Samstag, 7. September 2024
Swans - White Light from the Mouth of Infinity
Es fällt mir wirklich verdammt schwer zu sagen, welches Album nun ausschlaggebend für meine neue Weltordnung in Sachen Krachverständnis, Monotonie, seelische Abtreibung und soziale Inkompetenz war. Musik, die entweder totales Unverständnis oder aber ein in Schutt und Asche liegendes musikalisches Weltbild hinterlassen kann - so auch bei mir.
Musik, die die Existenz von Grenzen nicht nur infrage stellt, sondern sie schlichtweg ignoriert, als hätte es sie nie gegeben. Wenn es sich eine Band auf die Fahnen schreiben konnte, innovativ, künstlerisch rücksichtslos und im wahrsten Sinne des Wortes progressiv gewesen zu sein, dann waren es definitiv Swans. Ihre Frühwerke werfen in ihrer beispiellosen Negativität noch immer einen langen Schatten auf alles, was unter dem Banner Black/Doom Metal/Sludge/whatever firmiert.
2010 machte mich das nervenzerrende Rohkost-Album „Filth“ mit seinem strikten instrumentalen Purismus zum alten Mann. Es versetzte mir mit seinem brachialen, langsamen Industrial-Krach, den komplett melodielosen Kompositionen, der kalten Monotonie, den bitterbösen Lyrics, der vollkommenen Hässlichkeit und Giras manischer Kaputtheit am „Gesang“ einen blutigen Uppercut in Sachen Horizonterweiterung unter meiner Hirnplatte.
Die Frühphase der Band ist so speziell, so weltfremd, schwer zu verdauen, zermürbend, voll von schädelspaltender Gewalt und mitunter qualvoll unerträglich, dass ich bis heute nicht immer damit zurechtkomme. Dennoch können gerade die ersten beiden Alben „Filth“ und „Cop“ an einigen Tagen mit ihrem radikal abgründigen Symbolismus der psychischen Verwahrlosung und Gewalt wunderbar befreiend sein. Ihre frühen Werke, geprägt von einer fast masochistischen Hingabe an Lautstärke und Repetition, stellten die Grenzen dessen auf die Probe, was als Musik definiert werden konnte.
1987, nach vier gewalttätigen Alben der unbarmherzigen und rohen Frühphase, erschien das Album „Children of God“ und gilt als der Klassiker der Band. Erstmals platzierte Gira richtige Melodien in den Songs, mischte Blues Rock hinzu, tupfte eine kleine Prise Gothic Rock darüber und rückte Psycho-Chanteuse Jarboe etwas mehr in den Soundmittelpunkt. Hier entwickelte sich die mittlere und meine persönliche Lieblingsphase der Band. In diesem Kontext befindet sich auch das Album, welches mich nachhaltig am meisten beeindruckt und geprägt hat.
In der Diskographie der New Yorker Noise-Rock-Ikonen Swans nimmt „White Light From The Mouth Of Infinity“ eine Sonderstellung ein - es markiert einen Wendepunkt in der künstlerischen Entwicklung der Band, eine Metamorphose, die sowohl befreiend als auch beängstigend in ihrer Intensität wirkt. Mit „White Light From The Mouth Of Infinity“ vollzogen sie eine bemerkenswerte Wandlung - weg von der schieren Gewalt des Klangs hin zu einer komplexeren, nuancierteren Form der Expressivität.
„White Light from the Mouth of Infinity“ ist für Swans-Verhältnisse extrem harmonisch, leise und strukturiert und beinhaltet gleichzeitig auch die „schönsten“ Songs, die Swans bisher geschrieben haben. Irgendwo zwischen Post-Punk, Neofolk und Gothic Rock, mit einer seltsamen atmosphärischen Southern-Gothic-Stimmung ausgekleidet, treibt mich Gira mit seinem grotesken Zerrbild eines Priesters und seiner Giftkompanie, die auch auf Violinen, Banjo, Mandoline und weitere exotische Instrumente zurückgreift, immer wieder in atmosphärische Abgründe.
Besonders hervorzuheben sind solche einzigartigen und eindringlichen Songwelten wie die monotone Suizid-Hymne ‚Failure‘, die unentrinnbare Verzweiflung verkörpert, das stampfende ‚Better Than You‘, das epochale ‚Why Are We Alive?‘ - eine existenzielle Meditation, die in ihrer Intensität an die besten Momente von Joy Division erinnert - oder das unglaublich schöne und zerbrechliche ‚Miracle of Love‘, in dem Gira über einer fast psychedelischen Soundscape von Erlösung durch Liebe singt. Giras baritonale Stimme, einst ein Instrument der Aggression, nimmt hier fast hymnische Qualitäten an. Die Gitarren, früher Werkzeuge zur Erzeugung von Wall-of-Sound-artigen Klangmauern, weben nun filigrane Texturen, die zwischen ätherischer Schönheit und unterschwelliger Bedrohung oszillieren. In dieser unbefleckten Heiligenschein-Ästhetik offenbart sich jedoch der widerlichste Schmutz; Michael Gira nutzt das Stilmittel der Überidentifikation und karikiert mit bösartigem Vorschlaghammer-Zynismus. Giras Texte auf „White Light from the Mouth of Infinity“ sind Gedichte der Verzweiflung und der Erlösung. Doch inmitten der Dunkelheit blitzen immer wieder Momente transzendenter Schönheit auf, wie in der fast euphorischen Klimax von ‚Song for the Sun‘. Jeder Song fühlt sich wie ein essenzieller Teil eines größeren Narrativs an, einer spirituellen Reise durch die Abgründe der menschlichen Existenz. Die fast 70-minütige Laufzeit des Albums vergeht wie im Flug, ein Zeugnis für die hypnotische Kraft der Kompositionen.
Die Produktion des Albums ist bemerkenswert in ihrer Klarheit und Tiefe. Jedes Instrument hat Raum zum Atmen, vom pulsierenden Bass in ‚Power and Sacrifice‘ bis zu den fast sakral anmutenden Keyboards in ‚Love Will Save You‘. Es ist, als hätte man einen hochauflösenden Blick in die Seele einer Band geworfen, die zuvor in einem Nebel aus Verzerrung und Feedback verhüllt war.
Das Album besitzt zudem einen wunderbaren Fluss. Da ich dieses Album wohl am häufigsten gehört habe, es in- und auswendig kenne und immer wieder aufs Neue fasziniert bin, ist es „White Light from the Mouth of Infinity“, welches mich am stärksten beeindruckt hat.
„White Light from the Mouth of Infinity“ ist somit das Paradebeispiel für das Swans’sche Konzept und die Atmosphäre des Albums: ein hochkonzentriertes Gift in Form von makelloser, einschmeichelnder Anmut, ein Album, das gerade durch seine Harmonie und Grazie so derart verstörend und diabolisch wirkt.
Im Rückblick erscheint „White Light From The Mouth Of Infinity“ als Wegbereiter für die späteren Werke von Swans, insbesondere für ihre triumphale Rückkehr in den 2010er Jahren. Es ist ein Album, das seine Geheimnisse nur langsam preisgibt, das bei jedem Hören neue Facetten offenbart. Ein Album, das auch drei Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung nichts von seiner erschütternden Kraft eingebüßt hat und untrennbar mit mir verwachsen ist.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen