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Dienstag, 20. Oktober 2015

Joy Division - Unknown Pleasures

Joy Division - Unknown Pleasures
Was ist die Hauptformel für wirklich gute Musik?
Sind es die technischen Fähigkeiten der Musiker, um überhaupt ansprechende Musik zu produzieren? Ist es im Endeffekt der fähige Produzent, der die Musik (nicht nur) soundtechnisch be- und verarbeitet? Sind sogar die songschreiberischen Fähigkeiten das Nonplusultra?
Meiner Meinung nach sind dies nur die optionalen Punkte.
Musik muss für mich an erster Stelle aus dem Bauch kommen - und das möchte ich als Hörer spüren, und zwar intensiv und als bewusstseinserweiternde Erfahrung.
JOY DIVISION erreichen das nicht nur, sondern gehen teilweise noch weit darüber hinaus und sind eigentlich auch die komplette Antithese von den oben genannten Punkten.
Die legendäre Band um den extrem charismatischen Sänger Ian Curtis war weder für ihre Glanzleistungen an den Instrumenten bekannt, hatte keine "hochwertige" Produktion auf ihren beiden Alben und war songschreiberisch ziemlich limitiert.
Stephen, der Schlagzeuger, Peter, der Bassist, Ian, der Sänger und Bernard, der Gitarrist und Keyboarder waren sich dessen bewusst und machten daraus auch kein Geheimnis.
Sie schrieben einfach Songs, Songs die bis heute, fast 35 Jahre später, weiterhin Millionen von Menschen berührt, Songs, die viele weitere Bands beeinflussten, Musik, die nichts an Zauberkraft verloren hat, Musik die unsterblich ist.
Mit gerade mal zwei Alben zählen JOY DIVISION zu den wohl einflussreichsten Bands der modernen Popmusik, obwohl die Musik eigentlich nichts damit verbindet.
Ganz gleich, ob nun "Closer" oder "Unknown Pleasures" das bessere Werk ist, beide Alben sind Geschenke für die Ewigkeit.
Da "Unknown Pleasures" etwas mehr Klassiker ist als "Closer", darf sich dieses Album hier über ein paar zerstreute Worte erfreuen.
Als dieses Teil im Sommer 1979 veröffentlicht wurde, waren sich Kritiker, Fans und Presse einig: die Band wird weltweit Berühmtheit erlangen - eine wahre und tragische Geschichte.
Neben den 4 Musikern, war es auch die Schuld von Martin Hannett, der das Album produziert hat und der Musik einen unverkennbaren und stilprägenden Sound verpasste. Es war ein basslastiger, karger und kalter Sound, ein schon fast maschineller Dunkeltraum. Obwohl der Klang oberflächlich sehr dünn ist, schaffte es Hannett wie kaum ein anderer Produzent davor und danach, dass jedes Instrument einzeln im Raum pulsiert, dass selbst in den lautesten Momenten Ordnung herrscht und kreierte einen neuartigen Sound, der wie eine schwermütige und graue Moll-Wolke über die Musik schwebt.
Es ist vielleicht gerade der eröffnende Song 'Disorder', der im Gegensatz zu den restlichen Songs eine schon fast positive Aura ausstrahlt, ähnlich, wie das spätere bandeigene Weltkulturerbe 'Love Will Tear Us Apart'.
Ein berauschendes und sinnliches Fest an Harmonien und Melodien, bemerkenswert menschlich komponiert, gespielt und gesungen. Peter Hooks prägnantes Bassspiel, welches zum größten Teil als Gitarre agiert, präsentiert sich als ein dicht gewebter Moll-Teppich, begleitet vom Maschinenryhthmus, für den Stephen Morris so bekannt wurde. Kaum zu deuten, aber dennoch spürbar vorhanden, surren und schwingen die Akkorde von Bernard Sumners Gitarre (generell wird die Gitarre eher wie ein zweiter Bass gespielt, typische Gitarrensounds findet man auf "Unknown Pleasures" nur sehr selten), bis der tiefe Gesang von Ian Curtis einsetzt. Genau an diesem Punkt, wenn sich auch noch ein paar Keyboardtupfer dazugesellen, spürt man (oder auch nicht) die einzigartige Macht, die diese Band entfesselt.
Die nachfolgenden Songs sind jedoch eher düster und kälter und offenbaren den musikalischen Wert dieser einzigartigen Band. Bis auf das eher unspektakuläre 'Wilderness', bestechen die restlichen Songs durch karge Klanglandschaften, die von Einsamkeit umgeben sind. "Unknown Pleasures" ist ein seelisch extrem kaputtes Album, was nicht nur an dem Hintergrund von Ian Curtis liegt (er leidete an Epilepsie, nahm viele Drogen, bekam sein Privatleben nicht in den Griff und war sich wahrscheinlich seinem bevorstehenden Suizid bewusst), sondern auch durch die extrem persönlichen und dichten Texte ein Gefühl von Unbehagen auslöst. Sicherlich erreicht es nicht ganz die verzweifelte, tieftraurige und völlig hoffnungslose Stimmung wie auf "Closer", jedoch sind es gerade solche Songs wie die rhythmische Meisterleistung (passend zum Text) 'She's Lost Control', das dichte und bedrückende 'New Dawn Fades' oder das düstere 'Shadowplay', die für das stehen, was an JOY DIVISION so einzigartig ist.
"Unknown Pleasures" ist in seiner Gesamtheit ein Rohdiamant, ein "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" für die aufkommende Wave und Gothic-Bewegung der Achtziger, eine Meisterleistung ohne Meisterleistungen und mit all seinen Ecken und Kanten, ja, sogar Fehlern und Unvermögen, eine der einflussreichsten und bedeutendsten Musikerscheinungen der populären Musik. Bis heute beziehen sich Bands auf die Musik, es gibt unzählige Coverversionen einzelner JOY DIVISION Songs, aber nie wieder wurde solche Musik produziert wie auf "Unknown Pleasures" und "Closer". Es sind Alben, die aufzeigen, wie großartig Musik sein kann, wenn sie aus dem Bauch kommt, Gefühle vermittelt und abseits von Anspruch wertvoller sein kann, als groß angelegte "Musikkunstwerke". Am 18. Mai 1980 erhängte sich Ian Curtis, kurz vor der anstehenden Tournee in den USA und hinterließ nicht nur eine trauernde Familie, sondern weltweite Fans und eine tragisch "gescheiterte" Band, die sich umgehend auflöste und unter dem Namen NEW ORDER die Popmusik der Achtziger revolutionierte, jedoch nur sehr selten JOY DIVISION-Songs im Liveprogram präsentierte.
"Unknown Pleasures" und "Closer" gehören mittlerweile zu meinen wichtigsten Musiktherapien und beherbergen jeweils eine eigene Welt, in der man sich zwar nicht immer zurückziehen möchte, aber es ungemein schätzt, dass vier Musiker mit den einfachsten Mitteln so etwas Großes erschaffen haben und der Musikwelt damit ewig erhalten bleiben.

Empfehlenswert ist übrigens die Dokumentation "Joy Division" von Grant Gee, die einen tiefen Einblick in die Band aufzeigt, sowie der sehr gute Film "Control".

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