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Dienstag, 20. Oktober 2015

Kraftwerk - Trans Europa Express

Kraftwerk-Trans-Europa-Express

1977 entstand mit "Trans Europa Express" in Deutschland nicht nur ein unglaublich einflussreiches Album für die Musikwelt, sondern auch gleichzeitig ein denkwürdiges und visionäres Werk deutscher Musik- und Tonkunst.
In dem Zeitraum von 1970 bis 1973 spielten KRAFTWERK noch eigenwilligen Krautrock, bis die Band mit dem 74er Werk "Autobahn" den ersten Klassiker ihrer Karriere ablieferten. Stilistisch noch meilenweit von den späteren Revolutionsanschlägen "Trans Europa Express", "Die Mensch-Maschine" und das vielleicht einflussreichste und wegweisendste KRAFTWERK-Werk "Computerwelt" entfernt, ritten KRAFTWERK auf "Autobahn" bis zur Ewigkeit andauernd im Titelsong auf einer einprägsamen Melodie und dem minimalen Text herum, bis es jeder Dorfschüler mitpfeifen konnte. Wenn man es genau betrachtet, ist 'Autobahn' ein schon fast lächerlich billiger Song, der aber genau diese Tatsache überhaupt nicht versteckt. Den Beweis, dass Musik nicht zwingend anspruchsvoll oder künstlerisch wertvoll sein muss, haben KRAFTWERK auf diesem Werk mit dem Titelsong so perfekt abgeliefert, dass man dieser Band auf Ewigkeit dankbar sein muss.
Da sei auch dahingestellt, dass viele Melodien schon deutliche Kinderlieder-Nähe aufweisen. "Autobahn" gehört rückwirkend betrachtet nicht unbedingt zu den großen Werken im Schaffen von KRAFTWERK, besitzt aber eine wichtige Schlüsselrolle und beinhaltet bereits das bekannte KRAFTWERK-Rezept, welches aus meiner Sicht auch heute noch weltweit einzigartig ist: die im ansonsten sehr monotonen, maschinellen, kalten und gefühllosen Sound vorhandene menschliche Wärme. Diese Kombination aus elektronischem Maschinen-Sound, kalten "Beats" und einem Melodien-Overkill, der manchmal so aberwitzig surreal wirkt, ist bei vielen elektronischen Bands/Künstlern heute Standard, aber nur bei ganz wenigen nimmt man auch die Menschen hinter den synthetischen Klängen wahr. In der Musik von KRAFTWERK besitzt die Menschlichkeit immer eine sehr ausgeprägte Rolle - Maschinenmusik von Menschen und nicht andersherum.
Richtig "cool" wurden KRAFTWERK erst mit dem Nachfolger "Radio-Aktivität", auf dem mit dem Titelsong meiner Meinung nach der beste KRAFTWERK-Song überhaupt enthalten ist. Eine fast 7 Minuten andauernde Soundwucht - warm, visionär, raumfüllend, benebelnd – entfaltet ein schon unwirkliches Melodieverständnis der beiden Elektro-Musik-Kaiser Ralf Hütter und Florian Schneider. Auch der Text ist so unfassbar gut, doppeldeutig und, genau wie die Musik, meilenweit der Zeit voraus. Dieses Werk war noch elektronischer und kälter als der Vorgänger, verfing sich aber auch teilweise in zu abgedrehten Soundexperimenten und elektronischem Wirrwarr, so dass dieses Werk etwas in der klassischen Phase unterging. Ich mag dieses spezielle KRAFTWERK-Album trotzdem extrem gerne.
Mit dem 1977 veröffentlichten "Trans Europa Express" lieferten die Düsseldorfer dann aber das erste Überwerk ihrer 3 Weltveränderungsalben ab. Schon das vor Geilheit triefende Coverartwork (in der deutschen wie auch in der englischen Version) ist in seiner simplen Idee so großartig (umgesetzt), dass die Musik gar nicht schlecht sein kann. Mittlerweile ziehe ich bei den KRAFTWERK-Alben aber die englischen Versionen vor, auch wenn diese natürlich nicht ganz an die Eigenarten der deutschen Versionen heranreichen. Ich persönlich mag und bevorzuge den etwas besseren Fluss durch die englische Sprache.
Was KRAFTWERK auf "Trans Europa Express" abliefern, ist schlicht eine musikalische Revolution. Neuartige Sounds, Studiogerätschaften und Technik wo hin man hört, alles mit dem typisch deutschen Perfektionismus komponiert, Textfetzen, berauschende Wiederholungen, angenehm experimentell, zurückhaltend und mit einer Melodiedichte ausgestattet, die man mit Worten nur schwer ausdrücken kann. Wie oft ich schon vor Freude geweint habe, wenn der Eröffnungssong 'Europa Endlos' in Fahrt kommt, nachdem die einleitende Melodie durch den einsetzenden Beat und dieser atemberaubenden stechenden Synthesizer-Melodie abgelöst wird und Kopfportale geöffnet werden - das sind die wahren Wunder der modernen Musik. Momente, die wie ein Parasit mein musikalisches Gedächtnis befallen haben. Ob das finstere und zurückhaltende 'Spiegelsaal' (wieder ein toller Text), welches schon fast avantgardistisch wirkt, die Hart-Beat-Nummer 'Schaufensterpuppen' mit seiner unterkühlten Monotonie oder der extrem einflussreiche Titelsong, der an sich schon ein kreatives Zentrum an durchdachte elektronische Musik darstellt - "Trans Europa Express" ist das Leben, welches nach dem Urknall aus der Ursuppe "Autobahn" das Land betritt. KRAFTWERK befanden sich mit diesem Werk auf der Höhe ihrer Kreativität, formten mehrere Musikstile und prägen bis heute unzählige Musiker. Mit "Die Mensch-Maschine" wurde der Sound noch etwas wärmer, noch melodieorientierter, sozusagen der erfolgreichere Zwillingsbruder, bevor man dann mit "Computerwelt" 1981 das prägendste und nachhaltigste Werk der Karriere für die Musikwelt ablieferte.
KRAFTWERK - das ist nicht nur fantastische Musik, es ist das ganze Konzept hinter der Musik, den Texten und dem visuellen Auftreten. Und nebenbei ist KRAFTWERK neben CAN die einflussreichste und bedeutendste deutsche Band für die Pop- und Rockmusik weltweit, heute vielleicht sogar noch wichtiger als in der aktiven Hochzeit. Und ja, ich bin schon unverschämt stolz darauf, dass KRAFTWERK eine deutsche Band ist!

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