser Moment der Göttlichkeit, es dröhnt und tost, stürmische Fanfaren, Engel stürzen vom Himmel, Luzifers Posaunen begleiten diesen Sturz um dann vom Kaiser empfangen zu werden. „Oh, Unbeschreiblichkeit der Himmel, es war die Herrlichkeit, und die Herrlichkeit wurde Fleisch! Wie ein Vogel, aus dem kostbaren Metall des Weltalls gesponnen. Wie Silberwein, der durch ein Raumschiff schwebt. Hier wird Schwerkraft zum Unsinn! Und während ich lauschte, sah ich so liebliche Bilder. Und, oh meine Brüder, für einen Augenblick war’s, als sei ein großer, bunter Vogel in mein Zimmer gerauscht! Und ich spürte, wie sich all meine Body-Härchen aufrichteten, und ein Schauer kroch langsam an mir rauf und runter, als wär’s eine Eidechse. Engels-Trompeten und Teufels-Posaunen!“ (Zitat aus “A Clockwork Orange“, 1972) Dieser Übergang in das alles überrennende ‘Ye Entrancemperium‘, dieses Gitarrenriff, das unmenschliche Drumming von Trym, diese ganze in sich zusammenbrechende Welt, gehört so ziemlich zu meinen unvergesslichsten Jugendmomenten.

Ich weiß gar nicht, wie oft ich nach dem Song sofort von vorne begonnen hatte, mir ‘Alsvartr (The Oath)‘ und ‘Ye Entrancemperium‘ wieder anzuhören, mich völlig hinzugeben, den Übergang auf der absoluten Höhe der Lust zu genießen, um dann mit den folgenden 5 Minuten von ‘Ye Entrancemperium‘ alles um sich herum zu vergessen. Sonnenschein, Hausaufgaben, die tägliche Baywatch Folge, Badespaß mit Kumpels am See und natürlich das tägliche Buhlen um meine damalige große Liebe - alles wurde mit einem Schlag ausgelöscht, nichts und niemand interessierte mich in diesem Moment der völligen Abwesenheit, um gebannt vor der Anlage zu knien, mit dem Booklet und der goldenen Schrift in der Hand Ihsahn zu folgen und sich völlig der Musik hinzugeben, war der größte und schönste Moment für mich im Jahr 1997.

Ich konnte nicht mehr ohne "Anthems to the Welkin at Dusk". Kein Tag verging, ohne dieses Album zu hören. Kein Tag, an dem ich nicht jeden, der mich kannte, egal ob im Freundeskreis, den Mädels, die sich mit mir auf offener Straße zeigten oder innerhalb der Familie, dieses Album vorspielen wollte, diese Musik begeisternd präsentieren wollte. Leider stand ich damit meistens alleine da und wurde nur mit fragenden und verständnislosen Blicken bestraft. Meine Nachbarn allerdings mussten sich jeden Tag, ob sie wollten oder nicht, mit diesem Werk "beschäftigen", es ging gar nicht anders. Es war ja nicht so, dass sie eine Wahl gehabt hätten, wenn ich am Nachmittag die Boxen an den Rand der Belastung getrieben hatte.

Und so bewegte ich mich durch den ganzen Sommer 1997, Hand in Hand mit "Anthems to the Welkin at Dusk", anstatt mit meiner einstigen großen Liebe, die mich immer merkwürdiger fand.

"Anthems to the Welkin at Dusk" ist ein Album, mit dem ich immer gewisse Momente, Lebensabschnitte und Erlebnisse verbinde, welches auch wirklich ein Teil von mir ist. Es ist für mich nicht einfach nur das mächtigste und intelligenteste Black Metal Album, was unter der Bezeichnung Black Metal entstanden ist. "Anthems to the Welkin at Dusk" gehört für mich zu den wichtigsten Werken der Musik, die mich bis heute begleiten, egal ob es nun Black Metal ist oder einfach nur beängstigende traumhaft magische Musik, die für mich so wertvoll ist wie ein Erdbeereisbecher mit frischen Erdbeeren und frischer luftiger Sahne und richtigem Eis, welches man im Sommer mit Freunden und der Dame seines Lebens im Freien genießt und in diesem Moment der glücklichste Mensch ist, weil man dieses grüne Album kennenlernen durfte, von diesem Album bereits durch drei Jahrzehnte begleitet wird und weil Musik einfach die schönste Form von Kunst darstellt, die schönste Form Gefühle auszudrücken, und man mit Musik die schönsten Erinnerungen verbindet. Und genau solche Art von Alben sind es, die für immer durch Bauch, Herz, Kopf und Nerven wandern, stündlich, täglich, Monate, Jahre und Jahrzehnte jung bleiben und das Leben lebenswert machen.

"Anthems to the Welkin at Dusk" gehört mit seiner dreiviertel Stunde Zauberei und Magie zu den wertvollsten Dingen, die ich besitze. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, dass die Produktion nicht perfekt ist (verwaschen und unausbalanciert), die Keyboards nicht mehr zeitgemäß klingen (aber immer noch so mächtig schmettern wie am 7. Juli 1997) und dass schon damals diese haarsträubenden Kommentare zum Thema "ist das noch Black Metal, ist das überhaupt noch trve?" ohne Beachtung von mir links stehengelassen wurden. Mir persönlich haben sich nur wenige Alben so sehr ins Hirn gebrannt, mit denen ich so viel verbinde, wie mit "Anthems to the Welkin at Dusk". Neben "Left Hand Path" musste ich mir dieses grüne Album wirklich ein zweites Mal nachkaufen, da ich "Anthems to the Welkin at Dusk" überall mit hingeschleppt habe, und irgendwann die Silberscheibe nicht mehr wollte. Und als ob "Anthems to the Welkin at Dusk" nicht schon der Gipfel der Lust wäre, durfte ich wenige Wochen später "In the Nightside Eclipse" erleben und wurde fassungslos von einer Band gefangen genommen, die man mit Worten nur schwer würdig wird.

Und somit endet der Text hier mit den mächtigen Worten, die in Verbindung mit der Musik, für meinen größten musikalischen Gänsehautmoment gesorgt haben:

"O'Nightspirit
I am one with thee
I am the eternal power
I am the Emperor"